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Achtes Capitel,

Handelt von Dem, was sich zwischen Sinforosa und Auristela zutrug. Alle Fremden beschließen, die Insel sogleich zu verlassen.


Der König Polykarp war glücklich in seinen verliebten Schwärmereien, und sehr begierig erwartete er Auristela's Entschluß. Sein Zutrauen und seine Sicherheit waren so groß, daß es ihm gar nicht in den Sinn kam, sie könne ihm eine abschlägige Antwort geben. Deshalb ordnete er in Gedanken schon das Hochzeitfest an, bestimmte die Spiele, erfand reiche Gewänder und theilte Gnaden aus, in Erwartung der baldigen Vermählung. Bei allen diesen Vorbereitungen vergaß er völlig seines Alters, und welch ein Abstand ist von siebenzehn Jahren zu siebenzig; und wären es selbst nur sechzig gewesen, so bleibt doch der Unterschied zu groß. So besticht und betäubt eine eitle Begierde die Vernunft, so täuscht ein eingebildetes Glück den hellsten Verstand, und so reißt eine trunkene Phantasie Diejenigen fort, welche sich nicht gleich anfangs der Leidenschaft widersetzen.

Mit ganz andern Gedanken beschäftigte sich Sinforosa, die ihr Glück noch nicht für sicher hielt; denn Dem, der viel liebt, ist es natürlich, auch viel zu fürchten. Alles was ihre Hoffnung hätte beflügeln können, als ihre Tugend, ihr hoher Rang und ihre Schönheit, alles Dies drückte sie zu Boden; erregt doch jede heftige Liebe die Besorgniß, man verdiene keine Gegenliebe von dem Geliebten. Liebe und Furcht sind stets beisammen, und immer wirst Du sie vereinigt erblicken; deshalb ist die Liebe nicht stolz, wie Einige sie genannt haben, sondern demüthig, freundlich und sanft, und zwar so sehr, daß sie ihren Rechten entsagt, um den geliebten Gegenstand nicht zu kränken; und da jeder Liebende Das, was er liebt, auch über Alles hochschätzt, so scheut er jede Gelegenheit, durch die er sein theuerstes Gut verlieren könnte.

Alles Dies sagte sich die schöne Sinforosa und zeigte hierin mehr Überlegung als ihr Vater. Zwischen Furcht und Hoffnung schwankend ging sie zu Auristela, um von ihr zu erfahren, was sie zu fürchten oder zu hoffen habe. Endlich sah sich nun Sinforosa mit Auristela allein; nach diesem Augenblick hatte sie sich schmerzlich gesehnt, und ihr Verlangen, die gute oder schlimme Botschaft, die sie erwartete, zu hören, war so groß, daß sie kein Wort sprach, sondern nur Auristela starr und fest anblickte, um auf ihrem Gesicht das Urtheil ihres Lebens oder Todes zu lesen. Die Freundin verstand ihre Meinung und sprach lächelnd, oder vielmehr mit Freundlichkeit:

»Tritt näher, meine Theure, denn an den Baum Deiner Hoffnung hat der Zweifel seine Axt noch nicht gelegt. Dein Glück und das meinige wird zwar noch für einige Zeit verzögert, aber endlich wird es kommen; stellen auch Hindernisse sich unsern erlaubten Wünschen in den Weg, so muß die Verzweiflung uns doch nicht die Kraft der Ausdauer rauben. Mein Bruder sagt, da er Deine Tugend und Schönheit kenne, fühle er sich nicht nur genöthigt, sondern auch gezwungen, Dich zu lieben, und er sieht die Gnade, die Du ihm zugedacht, für eine ausgezeichnete Wohlthat an. Ehe er aber zu diesem großen Glücke gelangen kann, muß er die Hoffnung des Prinzen Arnaldo vernichten, der mich zur Gemahlin wünscht. Ich wäre es auch geworden, wenn die Verbindung zwischen Dir und meinem Bruder es nicht unmöglich gemacht hätte. Du mußt nämlich wissen, geliebte Schwester, daß ich eben so wenig ohne Periander leben kann, wie ein Körper ohne Seele; wo er athmet, muß auch ich sein, denn er ist der Geist, der mich regiert und die Seele, die mich belebt. Wie könnte ich also, wenn er sich hier mit Dir verheirathet, mit Arnaldo in einem andern Lande leben, fern von meinem Bruder? Um diesem mir drohenden Unheil zu entgehen, wollen wir Arnaldo in sein Königreich begleiten, und ihn dann um Erlaubniß bitten, nach Rom zu wandern, wie unser Gelübde erheischt, dessen Erfüllung uns antrieb, unser Vaterland zu verlassen, und das ich, nach meiner Überzeugung, auf keine Weise verletzen darf. Sind wir in Freiheit gesetzt, so können wir alsdann leicht hierher zurückkehren, und ihm jede Hoffnung rauben, indem wir die unsrige erfüllen, ich in der Vermählung mit Deinem Vater, und Du, indem Du die Gattin meines Bruders wirst.«

