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Sinforosa's Geschichte wird fortgesetzt.
Die verliebte Sinforosa hörte Auristela's verständigen Reden aufmerksam zu, erwiederte aber nichts, sondern knüpfte ihr unterbrochenes Geständniß wieder an und sprach:
»Weißt Du schon, Freundin, wozu die Liebe mich verleitet hatte, die Deines Bruders edles Bild in mir entzündete? Einen Hauptmann von der Wache meines Vaters sandte ich aus, den Geliebten zu suchen, und ihn durch Überredung oder Gewalt zu mir zurückzuführen. Das Schiff, in welchem dieser zur See ging, ist dasselbe, was Dich zu uns gebracht hat, und unter den Todten fand sich auch die Leiche des Capitains.«
»Ja,« sprach Auristela, »er erzählte mir schon Das zum Theil, was ich jetzt wieder von Dir vernommen: so kannte ich die Geschichte Deiner Liebe, wenn auch nur unvollständig. Beruhige nun Dein Gemüth, bis Du Dich meinem Bruder entdecken kannst, oder bis ich ein Mittel gefunden habe, Dir zu helfen, und das soll geschehen, sobald ich weiß, wie eure Unterredung abgelaufen ist. Es wird auch weder Dir noch mir an Gelegenheit fehlen, bald mit ihm zu sprechen.«
Von Neuem wiederholte Sinforosa ihre Danksagungen und Auristela konnte nicht umhin, sie von Neuem zu bemitleiden.
Indeß dies unter den Frauen vorging, sprach Arnaldo wieder mit Clodio, dem viel daran gelegen war, die Liebe des Prinzen zu stören. Er suchte ihn allein zu treffen, wenn Der jemals allein ist, dessen Seele von einer schmerzlichen Sehnsucht gequält wird, und sagte ihm:
»Herr, neulich sprach ich mit Dir davon, wie wenig sich auf das veränderliche Gemüth der Weiber bauen läßt, und daß auch Auristela eine Frau ist, scheint sie gleich ein Engel zu sein; so wie, daß Periander ein Mann ist, wenn er auch ihr Bruder sein mag. Ich will damit nicht sagen, daß Du einen bösen Argwohn in Deiner Brust nähren sollst, sondern Dich nur ermahnen, einer vernünftigen Vorsicht zu gebrauchen. Wenn Du ruhiger geworden, wirst Du überlegen, wer Du bist, und bedenken, wie lange Dein Vater und Deine Unterthanen Dich nun schon entbehren, ferner in welche Gefahren Dein Königreich ohne Deinen Beistand gerathen kann, das jetzt einem Schiffe gleicht, das den Steuermann verlor. Ein König ist verpflichtet, sich nicht mit der Schönheit, sondern mit der Hoheit zu vermählen; nicht Reichthum, sondern Tugend soll er wählen, um seinem Reiche würdige Erben zu schenken. Die Ehrfurcht, welche der Unterthan dem Fürsten schuldig ist, vermindert sich, sieht er diesen den Wallungen seines Blutes gehorchen, und die Hoheit des Königs ist nicht so überwiegend, um die niedriggeborne Frau, die er wählte, zu sich zu erheben. Von dem Hengst und der Stute, die edler Race sind, verspricht man sich eine gute Zucht, nicht aber von Denen, die selbst aus gemeiner Art stammen. Gemeine Menschen mögen sich von ihren Neigungen beherrschen lassen, nicht aber der Hochgestellte. Deshalb, Herr und Gebieter, kehre in Dein Reich zurück, oder laß Dich wenigstens nicht durch den Schein der Sittsamkeit täuschen. Und endlich verzeih mir mein Erkühnen; denn stehe ich auch im Ruf einer bösen Zunge, so möchte ich doch nicht, daß mir eine böse Absicht schuldgegeben würde. Du hast mich unter Deinen Schutz genommen, der Schild Deines Edelmuthes schirmt mein Leben und deckt mich gegen den Zorn des Himmels; ja, ein günstiges Gestirn scheint schon jetzt meine verderbte Natur zu verbessern.«
»Ich danke Dir, Clodio, für Deinen guten Rath,« sprach Arnaldo; »aber verhüte der Himmel, daß ich ihn je befolgen sollte. Auristela ist tugendhaft und Periander ist ihr Bruder, ich will nichts Anderes glauben, da sie es gesagt hat, und Alles, was sie sagt, für mich die Wahrheit ist. Ohne Wankelmuth verehre ich sie, und die Allmacht ihrer Schönheit beherrscht alle meine Gedanken, die nur in ihr Ruhe finden; nur durch sie lebe ich, und hoffe ich zu leben. Deshalb spare Deinen Rath, Clodio, denn der Wind führt Deine Worte hinweg, und mein Thun wird Dir beweisen, wie Du sie an mir verschwendet hast.«
Clodio zuckte die Schultern, ließ den Kopf hängen und entfernte sich mit dem Vorsatz, sich nie mehr als Rathgeber aufzudrängen; denn dies Amt erfordert drei Eigenschaften: erstlich Ansehn, zweitens Vorsicht und drittens muß man dazu aufgefordert werden.
