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Dreizehntes Capitel.

Periander setzt seine unterhaltende Geschichte fort, und erzählt die Entführung Auristela's.


Niemand hörte Periander mit größerem Vergnügen zu als die schöne Sinforosa, seine Worte umstrickten sie, wie die Ketten, die aus dem Munde des Herkules kamen, denn Periander erzählte seine Begebenheiten mit einer unbeschreiblichen Anmuth und Lieblichkeit. Er knüpfte den Faden seiner Geschichte folgendermaßen wieder an:

»Fortuna siegte also über Amor, Eigennutz und Arbeitsamkeit; denn ohne das Glück richtet die Arbeitsamkeit wenig aus, der Eigennutz erwirbt nichts, und die Liebe kann ihre Rechte nicht geltend machen.

Das Fest meiner Fischer war eben so ärmlich als vergnügt, und schöner wie ein römischer Triumphzug; denn unter Einfalt und Niedrigkeit liegen oft die reinsten Freuden verborgen. Da aber die Glückseligkeit des Menschen oft an seinen Fäden hängt, und die Zufälligkeiten des Lebens diese Fäden so leicht zerreißen, so war auch das Glück meiner Fischer nicht von Dauer, und zugleich ward auch ich in neues Unheil verwickelt.

Den Abend brachten wir Alle auf einer kleinen Insel, inmitten des Flusses zu, angelockt von dem frischen Grün und der Ruhe dieses Platzes. Die Vermählten waren glücklich, ohne sich leidenschaftlich zu zeigen, und bestrebten sich mit vieler Anmuth, Die zu erfreuen, welche die Urheber ihrer Freude gewesen waren und ihnen zu dem ersehnten Glück verholfen hatten. So ordneten sie denn an, daß das Fest auf dieser Insel erneuert, und noch drei Tage gefeiert werden solle. Die sommerliche Jahreszeit, die Ruhe des Orts, der Glanz des Vollmonds, das Gemurmel des Wassers, die mit Früchten beladenen Bäume und duftenden Blumen, alles Dies vereinte sich, diesen Platz als den lieblichsten zu schmücken, und Jeder war erfreut, die Tage des Festes hier zu verweilen.

Aber kaum waren wir an der Insel ausgestiegen, als aus einem Gebüsch ungefähr funfzig Räuber hervorbrachen, die nur leicht bewaffnet waren, um zu rauben und dann schnell entfliehen zu können. Da nun sorglose Menschen in ihrer Sorglosigkeit leicht zu besiegen sind, so erlagen wir fast ohne Widerstand, und sahen von Schreck betäubt, den Räubern zu, statt sie anzugreifen. Diese fielen wie hungrige Wölfe über die Heerde unserer sanften Schäfchen her, und schleppten, nicht im Rachen, sondern in den Armen, meine Schwester Auristela, ihre Pflegerin Clelia, Selviana und Leoncia fort, als wären sie in der Absicht gekommen, nur Diese zu rauben, denn sie nahmen keine der andern Frauen mit, von denen die Natur doch manche reich geschmückt hatte.

Ich, den der seltsame Vorfall mehr in Wuth als in Schrecken setzte, stürzte den Räubern nach, verfolgte sie mit den Augen und mit meinem Geschrei, indem ich ihnen, als ob sie empfindlich für Beschimpfung gewesen wären, Schmähungen nachrief, nur um sie zu reizen, weil ich hoffte, sie würden umkehren und sich an mir rächen. Sie aber, erfreut über das Gelingen ihrer Absicht, hörten mich nicht, oder hatten keine Lust, sich zu rächen, und waren mir bald aus den Augen.

