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Periander berichtet, was mit Sulpicia geschah, der Nichte Cratilo's, Königs von Lithauen.
Die anmuthige Weise, mit der Periander seine Abenteuer erzählte, machte Allen großes Vergnügen, Mauricio ausgenommen, der sich zu Transila, seiner Tochter, neigte und ihr zuflüsterte:
»Es dünkt mich, Transila, Periander könnte uns seine Lebensgeschichte mit weniger Abschweifungen und in gedrängterem Vortrag erzählen. Unnöthig war es, so lang und umständlich das Fest der Fischer und die Hochzeit zu beschreiben; denn die Episoden, welche als Zierde in eine Geschichte verflochten werden, müssen nicht so viel Raum einnehmen als die Geschichte selbst. Ich glaube aber, Periander thut Dies nur, um vor uns die Größe seines Talents und die Schönheit seines Vortrags zu entfalten.«
»Das kann wol sein,« erwiederte Transila;« aber ich muß doch gestehen, mag er nun seine Erzählung zu sehr ausdehnen oder zusammenziehen, mir gefällt Alles, und Alles macht mir Vergnügen.«
Keiner der Zuhörer empfand dies aber mehr als Sinforosa, was ich schon einmal, wie mich dünkt, gesagt habe; denn Alles, was Periander sprach, entzückte ihre Seele so sehr, daß sie fast ihrer selbst nicht mehr mächtig war. Polykarp gestatteten hingegen seine mannichfachen Überlegungen nicht, der Erzählung Perianders eine ungetheilte Aufmerksamkeit zu schenken, und er wünschte sie geendigt, damit er anfangen könne zu handeln. Wenn wir hoffen können, ein ersehntes Gut bald unser zu nennen, so fühlt unsere Seele sich weit mehr beunruhigt, als wenn der Besitz noch weit hinausgeschoben ist. Deshalb verlangte auch Sinforosa sehr darnach, das Ende von Perianders Erzählung bald zu hören; auf ihren Antrieb versammelten die Freunde sich schon den nächsten Abend wieder, und Periander fuhr in seiner Geschichte also fort:
»Wenn ihr bedenkt, meine Freunde, wie meine Matrosen, Soldaten und Gefährten reicher an Ruhm wie an Gold waren, so werdet ihr begreifen, daß es mir einige Sorge machte, ob sie meine Großmuth auch gebilligt hatten. Zwar war die Freilassung Leopoldio's ebenso ihr Wille als der meinige; da sich aber die Charaktere der Menschen sehr ungleich sind, so fürchtete ich nicht ohne Grund, einige meiner Gefährten könnten mein Verfahren mißbilligen, und es möchte ihnen schwer dünken, den Verlust von zehntausend Goldstücken zu ersetzen, denn so viel hatte Leopoldio uns als Lösegeld angeboten, und ich redete sie deshalb mit folgenden. Worten an:
›Meine Freunde, möchte sich doch Keiner von euch betrüben, daß wir die Gelegenheit nicht benutzt haben, die große, uns vom König angebotene Summe zu erlangen. Seid versichert, daß eine Unze guter Ruf mehr werth ist als ein Pfund Perlen. Nur Der kann Dies erfahren, der die Wonne genießt, die uns im Leben ein guter Ruf gewährt. Der Arme vermag es, wenn er reich an Tugenden ist, Ruhm zu erwerben, und der Reiche, ist er lasterhaft, kann Beschimpfung einernten. Die Freigebigkeit ist eine der liebenswürdigsten Tugenden, und aus ihr entspringt der gute Ruf. Dies ist so gewiß, daß ein Freigebiger sich nie in einem schlechten Zustand, und ein Geiziger sich nie in einem guten befinden kann.‹
Ich hätte noch mehr gesagt, denn Alle schienen, wie ihre fröhlichen Mienen zeigten, mir ein williges Ohr zu leihen; aber meine Rede ward dadurch unterbrochen, daß ich ein Schiff nicht weit von uns erblickte, das an unsrer linken Seite vorbeisegelte. Ich ließ zu den Waffen blasen und machte mit vollen Segeln Jagd auf das Schiff. In kurzer Zeit hatten wir es bis auf Schußweite erreicht; nun ließ ich eine Kanone ohne Kugeln abfeuern, zum Zeichen, daß sie die Segel einziehen sollten; sie thaten es und alle Segel wurden niedergelassen.
