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Neunzehntes Capitel.

Sie werden freundlich in der Eremiteninsel aufgenommen.


» Da es ohne Zweifel etwas sehr Angenehmes ist, in der Stille vom erlittenen Sturm, im Frieden von den überstandenen Gefahren des Krieges, und nach wiedererlangter Gesundheit von den Leiden der Krankheit zu erzählen, so erfreut es auch mich jetzt, in gegenwärtiger Ruhe von meinen Drangsalen zu sprechen. Denn obgleich ich noch nicht frei davon bin, so erscheint mir doch mein jetziger Zustand, im Vergleich mit Dem, was ich ausgestanden habe, als ein friedlicher, und es ist eine Bedingung unsers Geschicks, daß beim Beginn des Glückes eine günstige Wendung die andere herbeirufe, und so geht es oft fort ohne Stillestand; die Leiden aber folgen denselben Gesetzen. Das Unheil, was ich bis jetzt ertragen, hat, wie ich glaube, nun den höchsten Gipfel des Elends erstiegen, und muß sich deshalb zum Niedergang neigen. Denn wenn in der äußersten Bedrängniß der Tod, der die letzte von allen ist, uns nicht ereilt, so muß ein Wechsel folgen, nicht vom Schlimmen zum Schlimmeren, sondern vom Unglück zum Glück, und zu immer größerem Heil. Die Freude aber, welche Gott mir geschenkt hat, indem er mir meine Schwester wiedergab, sie, die wahre und einzige Urheberin all meiner Leiden und Freuden, scheint mir eine Bürgschaft zu sein, daß ich noch den höchsten Gipfel der Beseligung, die ich nur träumen kann, erreichen werde. Durch diesen erfreulichen Gedanken gestärkt, knüpfe ich meine Geschichte bei dem Punkte wieder an, wie ich das Schiff der Corsaren erobert hatte und von ihnen erfuhr, meine Schwester, Clelia und die Neuvermählten seien dem hier gegenwärtigen Prinzen Arnaldo verkauft.

Indem meine Leute das eingefrorene Schiff durchsuchten und die vorhandenen Lebensmittel entdeckten, sahen wir plötzlich von der Landseite her eine bewaffnete Schaar von mehr als viertausend Mann heranrücken. Wir erstarrten bei diesem Anblick noch mehr als das gefrorne Gewässer, und bereiteten unsre Waffen nur, um als Männer zu sterben, und nicht zu unserer Vertheidigung. Die Ankommenden gingen auf einem Fuße, und flogen, indem sie sich mit dem rechten Fuße einen Stoß gegen die linke Ferse gaben, ein großes Stück auf dem Eise dahin, darauf erneuerten sie den Stoß und gleiteten nun wieder eine lange Strecke fort. Auf diese Weise hatten sie uns in wenig Augenblicken erreicht und umringten uns von allen Seiten. Einer aus ihnen, der, wie wir hernach erfuhren, der Anführer war, kam dem Schiffe so nahe, daß seine Stimme gehört werden konnte, und indem er mit einem weißen Tuche, das er in der Luft schwenkte, das Friedenszeichen gab, rief er uns deutlich in polnischer Sprache zu:

›Cratilo, der König von Lithauen und Beherrscher dieser Meere, pflegt sie um diese Zeit stets von bewaffneter Mannschaft durchstreichen zu lassen, um die Schiffe, welche im Eise fest gefroren sind, oder doch wenigstens Menschen und Güter zu retten. Er macht sich für diese Wohlthat dadurch bezahlt, daß er die Güter für sein Eigenthum erklärt. Ist es euer Wille, diesen Vertrag einzugehen und euch nicht zur Wehr zu setzen, so sollt ihr Leben und Freiheit behalten und durchaus keine Gefangenen werden. Überlegt, was ihr thun wollt, und verwerft ihr diese Bedingung, so vertheidigt euch gegen unsere stets siegreichen Waffen.‹

Die Kürze und Entschlossenheit Dessen, der uns anredete, gefiel mir wohl, und ich sagte ihm, er möge uns Zeit zur Überlegung gönnen. Alle meine Gefährten stimmten mir darin bei, das letzte und größte aller Übel sei der Tod, und deshalb müsse ein Jeglicher durch alle möglichen Mittel sein Leben zu erhalten suchen, sofern er keine Nichtswürdigkeit dadurch begehe; da nun der Vertrag, der uns angeboten ward, auf keine Weise beschimpfend sei, und der Tod eben so gewiß als die Vertheidigung zweifelhaft, so würden wir am besten thun, uns zu ergeben und dem Unglück, das uns verfolgte, zu weichen, weil uns das Leben vielleicht für bessere Zeiten erhalten wäre.

