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Clodio gibt Auristela den Brief, Antonio der Barbar tödtet ihn unversehens.
Die Geschichte erzählt, daß Clodio's Kühnheit, oder vielmehr seine Unverschämtheit so hoch stieg, daß er die Frechheit hatte, Auristela jenes unziemliche Blatt zu überreichen, das er geschrieben, indem er ihr sagte, es seien einige fromme Verse, die wol verdienten, gelesen und beachtet zu werden. Auristela öffnete den Brief, und ihr Erstaunen war so groß, daß es dem Zorne keinen Raum ließ und sie bis zu Ende las. Nachdem sie es durchgelesen, faltete sie das Blatt wieder zusammen, und richtete die Augen auf Clodio, welche nicht wie gewöhnlich mit einem lieblichen Glanz leuchteten, sondern in Funken des heftigsten Zornes sprühten.
»Entferne Dich von hier!« rief sie, »Du schamloser, fluchbeladener Mensch! Könnte ich die Schuld Deiner wahnsinnigen Verwegenheit auf irgend eine Weise meiner eignen Achtlosigkeit zuschreiben, welche die Reinheit meiner Ehre getrübt hätte, so würde ich an mir selbst Deine Frechheit bestrafen; aber ungestraft soll sie nicht bleiben, wenn sich nicht vielleicht Mitleid noch zwischen Deine Thorheit und mein Dulden stellt.«
Clodio war sehr erschrocken und hätte jetzt wirklich gern sein halbes Leben hingegeben, um diesen unüberlegten Schritt zurückzunehmen. Tausend Ängste bestürmten seine Seele; denn wenn Arnaldo oder Periander seine Nichtswürdigkeit erfahren sollten, so hielt er diesen Augenblick für den letzten seines Lebens. Ohne ein Wort zu erwidern schlug er die Augen nieder, wandte sich um und verließ Auristela, deren Gemüth von einer nicht ungegründeten Furcht geängstigt ward: sie dachte, Clodio's Verzweiflung könne ihn verleiten, sie an Polykarp zu verrathen, wenn er die Absichten desselben vielleicht erfahren hätte, und sie entschloß sich, Periander und Arnaldo den Vorfall mitzutheilen.
Gleich nach dieser Begebenheit, als der junge Antonio allein in seinem Zimmer war, trat eine Frau plötzlich zu ihm ein, von etwa vierzig Jahren, die aber durch ihre Lebhaftigkeit wol für zehn Jahre jünger gelten konnte. Sie war nicht nach der Sitte jenes Landes, sondern spanisch gekleidet; und obwol Antonio die Trachten der verschiedenen Länder nicht kannte, sondern nur die jener Insel, auf der er geboren und erzogen war, so bemerkte er doch gleich, daß diese Frau keine Einheimische sein konnte. Er ging ihr entgegen, um sie höflich zu begrüßen; denn obgleich in der Wildniß aufgewachsen, war er doch wohlerzogen. Sie setzten sich, und die Schöne, wenn man einer Frau in ihren Jahren noch diesen Namen geben darf, sprach, nachdem sie Antonio aufmerksam betrachtet hatte:
»Es wird Dir seltsam scheinen, junger Mann, mich bei Dir zu sehen, da Du wol nicht gewohnt bist, Besuche von Frauen anzunehmen, wuchsest Du doch, wie ich gehört habe, auf der Insel der Barbaren auf, und nicht einmal unter Menschen, sondern zwischen Felsen und Klippen, von denen Du auch ein steinernes Herz geerbt hast, so daß ich fürchten muß, die Zartheit des meinigen wird mir wenig fruchten. Entferne Dich nicht, bleibe ruhig und höre mir zu; denn kein Ungeheuer ist in Deiner Nähe, und Niemand der Dir Etwas sagen oder rathen will, was der menschlichen Natur entgegen ist. Du hörst, daß ich spanisch rede, eine Sprache, die Du ebenfalls verstehst, und eine solche Übereinstimmung pflegt Freundschaft unter Denen zu erzeugen, die einander nicht kennen. Ich heiße Zenotia, bin eine Spanierin, und in Alhama, einer Stadt im Königreich