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Einundzwanzigstes Capitel.

Periander erzählt, was ihm mit Cratilo's schönem und wunderbarem Roß begegnete.


» Die Größe, Schönheit und Wildheit des Pferdes, das ich euch beschrieben, hatten Cratilo ganz bezaubert, und er wünschte eben so sehr, es gebändigt zu sehen, als ich danach verlangte, ihm einen Dienst zu leisten; denn der Himmel schien diese Gelegenheit herbeigeführt zu haben, damit ich mich den Augen Dessen angenehm machen könne, der jetzt mein Gebieter war, und das Lob, welches die schöne Sulpicia mir gespendet hatte, wenigstens in Etwas bestätigen.

Mit mehr Eile als Überlegung lief ich nach dem Pferde, sprang hinauf ohne den Fuß in den Bügel zu setzen, denn es hatte keinen, und stürzte mit dem Roß davon, ohne es durch den Zügel zurückhalten zu können. Ich gelangte auf die Spitze eines Felsen, der über das Meer hinaushing, und drückte das Thier nun so mit meinen Schenkeln, daß ich es, ihm zum Verdruß und mir zur Freude, zwang, von dem Felsen hinunter in die Tiefe des Meeres zu springen. Erst während des Sprunges fiel es mir ein, daß das Meer gefroren war und daß der Fall mich zerschmettern würde; ich hielt also meinen und des Pferdes Tod für gewiß; aber es kam nicht so, und der Himmel, der mich für Absichten, die nur ihm bekannt sind, bewahrte, nahm mich in seinen Schutz. Die Beine des gewaltigen Rosses widerstanden dem Sturz, und ich litt keinen andern Schaden, als daß ich herunterfiel und ein großes Stück auf dem Eise hinglitt. Es war Keiner am Ufer, der mich nicht für todt gehalten hätte; da sie aber sahen, wie ich unbeschädigt aufstand, hielten sie die Begebenheit für ein Wunder und meine Kühnheit für Wahnsinn.«

Sehr schwer wurde es Mauricio, an diesen schrecklichen Sturz zu glauben, bei dem das Pferd sich dennoch nicht verletzt hatte, und er wollte lieber, es hätte drei oder vier Beine zerbrochen, als daß Periander von der Gefälligkeit seiner Zuhörer verlangte, an diesen ungefügen Sprung zu glauben. Aber das Ansehen, das Periander bei Allen genoß, war so groß, daß sie keinem Zweifel Raum gaben; denn so wie es die Strafe des Lügners ist, daß ihm Keiner glaubt, auch wenn er die Wahrheit sagt, so ist es der Ruhm des Wahrhaftigen, daß ihm geglaubt wird, auch wenn er lügt. Da Mauricio's Gedanken Perianders Rede nicht unterbrechen konnten, erzählte er also weiter:

»Ich führte das Roß an das Ufer zurück, stieg noch einmal auf, ritt wieder auf denselben Punkt und wollte es von Neuem zwingen, sich hinab zu stürzen. Aber es war nicht dahin zu bringen, denn so wie es auf der Höhe war, stemmte es sich so gewaltsam gegen den Sprung, daß es sich auf die Hinterbeine setzte, den Zügel zerriß und sich fest an den Boden drückte; dabei war es über den ganzen Körper mit Schweiß bedeckt und in so großer Angst, daß ich es aus einem Löwen in ein Lamm, und aus einem wilden Thier in ein edles Roß verwandelt hatte, so daß ein Knabe es regieren konnte und die Stallmeister des Königs es bestiegen und mit Sicherheit umherritten, wodurch sich erst seine Kraft und Zierlichkeit entwickelte, die bisher noch nie zum Vorschein gekommen. Der König war äußerst vergnügt, und Sulpicia freute sich, daß ich durch mein Thun ihr Wort gerechtfertigt hatte.

Drei Monate hielt der harte Frost an, und während dessen wurde ein Schiff fertig gebaut, das der König dazu bestimmt hatte, zur gelegenen Zeit jene Meere zu durchkreuzen und sie von Seeräubern zu reinigen, durch deren Schätze er sich bereicherte. Ich begleitete ihn unterdessen auf der Jagd, wo ihm meine Geschicklichkeit und Kenntniß, so wie meine Ausdauer in Anstrengungen zu Nutze kam. Nichts hat so viel Ähnlichkeit mit dem Kriege, als die Jagd, auf der man Ermüdung, Hunger und Durst ertragen lernt, ja, nicht selten sogar in Lebensgefahr geräth.

Die schöne Sulpicia zeigte sich außerordentlich freigebig gegen mich und die Meinigen, und der König Cratilo blieb in der Großmuth nicht hinter ihr zurück. Die zwölf Fischer, welche Sulpicia begleitet hatten, waren schon reich, und die mit mir so Hartes erduldeten, machten nun ihr Glück. Das Schiff war fertig geworden, und der König befahl, es aufzutakeln und reichlich mit allem Nöthigen zu versehen; dann machte er mich zum Capitain desselben und legte mir keine andere Verpflichtung auf, als zu thun was mir gut dünken wurde. Ich küßte die Hand des Königs und dankte ihm für diese Gabe, indem ich ihn zugleich um Erlaubniß bat, meine Schwester Auristela aufzusuchen, von der ich vernommen hatte, sie sei in der Gewalt des Königs von Dänemark.