Als wir näher kamen, erblickte ich das seltsamste Schauspiel von der Welt. Ich sah, wie an den Segelstangen und Masten mehr als vierzig Menschen aufgehängt waren. Dieser Anblick setzte mich in Erstaunen, die Schiffe stießen zusammen und meine Soldaten sprangen hinüber, ohne daß Jemand sie daran verhinderte. Wir fanden das Verdeck mit Blut, Leichen, und halberschlagenen Menschen erfüllt. Einigen war der Kopf gespalten, Andern die Hände abgehauen, hier stürzte Einem das Blut aus dem Munde und dort hauchte Einer seine Seele aus. Ein schmerzliches Wimmern und wüthendes Jammergeschrei ertönte überall.
Der Aufruhr und das Gemetzel schien während der Mahlzeit ausgebrochen zu sein; denn die Speisen schwammen im Blut, und die bluterfüllten Gefäße dufteten noch von Wein. Kurz, auf Leichen tretend und über Verwundete hinwegschreitend, gelangten meine Leute bis zum Hintertheil des Schiffes, wo sie ungefähr zwölf der allerschönsten Frauen, in Reihen aufgestellt, entdeckten, vor ihnen stand eine, welche ihre Anführerin schien. Sie trug einen weißen Brustharnisch, der so rein und glänzend war, daß man sich darin spiegeln konnte, das Halsstück trug sie auch, aber keine Arm- und Bein-Schienen. Auf dem Haupte hatte sie einen Helm, der wie eine zusammengeringelte Schlange gearbeitet, und mit vielen Steinen von verschiedenen Farben besetzt war. Einen Jagdspieß hielt sie in der Hand, von oben bis unten mit goldenen Nägeln beschlagen, und ein Schwert von blank geschliffenem Stahl glänzte an ihrer Seite. So kühn und edel sah sie in der Rüstung aus, daß schon ihr Anblick die Wuth meiner Soldaten zügelte, die sie Alle mit der größten Verwunderung betrachteten.
Ich erblickte sie von meinem Schiffe aus, und stieg nun auch hinüber, um sie in der Nähe zu sehen, da hörte ich, wie sie sprach:
›Ich glaube wol, ihr Krieger, daß diese kleine weibliche Schaar, die ihr seht, euch mehr Erstaunen als Furcht einflößt; aber da wir an unsern Beleidigern Rache genommen haben, so kann uns nichts mehr schrecken. Kommt heran, wenn ihr nach Blut dürstet und vergießt das unsrige; raubt uns das Leben, denn wenn ihr nur unsere Ehre nicht kränkt, opfern wir es gern. Mein Name ist Sulpicia, und ich bin die Nichte des Königs Cratilo von Lithauen. Mein Oheim vermählte mich mit dem großen Lampidio, der, aus einem edlen Geschlecht entsprossen, reich begabt war mit den Gütern der Natur und des Glückes. Wir waren unterwegs, um den König meinen Oheim zu besuchen, und hielten uns für sicher unter unsern Vasallen und Dienern, die uns Alle für viele erzeigte Wohlthaten verpflichtet waren. Aber die Liebe und der Wein, die wol den hellsten Verstand zu verdunkeln vermögen, löschten aus ihrem Gedächtniß die Erinnerung empfangener Wohlthaten und erfüllten sie mit Üppigkeit und bösen Gelüsten. In der Nacht tranken sie so viel, daß Alle in den tiefsten Schlaf versanken, und Einige legten, halb betäubt, die Hand an meinen Gemahl und raubten ihm das Leben. Dies war der Beginn ihrer schändlichen Thaten; da es aber ein natürlicher Trieb ist, sein Leben zu vertheidigen, so setzten wir Frauen uns zur Wehr, um wenigstens nicht