Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtzehntes Capitel.

Polykarp begeht, auf Zenotia's Rath, eine Treulosigkeit. Seine Unterthanen stoßen ihn vom Throne und nehmen der Zenotia das Leben. Die Gäste verlassen die Insel und kommen zur Eremiteninsel.


Der Ruhepunkt, welcher durch Perianders Erzählung eintrat, war Polykarp sehr unangenehm; denn er konnte weder der Geschichte seine Aufmerksamkeit widmen, noch in seiner Überlegung fortfahren, wie es anzufangen sei, Auristela bei sich zu behalten, ohne den Ruf der Großmuth und Redlichkeit einzubüßen. Er erwog den hohen Stand seiner Gäste, unter denen Arnaldo der Vornehmste war, als geborner und nicht erwählter Erbprinz von Dänemark. Er glaubte in Perianders Betragen, in seiner feinen Sitte, wie in seinem kühnen Muthe, einen Mann von hohem Range entdeckt zu haben, und Auristela's Schönheit verrieth ihm ihre edle Abkunft. Er hätte seinen Zweck gern auf geradem Wege, ohne Umschweif und Hinterlist verfolgt, und jedes Hinderniß wie jeden Tadel durch das heilige Band der Ehe beseitigt. Obwol er in seinen hohen Jahren sich diesen Wunsch lieber versagen mußte, so fand er doch eine Ausrede, und meinte, in jeglichem Alter sei Heirathen besser als Brunst leiden. Der Stachel, welcher ihn quälte, wurde durch die nichtswürdige Zenotia noch geschärft, die dadurch, daß sie ihm behülflich war, auch ihre Leidenschaft zu befriedigen hoffte.

Beide wurden endlich darüber einig, noch vor der nächsten Zusammenkunft mit Periander ihren Plan auszuführen, welcher darin bestand, nach zwei Tagen in der Nacht einen falschen Lärm in der Stadt schlagen, und dann den Palast an drei oder vier Ecken anzünden zu lassen, so daß alle Bewohner desselben genöthigt würden, ihre Sicherheit zu suchen, wodurch dann auf jeden Fall Unordnung und Verwirrung entstehen müsse. Diese sollten einige dazu bestellte Leute benutzen, um den jungen Antonio und die schöne Auristela zu entführen. Zugleich sagte der König seiner Tochter Polykarpa, sie möge aus christlicher Liebe Arnaldo und Periander von der bevorstehenden Gefahr benachrichtigen, ohne ihnen den beabsichtigten Raub zu entdecken, und ihnen behülflich sein, nach dem Ufer zu entfliehen, wo sie ein Kauffahrteischiff bereit finden sollten, sie aufzunehmen.

Die bestimmte Nacht war gekommen, und um drei Uhr fing der Allarm an, der alle Einwohner der Stadt mit Schrecken erfüllte. Das Feuer begann zu leuchten und vermehrte die Gluth, die in Polykarps Busen brannte. Seine Tochter eilte, gefaßt und ohne Zeichen der Furcht zu Arnaldo und Periander; sie entdeckte ihnen die verrätherischen Absichten ihres leidenschaftlichen Vaters, und seinen frevelhaften Plan, Auristela und den jungen Barbaren bei sich zu behalten, und doch den Schein der Rechtlichkeit zu retten.

So wie Arnaldo und Periander Dies vernahmen, riefen sie Auristela, Mauricio, Transila, Ladislao, Antonio Vater und Sohn, so wie Ricla, Constanza und Rutilio herbei; Alle dankten Polykarpa für ihre Warnung, und bildeten dann, indem die Männer sich voran stellten, einen geschlossenen Haufen. Da sie Polykarpa's Rath befolgten, fanden sie einen freien Durchzug nach dem Hafen, und wurden sogleich in dem Schiffe aufgenommen; denn der König hatte den Steuermann und alle Matrosen durch reichliche Geschenke gewonnen, und ihnen befohlen, sobald die Flüchtlinge, welche zu ihnen kommen würden, an Bord wären, in See zu gehen und nicht eher anzuhalten, als bis sie England oder eine noch entferntere Küste erreicht haben würden.

Zwischen dem verwirrten Geschrei, dem Sturmgeläute und Knittern des Feuers, welches zu wissen schien, daß der Herr des Palastes ihn freiwillig der Wuth der Flammen opferte, und deshalb eine schreckliche Verwüstung anrichtete, schlich Polykarp verhüllt umher, um zu erspähen, ob die Entführung Auristela's gelungen sei, und die Zauberin Zenotia forschte nach dem schönen Antonio. Als aber Beide gewahr wurden, daß alle Gäste sich eingeschifft hatten, ohne daß ein einziger zurückblieb, wie der Augenschein sie lehrte und wie ihre ahnende Seele errieth, eilte der König zum Hafen, und ließ alles Geschütz, das sich auf den Wällen und in den vor Anker liegenden Schiffen befand, gegen die Flüchtlinge abfeuern, wodurch die Verwirrung, noch vermehrt wurde, und alle Bewohner der Stadt erstarrten vor Entsetzen, da sie nicht wußten, welch ein Feind sie bedrohe, oder welch ein Unheil sie urplötzlich überfalle.

