Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Worin erzählt wird, wer die Gefesselten waren.
» Wenn es den Unglücklichen gestattet ist, in Gegen wart der Beglückten zu sprechen, so werde mir diese Erlaubniß jetzt gegeben; denn die Kürze meiner Rede wird die Beschwerde mildern, welche das Hören euch verursachen könnte. Du beklagst Dich,« fuhr sie fort, sich zu Transila wendend, »schöne Dame, über die barbarische Sitte Deiner Landsleute, als ob es eine Sünde wäre, den Bedürftigen ihre Arbeit zu erleichtern, oder den Schwachen eine Last abzunehmen. Es ist kein Unrecht darin, ein Roß, sei es auch noch so gut, erst auf der Rennbahn umher zu führen, ehe sein Besitzer es besteigt; und eben so wenig kann eine Sitte oder ein Gebrauch die Ehrbarkeit verletzen, wenn die Ehre nicht dadurch verloren geht und Das für anständig gilt, was dem Scheine nach, es nicht ist. Das Steuer eines Schiffes wird Der besser zu lenken verstehen, der ein Schiffer war, als ein Anderer, welcher seine ländlichen Beschäftigungen verläßt, um Pilot zu werden. Die Erfahrung ist die beste Lehrerin in allen Künsten; und so wäre es Dir nützlicher gewesen, Dich, durch Erfahrung bereichert, mit Deinem Gatten zu verbinden, als unbelehrt und unwissend.«
Kaum hatte der Mann, welcher mit der Frau gefesselt war, diese letzten Worte vernommen, als er ihr die geballte Faust drohend vor das Angesicht hielt und sprach:
»O Rosamunda! oder vielmehr, Du unreine Rose, denn nie warest Du rein, bist es nicht und wirst es nicht werden, würdest Du auch älter als die Zeit selbst; deshalb wundere ich mich nicht, daß Du die Sittlichkeit gering achtest und die Tugend, welche jede ehrbare Jungfrau bewahren soll.
Wisset, meine Herren,« fuhr er fort, sich zu den Umstehenden wendend, »die hier wie eine Wahnsinnige gefesselt, ihre Zunge zu frei gebraucht, ist jene berüchtigte Rosamunda, die Geliebte des Königs von England, von deren zügellosem Leben so viel gesprochen wird und deren Geschichte in allen Ländern bekannt ist. Diese beherrschte den König und durch ihn das ganze Reich, sie erschuf und vernichtete Gesetze, erhob Nichtswürdige zu den höchsten Ehren und stürzte Ehrenmänner in die tiefste Schmach. Oeffentlich und schamlos befriedigte sie ihre Lüste, wodurch das Ansehen des Königs in Verachtung gerieth. Ihre Frechheit ward endlich so offenbar und ihre Anmaßung so unerhört, daß der König die diamantenen Ketten und das eherne Netz durchbrach, womit sie sein Herz gefesselt hatte, und er sich getrieben fühlte, sie zu verstoßen und zu verachten, mehr als er sie geliebt hatte.
Als diese auf dem Gipfel des Rades stand und das Glück beim Stirnhaar gefaßt hatte, lebte ich in der Niedrigkeit und hegte das Verlangen, der Welt zu zeigen, wie sehr mein König und Herr seine Würde verkenne. Ich habe einen großen Hang zur Satyre, eine leichte Feder und feine Zunge; ein boshafter Witz ergötzt mich und um einen solchen auszusprechen, gebe ich nicht nur einen Freund, sondern sogar mein Leben preis. Nicht Kerker konnten meine Zunge fesseln, noch Verbannung mich zum Schweigen bringen; Drohungen schreckten und Strafen besserten mich nicht. Doch endlich erschien uns Beiden der Tag der Vergeltung. Ihr durfte, so war der Befehl des Königs, weder in der Stadt noch in allen seinen Reichen, irgend ein Mensch, weder umsonst noch für Geld, etwas Anderes zum Unterhalt geben, als Brod und Wasser. Ich aber soll und zwar mit ihr zusammen, auf eine der vielen wüsten Inseln ausgesetzt und dort gelassen werden; eine Strafe, die für mich härter ist als der Verlust des Lebens, denn ein Leben in dieser Gesellschaft ist schlimmer als der Tod.«
»Bedenke, Clodio,« sagte Rosamunda, »welch eine Qual Deine Gegenwart erst für mich sein muß. Schon tausend Mal wollte ich mich in die Tiefe des Meeres stürzen, und wenn ich es unterließ, so war es nur, um Dich nicht mit mir zu nehmen; denn wenn ich in der Hölle ohne Dich sein könnte, so wäre mir das eine Erleichterung der Pein. Ich bekenne, daß meine Verirrungen groß waren, aber sie verstrickten nur einen schwachen, unverständigen Menschen; die Deinigen hingegen haben edle Herzen verletzt und weise Männer gekränkt, ohne andern Gewinnst, als Schadenfreude, nichtiger wie ein Strohhalm, der im Winde umkreist. Die Namen von Tausenden hast Du gelästert, manche reine Ehre vernichtet, verborgene Geheimnisse enthüllt und edle Geschlechter mit Schmach bedeckt. Du hast gegen Deinen König, gegen Deine Mitbürger, Deine Freunde und sogar gegen Deine Eltern gefrevelt, und um für einen witzigen Kopf zu gelten, Dich mit der ganzen Welt verfeindet. Ich wünschte sehnlich, es hätte dem Könige gefallen, zur Abbüßung meiner Unthaten mich in meinem Vaterlande mit einer andern Todesart zu bestrafen; nicht aber, mich den Wunden preis zu geben, die Deine Zunge mir stündlich schlägt, vor welcher selbst das Göttliche und die Heiligen nicht sicher sind.«