Sinforosa entgegnete: »Ich finde keine Worte, meine Schwester, um Dir für die Liebe zu danken, die Du mir erzeigst, und für Alles, was Du mir sagst; deshalb will ich schweigen; denn ich weiß nicht, wie ich sprechen sollte. Nur Eins muß ich Dir noch sagen, das ich Dich bitte, mehr als Warnung wie als Rath anzusehen. Jetzt bist Du in diesem Lande, und in der Gewalt meines Vaters, der Dich gegen die ganze Welt schützen kann und wird; deshalb scheint es mir nicht gerathen, die Sicherheit des Besitzes von Neuem dem Zufall preiszugeben. Es wäre Arnaldo unmöglich, Dich und Deinen Bruder mit Gewalt von hier zu führen, und er muß, wenn auch wider Willen, Alles thun und zulassen, was mein Vater verlangt, der ihn in seinem Reiche und in seinem eignen Hause hat. Gib Du mir, theure Schwester, nur die Versicherung, daß es Dein ernstlicher Wille ist, meine Gebieterin zu werden, indem Du Dich mit meinem Vater verbindest, und daß Dein Bruder es nicht verschmäht, mein Herr und Gemahl zu sein, dann will ich leicht alle Schwierigkeiten und Hindernisse beseitigen, die Arnaldo uns in den Weg legen kann.«

Darauf antwortete Auristela: »Verständige Menschen beurtheilen nach vergangenen und gegenwärtigen Begebenheiten die zukünftigen. Wenn Dein Vater uns öffentlich oder auf hinterlistige Weise zurückhalten will, erweckt und reizt er dadurch Arnaldo's Zorn, der ein mächtiger König ist, wenigstens mächtiger als Polykarp. Ein gereizter und hintergangener Fürst schreitet aber leicht zur Rache, und so könnte es geschehen, daß die Verbindung mit uns, statt euer Glück zu gründen, den Krieg in euer Land zöge. Wenn Du einwendest, daß diese Gefahr bestehen bleibt, mögen wir nun hier verweilen oder später zurückkehren, so bedenke auch, daß uns der Himmel nie so ganz in der Bedrängniß verläßt, ohne uns durch seine Gnade irgend ein Mittel zu unserer Rettung zu eröffnen. Deshalb bin ich der Meinung, daß wir uns jetzt mit Arnaldo entfernen, und daß Du selbst durch Deinen verständigen Beistand unsere Abreise beschleunigen mögest, denn dadurch wird auch unsere Rückkehr beschleunigt. Wir werden hier alsdann, wenn auch in einem weniger mächtigen Reiche, als Arnaldo's, doch in Ruhe und Sicherheit unser Leben genießen. Mich wird das Wohlwollen Deines Vaters und Dich die Liebenswürdigkeit meines Bruders beglücken, ohne daß unsere Gemüther sich entfremden.«

Sinforosa hatte aufmerksam zugehört, und stürzte jetzt wie wahnsinnig vor Freude auf Auristela zu, die sie in ihre Arme schloß und ihr Mund und Augen mit Küssen bedeckte. Indem sahen sie die beiden Antonio, Vater und Sohn, in den Saal treten, von Ricla und Constanza begleitet; Mauricio, Transila und Ladislao folgten ihnen, Alle wünschten Auristela zu sehen und zu sprechen, und wollten sich von dem Zustand ihrer Gesundheit überzeugen, da die Sorge um sie die Freunde selbst fast krank machte. Sinforosa entfernte sich, heiterer, aber auch mehr getäuscht als sie gekommen war; denn ein liebendes Herz hält selbst den Schatten, der ihm die Erfüllung seiner Wünsche zu versprechen scheint, schon für die Wirklichkeit.

Nachdem zwischen Auristela und dem alten Mauricio die gewöhnlichen Erkundigungen und Antworten, die zwischen Kranken und Denen, die sie besuchen, vorzufallen pflegen, abgethan waren, sprach er:

»Wenn Arme, und wären es selbst Bettler, sehr schwer die Verbannung und Entfernung aus ihrem Vaterlande ertragen, wo sie doch nichts verließen als ein dürftiges Brot; was sollen erst Diejenigen fühlen, die in ihrer Heimath Alles zurücklassen mußten, was das Glück ihnen schenkte? Ich sage dies, weil mein hohes Alter, das mit eilenden Schritten dem Ende naht, den sehnlichen Wunsch in mir erzeugt, mein Vaterland wiederzusehen, da mit mir dort meine Freunde, Anverwandte und Kinder die Augen zudrücken und das letzte Lebewohl sagen. Dies Glück und diese Wohlthat wünschen wir uns Alle, die wir hier sind, denn wir fühlen uns hier fremd und haben, wie ich glaube, in der Heimath zurückgelassen, was wir anderswo nicht antreffen. Möchtest Du, Theure, unsere Abreise betreiben oder wenigstens billigen, daß wir selbst es thun, da es uns unmöglich fiele, uns von Dir zu trennen. Dein edles Gemüth, Deine himmlische Schönheit und Dein Verstand, der Alles in Staunen setzt, sind der Magnet, der uns Alle lenkt und regiert.«

»Wenigstens,« fiel Antonio der Vater ein, »mich und meine Frau und Kinder; denn ehe ließe ich mein Leben, als daß ich von der verehrten Auristela schiede, wenn sie es nicht verschmäht, mit uns zu sein.«

»Ich danke euch, meine Freunde,« erwiederte Auristela, für eure Freundlichkeit, und obwol es nicht in meiner Macht steht, sie zu vergelten, wie ich sollte, so will ich doch bewirken, daß der Prinz Arnaldo und mein Bruder Periander dies statt meiner thun, und meine Krankheit, die schon in der Besserung ist, wird es nicht verhindern. Bis der glückliche Tag unserer Abreise erscheint, erweitert indeß eure Herzen, laßt die Schwermuth keine Herrschaft über euch gewinnen, und bangt nicht vor künftigen Gefahren: da der Himmel uns schon aus so vielen gerettet hat, wird er uns auch, ohne daß wir von neuem überwältigt werden, nach unserm geliebten Vaterlande zurückführen. Denn jene Übel, die uns nicht das Leben rauben können, müssen auch unsere Geduld nicht erschöpfen.«

Alle staunten über Auristela's Rede, in der sich sowol ihr frommes Gemüth, als ihr ausgezeichneter Verstand offenbarte. Der König Polykarp trat herein, über die Maßen vergnügt, denn seine Tochter Sinforosa hatte ihm gesagt, wie er die Erfüllung seiner eben so edeln als unziemenden Wünsche hoffen dürfe. Wenn die Leidenschaft der Liebe sich eines Greises bemächtigt, verbirgt sie sich stets unter der Maske der Heuchelei; und der Heuchler, wenn er als ein solcher erkannt wird, schadet keinem als sich selbst. Die alten Männer pflegen aber stets mit dem Vorwand der Ehe ihre verderbten Lüste zu verdecken.

Arnaldo und Periander begleiteten den König, der Auristela, wegen ihrer Herstellung, Glück wünschte. Auch befahl er, zum Zeichen wie Alle dem Himmel für diese Gnade dankten, die Stadt solle am Abend erleuchtet und acht Tage hindurch ein öffentliches Fest gefeiert werden. Periander dankte ihm als Auristela's Bruder, und Arnaldo als Liebender, der ihr Gemahl zu werden wünschte. Es ergötzte Polykarp im Innern, zu sehen, wie arglos Arnaldo sich hintergehen ließ; und Dieser, erfreut über Auristela's Genesung, suchte, ohne Polykarp's Absichten zu ahnen, seine Abreise zu beschleunigen; denn je länger diese sich verzögerte, um so später konnte er auch, nach seiner Meinung, die Erfüllung seiner Wünsche hoffen.

Mauricio, der eben so begierig war, seine Heimath wiederzusehen, nahm seine Zuflucht zur Wissenschaft, und fand, daß große Hindernisse sich seiner Abreise widersetzen würden. Er theilte diese Entdeckung Arnaldo und Periander mit, welche unterdeß die Absichten Sinforosa's und Polykarp's erfahren hatten, worüber sie in große Besorgniß geriethen, weil sie wohl wußten, daß, wenn das Feuer der Liebe einen Fürsten ergreift, dieser jede Schranke zu durchbrechen pflegt, und, bis er sein Ziel erreicht hat, weder Rücksichten beachtet, noch ein gegebenes Wort erfüllt, oder Pflichten für heilig hält. Da Polykarp nun gegen sie nur wenige oder vielmehr gar keine zu erfüllen hatte, wußten sie nicht, worauf sie bauen sollten. Zuletzt kamen die drei Freunde darin überein: Mauricio solle unter den Schiffen im Hafen eines auswählen, das sie insgeheim nach England brächte; ein Vorwand sich einzuschiffen würde sich alsdann, wie sie meinten, wol finden. Dies Alles ward Auristela mitgetheilt, welche die Einrichtungen billigte und wegen ihrer eignen und ihrer Freunde Sicherheit von Neuem in große Sorgen gerieth.

 


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