Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwanzigstes Capitel.

Renato erzählt, was ihn bewogen habe, sich auf die Eremiteninsel zurückzuziehen.


» Wenn wir im Glücke von unsern überstandenen Beschwerden sprechen, so pflegt das Vergnügen, das uns diese Mittheilung gewährt, größer zu sein, als der Schmerz in der Zeit des Duldens. Dies kann ich freilich von mir nicht sagen, denn indem ich erzähle, habe ich das ersehnte Ziel nicht erreicht, sondern werde noch vom Sturm umhergetrieben.

Ich bin in Frankreich geboren, von adeligen, reichen und tugendhaften Eltern. Ich wurde in den ritterlichen Übungen auferzogen, und meine Bestrebungen waren dem Adel angemessen. Nur wagte ich es, meine Augen zu Eusebia, einer Hofdame der Königin von Frankreich, zu erheben, der ich blos mit Blicken aussprach, wie ich sie anbetete. Sie aber, die entweder meine Leidenschaft nicht bemerkte, oder meiner nicht achtete, zeigte mir weder mit Blicken noch Worten, daß sie mich verstand. Obgleich Verschmähung und Gleichgültigkeit die Liebe in der Geburt zu tödten pflegen, indem sie ihr den Stab der Hoffnung entreißen, an welchem sie emporwachsen muß, so geschah doch bei mir das Gegentheil; denn Eusebia's Schweigen gab meiner Hoffnung Flügel, die mich zu einer Höhe erhoben, auf der ich wähnte ihrer würdig zu sein.

Der Neid oder die thörichte Neugierde Libsomiro's, eines französischen Ritters, der eben so reich als vornehm war, erforschte mein Geheimniß; doch beurtheilte er es falsch, denn er beneidete mich, wo er mich hätte bemitleiden sollen. In der Liebe gibt es zwei qualvolle Zustände, die so fürchterlich sind, daß selbst die Schmerzen der Trennung und der Eifersucht ihnen nicht gleichkommen, nämlich: zu lieben und Gleichgültigkeit zu finden, oder zu lieben und verabscheut zu werden.

Kurz, ohne daß ich Libsomiro je beleidigt hatte, begab er sich eines Tages zum König und sagte ihm, ich lebe in strafbarem Umgang mit Eusebia, zur Schmach der königlichen Majestät, und gegen das Gesetz der Ehre, das ich als Ritter aufrecht halten sollte. Er erbot sich, die Wahrheit dieser Anklage durch die Waffen zu erhärten; denn weder durch die Feder noch durch andre Zeugnisse wolle er sie beweisen, aus Rücksicht für Eusebia, die er jedoch der Unkeuschheit und Nichtswürdigkeit beschuldigte. Der König, bestürzt über diese Anklage, ließ mich sogleich rufen und sagte mir, wessen Libsomiro mich geziehen habe. Ich betheuerte meine Unschuld, vertheidigte Eusebia's Ehre und zieh, mit so großer Mäßigung als mir möglich war, meinen Feind der Lüge, indem ich um Entscheidung durch die Waffen bat. Der König weigerte sich, uns in seinem Lande einen Ort zu bestimmen, da die katholische Religion den Zweikampf nicht gestattet. Eine der freien Reichsstädte in Deutschland erlaubte uns aber, unsre Sache auf ihrem Gebiete auszufechten.

Der Tag des Zweikampfs war erschienen und ich kam auf den Wahlplatz mit den bestimmten Waffen, die aus Schwert und Schild, ohne weitere Rüstung bestanden. Die Zeugen und Richter beobachteten die üblichen Gebräuche, theilten die Sonne, und der Kampf begann. Ich trat meinem Feinde getrost und muthig entgegen, denn Recht und Wahrheit kämpften mir zur Seite. Die Haltung meines Gegners zeugte mehr von Stolz und Kühnheit als von einem guten Gewissen.

O heiliger Himmel!. O ihr unerforschlichen Rathschlüsse Gottes! Ich that was ich konnte und in Vertrauen auf Gott und die Reinheit meiner nie erhörten Wünsche. Ich kannte keine Furcht, mein Arm war kräftig und in der Fechtkunst war ich einer der Ersten. Und dennoch, und bis jetzt ist es mir unbegreiflich wie, lag ich auf der Erde, und die Degenspitze meines Gegners schwebte über meinen Augen und drohte mir mit einem plötzlichen, unvermeidlichen Tode.

