Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Capitel.

In welchem eine wunderbare Begebenheit erzählt wird.


Es scheint, daß mit dem Schiffe auch der Verstand des Autors dieser Geschichte scheiterte oder in Verwirrung gerieth; denn dies zweite Capitel hat er auf vier oder fünferlei Weise angefangen, und schien ungewiß zu sein, wie er in seiner Erzählung fortfahren sollte. Endlich faßt er einen Entschluß und sagt: daß Glück und Unglück oft so vereint zu kommen pflegen, daß sie nicht von einander unterschieden werden können, und Schmerz und Freude zuweilen so schnell aufeinander folgen, daß der Leidende, welcher sich der Verzweiflung hingibt, eben so unverständig ist, als der Beglückte, der seinen Zustand für dauernd hält, wie aus der nachfolgenden, seltsamen Begebenheit deutlich zu ersehen ist.

Das Schiff versenkte sich, wie wir erzählten, in das Meer, und die Todten erhielten ein Grabmal ohne Erde. Die Hoffnung war vernichtet und jede Rettung unmöglich; aber der erbarmungsvolle Himmel, der oft von fern her ein Mittel bereitet, um unsern Leiden abzuhelfen, fügte es so, daß das Schiff nach und nach, von den nun sanften und beruhigten Wellen an das Ufer einer fruchtbaren Ebene getrieben ward und dort, bei nun eingetretener Windstille, wie auf einer sichern Zufluchtsstätte ruhte. Nicht weit von da war ein geräumiger Hafen, mit vielen Schiffen, und in den Wogen beschaute sich, wie in einem klaren Spiegel, eine volkreiche Stadt, deren herrliche Gebäude auf einem ansehnlichen Hügel prangten.

Die Einwohner der Stadt sahen das umgestürzte Schiff und hielten es in der Entfernung für einen Wallfisch oder irgend ein Seeungethüm, das beim Gewitter umgestürzt sei. Eine Menge Volks strömte hinaus, das Wunder zu sehen, und als sie sich überzeugten, es sei ein Schiff, meldeten sie es dem König Polykarp, denn dieser war der Beherrscher jener Gegend. Er kam mit großem Gefolge und von seinen beiden schönen Töchtern, Polykarpa und Sinforosa, begleitet an das Ufer; er ließ auf vielen Barken Hebel und Maschinen nach dem Schiffe bringen und es so nach und nach in den Hafen ziehen. Einige stiegen nun hinauf und berichteten dem Könige, sie hörten inwendig klopfen und fast dünke es ihnen, menschliche Stimmen zu vernehmen. Ein alter Ritter, der neben dem König stand, sprach:

»Ich erinnere mich, mein Gebieter, wie ich einst im mittelländischen Meere, im Hafen von Genua eine spanische Galeere gesehen habe, welche umgestürzt war wie diese, der Mastbaum in den Sand gebohrt und der Kiel nach oben. Ehe sie umgekehrt oder wieder in Ordnung gebracht wurde, ließ sich ein Geräusch in Innern vernehmen, sie schnitten mit einer Säge eine Öffnung aus, um hineinsehen zu können, und siehe da! kaum war dies geschehen, so stieg der Capitain des Schiffes und noch vier Andere von der Mannschaft wohlbehalten aus der Öffnung hervor. Ich habe dies mit angesehen, und es ist auch in mehreren spanischen Geschichtsbüchern beschrieben. Es wäre wahrlich nicht unmöglich, daß Menschen auch hier wieder zum Vorschein kämen, die zum zweiten Male aus dem Bauche der Galeere geboren würden. Wenn Dasselbe sich hier wiederholt, so ist es nicht ein Wunder zu nennen, sondern eine wunderbare Fügung; denn die Wunder geschehen außerhalb den Gesetzen der Natur, und die wunderbaren Fügungen erscheinen nur als Wunder, sind es aber nicht, sondern bloß solche Begebenheiten, die sich selten zutragen.«

»Worauf warten wir denn also?« sprach der König. »Man säge sogleich eine Öffnung in dieses Schiff, und laßt uns diese wunderbare Fügung sehen; denn wenn dieser Bauch lebende Menschen von sich gibt, so will ich dies für ein Wunder halten.«

Mit großer Eile wurde nun das Schiff angesägt, und mit noch größerer Begier erwarteten Alle die Geburt. Endlich that sich eine geräumige Höhlung auf, in deren Innerem man Todte erblickte und Lebende, die Gestorbenen glichen. Einer der Umstehenden steckte den Arm hinein und ergriff ein Weib, an deren klopfendem Herzen er bemerkte, daß sie noch lebe. Nun eilten Viele herbei, und Jeder suchte eine Beute zu erringen; aber Einige zogen statt der Lebenden Todte heraus, denn nicht jedem Fischer ist ein glücklicher Zug beschieden.