Diese Antwort gab ich auch ungefähr dem Anführer der Schaar; alsbald griffen sie mehr auf kriegerische als friedliche Weise das Schiff an, und augenblicklich war es auch rein ausgeplündert. Sie legten Alles, was sie gefunden, selbst die Kanonen und das Tafelwerk, auf Stierhäute, die sie auf dem Eise ausgebreitet hatten und dann oben zusammenbanden, damit nichts herausfallen möge, darauf zogen sie sie mit Stricken hinter sich her. Sie nahmen auch Alles mit, was sie in unserm Schiffe fanden, setzten dann auch uns auf dergleichen Häute, zogen uns fort indem sie ein fröhliches, Geschrei erhoben, und brachten uns so an das Land, was wol noch zwanzig Meilen von jenem Ort entfernt war. Mir erschien es höchst merkwürdig, daß so vieles Volk trocknen Fußes über das Meer wandelte, ohne daß der Himmel dies durch ein Wunder bewirkte.

Wir erreichten endlich in der Nacht das Ufer, welches wir, da wir am andern Morgen unsre Reise fortsetzen wollten, mit zahllosen Menschen bedeckt sahen, die gekommen waren, um die Beute der Eingefrorenen zu beschauen. Auf einem stattlichen Rosse prangte unter der Menge der König Cratilo, den wir an den fürstlichen Insignien, mit denen er geschmückt war, erkannten. Ihm zur Seite ritt eine wunderschöne Frau, sie trug eine glänzend weiße Rüstung, die durch den schwarzen Schleier leuchtete, den sie übergehangen hatte. Ihre Schönheit und der edle Anstand des Königs Cratilo zog meine Blicke nach sich, und da ich die Dame genauer betrachtete, erkannte ich die schöne Sulpicia wieder, welcher die Großmuth meiner Genossen vor kurzer Zeit die Freiheit geschenkt hatte. Der König nahte sich, um die Gefangenen zu betrachten, der Anführer faßte mich bei der Hand und führte mich ihm entgegen, indem er sprach:

›In diesem Jüngling, o tapfrer König Cratilo, glaube ich Dir die reichste Beute darzustellen, welche ein menschliches Auge je gesehen hat.‹

›Heiliger Gott!‹ rief die schöne Sulpicia, indem sie eilig vom Pferde stieg, ›täuscht mich nicht mein Auge, so ist dies mein Befreier Periander.‹

Bei diesen Worten umschlang sie mich mit ihren Armen, und als der König Cratilo die Zeichen einer so ungewöhnlichen Freude sah, stieg er gleichfalls vom Pferde und begrüßte mich nicht minder liebevoll. Noch vor wenig Augenblicken hatte kein Strahl der Hoffnung meinen armen Fischern geleuchtet; aber nun ward ihr Muth belebt, bei dem Ausbruch der Freude, womit ich bewillkommt ward. Freudenthränen entflossen ihren Augen und Dankgebete entströmten ihren Lippen für die unverhoffte Gnade, die Gott ihnen gewährte und die ihnen nicht nur als eine Wohlthat, sondern vielmehr als eine wunderbare Beglückung erschien. Sulpicia sprach zu Cratilo:

›In diesem Jüngling vereinigt sich die feinste Sitte mit der edelsten Großmuth; und obwol ich Dies aus der Erfahrung weiß, so wird es Deine Klugheit schon in seiner edeln Erscheinung erkennen und als wahr annehmen. (Ihr seht wol, daß Dankbarkeit und auch Täuschung sie diese Worte sprechen ließ.) Dieser ist es, der mir die Freiheit gab, nach dem Tode meines Gemahls, und ohne übermüthig zu sein, meine Geschenke nicht annehmen wollte. Dieser ist es, der mein Kleinod empfing und es mir kostbarer zurückgab, indem er ihm den Wunsch beifügte, mir noch größere Dienste leisten zu können. Dieser ist es endlich, der für mich sorgte und auch seine Leute bewog, sich meiner anzunehmen, indem er mir zwölf seiner Gefährten mitgab. Diesen Mann siehst Du hier vor Dir.‹

Ich glaube, daß ich bei diesen zu schmeichelhaften und übertriebenen Lobsprüchen erröthete. Ich wußte nichts zu erwiedern, beugte meine Kniee vor dem König Cratilo und bat ihn, mir die Hand zum Kusse zu reichen, was er aber nicht that, sondern mich vom Boden aufhob.

