Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Capitel.

In welchem Rutilio die Geschichte seines Lebens fortsetzt.


» Das Erste, was sich meinen Blicken darbot, ehe ich mich noch umgesehen hatte, war die Leiche eines Wilden, die an einem Baume hing, woraus ich erkannte, daß ich auf dem Gebiete wilder Barbaren war. Die Furcht führte mir alsbald tausend verschiedene Todesarten vor, und da ich nicht wußte, wie ich mir helfen sollte, fürchtete und erwartete ich sie alle zusammen. Doch da, wie man sagt, die Noth der beste Lehrmeister ist und den Verstand schärft, so half sie auch mir ein sehr sonderbares Hülfsmittel erdenken.

Ich schnitt nämlich den Wilden vom Baume los, und nachdem ich mir die Kleider ausgezogen, und sie im Sande vergraben hatte, zog ich die seinigen an, die mir auch paßten, weil sie gar keinen Schnitt hatten und nur aus Thierfellen bestanden. Sie waren weder zugeschnitten noch genäht, sondern werden nur um den Körper gewickelt und mit einem Gurt befestigt, wie ihr gesehen habt.

Um mich nicht durch die Sprache zu verrathen und als ein Fremder erkannt zu werden, stellte ich mich stumm und taub; unter dieser Maske lief ich nun tanzend und Luftsprünge machend tiefer in das Land hinein.

Als ich eine kleine Strecke gegangen war, sah ich eine große Anzahl Wilder, die mich umgaben, und hier und dort hastig befragten, wie ich nachher begriff, wer ich sei, wie ich heiße, woher ich komme und wohin ich wolle?

Ich antwortete schweigend, indem ich ihnen so deutlich, als ich konnte, durch Zeichen zu verstehen gab, ich sei taubstumm, und dann meine Sprünge und Tänze wiederholte. Ich lief aus dem Kreise fort, der mich umgab, die kleinen Knaben liefen mir nach und folgten mir, wohin ich ging. Durch diesen Kunstgriff galt ich nun für einen Wilden und für stumm, und die Kinder gaben mir, wenn ich tanzte und ihnen Zeichen machte, zu essen was sie hatten.

Auf diese Weise habe ich drei Jahre unter ihnen gelebt, und hätte meine ganze Lebenszeit so zubringen können ohne erkannt zu werden. Ich achtete, neugierig und aufmerksam, auf ihre Sprache, und lernte viel davon. Ich kannte die Prophezeihung von der Dauer ihres Reiches, die sich von einem weisen, alten Barbaren herschrieb, und welcher sie großen Glauben schenkten; ich habe einige Jünglinge opfern sehn, um die Wahrheit davon zu erproben; ich war oft dabei, wenn Jungfrauen für diesen Zweck gekauft wurden, bis der Brand auf der Insel entstand, den ihr mit angesehen habt.

Ich entfloh vor dem Feuer und schiffte hinüber, um die Gefangenen in der Grube zu benachrichtigen, in welcher ihr gewiß auch gewesen seid; ich sah diese Barken, lief zum Ufer und meine Bitten rührten eure großmüthigen Seelen. Ihr nahmt mich auf, wofür ich euch unendlich dankbar bin, und jetzt hoffe ich nun auf die Gnade des Himmels, der, da er uns Alle aus so großem Elend befreite, uns gewiß auch auf unserer unternommenen Reise beistehen wird.«

Hier endete Rutilio seine Erzählung, die Alle mit Verwunderung und Vergnügen angehört hatten. Der Tag brach an, die Witterung war rauh und trübe und schien Schnee zu verkündigen.

Auristela gab Periander Das, was sie von Clelia bekommen hatte, in jener Nacht ehe sie starb; es waren zwei Kugeln von Wachs, und es zeigte sich, daß in einer derselben ein Kreuz von Diamanten verborgen war, so kostbar, daß sie es nicht schätzen wollten, um ihm nichts von seinem Werthe zu nehmen; in der andern Kugel waren zwei runde Perlen, ebenfalls unschätzbar. An diesen Kleinodien bemerkten Alle, daß Auristela und Periander von hohem Stande sein mußten, obwol ihre edle Gestalt und ihr liebenswürdiges Betragen diese Wahrheit noch deutlicher kund that.

Als es Tag geworden, ging der Barbar Antonio noch etwas weiter in die Insel hinein, da er aber nichts als Felsen und Schneeberge sah, kehrte er wieder zu den Barken zurück und sagte:

»Die Insel ist unbewohnt und wir werden wohlthun, eiligst weiter zu schiffen, um eine Gegend zu finden, wo wir uns gegen die drohende Kalte schützen und mit Lebensmitteln versorgen können, die uns bald ausgehen werden.«

Sie zogen die Barken schnell wieder in die See, stiegen Alle hinein und richteten ihren Lauf nach einer andern Insel, die sie nicht weit von dort entdeckten.