»Bei Allem dem,« antwortete Clodio, »beschuldigt mich mein Gewissen nicht, je eine Lüge gesagt zu haben.«
»Erforschtest Du Dein Gewissen,« entgegnete Rosamunda, »über alle die Wahrheiten, die Du gesagt hast, so hättest Du genug zu bereuen; denn nicht jede Wahrheit soll öffentlich gemacht und den Augen Aller aufgedeckt werden.«
»Wol hat Rosamunda recht,« sprach Mauricio, »denn wirkliche Sünden, im Geheimen begangen, darf Niemand an das Licht ziehen; besonders die Fehler der Könige und Fürsten, die uns beherrschen, und es geziemt dem Privatmanne nicht, seinen König und Herrn zu tadeln, noch vor den Augen der Unterthanen Gebrechen des Fürsten aufzudecken; denn dies ist nicht das Mittel, ihn zu bessern, sondern ihn seinem Volke verächtlich zu machen; und da jede Zurechtweisung brüderlich sein soll, so gibt es keinen Grund, diese Milde an dem Fürsten nicht zu üben. Weshalb ihm seine Vergehungen öffentlich vorwerfen? Ein unüberlegter, lauter Tadel verhärtet oft das Gemüth Dessen, den er trifft und macht ihn nur verstockter, statt ihn zu bessern. Da jede Schmähung entweder wirkliche oder eingebildete Vergehungen trifft, so läßt kein Mensch sich gern öffentlich schelten, und es ist gerecht, daß Jeder den Satyriker, Verleumder und Schlechtgesinnten aus seinem Hause verweist, daß nicht Ehre, sondern Schande sein Antheil werde und ihm kein anderer Ruhm bleibe, als daß man ihm Witz in der Schuftigkeit zuschreibt. Auch trifft ihn das Sprichwort: der Verrath ist erwünscht, aber der Verräther verhaßt. Überdies kann die durch Libelle geraubte Ehre, da sie von Hand zu Hand gehen, nicht wieder erstattet werden und ohne diese Erstattung gibt es keine Vergebung der Sünde.«
»Das weiß ich Alles,« erwiederte Clodio, »wenn ich aber nicht reden und schreiben soll, so müssen sie mir die Zunge ausreißen und die Hände abhauen; aber selbst dann würde ich mich mit dem Munde in die Erde graben und rufen so gut ich könnte, in der Hoffnung, daß das Schilf des Midas hervorkeimte.«
»Laßt das,« sagte Ladislao, »stiften wir Frieden und bereden wir Rosamunda, sich mit Clodio zu verheirathen, vielleicht hilft ihnen die Gnade des Sacraments und ihre eigne Klugheit, und sie beginnen mit dem neuen Stande auch ein neues Leben.«
»Schweigt,« rief Rosamunda, »denn ich habe hier ein Messer, mit dem ich schnell meine Brust öffnen und meiner Seele einen Ausgang bahnen kann, die mir fast schon auf den Lippen schwebt, indem ich nur von einer so unsinnigen und abscheulichen Verheirathung sprechen höre.«
»Ich würde mich nicht umbringen,« sprach Clodio, »denn obwol ich ein Verleumder und Spötter bin, so ist doch das Vergnügen, was ich empfinde, Böses zu sagen, wenn ich es gut sage, so groß, daß ich recht lange leben möchte, um recht viel Böses auszusprechen. Vor den Fürsten werde ich mich wol zu hüten wissen, denn sie haben lange Arme und erreichen wie weit und wen sie wollen. Die Erfahrung hat mich gelehrt, daß es nicht klug ist, den Mächtigen zu beleidigen; auch gebietet die christliche Liebe, wir sollen für das Leben und die Wohlfahrt des guten Fürsten beten, für den schlechten aber, daß er sich bessere und bekehre.«
»Wer Alles dies weiß,« sagte nun der Barbar Antonio, »ist seiner Bekehrung schon nahe; denn kein Vergehen ist so groß und kein Laster so mächtig, das die Reue nicht auslöscht und gänzlich vernichtet. Die boshafte Zunge ist ein zweischneidiges Schwert, was bis in das Mark schneidet und wie der Blitz, der, ohne die Scheide zu verletzen, die Klinge, welche davon bedeckt ist, zermalmt und zersplittert. Sind auch Gesellschaften und Unterhaltungen angenehm, wenn das Salz der Verleumdung sie würzt, so ist doch der Nachgeschmack stets bitter und widerwärtig. Die Zunge ist so schnell wie der Gedanke, und sind die Gedanken mit Bosheiten erfüllt, so werden diese noch schlimmer, wenn die Zunge sie ans Licht bringt. Gesprochene Worte sind wie aus der Hand geschleuderte Steine, die nicht zurückgerufen und wiederkehren können, von wo sie ausgingen, ohne ihre Wirkung gethan zu haben. Die Bosheit des Lästernden kann selten durch Reue vergütet werden, obwol ich dafür halte, daß eine aufrichtige Reue die beste Arzenei für alle Krankheiten der Seele sei.«