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Vierzehntes Capitel.

Periander erzählt eine merkwürdige Begebenheit, die sich auf dem Meer zutrug.


Der bezauberte Antonio erlangte mit der rückkehrenden Gesundheit auch seine vorige Frische und Schönheit wieder, und in Zenotia erwachten dadurch die bösen Begierden aufs Neue, so wie die Furcht, sich von ihm getrennt zu sehen. Da nun Diejenigen, für die es keine Hoffnung mehr gibt, dennoch nie zur Enttäuschung gelangen, während sie die Ursache ihrer Leiden vor sich sehen, so strebte auch Zenotia mit allen Kunstgriffen, die ihr erfinderischer Geist zu ersinnen vermochte, dahin, daß keiner der Gäste die Stadt verlassen sollte. Deshalb gab sie dem König Polykarp den Rath, die Verwegenheit des wilden Mörders auf keine Weise ungestraft zu lassen, und wenn er ihn auch nicht züchtige, wie es sein Verbrechen verdiene, ihn doch gefangen zu setzen und mindestens mit Drohungen zu ängstigen, bis die Gerechtigkeit der Gnade weiche, wie es oft bei wichtigen Gelegenheiten geschieht. Polykarp wollte den Rath nicht befolgen, und erwiederte der Zenotia, er würde durch ein solches Verfahren die Hoheit des Prinzen Arnaldo beleidigen, unter dessen Schutz der Jüngling stehe, und seine geliebte Auristela kränken, die ihn wie einen Bruder behandle. Zudem sei das Verbrechen ohne Absicht begangen worden, und mehr dem Unglück als der Bosheit zuzuschreiben. Auch sei kein Kläger da, und Alle, welche Clodio gekannt, seien der Meinung, er habe nur den verdienten Lohn für seine böse Zunge empfangen.

»Wie soll ich das verstehen, mein Gebieter?« sprach Zenotia. »Vor wenig Tagen waren wir darüber einig, ihn gefangen zu setzen, wodurch Du auch Gelegenheit erlangt hättest, Auristela zurückzuhalten, und jetzt, willst Du nichts mehr davon hören? Alle werden abreisen, Auristela wird nie wiederkommen, und Du wirst alsdann Deine Unentschlossenheit und Dein verkehrtes Verfahren beweinen; aber es wird Dir nichts mehr helfen, und Du wirst Das vor Dir selbst nicht rechtfertigen können, was Dir jetzt als eine großmüthige Handlung erscheint. Was ein Liebender thut in der Absicht, seine Wünsche zu erreichen, kann nie eine Schuld genannt werden, denn er ist es nicht, der handelt, da er sich selbst nicht angehört, sondern die Liebe, welche seinen Willen regiert. Du bist König, und alle Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten der Könige tragen den Namen einer nothwendigen Strenge. Wenn Du diesen Jüngling gefangen setzest, so übst Du Gerechtigkeit aus, gibst Du ihn frei, so lässest Du die Gnade walten; aber in dem einen, wie in dem andern Falle erhöhst Du Deinen Ruhm als ein guter Fürst.«

Dies waren die Rathschläge, welche Zenotia dem König gab, und er sann unaufhörlich, in der Einsamkeit oder wo er auch sein mochte, über diese Angelegenheit nach, gelangte aber zu keinem Entschluß, auf welche Art er Auristela zurückhalten könne, ohne Arnaldo zu beleidigen, dessen Macht und Tapferkeit er nicht ohne Grund fürchtete. Das Nachdenken des Königs sowol als Sinforosa's, die nicht hinterlistig und grausam, wie Zenotia, nur Perianders Abreise wünschte, um ihn desto eher wiederkehren zu sehen, wurden durch Perianders Erzählung unterbrochen, der am Abend seine Geschichte folgendermaßen fortsetzte:

»Mein Schiff flog schnell dahin, wie es vom Winde getrieben ward, und keinem von uns Allen fiel es ein, ihm eine andere Richtung geben zu wollen, sondern wir überließen unsere Reise gänzlich dem Willen des Geschicks. Da sahen wir plötzlich von der Höhe des Mastbaums einen Matrosen herunterstürzen, der aber nicht auf das Verdeck fiel, sondern an einem Seil hängen blieb, das um seine Kehle gebunden war. Ich durchschnitt so schnell als möglich die Schnur und rettete dadurch noch sein Leben; er war aber besinnungslos, und blieb zwei Stunden ohnmächtig. Endlich kam er weder zu sich, und da wir ihn um die Ursache seiner Verzweiflung befragten, antwortete er:

›Ich habe, zwei Kinder von drei und vier Jahren, und ihre Mutter ist nicht älter als zweiundzwanzig. Unsere Armuth war unbeschreiblich, und ich erhielt Alle nur mit der Arbeit meiner Hände. Als ich nun da oben auf dem Mastkorbe saß, wandte ich die Blicke nach jener Gegend hin, wo ich sie gelassen habe, und da war es mir, als sähe ich die armen Kleinen vor mir, wie sie auf den Knien lagen, die Händchen zum Himmel erhoben, für das Leben des Vaters beteten, und mich mit zärtlichen Lauten zurückriefen. Ich sah auch, ihre Mutter, wie sie weinte und mich den grausamsten aller Menschen nannte. Dies Alles stellte ich mir mit so großer Lebhaftigkeit vor, daß ich wol sagen kann, ich sah es, und es kann nicht anders sein. Die Empfindung aber, wie dies Schiff davonfliegt und mich immer weiter von ihnen entfernt, und daß ich nicht weiß, wohin wir kommen, und meine Verpflichtung, diese Fahrt mitzumachen, sehr gering oder nur eingebildet war, Alles dies verwirrte mir die Sinne. Die Verzweiflung gab mir dies Seil in die Hand, das ich um meine Kehle schnürte, um in einem Augenblick die unendlichen Leiden zu endigen, die mich bedrohen.‹

Diese Begebenheit bewog Alle, die ihm zuhörten, zum Mitleiden, und nachdem wir ihn getröstet und ihn versichert hatten, wir würden bald reich und glücklich zurückkehren, übergaben wir ihn Zweien zur Bewachung, die ihn beobachten sollten, damit er seine unselige Absicht nicht ausführe, und ließen ihn mit diesen allein.

Ich aber, damit dieser Vorfall in keinem der übrigen ähnliche Gedanken erwecken möge, stellte ihnen vor, wie es die größte Feigheit sei, die wir begehen könnten, wenn wir uns entleibten, da der Selbstmord ein Zeichen ist, daß es uns an Muth gebricht, gefürchtete Übel zu ertragen. ›Denn welch größeres Übel kann den Menschen treffen, als der Tod? und ist dies der Fall, so kann es keine Thorheit heißen, den Tod von sich entfernt zu halten. Auch verändert und bessert sich ein böses Geschick mit dem Leben; ein verzweiflungsvoller Tod hingegen endigt das Leiden nicht, sondern macht es nur schwerer, und führt uns einem noch ungekannten entgegen. Ich sage Dies, meine Freunde, damit euch der Entschluß unsers unglücklichen Gefährten nicht entmuthige; denn unsere Fahrt beginnt erst, und mein Herz sagt mir, daß ein glücklicher Erfolg uns erwartet.‹

Alle gaben Einem aus ihrer Mitte den Auftrag, für sie zu antworten, und Dieser sprach:

›Tapfrer Capitain, bei allen Dingen, die viel überlegt werden, finden sich immer viel Schwierigkeiten; aber kühne Unternehmungen müssen weniger durch die Vernunft als das Glück geleitet werden, und für ein großes Glück halten wir es, daß Du unser Anführer geworden bist, und sind auch deshalb des Erfolgs gewiß, den Du uns versprichst. Mögen Weib und Kind zurückbleiben und die greisen Eltern jammern, und wenn auch die Armuth sie drückt. Gott, der für die Nahrung und Erhaltung der Sperlinge sorgt, wird die Menschen nicht verlassen. Befiehl, o Herr, daß sie die Segel hissen, und sende Wachen an die Mastkörbe, um zu erspähen, ob sich Etwas entdecken läßt; denn wir wollen zeigen, daß nicht Tollkühne, sondern Tapfere Die sind, welche Dir dienen.‹

Ich dankte ihnen für ihren guten Willen und ließ alle Segel aufziehen. Nachdem wir den ganzen Tag und die Nacht fortgeschifft waren, rief beim Anbruch des Tages die Schildwacht auf dem großen Mast: ›ein Schiff! ein Schiff.‹ Wir fragten ihn, welche Richtung es nehme und von welcher Größe es zu sein scheine, und er antwortete: es sei so groß wie das unsrige und segle vor uns her.