Die zwölf Fischer, welche Sulpicia begleitet hatten, suchten unterdeß ihre Gefährten unter der Menschenmenge auf. Sie umarmten einander und erzählten sich voll Freude ihre guten und bösen Schicksale. Die Neuangekommenen machten übertriebene Schilderungen von der überstandenen Kälte, und die Andern von ihrem erworbenen Reichthum. ›Mir,‹ rief Einer, ›hat Sulpicia diese goldene Kette geschenkt.‹ ›Und mir‹ sprach ein Anderer, ›gab sie diesen Edelstein, der zwei Mal so viel werth ist als Deine Kette.‹ ›Ich,‹ fiel ein Dritter ein, ›habe eine große Summe Geldes von ihr bekommen.‹ ›Und mir,‹ rief wieder Einer, ›schenkte sie diesen Diamantring, der mehr gilt als was ihr Alle zusammen empfangen habt.‹

Diese Reden wurden durch einen Lärm unterbrochen, der sich im Volke erhob, und von einem mächtigen Berberhengst herrührte, den zwei rüstige Diener am Zügel führten, aber seine Wildheit nicht zu bändigen vermochten. Das Roß war von schwarzer Farbe und mit weißen Flecken übersäet, was ihm ein sehr schönes Ansehen gab; es war ohne Sattel, denn den ließ es sich nur vom König auflegen, zeigte aber keinen Respect mehr für diesen, sobald er aufgestiegen war, denn tausend Hindernisse, die sich ihm entgegenstellten, wären dann nicht fähig gewesen, seine Wildheit in Schranken zu halten. Der König war darüber so betrübt, daß er Dem, der dem Rosse seine Unart abgewöhnen konnte, gern eine Stadt zur Belohnung gegeben hätte. Dies Alles erzählte mir der König mit kurzen Worten, und ich beschloß in noch kürzerer Zeit, Das zu thun, was ihr nun hören sollt.«

So weit war Periander mit seiner Erzählung gekommen, da hörte Arnaldo, wie von jener Seite her, wo das Schiff lag, sich Schritte näherten. Er stand auf, legte die Hand an das Schwert und erwartete den Ausgang mit kühnem Muthe. Periander schwieg und die Frauen harrten in Angst, so wie die Männer, vorzüglich Periander, mit Entschlossenheit, auf Das, was kommen würde. Bei dem blassen Lichte des Mondes, der, von Wolken bedeckt, nur einen matten Schein verbreitete, sahen sie nun zwei Gestalten herannahen, die sie nicht deutlich unterscheiden konnten, von denen aber die eine mit deutlicher Stimme sprach:

»Wer ihr auch sein mögt, erschreckt nicht vor unsrer plötzlichen Erscheinung; denn wir kommen nur, um euch zu dienen. Diesen einsamen, wüsten Aufenthalt könnt ihr mit einem besseren vertauschen, wenn ihr uns zu unserer Wohnung begleiten wollt, die auf jenem Hügel liegt. Dort findet ihr Licht, Feuer und Speise, die, wenn auch nicht auserlesen, doch wohlschmeckend ist und den Hunger stillt.«

Periander erwiederte: »Seid ihr vielleicht Renato und Eusebia, das treue, tugendhafte Paar, das der Ruf mit tausend Zungen nennt und preist?«

»Wenn ihr uns das unglückliche Paar Anspielung auf Lukas 9, 32. ( Anm.d.Hrsg.) nennt,« antwortete die Gestalt, »so werdet ihr uns richtiger bezeichnen. Aber wir sind Die, welche ihr meint, und welche euch mit aufrichtiger Liebe die Gastfreundschaft anbieten, welche unsere Armuth gewähren kann.«

