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Auristela wird in männlicher Tracht aus dem Gefängniß gezogen, um geopfert zu werden. Es erhebt sich ein Kampf unter den Barbaren, und der Wald wird in Brand gesteckt. Ein spanischer Barbar führt Periander, Auristela, Clelia und die Dolmetscherin in seine Höhle.
Unter denen, welche mit dem Anführer gekommen waren, um den Kauf des Frauenzimmers zu berichtigen, befand sich ein Barbar, Namens Bradimiro. Er war einer der Tapfersten und Vornehmsten auf der ganzen Insel, verachtete jedes Gesetz, war übermüthiger als der Uebermuth selbst, und von einer solchen Frechheit, daß ihm keiner darin verglichen werden konnte. Dieser, sobald er Periander erblickt hatte, den er, wie alle Uebrigen, für ein Weib hielt, faßte in seinen Gedanken den Vorsatz, sie für sich zu erwählen, ohne darauf zu warten, daß die Gesetze der Weissagung erprobt oder erfüllt würden.
So wie Periander den Fuß ans Land gesetzt hatte, beeiferten sich viele der Barbaren um die Wette, ihn auf ihre Schultern zu nehmen, und so trugen sie ihn, unter den Zeichen der höchsten Freude, zu einem großen Zelte, das auf einem lieblichen, blühenden Anger, zwischen einer Menge kleinerer Zelte stand, die alle mit Fellen, sowol von wilden als zahmen Thieren bedeckt waren. Die Frau, welche bei dem Verkauf als Dolmetscherin gedient hatte, ging ihm nicht von der Seite, und sprach ihm Trost zu in einer Mundart, die er nicht verstand.
Der Fürst befahl sogleich, daß Einige nach der Gefängnißinsel fahren sollten, um, fände sich einer dort, einen Mann herüber zu bringen, damit sie ihre thörichte Erwartung erproben könnten.
Sie erfüllten schnell seine Befehle, und zugleich wurden einige geglättete Häute auf den Boden gebreitet; sie waren wohlriechend, reinlich und weich, und sie bedienten sich ihrer statt eines Tischtuches, und schütteten nun, ohne Wahl und Ordnung, getrocknete Früchte verschiedener Art darauf. Der Anführer und einige der Vornehmsten setzten sich rings umher und fingen an zu essen, indem sie Periander durch Zeichen einluden, dasselbe zu thun. Nur Bradimiro blieb auf seinem Bogen gestützt stehen, die Augen fest auf die geheftet, welche er für ein Weib hielt; der Fürst bat ihn, sich zu setzen, er wollte aber nicht, sondern wandte sich um, und verließ, indem er einen tiefen Seufzer ausstieß, das Gezelt.
Kurz darauf kam ein Barbar und meldete dem Anführer, daß, so wie er eben mit vier Andern zum Gefängniß überfahren wollte, ein Boot gelandet sei, auf dem sich ein Mann und jenes Weib, die Wächterin der Grube, befänden.
Diese Nachricht machte sogleich der Mahlzeit ein Ende; der Anführer stand mit allen Uebrigen auf, um das Floß in Augenschein zu nehmen, und Periander begleitete ihn, worüber er sehr erfreut war. Als sie hinzukamen, war der Gefangene mit der Wächterin schon ans Land gestiegen. Periander betrachtete aufmerksam den Unglücklichen, um zu sehen, ob er den nicht kenne, den sein Unstern in dieselbe Todesgefahr gebracht hatte, welcher er vor kurzem entgangen war; aber er konnte sein Gesicht nicht deutlich sehen, denn jener beugte den Kopf nieder, und wollte, wie es schien, absichtlich sich von Niemand betrachten lassen. Aber die Frau, welche sie die Hüterin des Gefängnisses nannten, erkannte er, und ihr Anblick erschreckte seine Seele und verwirrte seine Sinne; denn er sah deutlich und ohne daran zweifeln zu können, daß es Clelia, die Amme seiner geliebten Auristela war. Er wollte sie anreden, wagte es aber nicht, weil er nicht wußte, ob er gut daran thun würde. Sein Verlangen und seine Worte unterdrückend, erwartete er also ruhig, wie dies seltsame Zusammentreffen endigen würde.