›Wohlauf, meine Freunde!‹ rief ich, ›ergreift die Waffen und beweist an Diesen, wenn sie Seeräuber sind, den Muth, um welchen ihr eure Netze verlassen habt.‹

Ich ließ alle Segel ausspannen, und in zwei Stunden hatten wir das Schiff erreicht, das wir sogleich angriffen. Da wir gar keinen Widerstand fanden, stiegen vierzig meiner Leute hinein, die aber keine Gelegenheit hatten ihre Klingen zu röthen, denn die Mannschaft bestand nur aus Matrosen und Dienern. Wir untersuchten Alles und fanden in einer Cajüte, mit Halseisen an die Wand gefesselt, und zwei Ellen weit voneinander entfernt, einen Mann von sehr gutem Aussehen und eine, nicht minder schöne Frau. In einer andern Cajüte lag auf einem reichverzierten Bett ein ehrwürdiger Greis, der so majestätisch aussah, daß sein Anblick uns Allen Ehrfurcht einflößte. Er stand nicht von seinem Lager auf, denn er konnte nicht; er richtete sich aber ein wenig in die Höhe, erhob das Haupt und sprach:

›Steckt eure Schwerter in die Scheide, denn in diesem Schiffe findet ihr Niemand, der euch kränken will, und gegen den ihr sie gebrauchen könnt. Zwingt euch aber die Noth dazu, dies Gewerbe zu treiben und euer Glück durch das Unglück andrer Menschen zu gründen, so habt ihr einen Fang gethan, der euch glücklich machen wird; nicht als ob sich in diesem Schiffe Reichthümer und Kostbarkeiten befänden, sondern weil ich darin bin. Ich bin Leopoldio, König von Danea.‹

Diese Rede machte mich sehr begierig, zu erfahren, was einen König dahin gebracht haben konnte, so einsam zu reisen und ohne allen Schutz. Ich nahte mich ihm und fragte: Ob Das, was er uns gesagt habe, wirklich wahr sei; denn obwol sein ehrwürdiges Ansehn sein Wort bestätige, so mache mich doch die geringe Begleitung, die ich auf dem Schiffe gewahr werde daran zweifeln.

›Befiehl,‹ antwortete der Greis, daß Deine Leute sich ruhig verhalten und dann höre mir zu; denn mit wenig Worten will ich Dir große Dinge entdecken.‹

Meine Gefährten versammelten sich schweigend um das Lager, und wir Alle hörten mit großer Aufmerksamkeit dem Alten zu, der also sprach:

›Der Himmel machte mich zum König des Reiches Danea, das ich von meinen Vätern erbte, die ebenfalls dort regiert hatten, und ihren Vorgängern nachgefolgt waren. So bestieg ich also weder durch Usurpation noch Übereinkunft den Thron. Ich vermählte mich in meiner Jugend mit einer ebenbürtigen Frau, die aber starb ohne mir einen Erben geschenkt zu haben. Die Zeit verfloß, und ich lebte viele Jahre als ehrbarer Wittwer; endlich aber, durch meine eigne Schuld, denn die Sünden, die wir begehen, sollen wir nie einem Andern als uns selbst zur Last legen, ich sage also, durch meine eigne Schuld, verfiel ich in die Schwachheit, mich in eine Dame meiner verstorbenen Gemahlin zu verlieben; diese Frau, wäre sie gewesen was sie sein sollte, könnte jetzt die Krone tragen, statt daß sie in Ketten geschmiedet ist, wie ihr sie dort gesehen habt. Sie, der es keine Ungerechtigkeit schien, die schwarzen Locken eines meiner Diener meinen grauen Haaren vorzuziehen, hatte ein Verständniß mit Diesem, und begnügte sich nicht damit, meine Ehre zu beflecken, sondern strebte auch darnach, mir das Leben zu rauben. Sie umstrickte mich mit so feingesponnener List, mit so vielen Lügen und Betrügereien, daß, wäre ich nicht noch zur rechten Zeit gewarnt worden, so trüge ich das Haupt nicht mehr auf den Schultern sondern es wäre auf einen Pfahl gespießt, den Winden preisgegeben, und das ihrige strahlte mit der Krone des Reiches Danea. Kurz, ich entdeckte noch bei Zeiten ihre Absichten, und jene Beiden erfuhren zugleich, daß sie enthüllt waren. Deshalb bestiegen sie in einer Nacht ein kleines Schiff, das segelfertig im Hafen lag, und gedachten der verdienten Strafe und meinem Zorn zu entfliehen. Sie schifften sich ein, ich erfuhr es und eilte auf den Flügeln meiner Wuth nach dem Hafen, hörte aber dort, daß das Schiff schon vor zwanzig Stunden abgesegelt sei. Von Zorn verblendet und nach Rache dürstend gab ich keiner vernünftigen Überlegung Raum, sondern ging auf diesem Schiffe unter Segel und setzte ihnen nach, nicht mit der Ausrüstung und Macht eines Königs, sondern als persönlicher Feind. Nach zehn Tagen fand ich sie auf einer Insel, die die Feuerinsel heißt. Ich ergriff sie, die keine Gefahr ahneten, und in Ketten geschmiedet, wie ihr sie gesehen habt, führe ich sie nach Danea zurück um sie durch den Gang des Rechtes der verdienten Strafe für ihr Verbrechen zu überantworten. Dies ist die reine Wahrheit, welche jene Verbrecher dort, wenn sie auch nicht wollen, bezeugen müssen. Ich bin der König von Danea, und verspreche euch zehntausend Goldstücke, die ich zwar nicht bei mir habe, für die ich aber mein Wort verpfände, und sie euch senden will, wohin ihr wollt. Genügt euch aber mein Wort nicht als Bürgschaft, so nehmt mich mit euch in euer Schiff, und gestattet, daß in diesem, was euch nun auch gehört, einer meiner Diener nach Danea zurückkehre, um jene Summe zu holen, und sie hinzubringen, wohin ihr es befehlt. Und mehr habe ich euch nicht zu sagen.«

