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Siebenzehntes Capitel.

Periander setzt seine Erzählung fort.


» Ich erwachte, wie gesagt, aus dem Schlaf, und hielt Rath mit meinen Gefährten, wohin wir uns nun wenden wollten. Es ward wieder beschlossen; uns von dem Winde treiben zu lassen; denn da wir Seeräuber suchten, die niemals gegen den Wind fahren, konnten wir sie so am sichersten finden.

Die Täuschung meiner Sinne war so groß, daß ich Carino und Solercio fragte, ob sie ihre Verlobten auch bei meiner Schwester Auristela gesehen hätten. Sie lachten über meine Frage und nöthigten mich, ihnen meinen Traum zu erzählen.

Zwei Monate. schifften wir umher, ohne daß uns irgend etwas Bemerkenswerthes begegnete, obwol wir die See von mehr als sechzig Corsarenschiffen säuberten. Weil diese wirklich Räuber waren, eigneten wir uns ihre Güter zu und füllten unser Schiff mit reicher Beute, worüber meine Gefährten sehr erfreut waren. Sie bereuten es nie, den Stand der Fischer mit dem der Piraten vertauscht zu haben; denn sie beraubten Niemand anders als Räuber, und eigneten sich nur gestohlene Güter zu.

Es begab sich darauf, daß sich in einer Nacht ein scharfer Wind erhob, der uns keine Zeit ließ, die Segel einzuziehen oder zu streichen, sondern so heftig hineinblies und das Schiff forttrieb, daß wir mehr als einen Monat in derselben Richtung segelten. Mein Steuermann hatte an der Stelle, wo der Wind uns faßte, die Polhöhe aufgenommen, und als er nun die Meilen, die wir stündlich machten, und die Tage unserer Schifffahrt berechnete, fand er, daß wir ungefähr vierhundert Meilen zurückgelegt hatten. Er nahm nun wieder die Polhöhe auf, und da er sah, daß wir uns unter dem Nordstern in der Nähe von Norwegen befanden, rief er mit lauter Stimme und in großer Betrübniß:

›Wehe uns Unglücklichen! Wenn der Wind uns nicht gestattet umzuwenden und eine andere Richtung einzuschlagen, so endigt hier unser Leben; denn wir sind in das Eismeer gerathen, und überfällt. uns hier der Frost, so bleiben wir eingemauert in diesen Gewässern.‹

Kaum hatte er ausgesprochen, so fühlten wir schon, daß das Schiff mit den Seiten und dem Kiel auf bewegliche Felsen stieß, woraus wir erkannten, wie das Meer schon anfing zu frieren, und wie die Eisberge, welche sich unter dem Wasser bildeten, den Lauf des Schiffes hemmten. Wir zogen schnell die Segel ein, damit unser Fahrzeug nicht, wenn es auf die Eisklumpen stieß, gespalten würde. Diesen Tag und die folgende Nacht fror aber das Meer so hart und fest zu, daß wir ganz eingeschlossen waren, und unser Schiff so fest im Eise stand, wie ein Stein, der in einen Ring gefaßt ist.

Durch den Frost schwoll uns zugleich der Körper auf, und unser Gemüth versank in tiefe Traurigkeit. Die Todesfurcht ergriff uns in dieser augenscheinlichen Gefahr mit allen ihren Schrecken, und wir zahlten die Tage unsers Lebens nur nach der Dauer unsrer Vorräthe ab, die das Schiff noch hatte. Diese wurden nun berechnet und so sparsam und kärglich ausgetheilt, daß wir schon jetzt fast alle Qualen des Hungertodes empfanden.

Wir schauten nach allen Seiten aus, ohne Etwas zu erblicken, was unsere Hoffnung neu beleben konnte. Nur eine schwarze Masse entdeckten wir in der Ferne, die etwa sechs oder acht Meilen weit von uns sein konnte, und wir hielten diese Erscheinung für ein Schiff, das von demselben Unheil ergriffen wie wir, auch im Eis gefangen saß.

Aus allen Lebensgefahren, die ich bestanden, war keine entsetzlicher als diese; denn eine fortdauernde Angst und ein verzögerter Schlag quält die Seele mehr als der plötzliche Tod; und ein schneller Übergang spart uns die Schrecken und Ängste, welche den Tod begleiten und schlimmer sind, als der Tod selbst.

