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Zehntes Capitel.

Was der portugiesische Ritter erzählte.


» So kurz als möglich will ich die Geschichte meiner Leiden, und hoffentlich bis zum Ende meines Lebens erzählen, wenn ich einem Traume irgend glauben darf, der in verwichener Nacht mein Gemüth aufregte.

Ich bin ein Portugiese, von edlem Geschlecht; das Glück hatte mich mit seinen Gaben verschwenderisch und die Natur nicht kärglich ausgestattet. Mein Name ist Manuel de Sosa Coutinno, Lissabon meine Vaterstadt und die Führung der Waffen war meine Bestimmung.

Dicht neben dem Hause meiner Eltern stand das eines andern Ritters aus dem alten Geschlecht der Pereyra; dieser hatte eine einzige Tochter, sie war die alleinige Erbin seines großen Vermögens, und die einzige Hoffnung und Glückseligkeit ihrer Eltern. Sowol wegen ihrer Abkunft als wegen ihres Reichthums und ihrer Schönheit bewarben sich die Vornehmsten im Königreich Portugal um ihre Hand; ich aber, der ich als der nächste Nachbar ihres Hauses stets Gelegenheit hatte, sie zu sehen, sah sie oft, kannte sie genau und betete sie an, mit einer mehr zweifelnden als vertrauenden Hoffnung, daß ich je so glücklich sein würde, sie meine Gemahlin zu nennen.

Um nun die Zeit der Ungewißheit abzukürzen und weil ich wußte, daß weder Bewerbungen noch Eidschwüre und Geschenke Etwas über sie vermochten, entschloß ich mich, durch einen Verwandten bei ihrem Vater um ihre Hand werben zu lassen, da wir an Stand und Vermögen, wie auch im Alter einander gleich waren. Der Vater gab mir zur Antwort, seine Tochter Leonore sei noch zu jung, um sich schon zu verheirathen, ich möge noch zwei Jahre vorübergehen lassen und er verpfände mir sein Wort, während dieser Zeit nicht über sein Kind zu verfügen, ohne mich davon zu benachrichtigen.

Ich ertrug diesen ersten Schlag, gerüstet mit dem Panzer der Geduld und dem Schilde der Hoffnung, unterließ aber nicht, Leonoren öffentlich zu huldigen, unter dem Schirm meiner rechtmäßigen Ansprüche, die bald in der ganzen Stadt bekannt waren; sie aber, geschützt durch das Bollwerk ihrer Vorsicht und verschlossen in die Zelle ihrer Ehrbarkeit, gestattete sittsam und mit Erlaubniß ihrer Eltern meine Dienste, und wurden sie auch nicht von ihr belohnt, so verschmähte sie sie doch eben so wenig.

In dieser Zeit ernannte mein König mich zum Befehlshaber einer der Festungen, die er in der Barbarei besitzt, und dies war ein glänzendes und ehrenvolles Amt. Der Tag meiner Abreise kam und da er nicht zugleich der meines Todes war, so gibt es gewiß keine Trennung, welche tödtet, und keinen Schmerz, der das Leben raubt. Ich sprach mit dem Vater, der mir sein Wort von Neuem bestätigte, in zwei Jahren nicht über seine Tochter zu verfügen. Er hatte Mitleid mit mir, denn er war verständig und gestattete mir, mich bei seiner Gemahlin und seiner Tochter Leonore zu beurlauben; diese kam mit ihrer Mutter in den Saal herunter und Tugend, Anmuth und Schweigsamkeit waren ihre Begleiterinnen. Meine Sinne schwanden, als die schöne Gestalt sich mir nahte; ich wollte sprechen, aber die Stimme stockte mir in der Kehle und meine Zunge erlahmte; ich wußte und konnte nichts als schweigen und durch mein Verstummen meinen Schmerz sprechen lassen. Der Vater, welcher klug und freundlich war, bemerkte meine Verwirrung und sprach, indem er mich umarmte:

›Sennor Manuel de Sosa, der Tag des Scheidens pflegt das Herz zu belasten und die Zunge zu fesseln, doch vielleicht spricht dies Schweigen mehr zu Euern Gunsten als die größte Rednerkunst. Geht nun, erfüllt Eure Pflicht und kehrt zur glücklichen Stunde zurück; ich werde mich gegen Euch allezeit als Freund bezeigen. Leonore, meine Tochter, ist gehorsam, meine Gemahlin wünscht mir gefällig zu sein, und ich hege keinen andern Wunsch als den Eurigen; von dieser dreifachen Hoffnung dünkt mich, könnt Ihr Euch die Erfüllung Eures Verlangens versprechen.‹

Diese Worte prägten sich so fest meiner Seele und meinem Gedächtniß ein, daß ich sie nicht vergessen habe und sie auch nie vergessen werde, so lange mein Leben dauert. Die schöne Leonore und ihre Mutter sprachen Beide kein Wort, und ich konnte nicht sprechen, wie ich schon gesagt habe.