›Stoß zu!‹ rief ich aus, ›Du mehr beglückter als tapfrer Sieger. Durchbohre mich mit Deinem Degen, und laß eine Seele entfliehen, die es so schlecht verstanden hat, ihre Wohnung zu vertheidigen. Bilde Dir nicht ein, daß ich mich ergeben werde; denn nie wird meine Zunge ein Verbrechen bekennen, das ich nicht begangen habe. Gesündigt habe ich wol, und verdiene härtere Strafen als diese; aber ich werde die Sünde, gegen mich selbst ein falsches Zeugniß zu geben, nie auf meine Seele laden. Darum will ich lieber einen ehrenvollen Tod, als ein schmachvolles Leben.‹

›Ergibst Du Dich nicht, Renato,‹ erwiederte mein Gegner, ›so durchbohrt diese Degenspitze Dein Gehirn, und Du unterschreibst mit Deinem Blute meine Wahrhaftigkeit und Deine Schuld.‹

Die Kampfrichter kamen herbei; sie erklärten mich für todt und erkannten meinem Feinde den Lorbeer des Sieges zu. Seine Freunde trugen ihn auf ihren Schultern vom Kampfplatz, und ich blieb allein, athemlos, betäubt und in einem Schmerz, der heißer brannte als meine Wunden; aber meine Verzweiflung war nicht so groß als ich damals dachte, denn sie raubte mir nicht das Leben, welches das Schwert meines Gegners verschont hatte.

Meine Diener trugen mich fort. Ich kehrte in mein Vaterland zurück; aber weder auf dem Wege noch in der Heimat wagte ich je die Augen zum Himmel zu erheben, denn mir war es, als drücke die Last der Beschimpfung und die Bürde der Entehrung mein Haupt nieder. Der Zuspruch meiner Freunde klang mir wie Verhöhnung, und der helle Himmel schien mir mit grauem Nebel bedeckt. Wenn auf den Gassen die Nachbarn zusammentraten, bildete ich mir ein, sie sprächen von meiner Schande. Mit Einem Wort, ich fühlte mich so von Melancholie und wirren Gedanken und Vorstellungen niedergedrückt, daß ich, um ihnen zu entfliehen, oder mich erleichtert zu fühlen, oder meinem Leben ein Ende zu machen, mich entschloß, mein Vaterland zu verlassen. Ich übergab mein Vermögen einem jüngeren Bruder und ging auf einem Schiffe, von einigen Dienern begleitet, in freiwillige Verbannung. Ich richtete meinen Lauf nach Norden, um eine Gegend zu finden, wo meine Beschimpfung und schmachvolle Niederlage nicht bekannt war, und wo mein Name in Vergessenheit begraben blieb.

Zufällig traf ich auf diese Insel; die Lage gefiel mir, und mit Hülfe meiner Diener baute ich diese Einsiedelei und übergab mich der Verborgenheit. Ich entließ meine Gehülfen mit dem Befehl, ein Mal in jedem Jahre hieher zu kommen und wenn ich gestorben wäre, meine Gebeine zu begraben. Die Liebe, die sie zu mir hatten, die Versprechungen, die ich ihnen that, und die Gaben, mit denen ich sie beschenkte, bewogen sie, meine Bitten zu füllen, denn Befehle kann ich sie nicht nennen. Sie entfernten sich und überließen mich meiner Einsamkeit, wo ich eine so liebliche Gesellschaft an diesen Bäumen fand, diesen Kräutern und Blumen, an klaren Quellen und frischen, rieselnden Bächen, daß ich beinahe gewünscht hätte, ich wäre noch weit früher besiegt worden, um eher durch Leiden zu dieser seligen Ruhe einzugehen.

O du süße Einsamkeit, Freundin der Trauernden! O du tiefes Schweigen! lieblichster Klang für den Kummer, der nicht von Schmeicheleien bethört wird! O! was könnte ich nicht Alles sagen, meine Freunde, zum Lobe der heiligen Einsamkeit und friedlichen Stille! Aber ich muß auch noch erzählen, wie nach einem Jahre meine Diener wiederkamen, begleitet von meiner angebeteten Eusebia; denn sie ist es, die ihr hier als Einsiedlerin seht. Sie hatten ihr erzählt, in welchem Zustande ich zurückgeblieben sei, und sie, aus Dankbarkeit für meine Liebe, und voll Mitleid wegen meiner Beschimpfung, wollte, ob sie gleich unschuldig war, doch meine Strafe theilen. Sie schiffte sich also ein, verließ ihr Vaterland und ihre Eltern, ihren Stand und ihr Vermögen, und, was das Größte ist, opferte ihren guten Namen auf, den sie dem eitlen Geschwätz des Pöbels preisgab, indem sie durch ihre Flucht meine und ihre Schuld bestätigte.

