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Worin erzählt wird, wer und von wannen Die waren, welche in dem Schiffe ankamen.
Nachdem sie sich, wie gesagt, vom Schiffe und vom Ufer gegenseitig begrüßt hatten, warf das Schiff die Anker aus und ließ das Boot herab, in welches vier Matrosen stiegen, die es mit Teppichen schmückten und die Ruder ergriffen; ihnen folgte ein stattlicher Mann von ungefähr sechzig Jahren, sein Gewand war von schwarzem Sammet, reichte ihm bis auf die Füße und war mit schwarzem Plüsch gefüttert, als Gürtel trug er ein breites seidnes Band, und auf dem Kopfe einen hohen, spitzen Hut, auch von Plüsch.
Nach ihm stieg ein schöner, kräftiger Jüngling in das Boot, von ungefähr vierundzwanzig Jahren, gekleidet in eine matrosenähnliche Tracht von schwarzem Sammet, ein vergoldetes Schwert hatte er an der Seite und einen Dolch im Gürtel.
Darauf wurden gebracht oder vielmehr in das Boot geworfen: ein Mann, schwer mit Ketten belastet, und eine Frau, gefesselt und an ihn geschmiedet mit denselben Eisen. Er war ungefähr vierzig Jahre alt, und sie mehr als funfzig; er sah muthig und trotzig aus, sie aber niedergeschlagen und traurig.
Die Matrosen ruderten, und das Boot war in wenigen Augenblicken am Ufer, Die Matrosen und einige Soldaten, welche in der Schaluppe waren, trugen auf ihren Schultern den Greis, den Jüngling und die Gefangenen ans Land. Transila, welche mit den übrigen näher trat und die Personen, welche aus dem Boote stiegen, aufmerksam betrachtete, sprach zu Auristela:
»Um des Himmels willen, Sennora, bedecke mir das Gesicht mit dem Schleier, den Du am Arm trägst, denn wenn ich mich nicht sehr irre, so kenne ich Einige von diesen Ankommenden und sie kennen mich.«
Auristela that was sie verlangte. Jene aus dem Schiffe nahten sich ihnen indeß und Alle begrüßten sich höflich. Der Greis im Sammetkleide ging gerade auf Transila los und sagte:
»Wenn meine Wissenschaft mich nicht täuscht und das Schicksal mir nicht widerstrebt, so wird diese Entdeckung mich glücklich machen.« Indem er so sprach, erhob er den Schleier von Transila's Angesicht und sank ohnmächtig in ihre Arme, die sie ihm entgegenstreckte, damit er nicht zu Boden stürzte.
Es ist wol zu glauben, daß dieser wunderbare, unerwartete Vorfall alle Umstehenden in Staunen versetzte, besonders da Transila nun ausrief: »O geliebtester Vater! Wie kommst Du hieher? Was führt Dein ehrwürdiges weißes Haar und Dein hohes Alter in diese fernen Regionen, so weit von Deiner Heimath?«
»Was ihn herführt?« sagte nun der muthige Jüngling. »Er sucht das Glück, was ihm mit Euch verloren ging. Er und ich, theuerste Gebieterin und Gemahlin, suchen den Stern, der uns zum Hafen des Glückes führen soll; da wir ihn aber nun, dem Himmel sei Dank, gefunden haben, so sorge, daß Dein Vater Mauricio wieder zu sich komme und erlaube mir dann seine Freude zu theilen; umarme ihn als Vater und mich als Deinen rechtmäßigen Gemahl.«
Mauricio kam wieder zu sich und Transila ward nun ohnmächtig, Auristela nahm sie in ihre Arme und Ladislao, denn dies war der Name ihres Gemahls, wagte nicht, sich ihr zu nahen, um die Ehrfurcht nicht zu verletzen, welche er Transila schuldig war. Da aber die Schwäche, welche durch eine erfreuliche, überraschende Begebenheit verursacht wird, entweder schnell das Leben raubt oder bald vorübergeht, so blieb Transila nicht lange in der Ohnmacht.
