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Eilftes Capitel.

Periander erzählt die Begebenheiten feiner Reise.


» Als Anfang und Einleitung der Geschichte, die ich euch, meine Freunde, nach eurem Wunsche erzählen werde, bitte ich, daß ihr euch meine Schwester und mich, nebst ihrer bejahrten Erzieherin denkt, wie wir uns in einem Schiffe befinden, dessen Besitzer sich für einen Kaufmann ausgab, der aber ein gewaltiger Seeräuber war. Wir streiften an die Küsten einer Insel, ich meine, wir fuhren so dicht daran vorüber, daß wir nicht nur die Bäume erkannten, sondern auch jeden in seiner Art und Weise unterschieden. Meine Schwester, ermüdet von der Seereise, die schon mehrere Tage gedauert hatte, wünschte ans Land zu steigen, um sich etwas zu erholen, und bat den Capitain, er möge es ihr erlauben. Da nun bei ihr jede Bitte die Kraft eines Befehls hat, willigte der Capitain in ihr Begehren und ließ uns, mich, meine Schwester und Clelia, denn so hieß ihre Pflegerin, durch einen einzigen Matrosen in einem kleinen Boot an das Ufer fahren. Beim Anlanden entdeckte der Matrose einen unbedeutenden Fluß, der sich durch eine enge Mündung in das Meer ergoß, und zu beiden Seiten von frischen dichtbelaubten Bäumen beschattet war, deren grüne Zweige sich in seinem hellen Krystall spiegelten. Wir baten den Schiffer, das Flüßchen hinauf zu fahren, denn die Lieblichkeit des Platzes zog uns an. Er steuerte aufwärts, und da wir das große Schiff aus den Augen verloren hatten, legte er die Ruder aus den Händen und sprach zu mir:

›Denkt nun darüber nach, Verehrte, was ihr thun wollt, und glaubt mir, daß dieser kleine Nachen euer Schiff ist; denn zu jenem, das euch in der See erwartet, dürft ihr nicht zurückkehren, wenn diese Dame nicht ihre Ehre verlieren will, und Ihr, der Ihr Euch Ihren Bruder nennt, Euer Leben.‹

Er entdeckte mir nun; daß der Capitain die Absicht habe, meine Schwester zu entehren und mich zu ermorden. Er rieth uns, auf unsere Sicherheit zu denken, und versprach, uns zu begleiten, und unser Geschick zu theilen. Ob uns diese Nachricht erschreckte, mag Der beurtheilen, dem statt gehofften Glückes ein unerwartetes Unheil entgegentritt. Ich dankte dem Mann für seine Entdeckung, und versprach, ihn zu belohnen, wenn mein Glück einst besser sein würde.

›Welch ein günstiger Zufall,‹ sagte Clelia, ›daß ich die Juwelen meiner Gebieterin bei mir trage.‹

Wir Viere hielten nun Rath mit einander, was zu thun sei, und der Schiffer meinte, wir sollten den Fluß weiter hinauffahren, um vielleicht einen Ort zu finden, der uns schützte, wenn Die aus dem Schiffe etwa kommen sollten, uns zu suchen.

›Sie werden aber nicht kommen,‹ fuhr er fort, ›denn das Volk auf diesen Inseln hält jedes Fahrzeug, das sie die Ufer bestreichen sehen, für ein Corsarenschiff, und sobald sie eines oder mehrere gewahr werden, greifen sie zu den Waffen und setzen sich in Vertheidigungsstand. Deshalb kommen die Seeräuber nur glücklich davon, wenn sie nächtliche Einfälle machen und die Leute überraschen.‹

Sein Rath schien mir gut. Ich nahm das eine Ruder und theilte die Arbeit mit ihm; so schifften wir stromaufwärts, und nachdem wir etwa zwei Meilen zurückgelegt hatten, vernahmen wir den Klang verschiedener Instrumente, und es zeigte sich uns ein wunderbares Schauspiel: wandelnde Bäume durchschritten das Wasser und gingen von einem Ufer zum andern hinüber. Als wir näher kamen, entdeckten wir, daß Dies, was wir für Bäume gehalten, mit Zweigen besteckte Kähne waren, aus denen der Klang der Instrumente ertönte.