ungerächt zu sterben. Ihre Betäubung und Trunkenheit kam uns zu statten, wir entrissen ihnen einige Waffen, und vier Diener, welche der Taumel des Bacchus nicht bezwungen hatte, standen uns bei. Die Leichen, welche auf dem Verdecke liegen, zeugen von unsern Thaten, und indem wir in unsrer Rache weiterschritten, ward Das hervorgebracht, was ihr jetzt an Masten und Stangen hängen seht. Vierzig sind der Erhenkten, und wären es auch vierzigtausend gewesen, wir hätten sie Alle geopfert; denn ihre schwache Vertheidigung und unser Zorn ließ jede Grausamkeit zu, wenn unsere That diesen Namen verdient. Ich führe viele Kostbarkeiten mit mir, die ich unter euch vertheilen will; doch sollte ich lieber sagen, die ihr nehmen könnt, und ich füge nur noch hinzu, daß ich sie euch gutwillig überlasse. Nehmt sie hin, und laßt unsre Ehre ungekränkt, denn ein solcher Raub würde euch beschimpfen, aber nicht bereichern.‹
Sulpicia's Rede gefiel mir so wohl, daß sie mich erweicht haben würde, wäre ich auch wirklich ein Corsar gewesen. Einer meiner Fischer rief aus:
›Bei meiner Seele, hier haben wir einen zweiten König Leopoldio, an dem unser edler Capitain seine Großmuth beweisen kann! Wohlan, Periander, laß Sulpicia frei; denn wir Alle verlangen kein größeres Glück, als den Ruhm, unsere Begierden besiegt zu haben.‹
›So sei es,‹ versetzte ich, ›da ihr, meine Freunde, es also begehrt. Und seid überzeugt, daß der Himmel solche Thaten nie unbelohnt läßt, so wie er auch stets die bösen bestraft. Befreit die Mastbäume von ihren schlechten Früchten, reinigt das Verdeck und gebt den Frauen ihre Freiheit, indem ihr ihnen zugleich eure Dienste widmet.‹
›Mein Befehl ward erfüllt, und Sulpicia dankte mir mit demüthiger Geberde, und wußte vor Staunen und Bewunderung nicht, was sie sagen sollte, denn sie begriff kaum, wie ihr geschah. Sie befahl einer ihrer Damen, ihr die Kasten mit ihren Juwelen und ihrem Golde bringen zu lassen. Die Dame ging, und in einem Augenblick standen, als wären sie aus dem Boden entsprungen oder vom Himmel herabgefallen, vier Kasten voll Gold und Juwelen zu meinen Füßen. Sulpicia öffnete die Behälter und zeigte meinen Fischern ihren Schatz, dessen Schimmer vielleicht, oder vielmehr ohne alle Frage, Einige so verblendete, daß ihr Vorsatz der Großmuth anfing wankend zu werden; denn es ist etwas ganz Anderes, Das wegzugeben, was man schon besitzt und in Händen hält, als Dem zu entsagen, worauf man eine entfernte Hoffnung hat. Sulpicia nahm ein reiches, goldnes Halsgeschmeide, das von vielen Edelsteinen glänzte, und sprach zu mir:
›Edler Capitain, empfange dies kostbare Kleinod, nur um der Liebe willen, mit welcher ich es Dir schenke, es ist die Gabe einer armen Wittwe, die sich gestern noch im Besitz eines geliebten Gatten, auf dem Gipfel des Glückes sah, und heut der Willkür dieser Soldaten, die Dich umringen, preisgegeben war, unter denen Du diese Reichthümer vertheilen magst, die, wie man sagt, auch Steine erweichen könnten.‹