Der Besitzer jener Behausung oder Herberge sprach: »Tretet herein, meine edlen Herren und Damen, denn hier könnt ihr euch in größerer Bequemlichkeit und gegen die Kälte geschützt, eure Begebenheiten mittheilen.«
Sie folgten seinem Rath, und als sie in das Haus traten, sahen sie, daß es geräumig genug war, um eine große Anzahl Menschen zu beherbergen. Die beiden Gefesselten folgten und die Soldaten, welche sie bewachten, halfen ihnen ihre Eisen tragen. Einige liefen nach dem Schiffe und trugen schnell und freudig die wohlschmeckenden Speisen herbei, die sie mitgebracht hatten.
Es wurden Lichter angezündet und die Tische gedeckt; und ohne fürs Erste an etwas Anderes zu denken, stillten Alle ihren Hunger. Die Gerichte bestanden mehr aus Fischen als aus Fleischspeisen, denn es wurden von den letzteren nur Vögel aufgetragen, die dort einheimisch sind und auf eine so seltsame Weise entstehen, daß ich sie erzählen muß.
Es werden nämlich Pfähle am Ufer des Meeres und zwischen den vom Wasser bespülten Steinen eingeschlagen; diese Pfähle verwandeln sich in kurzer Zeit in hartes Gestein; was über dem Wasser ist, verfault, und aus diesem verwesten Holze entsteht ein kleiner Vogel, der dann auf dem Lande lebt und wenn er größer geworden, so wohlschmeckend ist, daß er eines der besten Gerichte gibt, die sie dort haben. In Schottland und Irland sind diese Vögel in großer Menge und werden dort Barnaclas genannt.
Alle hatten ein so großes Verlangen die Geschichte der Neuangekommenen zu hören, daß die Mahlzeit ihnen zu lange währte, und als sie geendigt war, schlug der alte Mauricio mit der flachen Hand auf den Tisch, als ein Zeichen, daß er um ein aufmerksames Gehör bitte. Alle wurden still, das Schweigen schloß ihre Lippen, die Neugier schärfte ihr Gehör, und Mauricio begann folgendermaßen seine Erzählung:
»Auf einer von den sieben Inseln, welche nicht weit von der Küste Hiberniens liegen, ward ich geboren; dort hat auch mein Geschlecht seinen Ursprung, dessen Alter dadurch schon bewiesen ist, wenn ich sage, es stammt von den Mauriciern ab. Ich bin ein katholischer Christ und gehöre nicht zu Denen, die den wahren Glauben durch Zweifel verunglimpfen. Meine Eltern erzogen mich zum Studium sowohl der Waffen, als der Wissenschaften, im Fall man die Waffen ein Studium nennen kann. Mit besonderer Leidenschaft trieb ich die wahrsagende Astrologie und erwarb mir dadurch einen großen Namen. Als ich das gehörige Alter erreicht hatte, vermählte ich mich mit einer schönen und vornehmen Frau aus meiner Vaterstadt, welche mir diese Tochter schenkte, die ihr hier seht. Ich fügte mich den Sitten meines Vaterlandes in Allem, was mit der Vernunft übereinstimmt und in Das, was ich für widersinnig hielt, ergab ich mich dem Scheine nach, denn zuweilen ist Verstellung unvermeidlich. Dies Mädchen wuchs unter meiner Aufsicht heran, denn die Mutter wurde ihr zwei Jahre nach ihrer Geburt entrissen. Ich verlor die Stütze meines Alters und mußte die Pflicht allein übernehmen, eine Tochter zu erziehen. Um mich dieser Sorge zu entladen, denn für alte, ermattete Schultern ist sie schwer zu tragen, wählte ich ihr, da sie die Jahre erreicht hatte, einen Bräutigam, um ihr einen Beschützer und Gefährten zu geben, und meine Wahl fiel auf diesen edeln Jüngling an meiner Seite, der sich Ladislao nennt; es geschah dies, mit Zustimmung meiner Tochter, da ich es nicht nur für billig, sondern auch für nothwendig halte, daß die Eltern ihre Kinder nur nach deren Wunsch und Willen verheirathen, denn sie geben ihnen einen Gefährten nicht für wenige Tage, sondern für die ganze Lebenszeit; und daraus, daß die Verheirathungen nicht auf diese Weise geschlossen werden, entsprangen und entspringen noch immer tausend Verkehrtheiten, die gewöhnlich zu einem höchst unglücklichen Schicksal fuhren.