Kaum hatten Jene uns gesehen, so kamen sie näher, und umringten unser Schiff von allen Seiten. Meine Schwester erhob sich, und ihr schönes langes Haar floß über ihre Schultern nieder, über der Stirn mit einem rothen Bande gebunden, das Clelia ihr gegeben. Dies plötzliche Erscheinen hatte etwas einer Gottheit Ähnliches, wofür auch alle die Leute in den Schiffen sie hielten, wie wir nachher erfuhren; denn unser Matrose, der ihre Sprache verstand, sagte uns, sie hätten ausgerufen: ›Welch ein Anblick! Ist es eine Gottheit, die zu uns kommt, um dem Fischer Carino und der schönen Seldiana Glück zu bringen an ihrem Hochzeittage?‹ Sie hielten zugleich unser Schiff an, und ließen uns aussteigen, nicht weit von dem Platze, wo sie uns entgegengekommen waren.

Kaum hatten wir das Ufer betreten, so kam eine Schaar von Fischern, die wir an ihrer Tracht als solche erkannten. Sie stellten sich rings um uns her und küßten mit dem Ausdruck der Bewunderung und Verehrung, Einer nach dem Andern den Saum von Auristela's Kleide, welche trotz des Schreckens und der Angst, die sie bei den Eröffnungen des Schiffers empfunden, in diesem Augenblick so schön war, daß ich den Irrthum jener Menschen, die sie für ein göttliches Wesen hielten, verzeihlich fand.

Nicht weit vom Ufer war eine Art Thron errichtet, von dicken Stämmen des Säbenbaums gebaut, mit grünen Binsen bestreut, und duftend von den buntesten Blumen, die als Teppich davor ausgebreitet waren. Von diesem Sitz stiegen zwei Frauen und zwei junge Männer herab. Die eine der Frauen war über die Maßen schön und die andere in gleichem Grade häßlich; auch von den Männern war der eine ein lieblicher und zugleich kräftiger Jüngling, der andere aber weniger angenehm. Diese Viere knieten vor Auristela nieder, und der stattlichste der beiden Männer sprach:

›O Du, wer Du auch sein magst, denn ein himmlisches Wesen bist Du gewiß! mein Bruder und ich danken Dir, so innig und andächtig wir es vermögen, für die Gunst, die Du uns erzeigst, indem Du unser geringes, nun aber prächtiges Hochzeitfest, mit Deiner Gegenwart beehrst. Nahe Dich, Erhabene, und wenn, statt krystallner Paläste, die Du in der Tiefe des Meeres als eine seiner Beherrscherinnen bewohnst, Du in unsern Hütten auch nur Wände von Muscheln und geflochtene Dächer findest, oder vielmehr Dächer von Muscheln und geflochtene Wände, so ist doch die Verehrung, die wir Dir weihen, rein wie Gold, und der Wunsch, Dir zu dienen, echt wie Perlen. Ich mache diese vielleicht unpassende Vergleichung, weil ich nichts Kostbareres kenne wie Gold, und nichts Schöneres als Perlen.‹

Auristela neigte sich, um den Sprechenden aufzuheben, und bekräftigte durch ihre Würde, Anmuth und Schönheit den Glauben dieser Menschen. Der weniger ansehnliche Fischer entfernte sich, um der versammelten Menge zu befehlen, sie sollten ihre Stimmen zum Lobe der Fremden, zugleich mit allen Instrumenten, als Zeichen der Freude, ertönen lassen. Die beiden Fischerinnen, die häßliche und schöne, küßten Auristela in Demuth die Hände, und sie umarmte beide Frauen mit Anmuth und Freundlichkeit.