Als die Ohnmächtigen an die Luft kamen, und das Licht die halb Gestorbenen bestrahlte, schöpften sie Athem und fingen an sich zu regen. Sie fuhren sich mit den Händen über das Gesicht, rieben sich die Augen, dehnten die Arme aus, und schauten sich, wie aus einem tiefen Traum erwachend, nach allen Seiten um. Auristela sah sich in Arnaldo's Armen, Transila in Clodio's, Ricla und Constanza in Rutilio's, Antonio Vater und Sohn begrüßten sich als Lebende, denn Letzterer war ohne fremde Hülfe herausgestiegen, und so that auch Mauricio. Arnaldo war mehr erstaunt und überrascht als die wieder Erwachten, und lebloser als die Todten. Auristela schaute ihn an ohne ihn zu kennen, und das erste Wort was sie ihm sagte, war (denn sie unterbrach zuerst das tiefe Schweigen):

»Mein Bruder, ist vielleicht die schöne Sinforosa unter diesen Leuten?«

Gerechter Himmel! was ist das? dachte Arnaldo bei sich, wie kommt sie dazu, nach Sinforosa zu, fragen in einem Augenblick, wo sie nur daran denken sollte, Gott zu danken? Trotz seiner Verwunderung antwortete er aber doch:

»Ja, sie ist hier,« und zugleich fragte er sie, woher sie sie kenne? denn Arnaldo wußte nicht, was Auristela mit dem Capitain des gestrandeten Schiffes erlebt, und wie er ihr von Perianders Siegen erzählt hatte; also konnte er nicht begreifen, weshalb Auristela nach Sinforosa fragte, und hätte er die Ursache gewußt, gewiß würde er dann gedacht haben, daß die Eifersucht eben so gewaltig als fein ist, daß ihre Schneide zugleich mit der Sichel des Todes die Seele berührt, und sie ein liebendes Herz selbst bis zum letzten Athemzuge verfolgt.

Nachdem nun bei den Auferstandenen, wie man sie wol nennen kann, die Betäubung etwas vorüber war, so wie das Staunen der Lebenden, die sie herausgezogen hatten, und das Bewußtsein den Gedanken wieder Raum gab, da fragten Alle verwirrt und durcheinander: wie Jene, die am Ufer waren, hieher gerathen und woher diese mit dem Schiffe gekommen?

Polykarp befahl, das Schiff am Schlepptau in den Hafen zu ziehen; denn als seine Seite geöffnet wurde und die eingeschlossene Luft herausströmte, füllte, sich sogleich der ganze Raum mit Wasser. Sein Befehl wurde befolgt. Zugleich betraten Alle, die in dem Schiffsraum gewesen, das Ufer, und wurden von dem König Polykarp, seinen Töchtern und den Vornehmsten der Stadt mit Freude und Bewunderung begrüßt; aber was Alle, und vorzüglich Sinforosa, am meisten in Staunen setzte, war die unvergleichliche Schönheit Auristela's, auch Transila's herrliche Gestalt ward gepriesen, und nicht minder die liebliche Jugend und fremde Tracht Constanza's, über welche jedoch das stattliche Ansehen und die lebhaften Züge ihrer Mutter Ricla nicht vergessen wurden. Da die Stadt nahe war, begaben sich Alle zu Fuße dahin, und es war nicht nöthig, für ein bequemeres Fortkommen zu sorgen.