Indem sie so weiter schifften, nicht schneller als es mit wenigen Rudern möglich war, denn in jeder Barke waren nur zwei, hörten sie, wie aus einem der andern Boote eine zarte, liebliche Stimme ertönte. Alle wurden aufmerksam, vorzüglich Antonio der Vater, denn er bemerkte wie Das, was gesungen ward, portugiesisch sei, was er sehr gut verstand. Jetzt hörte der Gesang auf und erklang bald darauf wieder in einem castilianischen Liede, von keinem andern Instrument als dem Schlag der Ruder begleitet, welche die Barken durch das ruhige Meer trieben, und Alle hörten nun, wie folgende Worte gesungen wurden:

Des Meer's, der Winde Gunst und Sternenhelle,
Auf ungekanntem, doch auf lichtem Pfade
Zum schönen, sichern, friedlichen Gestade
Geleiten sie das Schiff auf blauer Welle.

Nicht Scylla, nicht Charybdis hemmt die Schnelle,
Kein meerverdeckter Fels; des Himmels Gnade
Regiert die Fahrt, rasch, unaufhaltsam grade
Führt heil'ge Treue zur ersehnten Stelle.

Auch darf die Hoffnung nimmer euch verlassen,
Und Einfalt muß die Segel fromm regieren,
Da sonst das Schiff im Hafen selbst noch scheitert.

Ein liebend Herz soll Trug und Falschheit hassen,
Und froher Ankunft Glück wird Der verlieren,
Der seine Kraft durch Schmerzen nicht geläutert.

Als die Stimme schwieg, sagte Ricla: »Eines ruhigen Gemüthes muß dieser Sänger sein, der in einer solchen Lage seine Stimme in den Winden ertönen läßt.«

Periander und Auristela waren nicht der Meinung, und behaupteten, der Sänger sei vielmehr ein Verliebter als ein Müßiger; denn Liebende verstehen die Sprache der Seele und schließen leicht mit Denen Freundschaft, welche dieselben Schmerzen leiden.

Mit der Zustimmung der Übrigen, obgleich es nicht nöthig war, sie um ihre Erlaubniß zu bitten, ließen sie den Sänger in ihre Barke kommen, sowol um seine schöne Stimme in der Nähe zu hören, wie auch um seine Begebenheiten von ihm zu erfahren; denn wer unter solchen Umständen singen konnte, empfindet entweder sehr tief oder gar nicht.

Die Barken kamen nahe zusammen, der Musiker stieg zu Periander hinüber, und Alle begrüßten ihn freundlich. Indem er das Schiff betrat, sagte er halb in portugiesischer und halb in castilianischer Sprache:

»Dem Himmel und meiner Stimme verdanke ich diesen erfreulichen Tausch der Barken; zwar glaube ich, daß ich euch nicht lange mehr zur Last fallen werde, denn die Qualen, welche meine Seele fühlt, sind mir ein sicheres Zeichen, daß mein Leben sein letztes Ziel erreicht hat.«

»Das wird der Himmel verhüten,« erwiederte Periander, »denn da ich noch lebe, kann kein Leiden irgend Jemand tödten.«

»Was wäre die Hoffnung,« sagte Auristela, »wenn sie sich durch das Mißgeschick überwältigen und vernichten ließe? Nein, wie das Licht am hellsten durch die Wolken leuchtet, so muß auch die Hoffnung am unüberwindlichsten im Leiden sein; denn Verzweiflung ziemt nur feigen Gemüthern, und es ist ein verächtlicher Kleinmuth, wenn der durch Leiden Geprüfte, und mögen sie auch noch so bitter sein, sich der Verzweiflung ergiebt.«

»Wem die Seele schon auf den Lippen schwebt,« sprach Periander, »der soll dennoch nicht an der Hülfe verzweifeln; denn das hieße Gott beleidigen, der nicht beleidigt werden kann, wollten wir seiner unendlichen Barmherzigkeit Ziel und Schranke setzen.«

»Das ist Alles wahr,« antwortete der Sänger, »und ich glaube es, trotz der Erfahrungen, die ich in meinem Leben und in meinen mannichfaltigen Schmerzen gemacht habe.«

Diese Gespräche hinderten sie nicht am fleißigen Rudern, und so kamen sie zwei Stunden vor der Nacht an eine Insel, die ebenfalls menschenleer, obgleich sie mit Bäumen bewachsen war, die auch Früchte trugen, welche, wenn auch überreif und trocken, doch zu genießen waren.

Sie stiegen Alle an das Ufer und zogen die Schiffe auf das Land. Dann fingen sie sogleich an, Bäume umzuhauen und eine große Hütte zu erbauen, um sich in der Nacht gegen die Kälte zu schützen. Sie machten auch Feuer an, indem sie zwei Stücke trocknes Holz aneinander rieben, eine Erfindung, die eben so bekannt als gebräuchlich ist. Da Alle Hand anlegten, war der rohe Bau bald vollendet, sie versammelten sich in der Hütte, das große Feuer machte ihnen die Unbequemlichkeit ihrer Wohnung erträglich, so daß ihnen diese elende Wohnung ein geräumiger Palast dünkte.

Nachdem sie ihren Hunger gestillt, wollten sie sich gleich zum Schlaf niederlegen; aber Periander gestattete es nicht, denn seine Begierde war zu groß, die Geschichte des Sängers zu hören und er bat ihn, wenn es ihm nicht zuwider sei, ihnen sein unglückliches Schicksal mitzutheilen; denn Glück könne ihn schwerlich in diese Gegend geführt haben. Höflich, wie der Sänger war, erzählte er, ohne sich lange bitten zu lassen.

 


 << zurück weiter >>