Der Matrose, höchst zufrieden mit dem guten Erfolg seiner Rathschläge, erzählte den Fischern von dem Schiff, das auf dem Meer geblieben war, wie es einem Corsaren angehöre, vor dem sie sich fürchteten, und der ans Land kommen werde, die schöne Jungfrau zu entführen, die eine vornehme Dame und Tochter eines Königs sei. Er hielt es nämlich für nöthig, Dies von meiner Schwester zu sagen, um ihr den Beistand dieser Leute zu sichern.

Sobald sie Dies vernommen, ließen sie die festlichen Instrumente verstummen, und ergriffen ihre Kriegsdrommeten, so daß nun der Ruf: ›zu den Waffen!‹ an beiden Ufern ertönte.

Indem kam die Nacht, und wir wurden in den Hütten der Neuvermählten beherbergt, und zugleich Wachen ausgestellt bis zur Mündung des Flusses. Viel der Anwesenden eilten zum Fischfang, spannten ihre Netze aus und bereiteten die Angelhaken, um die neuen Gäste zu bewirthen. Die beiden Neuvermählten trennten sich für diese Nacht von ihren Frauen, um ihre Hütten Auristela und Clelia zu überlassen und beschlossen, mit ihren Freunden, mir und unserm Schiffer vor denselben Wache zu halten. Obwol der Himmel hell war, der Vollmond leuchtete, und die zur Feier der Hochzeit angezündeten Feuerbecken brannten, meinte unser Wirth doch, es sei sicherer, daß die Männer im Freien und die Frauen in den Hütten das Nachtmahl hielten, welches so wohl bestellt und reichlich war, als wolle die Erde es dem Meer, und das Meer der Erde zuvorthun: so schmückten Fische und Fleischspeisen im Überfluß die Tafeln. Nach dem Abendessen ergriff Carino meine Hand, wir wandelten am Ufer entlang, sein Gemüth schien in heftiger Bewegung, und endlich sprach er unter Seufzern und Thränen:

›So wunderbar erscheint mir Deine Ankunft, solcher Zeit, unter solchen Umständen, und die Vollziehung meiner Heirath verzögernd, daß ich wirklich glaube, ich werde durch Deinen Rath eine Rettung aus meinem Elend finden. Magst Du mich nun für einen Thoren halten, und für einen Menschen von blöden Sinnen und schwacher Einsicht, so muß ich Dir doch entdecken, daß von jenen beiden Fischerinnen, die Du gesehen hast, und von denen die eine schön und die andere häßlich ist, das Schicksal mir die schöne, welche Selviana heißt, zur Braut bestimmte. Aber, ich weiß nicht, wie ich es Dir sagen soll, und wo Entschuldigung finden für meine Verschuldung und die Verwirrung meiner Sinne. Ich bete Leoncia, die häßliche, an, und kann nicht anders. Ich muß Dir auch bekennen, daß ich es nicht für Täuschung halte, wenn mir Leoncia die reizendste Frau auf der Welt scheint, indem ich mit dem Auge des Geistes die Schönheit ihrer Seele betrachte. Überdies habe ich auch aus mehr als einem Kennzeichen zu entdecken geglaubt, daß Solercio, so heißt der andere Bräutigam, aus Liebe zu Selviana stirbt. So handeln wir alle Vier gegen unsere Neigung, und dies geschieht nur, weil wir nicht ungehorsam gegen unsere Eltern und Verwandten sein wollen, welche diese Verbindung bestimmt haben. Ich kann aber nicht begreifen, weshalb ich eine Last auf meine Schultern nehmen soll, die ich mein ganzes Leben tragen muß, wenn sie mir ein fremder, und nicht mein eigner Wille auflegt. Diesen Abend sollten wir noch das Ja aussprechen, und unsere Freiheit in Fesseln schlagen lassen; da kommt Ihr an, nicht absichtlich, vielmehr, wie ich glaube, durch eine besondere Fügung des Himmels. So ward die Feierlichkeit verzögert, und wir gewannen Zeit, unser Geschick zu verbessern. Wie wir Dies nun bewerkstelligen sollen, dazu gib Du mir einen guten Rath; denn als Fremder bist Du unparteiisch, und wirst mir am besten sagen können, was ich thun soll, da ich fest entschlossen bin, wenn sich kein anderes Mittel zu meiner Rettung findet, die Heimat zu verlassen und nie wiederzukommen, so lange ich das Leben habe. Mögen mir nun meine Eltern zürnen, meine Verwandte mich tadeln, und meine Freunde sich betrüben.‹