Unterdeß war Periander auch herbeigekommen, seine Schwester Auristela zu begrüßen; Transila und Ladislao theilten sich ihre gegenseitigen Schicksale mit, und der alte Antonio erzählte Frau und Tochter, wie es ihm ergangen war. Nur Auristela schwieg, ganz in Sinforosa's Anblick versunken, endlich wandte sie sich aber zu Periander und sprach:

»Mein Bruder, ist jene schöne Dame vielleicht Sinforosa, die Tochter des Königs Polykarp?«

»Sie ist es,« antwortete Periander, »und aus ihrem lieblichen Angesicht strahlt Schönheit und Freundlichkeit.«

»Sie muß sehr freundlich sein,« erwiederte Auristela, »denn sie ist sehr schön.«

»Wäre sie es auch weniger,« sagte Periander, »mir würde sie also scheinen, geliebte Schwester, denn sie hat mir viele Huld erzeigt.«

»Wenn Ihr die Schönheit nach der Huld messet,« sprach Auristela, »so muß ich für Euch die schönste Frau auf der Welt sein.«

»Mit dem Himmlischen,« entgegnete Periander, »läßt das Irdische sich nicht vergleichen. Alle Lobeserhebungen, so überschwenglich sie auch sein mögen, müssen sich in gewissen Grenzen halten. Zu sagen, daß eine Frau schöner sei als ein Engel, ist eine höfliche Schmeichelei, aber keine aufrichtige Meinung. Nur wenn ich Dich preise, holdseligste Schwester, hemmt mich keine Schranke, und die Lobeserhebungen, die ich Deiner Schönheit zolle, entspringen aus Wahrhaftigkeit und Überzeugung.«

»Wenn die erduldeten Leiden und Beschwerden nicht meine Schönheit verdunkelt hätten,« sprach Auristela, »so würde ich Deinem Worte vielleicht glauben, theurer Bruder; aber ich hoffe auf den barmherzigen Himmel, daß er dereinst meinen Unfrieden zum Frieden lenken, und meine Qualen mit Wonne belohnen wird. Unterdeß aber bitte ich Dich, so sehr ich nur bitten kann: laß durch keine fremde Schönheit, noch durch Gunstbezeigungen andrer Frauen Das aus Deinem Herzen verlöschen, was Du mir schuldig bist; denn in mir und meiner Liebe können Deine irrenden Gedanken Ruhe und Deine Sehnsucht Befriedigung finden. Wenn Du neben meiner körperlichen Schönheit, wie sie nun auch sein mag, die Schönheit meiner Seele betrachtest, so kann diese Vereinigung Dir wol genügen.«

Auristela's Worte setzten Periander in Verlegenheit; er bemerkte ihre Eifersucht, und dies war ihm etwas ganz Unerwartetes, da er aus einer langen Erfahrung wußte, daß Auristela's Klugheit nie die Grenzen der Sittsamkeit überschritt, und aus ihren Lippen nur züchtige und liebliche Reden flossen. Nie hatte sie ihm Etwas gesagt, weder öffentlich noch im Geheim, was eine Schwester nicht dem Bruder sagen konnte.

Arnaldo war neidisch auf Periander, Ladislao erfreute sich seiner geliebten Transila und Mauricio seiner Tochter und seines Eidams, Antonio ergötzte sich am Gespräch mit Frau und Kindern, Rutilio war über das allgemeine Wiederfinden froh, und der boshafte Clodio über die wunderbare Begebenheit, die er nun überall, wo er auch künftig sein würde, erzählen konnte.

Sie gingen zur Stadt und der großmüthige Polykarp sorgte königlich und prächtig für seine Gäste. Arnaldo ward am meisten Ehre erzeigt, denn er kannte ihn als Erbprinzen von Dänemark und wußte, daß er aus Liebe zu Auristela sein Königreich verlassen hatte; so wie er nur Auristela's Schönheit erblickte, war auch das Umherschweifen des Prinzen in seinem Herzen entschuldigt. Polykarpa und Sinforosa gaben Auristela eine Wohnung in ihren eigenen Gemächern und Sinforosa wendete die Augen nicht von ihr ab, indem sie dem Himmel dafür dankte, daß er es so gefügt, daß sie nicht Perianders Geliebte, sondern seine Schwester war. Sowol wegen ihrer Liebenswürdigkeit als der nahen Verwandtschaft mit Periander verehrte sie Auristela, und trennte sich fast nie von ihr; sie merkte auf jede ihrer Geberden, beachtete jedes ihrer Worte, bewunderte ihren Geist, und Alles, selbst der Ton ihrer Stimme machte ihr Freude. Auristela beobachtete Sinforosa fast auf dieselbe Weise; obwol in Beiden Absichten und Empfindungen sehr verschieden waren; da Auristela's Aufmerksamkeit aus Eifersucht, und die der Prinzessin aus aufrichtigem Wohlwollen entsprang.

