Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiundzwanzigstes Capitel.

Der Capitain beschreibt die herrlichen Feste, welche der König Polpykarp in seinem Reiche zu geben pflegte.


»Gott ließ mich auf einer der Inseln geboren werden, die nicht weit von Hibernien liegen. Sie ist so groß, daß sie den Namen eines Königreichs führt; die Herrschaft ist aber nicht erblich, geht nicht vom Vater auf den Sohn über, sondern die Einwohner ernennen nach ihrem Gefallen einen König. Sie wählen stets den tugendhaftesten und edelsten Mann, weder Bitten noch Fürsprache, weder Gaben noch Versprechungen haben Einfluß auf diese Wahl; nur die allgemeine Stimme ernennt den König, und diesem wird die unumschränkte Herrschaft übergeben, welche ihm bleibt, so lange er lebt, oder so lange er ihrer würdig ist. Deshalb bestreben sich alle Unterthanen eines tugendhaften Wandels, um nicht die Aussicht auf den Thron zu verlieren; am meisten aber der König selbst, um nicht abgesetzt zu werden. Durch dies Gesetz werden dem Ehrgeiz die Flügel verschnitten und die Habsucht erstickt; auch der Heuchelei, mag sie sich noch so vorsichtig verhüllen, wird die Larve endlich abgenommen, und sie verfehlt ihren Zweck. So leben die Unterthanen glücklich; hell strahlt die Gerechtigkeit mit dem Erbarmen vereint; die Bittschriften der Armen werden schnell beantwortet, und die der Reichen nicht schneller wegen ihres Reichthums. Den Stab des Rechtes beugen weder Gaben noch die Parteilichkeit der Verwandtschaft. Jede Unterhandlung bleibt beim Zweck und geht ihren richtigen Gang. Mit einem Wort, es ist ein Land, wo Jeder lebt, ohne sich vor dem Übermächtigen zu fürchten und ruhig das Seine genießt. Dies, nach meiner Meinung gerechte und heilige Gesetz reichte dem Polykarp den Zepter, einem edlen Manne, der sich sowol durch seine Waffenthaten, wie durch seine Kenntnisse auszeichnete. Als er König ward, hatte er zwei Töchter, Polykarpa und Sinforosa, beide von ausnehmender Schönheit. Ihre Mutter war früh gestorben; aber obwol der Verlust derselben ihrem Herzen eine Wunde schlug, war doch in ihrer Erziehung kein Mangel zu bemerken, und ihre Tugenden und edlen Sitten waren ein leuchtendes Beispiel für alle Jungfrauen des Landes. Wegen ihrer Vorzüge wurden Vater und Töchter von Allen geliebt und geehrt.

Weil unsere Könige glauben, daß es vorzüglich die Schwermuth ist, welche böse Gedanken in ihren Unterthanen erwecken könnte, suchen sie ihr Volk stets fröhlich zu erhalten, indem sie ihm abwechselnd durch öffentliche Feste oder Schauspiele eine Ergötzung bereiten. Vorzüglich feiern sie den Jahrestag ihrer Wahl, an welchem sie die Feste, welche die Griechen die olympischen Spiele nannten, so gut es möglich ist, erneuern. Sie theilen Denen Preise aus, die um die Wette laufen, ehren die Fechter, bekränzen die Bogenschützen und überschütten mit Lobsprüchen Diejenigen, welche im Ringen gesiegt haben.

Dies Fest wurde am Meeresufer gefeiert, auf einer geräumigen Ebene, welche durch verflochtene Zweige beschattet ward. In der Mitte derselben erhob sich eine prächtige Bühne, auf welcher der König und die königliche Familie den friedlichen Kämpfen zusahen.