Ich hatte ihm aufmerksam zugehört und plötzlich kam mir ein Hülfsmittel in den Sinn, und ich sprach ohne weiteres Nachdenken:

›Du hast nicht nöthig zu entfliehen, mein Freund, wenigstens nicht, ehe ich mit meiner Schwester Auristela gesprochen habe, denn so heißt die schöne Frau, die mit mir kam. Sie ist so verständig, daß sie nicht nur mit einer himmlischen Schönheit geschmückt, sondern auch von einem himmlischen Geiste beseelt scheint.‹

Wir kehrten hierauf zu den Hütten zurück. Ich erzählte meiner Schwester, was mir der Fischer anvertraut hatte, und sie wußte durch ihre Klugheit mein Versprechen zu erfüllen und Alle zufrieden zu stellen. Sie entfernte sich nämlich mit Leoncia und Selviana und sprach zu ihnen:

›Ihr müßt wissen, meine Freundinnen, denn von heute an sollt ihr es sein: außer der guten Gestalt, die der Himmel mir gegeben, hat er mich auch mit einem so scharfen durchdringenden Verstande beschenkt, daß ich, wenn ich das Angesicht eines Menschen erblicke, auch sogleich in seiner Seele lesen kann, und alle seine Gedanken errathen. Ihr selbst sollt mir das Zeugniß geben, daß Dies wahr ist. Du, Leoncia, liebst den Carino, und Du, Selviana, den Solercio. Jungfräuliche Schüchternheit hat eure Lippen geschlossen; aber meine Zunge soll euer Schweigen brechen, und durch meinen Rath, der gewiß angenommen wird, eure Wünsche in Erfüllung gehen. Schweigt und laßt mich handeln; denn entweder bin ich ohne Einsicht, oder eure Wünsche sollen erfüllt werden.‹

Die beiden Mädchen sprachen kein Wort; küßten aber Auristela die Hände und schlossen sie in ihre Arme, wodurch sie Das bejahten, was Jene gesagt, und ihre Einwilligung zu diesem Tausche gaben.

Die Nacht verging und der Tag brach an, dessen Licht mit Freudenbezeigungen begrüßt ward. Die Fischerkähne wurden von Neuem mit frischen Zweigen geschmückt, alle Instrumente ertönten in fröhlichen Weisen. Vom Jubelgeschrei der Fischer begleitet begaben sich die Brautpaare wieder auf den Thron, wo sie am vorigen Tage saßen. Selviana und Leoncia waren hochzeitlich geschmückt. Auch meine Schwester hatte ihre Kleider wieder angelegt, und ein Kreuz von Diamanten auf ihrer schönen Stirn und Perlen in ihren Ohren befestigt; diese Kleinodien sind von so hohem Werth, daß noch Niemand ihren Preis hat bestimmen können, wie ihr selbst glauben werdet, wenn ich sie euch zeige. Auristela schien mehr als ein sterbliches Wesen, sie ging zwischen Selviana und Leoncia, bestieg mit ihnen die Erhöhung, auf der der Thron stand, und rief Carino und Solercio zu sich. Carino nahte zitternd und verwirrt, weil er nicht wußte, wie seine Sachen standen. Indem nun der Priester schon bereit war, die Paare zusammenzugeben und die christlichen Ceremonien zu beginnen, gab meine Schwester durch ein Zeichen zu verstehen, daß sie sprechen wolle, und sogleich verbreitete sich eine tiefe Stille über die ganze Versammlung, so daß selbst die Lüfte sich nicht zu regen schienen. Da sie nun sah, wie ihr ein williges Gehör geliehen ward, sprach sie mit lauter, wohlklingender Stimme:

›Dies ist des Himmels Wille.‹ Zugleich ergriff sie Selviana bei der Hand und übergab sie dem Solercio; dann nahm sie die Hand Leoncia's und führte sie Carino zu. ›Dies, meine edlen Freunde,‹ fuhr meine Schwester fort, ›ist, wie ich euch schon sagte, der Wille des Himmels. Kein willkürlicher Eingriff, sondern ein fester Entschluß dieser glücklich Verlobten, wie es die Fröhlichkeit ihres Angesichts zeigt, und das ausgesprochene Ja.‹

Die vier Glücklichen umarmten einander, und alle Gegenwärtigen billigten den Tausch und versicherten, wie ich schon erzählte, der Verstand und die Schönheit meiner Schwester sei übernatürlich, da sie die Macht hatte, diese fast schon geschlossene Verbindung aufzulösen, nur durch ihren Befehl.

Das Fest wurde nun gefeiert. Aus den Kähnen, die den Fluß bedeckten, sonderten sich vier ab, die in bunten Farben glänzten, jeder war mit zwölf ebenfalls buntgemalten Rudern versehen, und eine Menge Flaggen in den verschiedensten Farben wehten von den Nachen. Die zwölf Schiffer, welche jeden derselben führten, waren in feine weiße Leinwand gekleidet, ebenso wie ihr mich gesehen habt, als ich zuerst auf dieser Insel erschien. Ich sah nun, daß diese Barken dazu bestimmt waren, um den Preis zu kämpfen, der auf dem Mast eines andern Schiffes befestigt und ungefähr drei Mal so weit entfernt war, als die Länge einer Rennbahn. Er bestand in einem großen Stücke grünen seidnen Zeuges mit goldnen Streifen, es war sehr schön und so lang, daß es von der Höhe des Mastes bis auf das Wasser reichte.

Das Geschrei der Menge und das Tönen der Instrumente war so betäubend, daß Niemand die Befehle des Admirals vernehmen konnte, der in einem eignen bunt geschmückten Schiffe auf dem Flusse erschien: Die mit Zweigen besteckten Kähne stellten sich an beiden Ufern auf, und ließen eine Straße in der Mitte frei, auf der die vier geputzten Nachen ihren Wettlauf beginnen und von der Menge gesehen werden konnten, die sich auf dem erhöhten Thron und an beiden Ufern des Flusses drängte. Nun ergriffen alle Schiffer die Ruder. An den entblößten, kräftigen Armen zeigten sich die starken Adern und kräftigen Muskeln. Sie horchten auf das Signal, feurig und ungeduldig, wie der edle irländische Jagdhund, wenn das Wild sich zeigt und sein Herr ihn nicht sogleich von der Schnur löst.

Endlich wurde das erwartete Zeichen gegeben, und sogleich begannen die vier Kähne ihren Lauf, als wenn sie nicht auf dem Wasser, sondern durch die Luft flögen. Der eine, welcher einen blinden Cupido als Bild führte, kam den übrigen um drei Schiffslängen voraus, und dieser Vorsprung erweckte in den Zuschauern die Hoffnung, dieser werde den aufgesteckten Preis gewinnen. Der Nachen, welcher dem ersten am nächsten war, gab, der Kraft seiner Ruderer vertrauend, die Hoffnung noch nicht auf; da aber diese sahen, wie die Schnelligkeit des ersten auf keine Weise nachließ, waren sie schon im Begriff, die Ruder aus den Händen zu legen.