Einige Tage hielten die Fremden sich in der Stadt auf, um von der bestandenen Beschwerde auszuruhen, und Arnaldo machte Vorbereitungen, nach Dänemark zurückzukehren, oder Auristela und Periander zu begleiten wohin sie wollten; denn er hatte jetzt wie immer keinen andern Willen, als den der beiden Geschwister. In dem müßigen Leben hatte Clodio's scharfer Blick bald die Leidenschaft Arnaldo's entdeckt und bemerkt, wie schwer das Joch der Liebe seinen Nacken drücke. Als er eines Tages mit ihm allein war, sprach er zu ihm:

»Du weißt, wie ich die Laster der Fürsten stets öffentlich getadelt habe, ohne die Rücksicht zu beobachten, die ich ihrem Stande schuldig war, und ohne irgend zu fürchten, was mir aus meinen bösen Reden erwuchs. So will ich Dir auch jetzt, ohne auf Deine Erlaubniß zu warten, ein Geheimniß entdecken, und bitte Dich, mich geduldig anzuhören; findet doch ein guter Rath Entschuldigung in der wohlgemeinten Absicht, auch wenn er nicht angenehm ist.«

Clodio's Reden setzten Arnaldo in Verwirrung, und er konnte nicht begreifen, wohin diese Einleitung führen solle. Er beschloß also, ihn anzuhören, und befahl ihm, zu sagen, was er wolle. Unter diesem sichern Geleit fuhr Clodio nun folgendermaßen fort:

»Herr, Du liebst Auristela. Ich sollte nicht sagen, Du liebst sie, denn Du betest sie an, und wie ich gehört habe, weißt Du weder wer sie ist, noch sonst etwas von ihren Verhältnissen, als was sie Dir selbst gesagt hat; sie aber hat Dir nichts gesagt. Über zwei Jahre hast Du sie in Deiner Gewalt gehabt und in dieser Zeit, wie sich denken läßt, alle Mühe angewendet, um ihre Härte zu erweichen, ihre Strenge zu mildern, und durch das heilige Versprechen der Ehe ihren Willen dem Deinigen zu unterwerfen. Die Sachen stehen aber heute noch auf demselben Punkt wie den ersten Tag, da Du ihr Deine Absichten eröffnetest: daraus schließe ich nun, daß Deine Geduld eben so groß sein muß als ihre Undankbarkeit, und bitte Dich, zu überlegen, daß irgend ein Geheimniß darunter verborgen liegt, wenn eine Frau ein Königreich ausschlägt und einen Prinzen, der es so sehr verdient geliebt zu werden. Auch muß es einen geheimen Grund haben, wenn ein Frauenzimmer ihre Herkunft mit so großer Ängstlichkeit verbirgt und in der Welt umherstreift, von einem Jüngling begleitet, der, obgleich er sich für ihren Bruder ausgibt, es doch vielleicht nicht ist; wenn sie von Land zu Land, von Insel zu Insel zieht, sich jeder Unfreundlichkeit des Himmels, jedem Ungemach auf der Erde preis gibt, wo ihr oft noch größere Gefahren drohen als in den Stürmen des Meeres. Von allen Gütern, die der Himmel den Sterblichen verleiht, ist keines höher zu achten als die Ehre, und selbst das Leben ist weniger kostbar. Der Edle soll nur Gütern nacheifern, die anständig und gerecht sind.«

So weit war Clodio in seiner Rede gekommen, und wollte mit gründlichen, wohldurchdachten Beweisen fortfahren, als Periander hereintrat und ihn zu seinem wie auch dem Verdruß des Prinzen unterbrach, der gern noch mehr von ihm gehört hätte. Mauricio, Ladislao und Transila erschienen ebenfalls, und zuletzt, auf Sinforosa gestützt, Auristela, die sich so unwohl fühlte, daß man es für nöthig hielt, sie zu Bette zu bringen; ihre Krankheit erschreckte aber Periander und Arnaldo in solchem Grade, daß, hätten sie nicht mit Vorsicht ihren Zustand verheimlicht, der Arzt vielleicht eher zu ihnen als zu Auristela geeilt wäre.

 


 << zurück weiter >>