Granada, geboren und erzogen. Mein Name ist in ganz Spanien, ja auch in fremden Ländern bekannt; denn meine Talente blieben nicht in der Dunkelheit und meine Thaten erwarben mir Ruhm. Vor vier Jahren verließ ich mein Vaterland, um den Nachstellungen der wachsamen Hunde zu entfliehen, welche in jenem Reiche die christliche Heerde hüten. Ich bin aus sarazenischem Geschlecht, habe mich in das Studium des Zoroaster vertieft und es weit darin gebracht. Sieh diese Sonne, die uns leuchtet: verlangst Du einen Beweis meiner Macht, so will ich ihre Strahlen verdunkeln und sie mit schwarzen Wolken verhüllen. Fordere nur, und ich verwandte den hellen Tag in finstre Nacht. Oder verlangst Du zu sehen, wie die Erde zittert, die Winde gegen einander kämpfen, das Meer sich erhebt, Berge sich bewegen, wilde Thiere brüllen, oder willst Du andere furchtbare Zeichen, die uns den Anblick des alten Chaos gewähren? Befiehl, und so wie es geschieht, wirst Du mir Glauben beimessen. Auch mußt Du wissen, daß in der Stadt Alhama immer eine Frau meines Namens gelebt hat, welche mit der Benennung Zenotia zugleich diese Wissenschaft erbte. Denn nicht die Hexenkunst wird uns gelehrt, wie Viele sich einbilden; sondern die Zauberei und Magie, welches die eigentlichen Namen für unsere Wissenschaft sind. Die Hexenkünste bringen nie Etwas hervor, was von irgend einem Nutzen sein kann, und treiben ihre nichtigen Gaukeleien auch nur mit nichtigen Gegenständen, als mit angebissenen Bohnen, Nähnadeln mit abgebrochener Spitze, Stecknadeln ohne Knopf, und Haaren, bei zu- oder abnehmendem Mond geschnitten. Sie bedienen sich auch einiger Chiffern, die sie nicht verstehen, und wenn sie bisweilen Etwas von Dem erreichen, wofür sie arbeiten, so haben sie Dies nicht durch ihre Einfalt errungen, sondern weil Gott es zu ihrer Verdammniß zuläßt, daß der Böse sie hintergehe. Wir aber, die wir uns Magier und Zauberinnen nennen, sind Menschen einer höheren Art. Wir sind mit den Gestirnen vertraut, beobachten die Schwingungen der Himmel und kennen die Kräfte der Kräuter, Pflanzen, Gesteine und Worte. Das Wirkende verbinden wir mit dem Empfangenden. So scheinen wir Wunder zu verrichten, und erkühnen uns zu so entsetzlichen Thaten, daß wir das Staunen der Menschen erregen, die uns als wohlthätig preisen, oder als schädlich verdammen. Sie nennen uns gut, wenn wir ihnen durch unsere Wissenschaft nutzen, und böse, wenn wir ihnen schaden. Da es aber scheint, daß die Natur uns mehr zum Bösen als zum Guten hinzieht, können wir unsere Begierde nicht so in Schranken halten, daß sie nicht die Bande sprengt, um unsre Mitgeschöpfe zu beschädigen. Und Dies wahrlich mit Recht: denn wer will dem Erzürnten, dem Gekränkten verbieten, sich zu rächen? oder dem verschmähten Liebhaber die Geliebte, die ihn verabscheut, zur Gegenliebe zu zwingen, wenn er es könnte? Obwol die Neigung eines Andern zu zwingen oder zu beherrschen, es weder eine Wissenschaft gibt, die es vermag, noch eine Naturkraft, die es bewirkt; denn der Wille des Menschen ist frei.«
Während die Spanierin Zenotia also sprach, betrachtete. Antonio sie mit Verwunderung, begierig zu hören, wohin diese lange Rede führen würde. Zenotia fuhr aber fort:
»Ich sagte Dir schon, verständiger Jüngling, daß die spanische Inquisition mich aus meinem Vaterlande verjagte; denn wer sich gezwungen sah zu entweichen, kann sich wol verjagt nennen. Ich kam nach vielfachem Umherirren und tödtlichen Gefahren endlich auf diese Insel. Stets war mir das Unheil an den Fersen, und oft wandte ich mich rückwärts, weil die Hunde schon den Saum meines Kleides packten, die ich selbst hier noch fürchte. Ich gab mich dem König, Polykarp's Vorgänger, zu erkennen; ich wirkte verschiedene Wunder, mit denen ich das Volk in Staunen setzte. Endlich suchte ich Vortheil aus meiner Kunst zu ziehen, so daß ich jetzt mehr als dreißigtausend Goldstücke gesammelt habe. Da mein Gemüth nur auf den Gewinn gerichtet war, führte ich ein keusches Leben und begehrte kein anderes Vergnügen, würde es auch vielleicht nie begehrt haben, wenn mein gutes oder böses Geschick Dich nicht an diese Küste verschlagen hätte; denn in Deiner Hand liegt es nun, über mein Schicksal zu schalten. Erscheine ich Dir häßlich, so kann ich es bewirken, daß Du mich für schön hältst. Sind dreißigtausend Goldstücke, die ich Dir zu Füßen lege, zu wenig, so steigere Deine Forderung so hoch Du willst, und Du sollst alsbald vor Dir sehen, was Du verlangst. Um Dich zu befriedigen, schaffe ich die Perlen herbei, welche die Tiefe des Meeres verbirgt; wenn Du es befiehlst, ziehe ich die Vögel aus der Höhe herab, indem sie die Lüfte durchstreichen. Alle Pflanzen der Erde sollen Dir ihre Früchte darbringen, und der Abgrund das Kostbarste herausgeben, was seine Eingeweide verschließen. Ich will Dich unüberwindlich machen in jeder Prüfung, milde im Frieden und gefürchtet im Kriege. Mit Einem Wort: ich will Dein Geschick auf eine Höhe stellen, daß Du stets der Beneidete sein sollst, und nie Andere beneiden darfst. Zum Lohn für alle diese Gaben verlange ich nicht, daß Du mein Gemahl werdest, nein, nur daß Du mich zu Deiner Sklavin annehmen mögest; denn dazu ist es nicht nöthig, daß Du mich liebst, wie ich es fordern könnte, wäre ich Deine Gattin. Wenn ich aber nur die Deinige bin, auf welche Art es auch sei, werde ich ein beglücktes Leben führen. Beweise es nun, o edelmüthiger Jüngling, daß Du Verstand hast, indem Du Dich dankbar bezeigst; verständig aber wirst Du handeln, wenn Du, ehe Du mir für meine Wohlthaten dankst, Dich durch die Erfahrung von meiner Macht überzeugst. Und zum Zeichen. der Einwilligung erfreue nun meine Seele und gib mir ein Pfand des Friedens, indem Du mir Deine kräftige Hand darreichst.«
Bei diesen Worten erhob sich die Zauberin, um den Jüngling zu umarmen. Antonio war in der größten Verwirrung; und wie eine züchtige Jungfrau, die einen Angriff auf ihre Ehre fürchtet, setzte er sich in Vertheidigungsstand. Er sprang auf, ergriff seinen Bogen, den er beständig auf der Schulter oder dicht neben sich hatte, zog einen Pfeil aus dem Köcher und zielte auf Zenotia, von der er bis auf zwanzig Schritte geflohen war. Die drohende, tödtliche Stellung behagte der verliebten Dame nicht sehr, sie wich aus, um dem Geschoß zu entgehen, und der Pfeil Antonio's, der in seinem Gemüthe sich noch mehr als in seiner Tracht als Barbar zeigte, flog dicht an ihrer Kehle vorbei. Aber er war dennoch nicht vergeblich entsendet, denn in diesem Augenblick trat der boshafte Clodio zur Thüre herein und ward das Ziel des Geschosses, das ihm Mund und Zunge durchbohrte. So schied er schweigend vom Leben, zur gerechten Strafe seiner vielen Sünden.
Zenotia wandte sich um, erblickte das Opfer, das dem Pfeile gefallen war, und voll Angst, Antonio möge einen zweiten entsenden, entfloh sie, ohne sich ihrer vielfach gepriesenen Künste zu bedienen, voll Furcht und Schrecken, wankend und stolpernd aus dem Zimmer, mit dem Vorsatz, an dem grausamen, lieblosen Jüngling, Rache zu nehmen.