Der Befehlshaber, begierig seine Probe zu bestehen und Periander einen beglückten Gefährten zu geben, befahl, den Jüngling sogleich zu opfern, aus dessen Herzen der Staub für jene lächerliche und wahnsinnige Prüfung gemacht werden sollte. Die Barbaren ergriffen den Jüngling, verbanden ihm ohne weitere Ceremonie die Augen, und ließen ihn niederknieen, indem sie ihm die Hände auf den Rücken banden. Er erwartete, ohne ein Wort zu sprechen, wie ein geduldiges Lamm, den Streich, der ihm das Leben rauben sollte. Als die alte Clelia dies erblickte, erhob sie die Stimme, und mit größerer Kraft, als ihre hohen Jahre erwarten ließen, rief sie aus:
»Was willst Du thun, o großer Fürst? Dieser Mann, den Du zu opfern befiehlst, ist kein Mann, und kann Dir und Deiner Absicht auf keine Weise nützen; es ist die schönste Frau, welche je gelebt hat. Sprich, o himmlische Auristela! und gestatte nicht, fortgerissen von der Fluth Deines Mißgeschicks, daß sie Dir das Leben nehmen; greife nicht ein in die Rathschlüsse des Himmels, der Dich retten und beschützen kann, damit Du noch dereinst des Glückes Dich erfreuest.«
Bei diesen Worten hielten die grausamen Barbaren den Todesstreich zurück; denn die Schneide des Messers berührte schon die Kehle des Knieenden. Der Hauptmann befahl, ihn los zu binden und sowol seine Hände wie seine Augen frei zu machen; indem er ihn nun aufmerksam betrachtete, glaubte er, das schönste weibliche Angesicht zu erblicken, das er je gesehen, und obwol ein Barbar, urtheilte er doch, daß, wo nicht Periander, keine andere Schönheit sich mit dieser vergleichen dürfe.
Welche Zunge könnte aussprechen, oder welche Feder beschreiben, was Periander empfand, als er in der Verurtheilten und Befreiten Auristela erkannte? Das Licht entschwand seinen Augen, sein Herz hörte auf zu schlagen, und er eilte mit schwachen, wankenden Schritten zu Auristela und sprach, indem er sie fest in seine Arme schloß:
»O geliebte Hälfte meiner Seele! O fester Anker meiner Hoffnung! O Kleinod! ich weiß nicht, ob zu meinem Glück oder Unglück wiedergefunden! Doch es kann nur zu meinem Glücke sein, denn aus Deinem Anblick kann kein Unheil entspringen. Sieh hier Deinen Bruder Periander.« Das Letzte sprach er so leise, daß er von Niemand gehört werden konnte, und fuhr dann fort: »Lebe, meine Gebieterin und Schwester; denn auf dieser Insel droht der Tod nur den Männern: deshalb sei Du selbst nicht grausamer gegen Dich, als diese Barbaren. Vertraue dem Himmel, der Dich bis jetzt aus all den schrecklichen Gefahren befreit hat, in die Du gerathen bist, und Dich gewiß auch aus allen denen erlösen wird, die Du in der Zukunft noch zu fürchten hast.«
»Ach, Bruder!« antwortete Auristela, denn sie war es, welche als Mann geopfert werden sollte, »ach, Bruder!« sprach sie noch ein Mal. »Ja, nun glaube ich, daß wir den Gipfel aller Leiden und Befürchtungen überstiegen haben. Ein Glück war es, Dich zu finden; aber auch ein Unglück, daß es an diesem Ort und in dieser Tracht geschehen mußte.«
Beide weinten; ihre Thränen sah der Barbar Bradimiro, und glaubte, Periander vergieße sie aus Schmerz über den Tod Dessen, den er für seinen Bekannten, Verwandten oder Freund hielt: daher entschloß er sich, diesen zu retten, und müßte er auch jede Schranke durchbrechen.
So ging er auf sie Beide zu, ergriff mit der einen Hand Auristela, mit der andern Periander, und sprach mit drohendem Blick, stolzer Geberde und lauter Stimme:
»Keiner sei so kühn, ist ihm sein Leben nur im geringsten lieb, diese Beiden anzurühren, auch nicht an der Spitze eines Haares. Diese Jungfrau ist für mich, weil ich sie liebe; und dieser Mann wird frei, weil sie ihn liebt.«
Kaum hatte er dies gesagt, als der Fürst der Barbaren, erzürnt und über die Maßen aufgebracht, einen langen, scharfen Pfeil auf seinen Bogen legte; er zog die Sehne zurück, so weit sein linker Arm reichte, legte die Kerbe des Pfeiles mit der rechten Hand an das Ohr, und schoß mit so großer Sicherheit und Wuth, daß im nächsten Augenblick der Pfeil in Bradimiro's Mund haftete. So schloß er diesen, hemmte die Zunge und raubte ihm die Seele.