Ich reiste nach der Barbarei ab und verwaltete mein Amt zwei Jahre zur Zufriedenheit meines Königs. Ich kehrte nach Lissabon zurück und vernahm, wie der Ruf von Leonoren's Tugend und Schönheit schon die Grenzen der Stadt und des Reiches überflogen hatte und sich über Castilien und die nächsten Provinzen verbreitete, von wo Gesandtschaften von Prinzen und erlauchten Herren kamen, die sie zur Gemahlin begehrten; aber da ihr Wille ganz dem Willen der Eltern unterworfen war, so bemerkte sie kaum, wie sehr sie verehrt und gefeiert ward.

Endlich, da die zweijährige Frist verlaufen war, ging ich wieder zu ihrem Vater und bat ihn, sie mir zur Gemahlin zu geben.

Wehe mir, daß meine Erzählung nicht länger bei diesem Zeitpunkt meiner Geschichte verweilen kann! Aber an die Thore meines Lebens klopft schon der Tod! und ich fürchte, er wird mir nicht Raum geben, mein unseliges Geschick zu erzählen. Und wäre es doch so! dann wäre ich beglückt!

Eines Tages wurde mir angekündigt, am nächsten Sonntag wurde meine geliebte Leonore mir anvermählt werden. Das Entzücken über diese Nachricht raubte mir fast das Leben. Ich lud meine Verwandten ein, berief meine Freunde, ließ mir Kleider fertigen, übersandte ihr Geschenke und machte alle Vorbereitungen, die es laut verkündeten, daß ich mich vermähle und Leonore meine Gemahlin sein werde.

Der bestimmte Tag erschien und ich begab mich von den Edelsten der Stadt begleitet, nach einem Nonnenkloster, das der Mutter Gottes geweiht war, und wo, wie sie mir sagten, meine Braut sich schon seit dem vorigen Tage befand; denn es war ihr Wunsch gewesen, daß, mit Erlaubniß des Erzbischofs, unsere Vermählung in diesem Kloster gefeiert würde.«

Der betrübte Ritter hielt hier einige Augenblicke inne, wie um Athem zu schöpfen, und fuhr dann fort:

»Ich ging in das Kloster, welches herrlich, und königlich geschmückt war. Fast der ganze Adel des Landes kam mir entgegen, welcher sich dort mit den Vornehmsten der Stadt versammelt hatte mich zu empfangen. Der Tempel erschallte von Musik, sowol von Stimmen als Instrumenten; und nun trat aus der Thüre der Clausur die göttliche Leonore, begleitet von der Priorin und vielen Nonnen. Sie war in weißen Sammet gekleidet, und dieser mit schwerem Atlas verbrämt, mit großen, kostbaren Perlen besetzt und mit einem goldgrünen Stoff eingefaßt. Die Haare hingen ihr frei über die Schultern, verdunkelten mit ihrem Glanz die Strahlen der Sonne und küßten den Saum ihres Kleides. Gürtel, Halsschmuck und Ringe wurden an Werth einem Königreich gleichgeschätzt. Ich muß es immer von Neuem wiederholen: sie war so schön, so adelig, so reich geschmückt und so glänzend, daß sie den Neid der Frauen und die Bewunderung der Männer erregte. Von mir kann ich sagen, ihr Anblick überraschte mich so, daß ich mich unwürdig fühlte, sie die Meinige zu nennen, weil es mir schien, als würde sie erniedrigt und wäre ich auch Beherrscher des Weltalls.