Meine Gefährten sahen sich untereinander an, und gaben mir den Auftrag, für Alle zu antworten. Obwol es nicht nöthig gewesen wäre, da mir als Capitain die Entscheidung zukam, fragte ich doch Carino, Solercio und einige Andere um ihre Meinung, um ihnen zu zeigen, daß ich mich der Gewalt, die sie mir freiwillig übergeben hatten, nicht überheben wollte. Darauf gab ich dem König folgende Antwort:

›Herr, uns, die Du hier versammelt siehst, reichte weder die Noth noch irgend eine ehrgeizige Absicht die Waffen. Räubern setzen wir nach, Bösewichter wollen wir strafen und Corsaren überwältigen, und da Du keinem dieser Übelthäter ähnlich bist, so ist Dein Leben sicher vor unsern Schwertern; vielmehr wollen wir sie zu Deiner Vertheidigung gebrauchen, wenn Du dessen bedarfst, und nichts soll uns davon abhalten. Wir danken Dir für die große Summe, mit der Du Dich auslösen wolltest, und entbinden Dich Deines Worts, denn da Du kein Gefangener bist, verpflichtet Dich nichts zur Erfüllung desselben. Setze Deinen Weg in Frieden fort, und zum Dank dafür, daß unser Zusammentreffen Dir weniger Unheil brachte als Du befürchtet hast, bitten wir Dich, daß Du den Verbrechern verzeihen mögest, denn die Würde des Königs zeigt sich noch glänzender im Vergeben als im Bestrafen.‹

Leopoldio wollte sich mir zu Füßen werfen, aber weder meine Höflichkeit noch seine Schwäche gestattete dies. Ich bat ihn, mir etwas Pulver zu geben, wenn er damit hinlänglich versehen sei, und uns von seinen Mundvorräthen mitzutheilen. Dies geschah sogleich. Ich rieth ihm, wenn er seinen Feinden nicht verzeihen wolle, so möge er sie mir mitgeben, damit ich sie an einen Ort bringen könne, wo es ihnen nicht möglich sein sollte, Etwas gegen ihn zu unternehmen.

Er sagte, er wolle meinem Rathe folgen; und er that wohl daran, da der Anblick des Beleidigers stets die Beleidigung für den Gekränkten erneuert. Ich befahl meinen Leuten, mit dem Pulver und den Lebensmitteln, die der König uns geschenkt hatte, nach meinem Schiffe zurückzukehren, und indem wir wieder zu dem des Königs hinübergehen wollten, um die beiden Gefangenen zu holen, welche schon von ihren schweren Fesseln befreit waren, erhob sich plötzlich ein Wind und trennte beide Schiffe, so daß sie sich nicht wieder nahe kommen konnten. Vom Bord des meinigen sagte ich dem König Lebewohl, und er ließ sich von seinen Leuten aus dem Bette heben, um von uns Abschied zu nehmen.

Dies geschehe auch jetzt bei uns, damit eine Pause zwischen diesem und dem folgenden Abenteuer eintrete.«

 


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