Sogleich vereinigten sich nun die Neuvermählten mit mir und einigen der angesehensten Fischer, um Rath zu halten, was wir thun wollten, unsern Fehler gut zu machen und unsere Kleinode wieder zu erringen. Einer der Fischer meinte:

›Es ist, nicht anders möglich, als daß die Räuber ein Schiff auf dem Meere haben, und zwar nicht weit von hier, da diese Menschen so plötzlich an unser Ufer gekommen sind, die vielleicht von unserm Fest und unserer Zusammenkunft gewußt haben. Wenn Dies der Fall ist, wir ich nicht zweifle, so wäre es am besten, einige der Unsern ruderten zu ihnen hinüber, und böten ihnen zum Lösegeld an, so viel sie verlangten, ohne sich durch die Größe der Summe schrecken zu lassen, denn die Gattin muß der Gatte auslösen und wäre es auch mit seinem Leben.‹

›Ich,‹ so fiel ich ihm in die Rede, ›übernehme dies Geschäft, denn die Freiheit meiner Schwester gilt mir mehr als die ganze Welt.‹

Carino und Solercio sprachen eben so, indem sie unverholen weinten, und mir im Geheim das Herz brach.

Als wir diesen Entschluß gefaßt hatten, war es Abend geworden, wir bestiegen aber demungeachtet ein Boot, ich, die beiden Fischer und sechs Ruderer. Ehe wir in das offene Meer kamen, wurde es aber völlig Nacht und wir konnten in der Dunkelheit kein Schiff sehen. Wir beschlossen, den Morgen zu erwarten, um vielleicht in der Helligkeit Etwas zu entdecken. Das Schicksal wollte, daß wir nun zwei Schiffe erblicken, das eine hatte sich eben vom Lande entfernt, und das andere segelte ihm entgegen. Ich erkannte das erstere für dasselbe, was wir verlassen hatten, um auf die Insel zu flüchten, sowol an den Flaggen wie an den Segeln, die mit einem rothen Kreuz bezeichnet waren. Das andere Schiff führt grüne Kreuze, und beide gehörten Corsaren.

Da ich mir einbildete, die Räuber müßten auf dem Schiffe sein, das von der Insel fortsegelte, ließ ich ein weißes Tuch, als Zeichen der Sicherheit, auf einer Stange befestigen, und so näherten wir uns dem Schiff, um über die Auslösung zu unterhandeln, doch in einiger Entfernung, um nicht gefangen zu werden. Der Capitain erschien am Bord, und indem ich die Stimme erhob, um ihn anzureden, ward mir das Wort abgeschritten und gehemmt durch einen fürchterlichen Knall, der von dem andern Fahrzeug herkam, welches dieses mit einem Kanonenschusse zum Kampfe herausforderte. Das Zeichen ward gleichfalls durch einen Schuß beantwortet, und nun begannen beide Schiffe eine furchtbare Kanonade gegen einander, wie zwei wüthende Feinde, die sich vernichten wollen.

Wir entflohen aus dieser Verwirrung und sahen der Schlacht von weitem zu. Nachdem die Artillerie fast eine Stunde gespielt hatte, hakten die Schiffe sich aneinander, und nun begann ein wüthendes Gefecht. Die Mannschaft auf dem Schiff der grünen Kreuze war glücklicher, oder vielmehr tapferer. Sie stiegen auf das andere Fahrzeug hinüber und räumten in wenig Minuten das ganze Verdeck, indem sie Alles niedermachten und keinen der Feinde am Leben ließen. Da sie nun nichts mehr von ihren Widersachern zu fürchten hatten, fingen sie an das Schiff auszuplündern, das, da es einem Corsaren gehörte, nicht Vieles von Werth bei sich führte; obwol ich die größten Kostbarkeiten darin gesucht hätte, denn ich war überzeugt, meine Schwester müsse mit Clelia, Selviana und Leoncia darin sein, wodurch die Sieger einen großen Reichthum erbeutet hätten, denn Auristela's Schönheit verhieß ihnen unendliches Lösegeld. Ich wollte meinen Kahn dem Schiffe nahe bringen, um mit dem siegreichen Capitain zu sprechen; da mein Glück aber stets vom Winde verweht worden ist, so blies er auch jetzt vom Lande her, und, trieb das Schiff seewärts. Wir konnten es nicht erreichen, um Alles, was Jene nur verlangt haben würden, als Lösegeld zu bieten, und so waren wir genöthigt, umzukehren, ohne die mindeste Hoffnung, die Verlornen je wiederzufinden. Da das Schiff mit dem Winde segelte und keine andere Richtung nehmen konnte, so war es nicht möglich, zu errathen, wohin sein Lauf sich wenden würde, noch konnten wir aus irgend einem Zeichen erkennen, wer diese Sieger waren, um, wenn wir ihr Vaterland gewußt hätten, daraus einige Hoffnung zu schöpfen.