Ihr müßt wissen, daß ein Gebrauch in meinem Vaterlande herrscht und zwar ist dieser der schlimmste unter vielen schlechten. Wird nämlich eine Heirath geschlossen und ist der Tag der Vermählung gekommen, so versammeln sich in einem großen Hause, was dazu bestimmt ist, der Bräutigam und die Braut, mit den beiderseitigen Brüdern, wenn sie diese haben, auch die nächsten Verwandten beider Familien, nebst den Vorstehern der Stadt. Diese als Zeugen und jene als Henkersknechte, denn anders kann ich sie nicht nennen. Die Verlobte wird in ein prächtiges Gemach geführt, wo sie Das erwarten muß, was ich nicht aussprechen mag, weil die Scham mir die Zunge bindet; hier, sage ich, muß sie erwarten, daß die Brüder ihres Bräutigams und einige ihrer nächsten Verwandten nach einander kommen, die Blüthen ihres Gartens zu pflücken und die Blumen zu zerstören, welche sie gern unberührt für ihren Gatten bewahren möchte. Dies ist ein barbarischer, nichtswürdiger Gebrauch, der gegen alle Gesetze der Ehrbarkeit und des Anstandes streitet; denn welche reichere Mitgift kann eine Jungfrau ihrem Bräutigam bringen, als daß sie Jungfrau ist? und was kann ihn mehr beglücken, als die Reinheit ihrer Jungfräulichkeit? Die Ehrbarkeit geht immer mit der Scham Hand in Hand und die Scham mit der Ehrbarkeit, und wenn die eine oder die andere untergraben oder zerrüttet wird, so sinkt das Gebäude der Schönheit in Staub und kann nur Verachtung oder Widerwillen erwecken. Oft wollte ich meine Landsleute bereden, diesen abscheulichen Gebrauch abzuschaffen; aber wenn ich kaum anfing, ward ich mit tausend Drohungen des Todes überhäuft, woraus ich sah, wie Recht das alte Sprichwort hat, welches sagt: Gewohnheit ist die zweite Natur und ihr entgegen handeln ist wie der Tod.
Kurz, meine Tochter verschloß sich in das besagte Gemach, ihren Untergang erwartend und indem ein Bruder ihres Bräutigams hineingehen will, um den schändlichen Verkehr zu beginnen; – seht, da stürzt heraus mit einem geschwungenen Speer in den Händen, in den großen Saal, wo wir Alle waren, Transila, schön wie die Sonne, tapfer wie eine Löwin und ergrimmt wie ein Tieger.«
So weit war der alte Mauricio in seiner Erzählung gekommen, welche Alle mit der größten Aufmerksamkeit anhörten, als Transila, von demselben Geist fortgerissen, der sie in jenem Augenblick durchglühte, von dem der Vater eben sprach, sich von ihrem Sessel erhob und mit von Zorn erstickter Stimme, ihr Antlitz Gluth und ihre Augen Feuer, mit einer Geberde, durch die sie weniger schön gewesen wäre, wenn durch irgend Etwas die höchste Schönheit verlieren konnte, erzählte sie, ihrem Vater ins Wort fallend, Das, was wir im folgenden Capitel lesen werden.