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Periander setzt die Erzählung seiner Abenteuer fort, und spricht von einem wunderbaren Traum.
» Schlaf und tiefes Schweigen hüllte die Sinne meiner Gefährten ein, und ich befragte Den, der mit mir wachte, um Mancherlei, was zur Kunst der Schifffahrt gehört. Da ergoß sich urplötzlich ein Regen aus den Wolken, der nicht in Tropfen, sondern in Strömen herunterstürzte, so daß es den Anschein hatte, als sei das ganze Meer zu der Region der Wolken hinaufgestiegen, um sich von dort auf unser Schiff herabzusenken. Wir erschraken heftig, richteten uns auf und schauten nach allen Seiten um; aber der Himmel war hell und kein Zeichen von Sturm zu entdecken, worüber wir in noch größere Furcht und Verwunderung geriethen. Der Matrose, welcher neben mir stand, sagte aber:
›Ohne Zweifel ergießt sich dieser Regen aus den Öffnungen, die jener ungeheure Fisch, welcher der Schiffbrecher heißt, unter den Augen hat; wenn Dies der Fall ist, so sind wir in großer Gefahr unterzugehen, und wir müssen alle Kanonen abfeuern, um diese Ungeheuer, wo möglich, zu verscheuchen.‹
In diesem Augenblick sah ich, wie sich ein Kopf, gleich dem einer fürchterlichen Schlange, aus den Wellen erhob, sich über das Schiff hinstreckte, einen Matrosen packte, und in einem Augenblick verschluckte, ohne ihn nur zu kauen.
›Das sind die Schiffbrecher!‹ rief der Steuermann. ›Nur rasch gefeuert, mit oder ohne Kugeln, es gilt gleich viel, denn der Knall und nicht die Schüsse, wie ich schon sagte, muß uns retten.‹
Vor Entsetzen waren alle Matrosen verwirrt und betäubt. Sie wagten nicht, sich vom Boden zu erheben, um nicht in den Rachen jener Ungeheuer zu stürzen; sie eilten aber denn doch zu den Kanonen und feuerten sie ab, Andere liefen schreiend zu den Pumpen, um das Schiff vom Wasser zu befreien. Dann spannten wir alle Segel auf und entflohen, als verfolge uns eine ganze Flotte, aus dieser entsetzlichen Gefahr, der größten, die bis dahin uns bedroht hatte.
Des andern Tages, beim Anbruch der Nacht, erreichten wir das Ufer einer Insel, die Keiner von uns kannte. Hier beschlossen wir, frisches Wasser einzunehmen und den Tag zu erwarten, ohne uns von der Küste zu entfernen. Wir zogen die Segel ein, warfen die Anker aus, und überließen die matten Glieder der Ruhe und dem Schlaf, der uns auch bald in seine weichen Arme schloß.
Kurz, wir verließen Alle das Schiff und betraten das liebliche Ufer, dessen Sand, und Dies ist keine Übertreibung, Goldkörner und kleine Perlen waren. Wir gingen tiefer ins Land hinein, und erblickten Wiesen, deren Rasen im frischesten Grün leuchtete, und nicht aus Grashalmen, sondern aus Smaragden bestand, und die von Bächen durchströmt wurden, die nicht krystallnes Wasser, wie es sonst genannt wird, sondern flüssige Diamanten ergossen. Sie ringelten sich durch den Anger und sahen aus wie Schlangen von Krystall. Wir sahen auch einen Wald mit Bäumen aller Art, die so schön waren, daß sie unsere Sinne erquickten, und wir in noch größere Verwunderung geriethen. An einigen der Bäume hingen Zweige, die von Rubinen glänzten, welche wie Kirschen aussahen, oder von Kirschen, die wie Rubinen leuchteten. Andere trugen Äpfel, an denen die eine Seite aus rothem Diamant, und die andere aus dem feinsten Topas bestand. Auch Birnen sahen wir, die wie Ambra dufteten und in den Farben glänzten, welche die untergehende Sonne in den Wolken bildet.