Einst nahm Polykarp sich vor, als der Jahrestag dieses Festes wiederkam, sie prächtiger zu feiern als sie je waren gesehen worden. Schon hatte der König mit den Ersten des Reiches die Bühne bestiegen, schon wollten die kriegerischen und lieblichen Instrumente das Zeichen zum Beginn der Spiele geben, schon standen vier Wettläufer, schlanke und gewandte Jünglinge, den linken Fuß vorgestreckt, den rechten aufgehoben, nur darauf wartend, um sich in die Rennbahn zu stürzen, daß eine Schnur weggezogen wurde, welche als Schranke und Anfangspunkt vor ihnen ausgespannt war: denn so wie sie verschwand, flogen Alle nach einem aufgesteckten Ziel, das am Ende der Rennbahn stand. In diesem Augenblick also näherte sich ein Schiff der Küste, sechs Ruder bewegten sich an jeder Seite desselben, die sich in den weißen Schaum des Meeres tauchten und das Fahrzeug mit großer Schnelligkeit vorwärts trieben. Zwölf kräftige Jünglinge, mit breiter Brust und nervigen Armen, saßen auf den Ruderbänken, sie waren weiß gekleidet, nur der, welcher das Steuer regierte, trug einen rothen Matrosenanzug. Das Schiff stieß rasch an das Ufer, das Landen und Aussteigen der ganzen Mannschaft geschah in einem Augenblick. Polykarp befahl, den Wettlauf nicht zu beginnen, ehe man wisse, wer die Fremden seien und in welcher Absicht sie kämen; obwol er voraussehe, sie kämen zum Feste und um ihre Gewandtheit bei den Spielen zu erproben. Der, welcher das Steuer regiert hatte, war der Erste, welcher sich dem König nahte, es war ein Jüngling in der frischesten Blüthe, auf dessen noch glatten Wangen Purpur und Schnee sich mischten. Seine Haare glichen goldenen Ringen, und jeder Zug seines Angesichts war so vollkommen schön, daß sich in ihrer Vereinigung das reizendste Bild gestaltete. Die glänzende Erscheinung dieses Jünglings blendete die Augen und überwältigte die Herzen aller Gegenwärtigen, und ich schenkte ihm meine Liebe, so wie ich ihn erblickte. Er sprach zum Könige also:

›Herr, ich und meine Gefährten, da wir von den veranstalteten Spielen Nachricht erhielten, kommen her Dir zu dienen und Theil daran zu nehmen. Wir kommen nicht aus fernen Landen, sondern von unserm Schiffe, das wir an der Insel Scinta ließen, die nicht weit von hier ist. Da uns der Wind nicht gestattete, unser Fahrzeug hieher zu lenken, so haben wir uns diesem Nachen anvertraut, und uns der Ruder und unsrer kräftigen Arme bedient. Wir sind Alle von Adel und wünschen Ehre zu erringen, die Du, da Du ein König bist, den Fremden nicht verweigern kannst, die sich Deinem Angesichte nahen. Und deshalb ersuchen wir Dich, gestatte, daß wir unsere Kräfte oder unsere Geschicklichkeit zeigen können, uns zu Ehre und Nutzen, und Dir zum Vergnügen.‹

›Wahrlich,‹ antwortete Polykarp, ›anmuthiger Jüngling, Du trägst Deine Bitte mit so viel Anstand und Lieblichkeit vor, daß es ungerecht sein würde, Dir Etwas abzuschlagen. Beehrt mein Fest, auf welche Art ihr wollt, und überlaßt mir die Sorge, euch zu belohnen, denn euer edler Anstand läßt Andern wenig Hoffnung, die ersten Preise zu gewinnen.‹

Der schöne Jüngling beugte das Knie und neigte das Haupt vor dem König, zum Zeichen des Dankes und der guten Sitte. Mit zwei Sprüngen war er an der Schnur, welche die vier gewandten Wettläufer noch zurückhielt, seine zwölf Gefährten stellten sich an einer Seite auf, um nach ihm ihre Geschicklichkeit zu zeigen. Eine Trompete gab das Zeichen, die Schnur wurde weggezogen und alle Fünf stürzten in die Rennbahn; aber sie hatten sich noch nicht zwanzig Schritte weit entfernt, als ihnen der Fremdling schon sechse voraus war, und mit dreißig Schritten hatte er schon einen Vorsprung von funfzehn gewonnen, und ungefähr auf der Mitte des Weges ließ er die Übrigen wie erstarrte Bildsäulen zurück. Alle Zuschauer erstaunten, vorzüglich aber Sinforosa, die ihn, sowol indem er lief, als da er am Ziele stehen blieb, mit den Augen verfolgte; denn die Schönheit und Gewandtheit des Jünglings war so wunderbar, daß sie nicht nur die Augen, sondern auch die Herzen Aller, die ihn sahen, gefangen nahm. Ich bemerkte dies Alles, denn meine Blicke waren unverwandt auf Polykarpa, das liebliche Bild meiner Anbetung, gerichtet, und sie beobachtete ich auch die Geberden der Sinforosa.

Der Neid hatte sich sogleich aller Gemüther Derjenigen bemächtigt, welche sich noch in den übrigen Spielen versuchen sollten, da sie sahen, mit welcher Leichtigkeit der Fremde den Preis im Wettlauf davongetragen hatte.