Kurz, das Schiff flog über das Meer dahin, und wir landeten traurig und muthlos an der Mündung des Flusses, wo alle Barken der Fischer uns erwarteten. Ich weiß nicht, wie ich Das beschreiben soll, was ich doch aussprechen muß, aber ein seltsames Gefühl bemächtigte sich damals meiner Seele, das, ohne mein Wesen zu verwandeln, mich doch über alles Menschliche erhob. Ich stellte mich also aufrecht in unserm Kahne hin, und befahl allen Andern, sich rings um mich her zu stellen und mir aufmerksam zuzuhören, worauf ich ungefähr folgende Rede hielt:

›Ein niedriges Glück wird nie durch Müßiggang und Trägheit veredelt, und einem feigen Gemüthe war das Geschick nie günstig. Wir selbst sind die Schmiede unseres Glücks, und es gibt keine, Seele, die nicht fähig wäre, sich bis zu diesem Punkte zu erheben. Der Feige ist immer arm, ward er auch im Reichthum geboren, und ein Geiziger bleibt stets ein Bettler. Dies Alles sage ich euch, meine Freunde, um euch aufzuregen und anzureizen, daß ihr strebt, euer Glück zu verbessern, daß ihr diese elenden Habseligkeiten, diese Netze und schwachen Barken verlaßt, und jene Schätze sucht, die wir durch eine hochherzige Anstrengung erringen. Hochherzig aber nenne ich die Anstrengung, die nach den edelsten Gütern strebt. Der Tagelöhner wühlt in der Erde und gewinnt mit saurem Schweiß an jedem Tage so viel, daß er leben kann, ohne den mindesten Ruhm zu erwerben. Würde er nicht, wenn er könnte, statt des Grabscheits die Lanze ergreifen, um in der Glut des Sommers und dem Frost des Winters nicht nur seinen Unterhalt, sondern auch Ruhm zu erringen? Der Krieg, obwol eine Stiefmutter für den Feigen, ist eine liebende Mutter dem Tapfern, und den Preis, den wir kämpfend erringen, können wir einen überirdischen nennen. Wohlauf, ihr Freunde, ihr kräftigen Jünglinge, wendet eure Augen, jenem Schiffe nach, das die Lieblinge eurer Eltern entführt, und besteigt mit mir dies andere Schiff, das, wie ich glaube, durch eine Fügung des Himmels an unserm Ufer liegen blieb. Laßt uns ihnen nacheilen und Seeräuber werden, nicht aus Geldgier, sondern um Gerechtigkeit zu üben. Wir Alle verstehen die Kunst der Schifffahrt, Vorräthe nebst allem Nöthigen werden wir dort finden, denn die Sieger nahmen nichts mit als die Frauen. Da das Unrecht groß ist, was wir erlitten haben, so ist auch die Gelegenheit mächtig, die sich zur Rache uns darbeut. Folge mir also, wer Muth hat! Ich bitte euch darum, Carino und Solercio flehen um euren Beistand, denn ich bin gewiß, sie werden mich in diesem edeln Unternehmen nicht verlassen.‹

Kaum hatte ich meine Rede geendigt, so ließ sich ein Gemurmel in, allen Barken vernehmen, die Männer rathschlagten untereinander, was zu thun sei, und endlich erscholl der allgemeine Ruf: ›Schiffe Dich ein, edler Gast! sei unser Capitain, unser Anführer. Wir Alle wollen Dir folgen!‹

Dieser unverhoffte Entschluß der ganzen Versammlung schien mir eine glückliche Vorbedeutung, und aus Furcht, jeder Aufschub in der Ausführung meines kühnen Unternehmens könne sie zu einer reiferen Überlegung veranlassen, ließ ich meine Barke vorausrudern, der beinahe vierzig andere nachfolgten. Wir fanden das Schiff und bestiegen es, und ich durchsuchte es ganz, um zu sehen, was vorräthig war und was noch fehlte. Zum Glück war aber Alles vorhanden, was ich nur wünschen konnte und was zu einer Seereise erforderlich ist. Ich rieth meinen Gefährten, Keiner von ihnen solle noch einmal zurückkehren, damit das Geschrei der Weiber und geliebten Kinder sie nicht bei einer so ehrenvollen Unternehmung wankend mache. Alle befolgten meinen Rath und nahmen augenblicklich in Gedanken von Eltern, Weib und Kindern Abschied. Diese Entschlossenheit war so wunderbar, daß eure freundliche Gesinnung allein diesem Punkte meiner Erzählung Glauben schenken kann.