Kurz, alle Früchte, die wir hier erblickten, waren gereift, ohne daß die Jahreszeit darauf Einfluß zu haben schien. Überall blühte der Frühling in seiner Pracht, zu ihm gesellte sich der Sommer, aber ohne drückende Hitze, und der Herbst streute reichlich seine glänzenden Gaben aus. Alle unsere Sinne wurden entzückt durch Das, was uns umgab. Die Augen von dem Glanz der Schönheit, das Gehör durch das sanfte Rieseln der Quellen und Bäche, wie durch den Gesang der zahllosen Vögel, denen die Natur selbst die süßesten Lieder lehrte, und die, von Baum zu Baum und von Ast zu Ast hüpfend, in freiwilliger Gefangenschaft in diesem lieblichen Aufenthalt zu leben schienen. Den Geruch erquickte der Duft, der aus Kräutern, Blumen und Früchten strömte. Der Geschmack ergötzte sich, als wir die süßen Früchte zu kosten versuchten; und das Gefühl erfreute sich durch die Berührung dieser Wunder; denn wir glaubten die Perlen von Sur, die Diamanten von Indien und daß Gold von Tibet in den Händen zu halten.«
»Schade daß Clodio nicht mehr lebt,« sprach Ladislao zu seinem Schwiegervater Mauricio, »denn er hätte gewiß über Perianders Erzählung viel zu sagen gewußt.«
»Sei ruhig, mein Geliebter,« entgegnete Transila, zu ihrem Gemahl sich wendend; »Du magst sagen, was Du willst, so kannst Du doch nicht läugnen, daß Periander seine Abenteuer anmuthig vorträgt.« Dieser setzte nun, nachdem die Zuhörer einige Reden gewechselt hatten, die seinige fort, die, wenn auch noch so schön, doch zu lang war, wodurch sie fast mehr ermüdete als ergötzte.
»Alles, was ich bis jetzt beschrieben habe, ist, noch gar nichts,« fuhr Periander fort; »denn Das, was nun kommt, kann kein Verstand begreifen, und auch der gefälligste Zuhörer wird es nicht glauben. Schaut euch um in dem Paradiese, das ich geschildert, meine Freunde, und bildet euch ein, ihr seht aus der Spalte eines Felsen Das erscheinen, was wir erblickten, ohne daß Dies eine Täuschung unsrer Augen sein konnte. Ich sage also, daß wir zuerst aus der Spalte des Felsen einen lieblichen Klang vernahmen, über den wir Alle erstaunten, und der von vielen Instrumenten auszugehen schien. Dann zeigte sich ein Wagen, an dem ich nicht unterscheiden konnte, aus welchem Material er bestand, aber seine Gestalt will ich beschreiben. Er sah aus wie ein gescheitertes Schiff, das so eben aus einem furchtbaren Sturm entkommen ist; er wurde von zwölf mächtigen Affen, diesen üppigsten aller Thiere, gezogen. Auf dem Wagen saß eine überaus schöne Dame, mit einem prächtigen Gewande von den buntesten Farben bekleidet, und mit einem Kranz von gelben, bittern Lorbeerrosen geschmückt. Sie stützte sich auf einen schwarzen Stab, an dem eine kleine Tafel hing, auf der geschrieben stand: Die Sinnlichkeit. Es folgten ihr noch viele schöne Frauen, welche verschiedene Instrumente in den Händen hielten, und bald traurige, bald fröhliche Weisen ertönen ließen, die aber alle äußerst lieblich waren.
Ich und alle meine Gefährten standen im höchsten Erstaunen da, als wären wir Statuen ohne Gefühl, aus hartem Stein gebildet. Die Sinnlichkeit nahte sich mir, und sprach mit einer halb erzürnten und doch süßen Stimme:
›Es wird Dir theuer zu stehen kommen, kühner Jüngling, daß Du mein Feind bist, und Dir das Leben, oder doch Dein Glück kosten.‹
Nach diesen Worten setzte sie ihren Weg fort, und die musicirenden Frauen ergriffen mit Gewalt sieben oder acht meiner Gefährten, und nahmen sie mit sich. Dann verschwanden Alle, indem sie ihrer Gebieterin folgten, wieder in der Felsenspalte.