Polykarp's Palast war der Schauplatz aller dieser Vorfälle und verliebten Heimlichkeiten, welche die Gemüther der Liebenden beschäftigten. Auristela war eifersüchtig, Sinforosa leidenschaftlich, Periander traurig und Arnaldo hartnäckig. Mauricio wünschte in sein Vaterland zurückzukehren, Transila widersetzte sich aber seinem Willen, um nicht unter Menschen zu leben, die sie als Feinde der Sittlichkeit ansah, und Ladislao, ihr Bräutigam, durfte und wollte ihr nicht widersprechen. Antonio konnte es nicht erwarten, mit Frau und Kindern nach Spanien zu kommen, und Rutilio sehnte sich nach Italien. Jeder hegte seine eignen Wünsche und Keiner sah sie in Erfüllung gehen; denn dies ist eine Bedingung unserer menschlichen Natur, die, wenn Gott sie auch vollkommen erschuf, doch durch unsere Schuld immer Mangel fühlt, den wir so lange empfinden, als wir nicht aufhören zu wünschen.
Sinforosa wußte es endlich zu veranstalten, daß Periander und Auristela allein miteinander reden konnten; denn sie verlangte eifrig danach, daß ihre Angelegenheit entschieden und der Spruch gefällt würde, der über ihr Leben oder ihren Tod entscheiden sollte. Die ersten Worte, welche Auristela zu Periander sprach, waren:
»Unsere Pilgerschaft, mein Bruder und Gebieter, ist so voll der Leiden, Beschwerden und Gefahren, daß jeder Tag, ja, jeder Augenblick uns mit dem Tode zu bedrohen scheint; deshalb wünschte ich, daß wir einen ruhigen Zustand treffen, und unser Dasein auf irgend eine Weise sichern könnten. Nie kann dies aber leichter geschehen, als in den Verhältnissen, in denen wir uns jetzt befinden; denn hier bietet sich Dir ein unermeßlicher Reichthum dar, der Dir nicht nur versprochen, sondern, sogleich übergeben werden soll, zugleich eine edle und überaus schöne Gemahlin, die, statt daß sie sich Dir antragen muß, es wol verdiente, daß Du um sie würbest, sie aufsuchtest und um ihre Liebe flehtest.«
Unterdeß Auristela also sprach, sah Periander sie mit so starrer Aufmerksamkeit an, daß er die Augenwimpern nicht bewegte, zugleich spannte er seinen Geist aufs Äußerste, um den Sinn ihrer Worte zu begreifen. Auristela zog ihn aber schnell aus seiner Verwirrung, indem sie fortfuhr:
»Ich sage Dir, mein Bruder, denn mit diesem Namen werde ich Dich in jedem Verhältniß nennen, das Dich noch erwartet, ich sage Dir, Sinforosa betet Dich an und begehrt Dich zum Gemahl, sie versichert, sie besitze einen unendlichen Schatz, und ich versichere Dir, ihre Schönheit selbst ist ein Schatz, so reich, daß er keiner übertriebenen Lobsprüche bedarf. Nach Dem, was ich habe bemerken können, hat sie auch ein sanftes Gemüth, einen ausgezeichneten Geist, und ist in ihrem Betragen sittsam und verständig. Trotz alle Dem, was ich Dir jetzt gesagt habe, vergesse ich nicht, was Du bist und was Du verdienst; in den gegenwärtigen Umständen wird sich aber dennoch diese Verbindung sehr wohl für Dich geziemen. Fern sind wir von unserm Vaterlande, Dich verfolgt ein Bruder und mich mein Unstern. Unserer Reise nach Rom, jemehr wir vorwärts streben, um so größere Schwierigkeiten und Hindernisse stellen sich ihr in den Weg. Meine Absicht dahin zu gelangen, besteht noch, aber die Furcht überwiegt, und ich wünschte nicht, daß unter Ängsten und Gefahren der Tod mich übereilte. Deshalb will ich mein Leben in einem Kloster beschließen, und wünsche nur, das Deinige möge eben so lange als glücklich dauern.«
Hier endigte Auristela ihre Rede; aber ein Strom von Thränen schien Alles auszulöschen, was sie gesagt hatte. Unter der Decke hob sie jetzt anständig die Arme hervor, ließ sie niedersinken und kehrte sich mit dem Angesicht von Periander ab. Ihre Worte so wie der Ausbruch ihres Schmerzes raubte Diesem aber alle Kraft, das Licht schwand seinen Augen und sein Athem stockte, er stürzte auf die Knie nieder und lehnte sein Haupt an das Bett. Auristela wendete sich um, und da sie ihn ohnmächtig sah, berührte sie mit der Hand sein Gesicht und trocknete seine Thränen, die, ohne daß er es fühlte, in heißen Strömen seine Wangen bedeckten.