Das Gefecht war die zweite Übung; Der, welcher in der ersten Sieger gewesen war, ergriff das Rappier, mit dem er den Sechsen, die sich ihm entgegenstellten, den Vortheil in jeder Wendung abgewann, ohne daß sie, wie man zu sagen pflegt, auch nur einen Faden seines Kleides berührten. Die ganze Versammlung erhob ein Freudengeschrei, und durch einstimmigen Zuruf wurde ihm der erste Preis zuerkannt. Jetzt bereiteten sich Sechs zum Ringen, und nun zeigte sich erst die Kraft des Jünglings, als er seine starken Schultern, die breite Brust und die nervigen Arme enthüllte. Mit unglaublicher Stärke, Gewandtheit und Schnelligkeit brachte er es dahin, daß die Rücken der sechs andern Ringer, zu ihrem großen Verdruß, im Sande eingedrückt blieben. Sogleich ergriff er nun eine schwere Eisenstange, welche auf dem Boden lag, denn man hatte ihm gesagt, diese zu werfen sei das vierte Spiel. Er wog die Stange in der Hand, und gab den Umstehenden ein Zeichen, Platz zu machen und ihm Raum für seinen Wurf zu geben. Nun faßte er die schwere Stange an der einen Ecke, und ohne mit dem Arm weit auszuholen, schleuderte er sie mit solcher Kraft, daß sie über das Ufer hinwegflog und in der Tiefe des Meeres das Ziel für ihren Flug und ihr Grab fand.

»Dieser niegesehene Wurf entmuthigte alle Mitkämpfer, und sie wagten es nicht mehr, sich mit ihm zu messen. Sie reichten ihm nun die Armbrust und einige Pfeile, und zeigten ihm einen hohen glatten Mastbaum, an der Spitze desselben war eine Lanze eingefugt, und an diese eine Taube mit einem Faden angebunden, auf diese durfte jeder von Denen, die sich in diesem Wettkampf üben wollen, nur einen Schuß thun. Einer, der sich für den besten Schützen hielt, trat vor und sprach:

›Ich glaube, ich werde die Taube eher als jeder Andere herabschießen können.‹ Er schoß, sein Pfeil haftete im äußern Ende der Lanze und die Taube, durch den Schlag erschreckt, erhob sich in die Luft. Ein Anderer, der seiner Geschicklichkeit nicht weniger vertraute, als der Erste, zielte nun mit einer solcher Sicherheit, daß er den Faden zerriß, an den die Taube gebunden war, welche nun, von dem fesselnden Bande befreit, leicht im Winde dahinstrich, mit den Flügeln schlagend. Aber Der, welcher es schon gewohnt war, stets den ersten Preis zu erringen, schoß seinen Pfeil ab; und als wäre diesem befohlen, was er thun sollte, und er mit Sinn und Verstand begabt, um zu gehorchen, so durchschnitt er mit zischendem Laut die Luft, bis er die Taube erreicht hatte, welcher er das Herz durchbohrte, indem er zugleich ihren Flug und ihren Lebensathem hemmte. Das Freudengeschrei der Zuschauer und die Lobpreisungen, womit der Fremde überschüttet ward, erneuerten sich. Im Wettlauf, Gefecht, Ringen, Stangenwerfen, Bogenschießen und noch vielen andern Spielen, von denen ich nicht erzähle, gewann er mit großem Ruhm die ersten Preise und überhob seine Gefährten der Mühe, sich in diesen Übungen zu versuchen.

Als die Kämpfe geendigt waren, brach die Dämmerung ein, und der König Polykarp erhob sich von seinem Sitz, um mit den Richtern, welche ihn umgaben, dem siegreichen Jüngling den Preis zu ertheilen. Dieser kniete aber vor ihm nieder und sprach:

›Unser Schiff blieb allein und unbewacht, die Nacht wird überdies dunkel. Die Preise, welche ich zu hoffen habe, achte ich hoch, da sie von Deiner Hand kommen, o großer König; ich wünsche aber, daß Du sie mir aufbewahrest bis zu einer andern Zeit, da ich mit größerer Muße zurückzukehren denke, um Dir zu dienen.‹

Der König umarmte ihn, und da er nach seinem Namen fragte, sagte der Jüngling, er heiße Periander. Die reizende Sinforosa nahm sich den Blumenkranz ab, mit dem ihr schönes Haupt geschmückt war, setzte ihn dem edeln Jüngling auf und sprach mit züchtiger Freundlichkeit:

›Wenn mein Vater so glücklich sein sollte, daß Ihr zu ihm zurückkehret, so werdet Ihr sehen, daß Ihr kommt, nicht um zu dienen, sondern um Euch dienen zu lassen.‹«

 


 << zurück weiter >>