Die arme Sinforosa, welche den Zusammenhang dieser Vorfälle nicht kannte, suchte ihre Rettung in der Flucht und vertraute ihrer Unschuld. Mit wankenden, ängstlichen Schritten bestieg sie einen hohen Thurm des Schlosses, wo sie sich vor dem Feuer sicher glaubte, das beinahe schon alle übrigen Theile des Palastes in Asche gelegt hatte. Ihre Schwester Polykarpa schloß sich hier mit ihr ein und erzählte ihr, als sei sie dabei gewesen, die Flucht der Fremdlinge. Bei dieser Nachricht verlor Sinforosa die Besinnung, und Polykarpa bereute es, ihr diese Entdeckung gemacht zu haben.

Die Sonne stieg leuchtend herauf, erfreulich für Diejenigen, welche nun die Ursach aller dieser Drangsale zu entdecken hofften; aber Polykarps Gemüth versank an die Finsterniß des tiefsten Kummers. Zenotia zerbiß sich die Nägel, und fluchte ihrer trügerischen Kunst und den Verheißungen ihrer höllischen Diener.

Sinforosa war noch nicht aus ihrer Ohnmacht erwacht und ihre Schwester weinte einsam neben ihr und versäumte nicht, Alles anzuwenden, was ihr möglich war, um sie wieder zum Bewußtsein zu bringen. Endlich erholte sich Sinforosa, blickte nach dem Meer hinaus und sah das Schiff dahinfliegen, das die Hälfte ihrer Seele oder vielmehr den größten Theil derselben entführte. Wie eine neue betrogene Dido, die über den fliehenden Äneas klagt, hauchte sie ihre Seufzer in die Lüfte, befeuchtete die Erde mit ihren Thränen und rief ihre Klagen in die Winde hinaus, ungefähr also sprechend:

»O schöner Fremdling! der Du zu meinem Unglück dies Ufer betratest; Betrüger kann ich Dich nicht nennen, denn nie war ich so beglückt, durch ein Wort der Liebe von Dir getäuscht zu werden. O! laß Deine Segel nicht also im Winde schwellen, damit die Zeit sich verlängere, wo meine Augen Dein Schiff noch erreichen, dessen Anblick mich tröstet, weil ich weiß, daß es Dich trägt. Bedenke, Geliebter, Du entfliehst Der, die mit ihrer Seele Dir folgt; Du entfernst Dich von Der, die Dich sucht, und verabscheust Die, welche Dich anbetet. Ich bin die Tochter eines Königs, und begehre nichts, als Deine Sclavin zu sein. Schmückt mich auch keine Schönheit, um Deinen Augen zu gefallen, so habe ich doch ein Herz voll Liebe, das wol Deines Herzens würdig ist. Fürchte nicht das Feuer, was diese Stadt verzehrt; denn kehrst Du zurück, so ist es ein Freudenfeuer, um Deine Ankunft zu begrüßen. Ich besitze Reichthümer, o Du eilig Entfliehender! und diese sind so wohl verwahrt, daß das Feuer sie nicht finden kann, denn der Himmel hat sie allein für Dich aufgehoben.« Sie wandte sich hierauf wieder zu ihrer Schwester und sprach: »Scheint es Dir nicht auch, geliebte Schwester, als wären die Segel jetzt weniger geschwellt, und als flöge das Schiff nicht so eilig? O Gott! sollte es ihn reuen! O Himmel! könnte die Sehnsucht meines Herzens den Lauf des Schiffes hemmen!«

»Ach Schwester!« erwiederte Polykarpa, »täusche Dich nicht, denn leicht wird das Verlangen ein Betrüger. Das Schiff fliegt dahin und Dein Wunsch hält es nicht zurück, wie Du glaubst, sondern der Wind Deiner Seufzer treibt es nur schneller fort.«

Der König, ihr Vater, trat plötzlich zu ihnen herein; auch er wollte von der Höhe des Thurmes sehen, wie nicht die Hälfte seiner Seele, sondern seine ganze Seele entfloh; aber es war nichts mehr zu entdecken. Die Männer, welchen befohlen war, das Feuer an den Palast zu legen, hatten auch den Auftrag erhalten, zu löschen.