Ich antwortete ihr darauf: ›Geschenke einer edlen Fürstin sind hochzuachten, als Gnadenbezeigungen.‹ Zugleich nahm ich das Halsband und sprach, indem ich mich zu meinen Leuten wandte: ›Dies Kleinod ist mein, theure Gefährten und Freunde, und also kann ich darüber verfügen, wie über ein Eigenthum. Da sein Werth, wie mir scheint, unschätzbar ist, so geziemt es sich nicht, daß ich es Einem gebe. Nehme es Einer von euch, um es aufzubewahren, bis wir Gelegenheit finden, es zu verkaufen. Dann will ich die Summe unter euch Alle vertheilen, und Das, was die edle Sulpicia euch anbietet, bleibe unberührt, denn durch diese That steigt euer Ruhm bis zum Himmel.‹
Einer von meinen Gefährten antwortete darauf: ›Wir wünschten, geliebter Capitain, der Rath, den Du uns gibst, hätte uns nicht vorgegriffen, denn Du hättest sehen sollen, wie unser Wille von selbst mit dem Deinigen übereinstimmt. Gib Sulpicia das Geschmeide zurück. Der Ruhm, den Du uns verheißest, bedarf keiner Diamanten, um zu glänzen.‹
Die Antwort meiner Soldaten erfreute mich unendlich, und Sulpicia staunte über ihre Großmuth. Sie bat mich, ihr zwölf von meinen Leuten mitzugeben, die ihr zum Schutz dienen und ihr Schiff nach Lithauen führen sollten. Ich bewilligte ihr Dies, und die Zwölf, welche ich zu diesem Dienst erlas, waren hocherfreut, blos deshalb, weil sie etwas Gutes thun konnten.
Sulpicia versorgte uns mit starken Weinen und eingemachten Früchten, die wir nicht hatten. Der Wind war günstig für Sulpicia's Fahrt, und auch für die unsrige, da wir keiner bestimmten Richtung folgten. Wir nahmen Abschied und ich nannte ihr meinen, so wie Carino's und Solercio's Namen. Sie umarmte uns und begrüßte alle Übrigen mit freundlichem Blick, indem sie Thränen des Schmerzes und der Freude vergoß: des Schmerzes, um den Tod ihres Gatten, und der Freude, weil sie frei aus den Händen Derjenigen entkam, die sie für Seeräuber gehalten. So trennten wir uns. Ich erinnere nur noch, daß, als ich Sulpicia den Halsschmuck zurückgab, sie ihn nur auf mein dringendes Verlangen wieder annahm, indem sie diese Wiedererstattung fast wie eine Geringschätzung ansah.
Ich berathschlagte nun mit den Meinigen, welche Richtung wir nehmen sollten, und wir beschlossen, uns von dem Winde regieren zu lassen, denn mit ihm mußten alle Schiffe segeln, die auf diesen Meeren kreuzten oder wenigstens laviren, bis der Wind sich zu ihrem Vortheil drehte.
Unterdeß wurde es Nacht, und der Himmel war klar und sternhell. Ich rief einen Fischer, der unser Führer und Steuermann war, setzte, mich mit ihm an das Steuer und schaute aufmerksam nach dem Himmel.«
»Ich will wetten,« sagte nun Mauricio zu seiner Tochter Transila, »Periander wird uns jetzt die ganze himmlische Sphäre beschreiben, als wenn es unumgänglich zu seiner Geschichte gehörte, uns den Stand der Gestirne zu erläutern. Ich, was mich betrifft, wünsche herzlich, daß er endlich fertig werde; denn die Sehnsucht, die ich habe, dies Land zu verlassen, gestattet mir nicht, mich jetzt damit zu beschäftigen, was Fixsterne und was Cometen sind, vorzüglich da ich mehr davon verstehe, als er uns sagen kann.«
Unterdeß Mauricio Dies seiner Tochter mit leiser Stimme zuflüsterte, hatte Periander wieder Athem geschöpft, und setzte also seine Geschichte fort.