Die langsame Qual des Verhungerns, welcher wir entgegensahen, führte uns zu einem Entschluß, der, wenn auch nicht verzweiflungsvoll, doch tollkühn war. Wir überlegten nämlich, daß, wenn unsre Vorräthe verzehrt waren, wir dem Hungertode nicht entfliehen konnten, der das Fürchterlichste ist, was die menschliche Einbildungskraft sich vorstellen kann; deshalb beschlossen wir, aus dem Schiffe zu steigen, und auf dem Eise nach jenem Gegenstande, den wir gesehen hatten, hinzugehen, um zu untersuchen, ob wir dort irgend eine Hülfe fänden, die wir im Guten oder mit Gewalt in Anspruch nehmen wollten. Unser Vorsatz wurde ausgeführt, und auf dem Wasser stand alsbald trocknen Fußes eine kleine, aber tapfre Schaar von Kriegern, deren Anführer ich war. Ausglitschend, fallend und wieder aufstehend gelangten wir endlich zu dem anderen Schiffe; das war es wirklich, und fast eben so groß als das unsrige. Es waren Menschen darin, die sich auf den Bord gestellt hatten, und unsere Absicht zu errathen schienen, denn einer von ihnen rief uns mit lauter Stimme zu:

›Was wollt ihr, Unselige? was sucht ihr? Kommt ihr her, um unsern Tod zu beschleunigen und zugleich mit uns zu sterben? Kehrt in euer Schiff zurück, und wenn ihr keine Nahrungsmittel mehr habt, so kaut an den Tauen, und füllt euren Magen mit den betheerten Bretern, wenn es euch möglich ist; denn wenn ihr euch einbildet, daß wir euch aufnehmen sollen, so irrt ihr euch, da dies gegen alle Vorschriften der Liebe stritte, die bei sich selbst anfangen muß. Zwei Monat, heißt es, dauert diese Kälte, und wir haben nur für vierzehn Tage Lebensmittel, deshalb fragt euch selbst, ob wir sie mit euch theilen können.‹

Ich antwortete darauf: ›In so dringender Gefahr gelten keine vernünftigen Gründe, keine Rücksichten werden beachtet, und keine Übereinkünfte geschlossen. Nehmt uns gutwillig in euerm Schiffe auf; wir wollen die Lebensmittel, welche noch in dem unsrigen sind, auch hierher bringen und sie freundschaftlich mit einander verzehren. Geht ihr Dies nicht ein, so zwingt uns die Noth, zu den Waffen zu greifen und Gewalt zu brauchen.‹

So sprach ich, weil ich ihrer Aussage in Betreff der Lebensmittel nicht glaubte. Jene aber, ihrer größeren Anzahl und vortheilhafteren Stellung vertrauend, fürchteten weder unsere Drohungen, noch ließen sich von unsern Bitten erweichen, sondern griffen zu den Waffen und setzten sich in Vertheidigungsstand. Meine tapfern Soldaten, aus denen die Verzweiflung Helden machte und ihrer Kühnheit neue Kräfte einflößte, griffen das Schiff an und eroberten es, fast ohne verwundet zu werden.

Nun erhob sich ein einstimmiger Ruf unter meinen Leuten, alle Feinde niederzuhauen, um die Esser zu vermindern, welche die Vorräthe verzehrten, die wir im Schiffe finden würden. Ich widersetzte mich diesem Vorsatz, und wahrscheinlich zum Lohn für meine Großmuth kam der Himmel uns zu Hülfe, wie ich nachher erzählen werde. Erst muß ich noch sagen, daß dies das Schiff der Corsaren war, die meine Schwester und die neu vermählten Fischerinnen geraubt hatten. Kaum erkannte ich es, so, rief ich mit lauter Stimme:

›Wo verbergt ihr unser Liebstes? O ihr Räuber! gebt uns das Leben zurück, das ihr uns entrissen! Was habt ihr mit meiner Schwester Auristela gemacht, und mit Selviana und Leoncia, den höchsten Gütern meiner Freunde Carino und Solercio?‹

Einer der Corsaren erwiederte: ›Die Fischerfrauen, nach denen Du fragst, verkaufte unser Capitain, der nun todt ist, dem Prinzen Arnaldo von Dänemark.‹«

»So ist es,« fiel Arnaldo ihm in die Rede, »ich kaufte Auristela und Clelia, und noch zwei schöne Mädchen von einigen Seeräubern, die sie mir anboten, aber nicht für einen so hohen Preis, als sie werth waren.«

»Um Gottes willen!« rief Rutilio aus, »durch welche Umschweife und Verschlingungen verknüpft sich diese Deine wunderbare Geschichte, Periander!«

Sinforosa fügte hinzu: »Der Freundschaft wegen, die wir Alle für Dich haben, kürze nun Deine Geschichte ab, o Du eben so wahrhafter als geschickter Erzähler!«

»Das will ich thun, entgegnete Periander; »wenn es möglich ist, daß große Dinge sich in enge Schranken einschließen lassen.«

 


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