Arnaldo war der Meinung, das Erbieten anzunehmen, da das nahende Unwetter sie dazu nöthige. Alle erhoben sich und folgten Renato und Eusebia, die voranschritten. Als sie die Spitze des Hügels erreicht hatten, sahen sie zwei Einsiedeleien, die wol ein ärmliches Obdach gewährten, aber das Auge nicht durch ihre Zierlichkeit ergötzen. Sie gingen in die hinein, welche etwas größer schien als die andere, und in der zwei Lampen brannten, bei deren Licht sie die Gegenstände unterscheiden konnten. Sie sahen einen Altar mit drei heiligen Bildnissen; das eine stellte den Urheber des Lebens dar, am Kreuze sterbend; das andere die Königin des Himmels, die Herrin der Freude, schmerzvoll zu den Füßen Dessen, der die Erde mit seiner Hand bedeckt; das dritte Bild war der geliebte Jünger, der schlafend mehr schaute, als der Himmel mit allen seinen Sternenaugen sieht.

Alle knieten nieder, und nachdem sie ihr Gebet mit Andacht verrichtet hatten, führte Renato sie in ein anderes Gemach, welches sich neben diesem befand, und in das man durch eine Thüre gelangte, die dicht bei dem Altar war.

Um kurz zu sein (denn Kleinigkeiten vertragen und gestatten keine weitläuftige Beschreibung), übergehen wir mit Stillschweigen, was sich hier begab, und sagen nichts von der ärmlichen Mahlzeit und der kargen Bewirthung, die nur durch die Freundlichkeit der Einsiedler gewürzt ward. Sie trugen dürftige Gewänder und ihre Jahre reichten schon an die Grenzen des Greisenalters, doch zeigte Eusebia's Angesicht noch die Spuren einer ungewöhnlichen Schönheit.

Auristela, Transila und Constanza blieben in diesem Gemach, wo ihnen Betten von getrocknetem Kalmus und andern duftenden Kräutern bereitet wurden, die einen angenehmen Geruch verbreiteten, aber ziemlich unbequem waren. Die Männer vertheilten sich in der Einsiedelei in verschiedenen Behältern, die eben so kalt als hart, und eben so hart als kalt waren.

Die Zeit ging mit ihrem gewöhnlichen Schritt vorüber. Die Nacht, verschwand und der Tag stieg hell und glänzend herauf. Das Meer lag eben und friedlich da, als wolle es die Reisenden zu neuer Schifffahrt einladen; sie hätten sich auch gleich dazu entschlossen, wäre nicht der Steuermann gekommen, um ihnen zu sagen: dem Wetter sei nicht zu trauen, und obwol es eine ruhige Fahrt verheiße, würde sich doch bald das Gegentheil zeigen. Alle fügten sich seiner Meinung, denn vom Seewesen versteht der einfältigste Matrose mehr, als der größte Gelehrte.

Die Frauen verließen ihre duftigen Lager und die Männer erhoben sich von dem harten Stein, Alle betrachteten von dem Hügel herab die liebliche kleine Insel, welche höchstens zwölf Meilen im Umkreis haben mochte; sie war aber reichlich mit Fruchtbäumen besetzt, von frischen Quellen durchrieselt und mit grünen Kräutern und duftenden Blumen bedeckt, so daß sie alle Sinne labte und erfreute.

Als einige Stunden des Tages verflossen waren, fanden sich die beiden ehrwürdigen Eremiten wieder bei ihren Gästen ein, sie bestreuten den Fußboden mit getrocknetem und frischem Kalmus, und breiteten auf diese Weise einen Teppich aus, der glänzender war als die, welche die Paläste der Könige schmücken. Sie trugen nun Früchte mannichfacher Art auf, sowol frische als getrocknete, und Brot, welches nicht weich, sondern alt wie Schiffszwieback war. Sie schmückten das Mahl auch mit künstlich gearbeiteten Gefäßen von Kork, die ein krystallhelles Wasser enthielten. Die zierliche Anordnung, die lieblichen Früchte und das klare Wasser, das glänzend in der dunkeln Einfassung funkelte, vorzüglich aber der Hunger nöthigte die Gäste und zwang sie sogar, sich zu diesem Tische zu setzen. Nach der schmackhaften, bald vollendeten Mahlzeit bat Arnaldo den Renato, ihnen seine Lebensgeschichte zu erzählen und die Ursache, welche ihn zu dieser Strenge und diesem einsamen Aufenthalt gebracht hatte. Renato, dem, als einem Ritter, die Höflichkeit angeboren war, ließ sich nicht zwei Mal bitten und begann folgender Weise die Erzählung seiner wahrhaften Geschichte.

 


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