Cratilo erlaubte mir, ganz nach eignem Willen zu verfahren, indem er sagte, meine Thaten verdienten einen noch weit höheren Lohn. Dies war recht wie ein König gesprochen, dem es nicht nur geziemt, Wohlthaten zu erzeigen, sondern dies auch auf eine leutselige Art zu thun. Soll nun noch von feiner Sitte die Rede sein, so zeigte sich hierin Sulpicia musterhaft, und war dabei so freigebig, daß wir uns Alle bereichert und höchst zufrieden einschifften, ohne daß ein Einziger meiner Gefährten zurückblieb.

Zuerst wendeten wir uns nach Dänemark, wo ich meine Schwester zu finden hoffte, aber nichts fand als die Nachricht, daß sie mit mehreren andern Jungfrauen am Ufer des Meeres von Corsaren geraubt worden sei. Meine Drangsale waren also noch nicht geendigt und meine Schmerzen erneuerten sich, so wie Carino's und Solercio's Kummer, die fest überzeugt waren, daß ihre Verlobten das Unglück und die Gefangenschaft meiner Schwester theilten.«

»Sie hatten Recht,« fiel Arnaldo ein, und Periander fuhr fort:

»Wir durchkreuzten alle Meere, umschifften alle, oder doch die meisten Inseln dieser Gegend und fragten überall nach meiner Schwester, denn ich dachte immer, und dies mögen mir alle schönen Frauen vergeben, der Glanz ihres Angesichts könne nicht unbemerkt bleiben, sondern müsse auch aus der dunkelsten Verborgenheit hervorleuchten, und ihr seltner Verstand müsse sie, wie der Faden der Ariadne, aus dem verschlungensten Labyrinth herausführen.

Wir nahmen Corsaren gefangen und schenkten Gefangenen die Freiheit. Manches Eigenthum gaben wir den rechtmäßigen Besitzern zurück und bereicherten uns durch die mit Unrecht erworbenen Güter. Da nun endlich unser Schiff mit Schätzen beladen war, wünschten meine Genossen, zu ihren Netzen zurückzukehren und in die Arme der Ihrigen. Auch Carino und Solercio bildeten sich ein, sie würden vielleicht ihre Verlobten in der Heimath wiederfinden, die sie in fremden Ländern vergeblich gesucht hatten.

Wir kamen vorher noch an eine Insel, die, wie ich glaube, Scinta heißt, hier hörten wir von Polykarps Festen, und empfanden ein Verlangen, sie zu sehen; unser Schiff konnte nicht an's Land, weil der Wind uns entgegen war, und so bestiegen wir als Matrosen gekleidet das Boot, wie ich schon erzählt habe. Dort gewann ich die Preise und wurde als Sieger in allen Spielen gekrönt; deshalb wünschte Sinforosa zu wissen, wer ich sei, wie ihre eifrigen Nachforschungen zeigten.

Als ich nach dem Schiffe zurückgekehrt war, und meine Gefährten entschlossen fand, sich von mir zu trennen, bat ich sie, mir zum Lohn für alle Beschwerden, die ich mit ihnen ertragen, das Boot zu überlassen; sie thaten es gern und hätten mir auch das Schiff gegeben, wenn ich es verlangte, denn sie sagten, sie trennten sich nur von mir, weil sie glaubten, was ich suche, sei unmöglich zu finden, wie es uns die Erfahrung durch so viele Mühseligkeiten gelehrt habe. Sechs von den Fischern entschlossen sich endlich noch, mich zu begleiten, von meinen Geschenken sowol, wie von meinen Versprechungen angelockt.

Ich umarmte meine Freunde und schiffte mich ein, indem ich meinen Lauf nach jener Insel der Barbaren richtete. Schon seit lange waren mir die Gebräuche ihrer Einwohner sowie die wahnsinnige Prophezeihung derselben bekannt, was ich auch nicht wiederhole, da ihr es schon wißt. Ich scheiterte an dem Ufer der Insel, wurde gefangen genommen und kam so zu den lebendig Begrabenen. Am andern Tage zogen sie mich heraus um mich zu opfern, da kam der Sturm, die Balken, auf denen ich schwamm, wurden auseinander gerissen, und ich wurde, auf einem Stück des Flosses, ins offene Meer hinausgetrieben, eiserne Ketten um den Hals und Fesseln an den Händen.

Der Prinz Arnaldo, der hier unter uns ist, erbarmte sich mein, und verschaffte mir Eingang auf der Insel, um meine Schwester zu suchen, ohne zu wissen, daß ich ihr Bruder war. Den andern Tag sah ich Auristela in Männertracht, indem sie geopfert werden sollte. Ich erkannte sie, ihr Unglück zerriß mir das Herz, und ich verhütete ihren Tod, indem ich erklärte, sie sei eine Frau, was Clelia, ihre Amme, die sie begleitete, auch schon gethan hatte.

Meine Schwester wird euch, wenn sie will, selbst erzählen, wie sie und die alte Clelia dorthingekommen waren. Was auf der Insel geschah, wißt ihr, und wenn meine Schwester ihre Erzählung der meinigen noch beifügt, so wird euer Wunsch erfüllt, und ihr werdet genau von unsern Begebenheiten unterrichtet sein.«

 


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