Ich wandte mich zu meinen Leuten um, sie zu fragen, wie ihnen Dies däuchte, was sie gesehen hatten? Aber nun ertönte ein Klang, der sehr verschieden von dem eben gehörten, und noch weit süßer und lieblicher war. Eine Schaar der allerschönsten Jungfrauen ließ ihn ertönen; dies schienen sie mir nämlich zu sein und waren es auch ohne Zweifel; denn meine Schwester Auristela führte sie an, und ging vor ihnen her. Stände sie mir nicht so nahe, so würde ich hier einige Zeit bei der Beschreibung ihrer mehr als irdischen Schönheit verweilen. Was hätte man wol damals von mir verlangen können, was ich in der Freude dieses Wiedersehens nicht hingab! Es konnte Jemand mein Leben fordern, ich hätte es gern geopfert, wäre mir nicht damit zugleich der so unverhofft gefundene Schatz entrissen worden. Meine Schwester ging zwischen zwei Jungfrauen, von denen die eine zu mir sprach:
›Wir Beide sind die Enthaltsamkeit und die Schaam, beständige Begleiterinnen der Keuschheit, die sich hier unter der Gestalt Deiner geliebten Schwester Dir zeigt. Wir werden sie nie verlassen, bis ihre Leiden und Wanderungen ein glückliches Ziel und Ende erreichen in der heiligen Stadt Rom.‹
Da ergriff mich, bei diesen lieblichen Worten, der himmlischen Schönheit und dem nie gesehenen Wunder, das sich vor meinen Augen entfaltete, ein unnennbares Entzücken, ich erhob die bebende Stimme, um der Seligkeit, die mein Herz erfüllte, Worte zu geben, und rief aus:
›O einziger Trost meiner Seele! O süßer Schatz, zu meinem Heil gefunden! lieblich und entzückend, jetzt und für mein ganzes Leben.‹
Die Anstrengung, mit der ich diese Worte sprach, war so groß, daß ich erwachte. Das schöne Bild war verschwunden, und ich befand mich in meinem Schiffe, mit allen meinen Gefährten, ohne daß ein Einziger fehlt.«
Constanza fragte erstaunt: »Also hattet Ihr geträumt, Periander?«
»Freilich,« antwortete er; »denn all mein Glück ist nur ein Traum.«
»Wahrhaftig,« erwiederte Constanza, »ich wollte eben Auristela fragen, wo sie die ganze Zeit gewesen sei, da wir nichts von ihr hörten.«
»Mein Bruder hat wirklich seinen Traum so erzählt,« sprach Auristela, »daß ich selbst nicht wußte, ob es Wirklichkeit oder Erdichtung war.«.
»Die Kraft der Einbildung ist so groß,« fügte Mauricio hinzu, »daß sie unserm Gedächtniß die Gegenstände unauslöschlich einprägt, und so verwechseln wir Erdichtetes und wirklich Erlebtes.«
Arnaldo sagte kein Wort bei diesen Gesprächen, und beobachtete die Lebendigkeit und Leidenschaft, mit der Periander erzählte; aber aus keinem Umstand der Geschichte kam sein Zweifel, den der boshafte Clodio ihm eingeflößt hatte, zur Gewißheit, ob Auristela und Periander wirklich Geschwister wären. Endlich wandte sich der Prinz zu Periander, und sprach:
»Fahre nun in Deiner Geschichte fort, und erzähle uns keine Träume mehr; denn in einem unruhigen Gemüth erzeugen sich stets die mannichfachsten und seltsamsten. Auch ist die schöne Sinforosa ungeduldig, zu erfahren, von wo Du kamst, da Du zuerst auf dieser Insel erschienest, die Du als gekrönter Sieger wieder verließest, in den Festen, die jährlich am Tage der Thronbesteigung gefeiert werden.«
»Die Erinnerung an den schönen Traum,« erwiederte Periander, »machte mich vergessen, wie unpassend alle Abschweifungen in einer Geschichte sind, die gedrängt und nicht ausführlich erzählt werden soll.«
Polykarp schwieg; denn sein Auge ruhte auf Auristela und seine Gedanken waren mit ihr beschäftigt! Ihm war es fast gleichgültig, ob Periander seine Erzählung. fortsetzte oder nicht. Dieser hatte indessen bemerkt, daß seine lange Geschichte einige der Zuhörer ermüdete, und er beschloß deshalb, sie abzukürzen, und mit so wenig Umschweif als möglich zu Ende zu bringen. Also fuhr er fort.