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Sinforosa entdeckt Auristela die Liebe ihres Vaters.
Jeder hatte einen Vertrauten, dem er seine Empfindungen mittheilen konnte. Polykarp besprach sich mit seiner Tochter, Clodio mit Rutilio. Nur der betrübte Periander war mit sich allein, und Auristela's Reden machten ihm so viele Sorgen, daß er nicht wußte, bei wem er Trost suchen sollte. »Gott stehe mir bei!« sprach er bei sich selbst. »Habe ich recht gehört, oder hat Auristela den Verstand verloren? Sie die Vermittlerin meiner Vermählung! Hätte sie unsrer Schwüre vergessen? Was ist mir Sinforosa? Konnten Kronen und Reichthümer mich je dahin bringen, Dich zu verlassen, so lange ich noch Persiles bin?«
Nachdem er diese Worte gesprochen, biß er sich auf die Lippen und blickte nach allen Seiten um, weil er fürchtete, es habe ihn Jemand gehört?; da er aber vom Gegentheil überzeugt war, fuhr er also fort:
»Ganz gewiß ist Auristela eifersüchtig; denn die Eifersucht entspringt bei Liebenden aus der Luft, die sie anhaucht, aus dem Sonnenstrahl, der sie bescheint, ja, selbst aus dem Boden, den ihr Fuß betritt. O meine Geliebte! bedenke, was Du thust, erniedrige nicht Deine Tugend und Schönheit, und raube mir nicht den Lohn meiner unerschütterlichen Treue; denn Tugend und Beständigkeit erringen mir die kostbarste Krone der wahren Liebe. Schön, reich und edel ist Sinforosa; aber mit Dir verglichen, erscheint sie mir häßlich, arm und niedrig. Du weißt es ja, Gebieterin, daß die Liebe in unserm Herzen entweder durch Wahl oder durch Schicksal entspringt. Letztere bleibt stets auf derselben Höhe; die aus eigner Wahl entstandene kann wachsen oder abnehmen, so wie die Ursachen, welche uns zu gegenseitiger Liebe bewegen. Da dies eine unbestrittene Wahrheit ist, so hat im Gegentheil meine Liebe weder Schranken, die sie beengen, noch Worte, die sie aussprechen können. Ja, ich mag wol sagen: fast seit der Wiege habe ich Dich geliebt und deshalb ist meine Liebe auch eine vom Schicksal bestimmte, sie wuchs mit den Jahren und der Vernunft, wie in Dir jede Liebenswürdigkeit und Tugend. Dich sehen, Dich bewundern und anbeten war mein Leben, so prägte sich Dein Bild in mein Herz, und so wurden unsere Seelen nur Ein Wesen, daß es dem Tode selbst schwer werden wurde, sie auseinander zu reißen. Deshalb, o Du mein höchstes Gut! nenne mir nicht Sinforosa, preise mir keine fremde Schönheit, wähne nicht, mich durch Kronen und Zepter zu verlocken, und entziehe mir nicht den süßen Brudernamen, der mir so lieblich tönt. Alles dies, was ich mir selbst sage, möchte ich Dir sagen mit den nämlichen Worten, die sich jetzt in meinem Geist gestalten; aber ich vermag es nicht, denn der Strahl Deiner Augen, vorzüglich wenn Du zürnend mich anblickst, verstört meinen Sinn und bindet mir die Zunge. Besser ist es, ich schreibe Dir einen Brief; denn geschriebene Worte bleiben immer dieselben, Du kannst sie auch oft betrachten und darin immer dieselbe Wahrheit wieder finden, dieselbe Treue und den edlen Wunsch, Deines Vertrauens würdig zu bleiben. So sei es, ich schreibe Dir.«
Durch diese Vorstellung beruhigte er sich etwas, und es dünkte ihn, er werde mit größerer Zuversicht seine Gedanken der Feder als der Zunge anvertrauen.