Alle Gegenwärtigen ergriff Staunen, Entsetzen und Furcht; aber dieser kühne und sichere Schuß gereichte dem Schützen nicht zum Heile, denn er empfing auf dieselbe Weise die Strafe seiner Verwegenheit. Ein Sohn des Corsicurbo, jenes Barbaren, der bei der Ueberfahrt Perianders ertrunken war, hielt wohl seine Füße für schneller als den Pfeil seines Bogens, und war mit zwei Sprüngen neben dem Hauptmanne, erhob den Arm und senkte ihm seinen Dolch in die Brust, der, obwol von Stein, stärker und spitzer war, als der feinste Stahl.
Der Fürst schloß die Augen zu ewiger Nacht und büßte durch seinen Bradimiro's Tod. Dies empörte die Herzen und Gemüther beiderseitiger Stämme und reichte ihnen die mörderischen Waffen. In einem Augenblick, von Zorn und Rache entzündet, fingen sie von beiden Seiten an, den Tod auf ihren Pfeilen zu versenden. Die Pfeile waren bald verschossen, aber Hände und Dolche blieben ihnen übrig; und so fielen sie einander an, ohne daß der Sohn den Vater, oder der Bruder den Bruder verschonte; vielmehr, als wären sie Todfeinde schon seit langer Zeit und wegen unzähliger Kränkungen, zerfleischten sie einander mit den Nägeln, durchbohrten sich mit ihren Dolchen, ohne daß irgend Jemand Frieden unter ihnen zu stiften suchte.
Im Wirrsal dieser Pfeile, Wunden, Schläge und Leichname standen beisammen die alte Clelia, die Dolmetscherin, Periander und Auristela, und drängten sich voll Furcht und Entsetzen dicht aneinander.
In Mitten dieses wüthenden Kampfes rannten, wie im Fluge, einige Barbaren, die zur Partei Bradimiro's gehörten, hinweg und steckten einen nahe gelegenen Wald in Brand, weil er in dem Gebiete des Fürsten lag. Die Bäume entbrannten, der Wind fachte das Feuer an und vermehrte Flammen und Rauch, so daß Alle fürchteten zu ersticken oder zu erblinden.
Nun stieg die Nacht herauf, verfinstert, wäre sie auch wolkenlos gewesen, doch um so dunkler, da sie dicke Nebel verhüllten. Das Gewimmer der Sterbenden, das Geschrei der Streiter und das Knistern des Feuers flößte den Herzen der Barbaren, die ganz von Wuth und Rache erfüllt waren, keine Furcht ein, wol aber den Armen, die sich dicht aneinander drängten, die nicht wußten, was beginnen, wohin entfliehen, oder wie sich retten. Doch in dieser schrecklichen Verwirrung gedachte ihrer der Himmel, und errettete sie durch eine so seltsame Fügung, daß sie ihnen wol ein Wunder scheinen konnte.
Schon war es völlig Nacht geworden, und, wie gesagt, so schwarz und finster, daß nur die Flammen des brennenden Waldes so viel Licht verbreiteten, um die Gegenstände zu unterscheiden. Da trat ein junger Barbar nahe zu Periander, und sagte ihm in castilianischer Sprache, welche dieser sehr wohl verstand:
»Folge mir, schöne Jungfrau, und sage Denen, die mit Dir sind, daß sie dasselbe thun, denn ich will Euch in Sicherheit bringen, wenn Gott mir beisteht.«
Periander antwortete ihm nicht, sondern ermahnte Auristela, Clelia und die Dolmetscherin, Muth zu fassen und ihm zu folgen; und so gingen sie, über Todte und Waffen dahinschreitend, mit dem Jünglinge, der sie führte. Sie ließen die Flammen des brennenden Waldes hinter sich, der ihnen als Fackel diente, ihren Weg zu erleuchten. Clelia's hohes und Auristela's zartes Alter gestatteten ihnen nicht, ihre Schritte nach denen ihres Führers zu messen, und da dies der starke, kräftige Barbar bemerkte, faßte er Clelia und setzte sie auf seine Schulter; Periander that dasselbe mit Auristela, und die Dolmetscherin, muthiger und weniger zart, folgte ihnen mit männlicher Kühnheit.
