Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreiundzwanzigstes Capitel.

Was der eifersüchtigen Auristela begegnete, als sie erfuhr, daß ihr Bruder Periander Derjenige war, welcher die Preise in den Wettkämpfen gewonnen hatte.


O schreckliche Tyrannei der Eifersucht! ein Fieber bist du, das die Seele so fesselt, daß nur der Tod die Bande löset. O liebliche Auristela! Halt ein und stürze Dich nicht in den Abgrund dieser wüthenden Schmerzen! Aber wer ist im Stande die Gedanken zu zügeln, die fein und leicht, als körperlose Wesen Mauern durchdringen, in die Herzen eingehen und das Verborgenste der Seele durchforschen.

Dies bewährte sich so sehr, daß, als Auristela den Namen ihres Bruders Periander hörte, das Lob der schönen Sinforosa und die Gunst, die sie ihm erzeigt, indem sie ihn mit ihrem Kranze schmückte, da erstarb ihre Fassung in Argwohn, ihre Geduld löste sich in Thränen auf, und indem sie einen tiefen Seufzer ausstieß, schloß sie Transila in ihre Arme und sprach:

»Bete zu Gott, geliebte Freundin, daß Dein Gemahl Ladislao nicht für Dich verloren sei, so wie ich meinen Bruder Periander verloren habe. Hast Du sein Lob gehört in der Erzählung dieses tapfern Capitains? Als Sieger geehrt, als muthig gekrönt, achtet er mehr auf die Gunstbezeigungen einer Dame, als auf den Beistand, welchen er der verbannten, fliehenden Schwester schuldig ist; in fremden Ländern erringt er Trophäen und Palmen, und verläßt zwischen Felsen und Klippen in der öden See eine Schwester, die nur auf seinen Rath und zu seinem Besten jeder Todesgefahr trotzt.«

Diese Rede vernahm der Capitain sehr wohl und wußte nicht, was er daraus machen sollte; er wollte sprechen, kam aber nicht dazu, denn in demselben Augenblick nahm ihm ein Wind, der sich plötzlich und scharf erhob, das Wort von den Lippen. Er stand auf ohne Auristela zu antworten, und befahl den Matrosen, die Segel zum Theil einzuziehen. Jeder begab sich zu seinem Geschäft; das Schiff flog mit unglaublicher Schnelligkeit über das Meer, wohin der Wind es führte.

Mauricio zog sich mit seinen Gefährten in die Cajüte zurück, um die Seeleute nicht in ihren Arbeiten zu hindern. Transila fragte hier Auristela, weshalb sie so heftig erschrocken und ganz außer sich gerathen sei, wie es ihr geschienen, indem sie den Namen Perianders gehört habe? Sie könne nicht begreifen, wie der Ruhm und das Glück eines Bruders ihr so großes Mißvergnügen erregen möge.

»Ach, Freundin!« erwiederte Auristela, »die Pilgerschaft, auf welcher ich begriffen bin, verpflichtet mich zum strengsten Stillschweigen, das ich nicht brechen darf, ehe sie geendigt ist, und käme auch früher das Ende meines Lebens. Wenn Du wissen wirst, wer ich bin, und Du sollst es erfahren, dafern der Himmel es gestattet, dann wirst Du mein Erschrecken entschuldigen, indem Du seine Ursach begreifst. Sehen wirst Du, wie ein keusches Gefühl erschüttert, aber nicht überwunden werden kann. Es wird Dir auch klar werden, wie das Unglück hereinbricht, wo wir es nicht erwarten, und wie wir hingegen oft einen unverhofften Ausgang aus dem Labyrinth der Leiden finden. Du weißt, wie fest das Band ist, das den Bruder mit der Schwester vereinigt; aber außerdem bindet mich noch ein heiligeres an Periander. Ist es nicht natürlich, wenn Liebende eifersüchtig aufeinander sind? Aber ich habe ein noch weit größerer Recht eifersüchtig auf Periander zu sein. Der Capitain, Freundin, schilderte er nicht Sinforosa's Schönheit als glänzend, und blickte sie nicht Periander an, indem sie seine Schläfen bekränzte? Ja gewiß; Du hast ja gesehen, wie schön, wie edel mein Bruder ist; und sollte sein Bild nicht in Sinforosa's Herzen Gefühle erwecken können, die ihn vergessen machen, daß er eine Schwester hat?«

»Bedenke, Gebieterin,« antwortete Transila, »daß Alles, was der Capitain uns erzählte, vor der Gefangenschaft Deines Bruders auf der Insel der Barbaren geschehen ist. Seitdem habt ihr euch gesehen und gesprochen, und dadurch kannst Du Dich überzeugen, daß er keine Andere liebt und an nichts denkt, als Dich zu beglücken. Ich habe nicht geglaubt, daß die Macht der Eifersucht so weit gehen könne, das Herz einer Schwester gegen ihren Bruder zu ergreifen.«

»Erwäge, meine Tochter,« sprach Mauricio, »daß die Bedingungen der Liebe ebenso mannichfach als ungerecht sind, und ihre Gesetze eben so zahlreich als veränderlich. Sei verständig und suche nicht die Gedanken Anderer zu erforschen, noch von irgend Jemand mehr zu wissen, als er Dir sagen will. Mit Genauigkeit müssen wir unsre eignen Angelegenheiten erkennen und ergründen; aber bei fremden, die uns nicht nahe angehen, uns wol davor hüten.«

Diese Worte Mauricio's waren für Auristela eine Mahnung, ihr Gemüth und ihre Zunge zu bewachen, weil die etwas voreilige Zunge Transila's sie fast verleitet hätte, sich und ihre Geschichte zu verrathen.