Wir lassen Periander schreiben, um zu hören, was Sinforosa mit Auristela sprach; die Prinzessin war nämlich zu dieser geeilt, um zu erfahren, was Periander ihr gesagt hatte. Sie suchte sie allein zu treffen, um ihr zugleich die Absichten ihres Vaters zu offenbaren; sie war fest überzeugt, nach dieser Mittheilung alsbald ihr Jawort zu erhalten; Reichthum und Herrlichkeit würde, so meinte sie, selten verschmäht, am wenigsten von den Frauen, denn die meisten derselben wären habsüchtig, da der Stolz und die Hoffart ihnen angeboren sei. Sinforosa war Auristela nicht sehr willkommen, denn da sie Periander nicht wieder gesehen hatte, war sie ungewiß, was sie ihr sagen sollte. Sinforosa wollte aber, ehe sie ihr Anliegen vortrug, das ihres Vaters zur Sprache bringen; da sie sich einbildete, durch eine so erfreuliche Botschaft Auristela ganz für sich zu gewinnen, wodurch sie vorzüglich die Erfüllung ihrer Wünsche hoffte. Sie begann also mit folgenden Worten:
»Es ist augenscheinlich, schönste Auristela, daß der Himmel Dich ganz besonders liebt; denn er schüttet Glück und immer mehr Glück auf Dich herab. Wisse, mein Vater, der König, betet Dich an, und sendet mich, um Dir zu verkündigen, daß er Dich zur Gemahlin wünscht, und zum Lohn für Dein Jawort, das ich ihm bringen soll, verspricht er, mir Periander zum Gatten zu geben. Du bist also Königin, meine Theure, und ich glücklich in Perianders Besitz. Unendliche Reichthümer stehen Dir zu Gebote, und ist auch das Alter meines Vaters Dir nicht ganz erfreulich, so wird es Dich doch erfreuen, über so viele Vasallen zu herrschen, die immerdar Deinem Wink gehorchen werden. Viel, meine Freundin und Gebieterin, habe ich Dir anvertraut, und viel wirst Du für mich thun; denn von einer großen Seele, wie die Deinige, läßt sich auch eine große Erkenntlichkeit erwarten. In uns soll die Welt zum ersten Mal zwei Schwägerinnen sehen, die sich lieben, und zwei Freundinnen, die einander treu bleiben ohne Falsch; wir werden dies ausführen, wenn Deine Klugheit sich selbst nicht verleugnet. Jetzt sage mir aber: was hat Dein Bruder Dir für eine Erwiederung gegeben auf meinen Antrag? Ich hoffe eine erfreuliche Antwort; denn für thöricht müßte ich Den halten, der Deinem Rathe nicht wie dem einer Gottheit folgte.«
Auristela sprach: »Mein Bruder Periander ist dankbar wie ein edler Ritter, und erfahren wie ein weitreisender Pilgrim; denn viel zu sehen und viel zu lesen erweckt den Geist des Menschen. Unsere Leiden sind das Buch, in dem ich und mein Bruder lernen, wie hoch die Ruhe zu achten sei, und da Das, was Du uns anbietest, etwas so Großes ist, so zweifle ich nicht daran, daß wir es annehmen werden. Bis diesen Augenblick hat mir aber Periander noch keine Antwort gegeben, und ich kenne seinen Sinn so wenig, daß ich Deine Hoffnung weder erheben noch niederschlagen will. Laß, o schöne Sinforosa, die Zeit Zeit gewinnen, und uns indeß die Größe Deiner Wohlthaten erwägen, damit wir sie gehörig schätzen, im Fall wir sie annehmen. Das, was wir im Leben nur ein Mal thun können, läßt sich nicht verbessern, wenn es mißglückt, weil es nicht wiederholt werden kann, und ein solches ist die Eheverbindung; deshalb muß sie wohl erwogen werden, bevor sie geschlossen wird; selbst wenn nichts mehr zu bedenken wäre, was Deinem Wunsch entgegenstehen könnte. Darum gehe nun, meine Schwester, und laß Periander zu mir rufen; ich wünsche von ihm eine fröhliche Botschaft für Dich zu empfangen, und mit ihm zu Rathe zu gehen über Das, was mir geziemt, da ich ihm als älterem Bruder Ehrfurcht und Gehorsam schuldig bin.«
Sinforosa umarmte sie und entfernte sich, um Periander rufen zu lassen, der unterdeß, in seinem Zimmer eingeschlossen, die Feder ergriffen hatte. Vielmals fing er einen Brief an, zerriß dann das Blatt wieder und schrieb von Neuem; oft strich er Etwas aus und fügte etwas Anderes hinzu, bis er endlich mit folgendem Briefe fertig war.
»Ich habe nicht gewagt, der Zunge anzuvertrauen, was ich jetzt zittere, die Feder aussprechen zu lassen; denn Der kann nichts Bedeutsames schreiben, für Den wegen des nahen Todes das Leben selbst keine Bedeutung mehr hat. Jetzt erfahre ich, daß nicht jeder Verständige einen guten Rath zu geben weiß für Alles; sondern nur Diejenigen, die Das wahrhaft erkennen, wofür ihr Rath verlangt wird. Vergib mir also, wenn ich Deinen Rath nicht befolge; bedünkt es mich doch, daß Du entweder mich nicht mehr kennst, oder Dein eignes Selbst vergessen hast. Kehre zu Dir zurück, Geliebte, und laß nicht einen eitlen Wahn und eine grundlose Eifersucht das Gleichgewicht erschüttern, in dem Dein seltner Geist sich stets erhalten hat. Bedenke, wer Du bist, und vergiß nicht, wer ich bin, so wirst Du in Dir einen Muth entdecken, den die Tugend verleiht, und in mir eine Treue, die nur die Liebe geben kann. Vertraue alsdann dieser verständigen Überzeugung und fürchte weder, daß eine fremde Schönheit mich entflammen könnte, noch hege den Wahn, Deine himmlische Gestalt und Dein hoher Geist werde je in meinem Gemüth durch ein anderes Bild verdunkelt. Laß uns die Reise fortsetzen und unser Gelübde erfüllen, frei von fruchtloser Eifersucht und ungegründetem Argwohn. Die Abreise von hier werde ich so schnell als möglich zu bewerkstelligen suchen, denn es dünkt mir, als würde ich dadurch von der Höllenqual erlöst und dem Himmel zurückgegeben, in dem Du, rein von Eifersucht, thronst.«
Dies war Perianders Brief, und so ließ er ihn, nachdem er sechs Mal angefangen und das Geschriebene ausgelöscht hatte. Er faltet das Blatt zusammen und ging zu Auristela, die ihn schon hatte rufen lassen.