Es war eine Art Bühne inmitten der Kirche gebaut, wo öffentlich und vor Aller Augen unsere Trauung gefeiert werden sollte. Die schöne Jungfrau stieg zuerst hinauf, und nun stand die glänzende Erscheinung frei vor der versammelten Menge. Allen, die sie anschauten, däuchte es, als steige Aurora leuchtend empor beim Anbruch des Tages, oder als erblickten sie die keusche Diana in den Wäldern, wie die alten Dichter sie beschreiben. Doch einige Gegenwärtige waren so geistreich, zu sagen, daß sie sie nur mit ihr selbst vergleichen konnten.

Indem ich hinauf ging, glaubte ich den Himmel zu ersteigen und ich kniete vor ihr nieder in dem Gefühl, als müsse ich sie anbeten. Es erhob sich im Tempel eine Stimme, welche bald von Vielen begleitet ward und rief:

›Lebt lange und beglückte Jahre auf Erden, o glückseliges, schönes Paar! Bald mögen liebliche Kinder Euern Tisch bekränzen, und in späten Zeiten erneuere sich eure Liebe in euren Enkeln! Nie dringe die Wuth der Eifersucht noch der Wahn des Zweifels in eure Brust, der Neid krümme sich zu euern Füßen, und das gute Glück möge nimmer aus euerm Hause weichen!‹

Alle diese Worte und frommen Weihungen erfüllten meine Seele mit Wonne, da ich sah, mit wie allgemeiner Freude die ganze Stadt diesen Tag feierte. Die schöne Leonore ergriff meine Hand, indem ich neben ihr stand, und sprach mit etwas erhobener Stimme:

›Ihr wißt, Sennor Manuel de Sosa, wie mein Vater Euch sein Wort gab, während zwei Jahren nicht über mich zu verfügen, von jenem Tage an, da Ihr ihn um meine Hand ansprachet. Wenn ich mich recht erinnere, von Eurer eifrigen Bewerbung gedrängt und durch unzählige Beweise Eurer Liebe verpflichtet, die ich mehr Eurer Güte als meinem Verdienst verdanke, versprach ich Euch ebenfalls, auf Erden nie einen andern Gatten zu wählen als Euch. Mein Vater hat sein Versprechen erfüllt, wie Ihr seht, und ich will auch das meinige erfüllen, wie Ihr sehen werdet. Weil nun aber jede Täuschung, sei sie auch noch so edel und heilsam, einen Anschein von Verrätherei mit sich führt, wenn sie nicht aufgeklärt wird, so will ich jetzt Das vernichten, was Ihr vielleicht Täuschung nennt. Ich, mein Freund, bin vermählt und kann, da mein Gatte lebt, auf keine Weise die Eurige werden. Ich verlasse Euch nicht wegen eines irdischen Bräutigams, sondern wegen eines himmlischen und der ist Jesus Christus, wahrer Gott und Mensch; er ist mein Verlobter, ihm gab ich mein Wort, eher als Euch; ihm ohne Täuschung und mit freiem Willen; Euch aber zweideutig und ohne wahre Treue. Ich bekenne es: hätte ich einen Gemahl auf Erden gewählt, so war keiner Euch zu vergleichen; da ich aber im Himmel ihn suchte, wer ist Gott ähnlich? Scheint Euch dies ein Verrath oder ein rücksichtsloses Betragen, so bestraft mich wie Ihr wollt und tadelt mich wie Euer Unwille es gebietet; aber weder der schmerzlichste Tod, noch Versprechungen und Drohungen werden mich von meinem gekreuzigten Bräutigam trennen.‹

Sie schwieg und sogleich begann die Priorin und die Nonnen sie zu entkleiden und ihr den kostbaren Schmuck ihrer Haare abzuschneiden. Ich war verstummt und um keine Schwäche zu zeigen, unterdrückte ich die Thränen, die aus meinen Augen dringen wollten. Ich kniete wieder vor ihr nieder und küßte in heftiger Bewegung ihre Hand; sie aber, in christlichem Mitgefühl, umschlang mich mit ihren Armen. Ich stand auf, erhob die Stimme, so daß Alle mich hören konnten und sprach: › Maria optimam partem elegit.

Darauf stieg ich von der Bühne herab und kehrte, von meinen Freunden begleitet, nach meinem Hause zurück, wo meine Einbildungskraft beständig sann und grübelte über diese wunderbare Begebenheit, so daß ich fast den Verstand darüber verlor, so wie ich jetzt aus derselben Ursache mein Leben beschließe.«

Indem er noch einen tiefen Seufzer ausstieß, entfloh seine Seele, und er sank zu Boden.

 


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