Die Bürger der Stadt erfuhren die Ursache des Alarms, die sträfliche Leidenschaft Polykarp's und die nichtswürdigen Rathschläge der Zauberin Zenotia. Sie erklärten noch den nämlichen Tag den König für abgesetzt und knüpften Zenotia an einer Segelstange auf. Sinforosa und Polykarpa wurden mit der Achtung, die ihrem Stande gebührte, behandelt, und ihnen ein Loos bereitet wie ihre Tugenden es verdienten. Sinforosa erreichte aber nicht das wahre Ziel ihrer Wünsche, denn das Geschick hatte für Periander ein noch höheres Glück aufbewahrt.

Die auf dem Schiffe Geretteten, da sie sich nun Alle vereinigt und in Freiheit sahen, dankten dem Himmel inniglich für seinen Beistand. Die verrätherischen Absichten Polykarp's wurden ihnen von Neuem bestätigt, dünkten ihnen aber nicht so sträflich, um gar keine Entschuldigung zuzulassen, da sie aus der Liebe entsprungen waren, die auch noch größere Vergehungen entschuldigt; denn wird die Seele von der Leidenschaft beherrscht, so läßt sie sich weder von der Klugheit heilen, noch durch die Vernunft regieren.

Das Wetter war hell und das Meer blieb ruhig, obwol der Wind heftig blies. Sie hatten die Absicht, erst nach England zu gehen, um dort zu beschließen, was sie ferner thun wollten. Ihre Schifffahrt war so glücklich, daß keine Furcht vor irgend einem Unfalle ihre Ruhe störte. Drei Tage blieb die See ruhig und der Wind günstig; aber am vierten Tage, beim Untergang der Sonne, drehte sich der Wind, das Meer fing an, sich zu bewegen, und die Furcht vor einem Sturm ängstigte die Schiffer. Denn das Meer gleicht der Wandelbarkeit unsers Lebens, und verspricht weder Sicherheit noch Bestand für lange Zeit.

Als die Reisenden eine nahe Gefahr fürchteten, zeigte ihnen ihr gutes Glück in geringer Entfernung eine Insel, welche die Schiffer sogleich erkannten, die ihnen sagten: sie heiße die Eremiteninsel. Über diese Nachricht waren sie sehr erfreut, da sie gehört hatten, daß zwei Buchten an dieser Insel waren, die mehr als zwanzig Schiffe vor jedem Winde schützen konnten, so gut wie die sichersten Häfen.

Die Schiffer erzählten, eine der Einsiedeleien sei jetzt von einem vornehmen französischen Ritter, Namens Renato bewohnt, und die andere von einer französischen Dame, welche Eusebia heiße, und die Geschichte dieser Beiden sei die wundersamste, die man hören könne. Das Verlangen, Dies zu erfahren und sich zugleich vor dem Sturm zu sichern, bestimmte Alle, ihre Fahrt dorthin zu lenken. Dies geschah mit so großer Geschicklichkeit, daß sie sogleich in einen der Meerbusen einliefen, wo sie die Anker auswarfen ohne irgend ein Hinderniß.

Da Arnaldo erfahren hatte, daß die beiden Einsiedler die einzigen Bewohner der Insel waren, ließ er auf Auristela's und Transila's Bitte, die sich von der Fahrt ermüdet fühlten, das Boot auswerfen; Mauricio, Ladislao, Rutilio und Periander waren auch damit zufrieden, und Alle wollten sich ans Land begeben, um die Nacht auszuruhen, ungestört von dem Schwanken des Schiffes. Antonio war aber der Meinung, er und sein Sohn sollten mit Ladislao, und Rutilio zurückbleiben und das Schiff bewachen, da der wenig erprobten Treue der Matrosen nicht zu vertrauen sei. So blieben also die beiden Antonio's mit allen Matrosen auf dem Schiffe; für letztere gibt es kein schöneres Land als ihre betheerten Breter, und ihnen duftet das Pech, Harz und Theer ihrer Schiffe lieblicher, als andern Menschen Rosen, Nelken und Amaranthen in den Gärten.

Unter dem Schutz eines Felsen schirmten sich Die, welche ans Land gestiegen waren, vor dem Winde und erwärmten sich an dem Lodern dürrer Zweige, die sie anzündeten. Gewöhnt mancherlei Drangsale dieser Art zu dulden, brachten sie die Nacht ohne Beschwerde hin, zumal da Periander auf Transila's Wunsch ihnen das Vergnügen machte, in seiner Erzählung fortzufahren. Anfangs weigerte er sich; da aber Arnaldo, Mauricio und Ladislao ihre Bitten mit denen Auristela's vereinigten, und die Stille des Ortes dem Erzähler günstig war, begann er folgendermaßen.

 


 << zurück weiter >>