Auf diese Weise, fallend und sich wieder aufrichtend, wie man zu sagen pflegt, erreichten sie die Küste, und nachdem sie ungefähr tausend Schritte in nördlicher Richtung am Ufer hingegangen waren, trat der Barbar in eine geräumige Höhle, welche die Brandung bespülte. Sie gingen eine kleine Strecke hinein, indem sie sich bald nach der einen, bald nach der andern Seite wenden mußten, sich oft durchdrängten, und dann wieder weitere Räume trafen, auch gezwungen waren, sich zur Erde zu krümmen, oder nur halb aufgerichtet und gebeugt gehen konnten, und dann wieder in gerader Stellung fortschritten, bis sie, wie es ihnen schien, auf einen ebenen Platz kamen, denn sie konnten sich frei bewegen, auch sagte es ihnen ihr Führer, da sie in der Dunkelheit der Nacht nichts unterschieden, und das Licht des flammenden Waldes, der jetzt mit der größten Macht brannte, nicht so weit leuchtete.
»Gelobt sei Gott!« sagte der Barbar wieder in castilianischer Sprache, »der uns an diesen Ort geführt hat; denn obwohl uns hier Gefahren treffen können, werden sie doch nicht tödtlich sein.«
Indem sahen sie ein großes Licht, das auf sie zukam, so wie ein Komet, oder genauer zu sprechen, ein Dunstbild, welches durch die Luft strich. Dieser Anblick hätte ihnen Furcht erregen können, aber der Barbar sagte:
»Das ist mein Vater; der mir entgegenkommt.«
Periander, dem das Castilianische noch nicht sehr geläufig war, sprach zu ihm: »Der Himmel lohne Dir, Du Engel in Menschengestalt, wer Du auch sein magst, das Gute, was Du uns gethan hast; denn wenn es auch unsern Tod nur verzögert, werden wir es für eine große Wohlthat halten.«
Nun nahte sich das Licht, und ein Barbar, dem Anschein nach, trug es, der ungefähr funfzig Jahre alt sein mochte. Er stellte die Leuchte, welche in einer großen Kienfackel bestand, auf den Boden, und ging mit offnen Armen auf seinen Sohn zu, den er auf castilianisch fragte: was denn ihm begegnet sei, daß er mit so großer Begleitung zurückkomme?
»Vater,« antwortete der junge Mann, »laß uns in unsern Schlupfwinkel gehen; denn es gibt viel zu sagen, und noch mehr zu bedenken. Die Insel brennt, und fast alle Bewohner sind schon zu Asche oder halb vernichtet. Diese wenigen übriggebliebenen habe ich durch eine Eingebung des Himmels den Flammen und den Dolchen der Barbaren entrissen. Laß uns also nur nach unserer Behausung eilen, damit Mutter und Schwester ihre Menschlichkeit üben mögen und diese meine ermüdeten und erschreckten Gäste erquicken.«
Der Vater ging voran, und die übrigen folgten. Clelia war wieder munter geworden und konnte auf ihre Füße treten; Periander wollte aber seine schöne Bürde nicht von sich lassen, die ihm keine Beschwerde verursachen konnte; denn Auristela war ja sein höchstes und einziges Gut auf der Welt.
Nach einer kurzen Strecke kamen sie an einen hohen Fels und entdeckten am Fuße desselben einen weiten Raum oder eine Höhle, deren Dach und Wände der Fels bildete. Zwei weibliche Wesen in Barbarentracht und mit brennenden Kienfackeln in den Händen kamen ihnen entgegen; die eine ein Mädchen von etwa funfzehn Jahren, die andere mochte dreißig sein; diese war schön, aber die Jungfrau weit glänzender, welche sogleich rief: »Ach! mein Vater und mein Bruder!«
Die Andere aber grüßte: »Willkommen! Du mein liebster Herzenssohn.«
Die Dolmetscherin war erstaunt, in dieser Gegend und von Frauen, die aus dem Barbarenstamme zu sein schienen, eine andere Sprache zu vernehmen, als die, welche auf der ganzen Insel üblich war; als sie aber fragen wollte, welch Geheimniß darunter verborgen sei, daß sie diese Sprache redeten, unterbrach sie der Vater, und befahl seiner Frau und Tochter den Boden der unwirthlichen Höhle mit zottigen Fellen zu bedecken.
Jene gehorchten, indem sie die Kienfackeln an die Wand lehnten, und brachten schnell und hurtig aus einer andern Höhle, welche tiefer in den Berg hineinging, Felle von Ziegen, Schafen und andern Thieren, mit denen sie den Boden belegten, wodurch die Kälte gemildert ward, welche anfing ihnen lästig zu werden.