Der Wind legte sich und war nicht so stark geworden, um den Matrosen Besorgniß und den Reisenden Furcht zu erregen. Der Capitain kehrte zu diesen zurück, um seine angefangene Erzählung fortzusetzen, denn Auristela's Schreck, als sie Perianders Namen hörte, hatte seine Theilnahme erregt. Auristela wünschte das Gespräch wieder auf den vorigen Gegenstand zurückzuführen, um von dem Capitain zu erforschen, ob die Gunstbezeigungen Sinforosa's sich darauf beschränkten, daß sie Periander mit ihrem Kranze schmückte; sie fragte ihn nun bescheiden und mit Zurückhaltung darnach, um ihre Gefühle nicht zu verrathen.

Der Capitain erwiederte: ›Sinforosa habe nicht Gelegenheit gehabt, Periander mehr Gnade zu erzeigen, denn also müsse jede Gunstbezeigung einer Dame genannt werden; ungeachtet Sinforosa's Tugend fürchte er aber, Perianders Bild habe sich ihrer Seele eingeprägt; weil sie jedesmal, da sich das Gespräch auf Perianders Vorzüge gelenkt, sie dieselben bis in den Himmel erhoben habe. Auch der Befehl, den sie ihm gegeben, mit seinem Schiffe abzusegeln, um Periander aufzusuchen und ihn zu ihrem Vater zurückzubringen, bestätige ihn noch mehr in seinem Argwohn.‹

»Was höre ich!« rief Auristela. »Eine große Fürstin, die Tochter eines Königs, auf dem Gipfel des Glückes thronend, sie erniedrigt sich so sehr, daß sie es frei bekennt, wie ihre Wünsche auf den Niedriggebornen gerichtet sind? Ist es doch eine ausgemachte Wahrheit, daß die Majestät und Hoheit keine Gemeinschaft mit der Liebe haben kann; vielmehr stehen Liebe und Hoheit sich feindlich entgegen; und also durfte Sinforosa, die freie und schöne Fürstin, sich nicht von dem ersten Blick eines fremden Knaben gefangen nehmen lassen. Seine Erscheinung verrieth keine Hoheit; war er doch nichts als Steuermann eines Bootes, von zwölf Gefährten begleitet, die ärmlich gekleidet waren wie Ruderer.«

»Schweige, Auristela, meine Tochter,« sagte Mauricio; »denn in keiner Kraft der Natur geschehen mehr und größere Wunder als in der Liebe; aber weil sie unaussprechlich sind und unzählig, so werden sie mit Stillschweigen übergangen und kaum beachtet. Die Liebe vereinigt den Zepter mit dem Hirtenstabe, die Hoheit mit der Niedrigkeit; sie macht das Unmögliche möglich, die verschiedensten Stände gleich, und ist so gewaltig wie der Tod. Du kennst, o Gebieterin, und auch ich kenne sehr wohl die Anmuth, Schönheit und Tapferkeit Deines Bruders Periander, alle Vorzüge vereinigen sich in ihm zum herrlichsten Bilde; es ist aber ein Vorrecht der Schönheit, sich die Gemüther zu unterwerfen und die Herzen an sich zu ziehen. Je vollkommener die Schönheit ist und je mehr sie gesehen wird, um so mehr wird sie auch geliebt und verehrt. So wäre es demnach kein Wunder, wenn Sinforosa, so hoch gestellt sie immer sei, Deinen Bruder liebte; denn sie würde ihn nicht lieben als Periander ohne weiteres, sondern als den Schönen, den Tapferen, den geschickten Fechter und gewandten Kämpfer; kurz, als ein Wesen, in dem alle Tugenden und Vorzüge sich vereinigen.«

»Wie?« rief der Capitain, »Periander ist der Bruder dieser Dame?«

»Ja,« antwortete Transila, »und wegen der Trennung von ihm lebt sie in beständiger Trauer, und wir Alle, die wir sie lieben und ihn kennen, in Thränen und Sorgen.«

Hierauf erzählte sie dem Capitain Alles, was sich seit der Zertrümmerung von Arnaldo's Schiff und der Trennung des Bootes von dem Nachen begeben hatte, so daß ihm der Zusammenhang alles Vorgefallenen bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt klar ward.

Und hiermit schließt der Autor das erste Buch dieser merkwürdigen Geschichte, und beginnt das zweite, in welchem er Dinge erzählen wird, die, wenn sie auch nicht die Grenzen der Wahrheit überschreiten, doch über Alles hinausgehen, was die kühnste Einbildungskraft zu ersinnen vermag.

 


 << zurück weiter >>