Kein Einziger kehrte nach Hause zurück, um sich mit mehr Kleidern zu versorgen, als die er auf dem Leibe trug. So bestiegen wir das Schiff, und es wurden nicht die verschiedenen Ämter vertheilt; denn ein Jeder war Matrose oder Steuermann. Ich allein ward durch den allgemeinen Wunsch zum Capitain ernannt. Nachdem ich Gott um seinen Beistand gebeten, trat ich mein neues Amt sogleich an, und befahl zuerst, das Schiff von den Leichen zu befreien und vom Blut zu reinigen, womit es ganz bedeckt war. Dann ließ ich alle Waffen jeder Art, die sich vorfanden, zusammenbringen. Ich vertheilte sie, und gab einem Jeden die, von welchen ich glaubte, er werde sie am besten zu führen wissen. Ich untersuchte darauf die Vorräthe, und berechnete, wie lange sie ungefähr nach der Zahl der Mannschaft ausreichen konnten.

Nachdem dies Alles besorgt war, hielten wir ein gemeinschaftliches Gebet, damit Gott unseres Fahrt leiten, und unsere ehrenvolle Unternehmung segnen möge; dann ließ ich die Segel hissen, die an die Segelstangen gebunden waren, und sie dem Winde ausspannen, der noch vom Lande her blies; und eben so fröhlich als kühn, und eben so kühn als vertrauungsvoll gaben wir unserm Lauf dieselbe Richtung, in der, wie wir glaubten, das Schiff seine Beute entführt hatte.

Da seht ihr mich nun, meine Freunde, die ihr mir ein so gefälliges Ohr leiht, als Fischer und Ehestifter, reich im Besitz einer geliebten Schwester, und verarmt durch ihren Verlust. Von Räubern überfallen, und als Anführer gegen diese Räuber ausziehend. So ist Kein Stillstand in den Umwandlungen meines Schicksals, und nichts Unglaubliches, was mir nicht begegnet.«

»Halte jetzt ein,« sagte nun Arnaldo, »halt ein, Freund Periander; denn wenn es Dich auch nicht ermüdet, so viele Leiden zu erzählen, so betrübt es uns doch, sie zu hören.«

»O mein Prinz,« antwortete Periander, »seit lange bin ich das Ziel, auf welches alle Pfeile des Unheils gerichtet sind, und noch ist der Köcher nicht geleert. Und doch sollte ich jedes Leiden für ein Glück achten, da ich meine Schwester Auristela wiedergefunden habe. Wie denn auch Das nur mit Recht ein Unglück heißt, was uns das Leben raubt.«

»Ich,« erwiederte Transila, »verstehe diese Behauptung nicht, weiß aber, daß Du uns die Fortsetzung Deiner Geschichte noch schuldig bist, die mir so wunderbare erscheint, daß sie verdient, von Vielen gehört und von der geschicktesten Feder beschrieben zu werden. Es ist mir überraschend, Dich als Anführer von Seeräubern zu sehen; denn diesen Namen verdienen Deine tapfern Fischer doch, und ich bin sehr gespannt, zu hören, welche eure erste That gewesen, und das erste Abenteuer, das euch aufstieß.«

»Den nächsten Abend,« antwortete Periander, »werde ich, wenn es möglich ist, meine Erzählung beendigen, denn was ich bisher berichtet, ist nur noch der Anfang.«

Alle waren es zufrieden, sich den nächsten Abend wieder einzufinden, und Periander unterbrach seine Rede für jetzt, um sie alsdann wieder anzuknüpfen.

 


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