Der Ausgang der Dinge zeigt sich oft anders als sich von ihrem Anfang erwarten ließ; denn obwol es ein Gesetz bei jedem Kampfspiel und Wettrennen ist, daß keiner der Zuschauer eine Partei durch Zurufungen, gegebene Zeichen, oder auf irgend eine Art aufmuntern soll, was den Kämpfenden leicht ein Rath oder eine Weisung werden kann, so vergaß doch das Volk am Ufer, da es sah, wie das Schiff mit dem Bilde des Cupids den andern schon so weit voraus war, aller Gesetze, und überzeugt, der Sieg sei schon errungen, riefen tausend Stimmen: ›Cupido siegt! Amor ist unüberwindlich!‹ Bei diesem Geschrei schienen die Schiffer des Amor etwas zu ermatten; und der nächste Kahn, welcher den Eigennutz, unter dem Bilde einer kleinen, mit reichen Kleidern geschmückten Figur als Zeichen führte, machte sich diesen Vortheil zu Nutze, und ruderte mit solcher Anstrengung, daß Eigennutz und Amor sich bald gleich waren. Ersterer streifte hart an diesem vorbei, und zerschlug ihm alle Ruder auf der rechten Seite, nachdem der Eigennutz die seinigen vorher eingezogen hatte. So ward er nun der erste, und verspottete die Erwartung Derjenigen, die den Sieg des Amor schon ausgerufen hatten, und die nun schrieen: ›der Eigennutz siegt! der Eigennutz siegt!‹

Das dritte Schiff führte die Arbeitsamkeit im Bilde, die, als ein nacktes Weib dargestellt, den Körper ganz mit Flügeln besetzt und eine Posaune in der Hand hatte. Sie glich eigentlich mehr einem Bilde der Fama, als der Arbeitsamkeit. Da diese das gute Glück des Eigennutzes sah, wurde auch ihre Hoffnung belebt, und ihre Ruderer strengten sich so an, daß sie den Eigennutz bald erreicht hatten. Durch die Ungeschicklichkeit des Steuermannes verwickelte sich aber dieser Kahn so zwischen den beiden ersten, daß alle drei ihre Ruder nicht mehr bewegen konnten. Sobald die letzte Barke, welche das Bild der Fortuna führte und schon im Begriff war, ganz von dem Wettlauf abzustehen, die Hemmung und Verwickelung der ersten Kähne bemerkte, machte sie einen kleinen Bogen, um nicht in dieselbe Verstrickung zu gerathen, und indem die Ruderer ihre letzten Kräfte aufboten, strich sie seitwärts allen andern vorbei. Das Geschrei der Zuschauer veränderte sich von Neuem, und belebte den Muth der Schiffer, die, trunken von der Freude die Ersten zu sein, sich einbildeten, wenn die Zurückgebliebenen auch denselben Vorsprung hätten, wie sie, sie doch noch überholen zu können, und den Preis zu gewinnen, der nun auch mehr durch Zufall, als wegen ihrer Schnelligkeit ihnen zu Theil ward.

Mit Einem Wort: Fortuna war damals glücklich; ich würde es aber nicht sein, wenn ich jetzt die Erzählung meiner seltsamen Begebenheiten fortsetzen wollte. Und deshalb bitte ich euch, meine Freunde, laßt uns abbrechen. Heut Abend sollt ihr das Ende meiner Unglücksfälle erfahren, obgleich ich sagen muß: sie werden niemals ein Ende erreichen.«

Indem Periander noch sprach, befiel den kranken Antonio eine tiefe Ohnmacht. In diesem Augenblicke war es, als komme seinem Vater eine Vermuthung über den Ursprung der Krankheit, und er entfernte sich, um Zenotia aufzusuchen, mit der ihm Das begegnete, was wir im nächsten Capitel erzählen werden.

 


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