Ich empfing sie, wie sie es von mir erwarten durfte. Die Schönheit und die Einsamkeit, welche unsere wachsende Liebe leicht zu einer glühenden Leidenschaft anfachen konnten, hatten, Dank sei dem Himmel und Eusebia's Tugend, die entgegengesetzte Wirkung. Sie reichte mir die Hand, als ihrem rechtmäßigen Gemahl; aber wir begruben das Feuer im Schnee. In Frieden und Liebe, wie zwei athmende Bilder, leben wir hier vereint seit zehn Jahren, und jährlich kehren meine Diener zurück, uns mit allem Dem zu versorgen, was uns in dieser Einsamkeit fehlt. Zuweilen bringen sie einen Priester mit, dem wir beichten, und in unserer Einsiedelei sind alle Geräthe, um das heilige Opfer zu feiern. Wir schlafen getrennt und essen miteinander. Wir sprechen von göttlichen Dingen, verschmähen das Irdische und hoffen so, der Barmherzigkeit Gottes vertrauend, auf die Ewigkeit.«

Renato hatte seine Geschichte geendigt, und Alle staunten über die wunderbaren Begebenheiten, obgleich es ihnen nichts Ungewöhnliches schien, daß der Himmel straft, wo die menschliche Vernunft es nicht begreifen kann. Denn wir wissen, daß zwei Ursachen sind, aus welchen Das, was wir Unglück nennen, über uns verhängt wird. Für die Bösen ist es eine Strafe, und für die Guten eine Läuterung. Zur Zahl der Letztern gehörte Renato. Alle sagten ihm Worte des Trostes, so wie der edeln Eusebia, die in ihren Erwiederungen ihre Klugheit und die Zufriedenheit mit ihrer Lebensweise zeigte.

»O einsiedlerisches Leben!« rief plötzlich Rutilio, der mit großer Aufmerksamkeit Renato's Erzählung angehört hatte, »o einsiedlerisches Leben!« sprach er, »wie heilig bist Du, wie frei und sicher! Nur vom Himmel erleuchtete Gemüther neigen sich zu Dir! O! wer Dich lieb, Dich erwählen und genießen könnte!«

»Du hast Recht, Freund Rutilio,« sprach Mauricio; »aber Deine Betrachtungen sind nur auf ausgezeichnete Menschen anzuwenden. Wir erstaunen nicht darüber, wenn ein roher Hirt sich in die Einsamkeit der Felder begräbt, und wundern uns eben so wenig, daß ein Armer, der in der Stadt Hungers stirbt, eine Zurückgezogenheit aufsucht, wo es ihm nicht an Unterhalt gebricht. Es gibt Lebensweisen, die sich durch Faulheit und Müßiggang erhalten; denn es ist wol keine geringe Trägheit, wenn ich die Sorge für meine Ernährung fremden, obwol mitleidigen Händen überlasse. Sähe ich einen Hannibal von Carthago in einer Einsiedelei, wie ich Karl den Fünften wirklich in einem Kloster gesehen habe, so würde ich erstaunen und ihn bewundern. Wenn sich hingegen ein gemeiner Mensch zurückzieht und ein Armer die Einsamkeit sucht, so sehe ich darin keinen Grund zur Bewunderung. Bei Renato ist es ganz der entgegengesetzte Fall, da nicht Armuth ihn in diese Einsamkeit führt, sondern ein kräftiger, aus Überlegung hervorgegangener Entschluß. Ihm ist die Dürftigkeit Überfluß und die Einsamkeit Gesellschaft, und die Gewißheit, nichts verlieren zu können, gibt ihm ein sicheres Leben.«

Periander entgegnete: »Das Schicksal hat mich schon durch so viele Drangsale und Gefahren geführt, daß ich, wenn ich statt meiner wenigen Jahre viele zählte, es für meine größte; Glückseligkeit halten würde, die Einsamkeit zu meiner Gefährtin zu wählen, und meinen Namen in ewiges Vergessen zu begraben. Doch diesen Entschluß auszuführen und meine Lebensweise zu verändern gestattet mir Cratilo's Roß nicht, bei dem ich in meiner Erzählung stehen blieb und zu dem ich jetzt eilen muß.«

Alle freuten sich bei diesen Worten, weil sie daraus wahrnahmen, daß Periander zu seiner so oft angefangenen und noch unvollendeten Erzählung zurückkehren wollte, was er auch folgendergestalt that.

 


 << zurück weiter >>