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VII.
Probleme des Physischen


1. Von der Erhaltung der Energie zur allgemeinen Relativität

Eine ärztliche Beobachtung und ihre Folgen – Wärme und Arbeit – Die Metamorphose der Wärme – Vom Wandel und von der Erhaltung der Energie – Fachmann und Laie – Das Wärmeäquivalent – Das Ende des Perpetuum mobile – Der erste Hauptsatz der Wärmetheorie – Erhaltung der Energie und Varianz der Masse – Energiegesetz und Relativitätstheorie – Relativität und Invarianz


Am 20. März 1878 starb in seiner Vaterstadt Heilbronn Robert Mayer, der Mann, an dessen Geistestat, die Entdeckung des Gesetzes von der Erhaltung der Energie, eine neue Ära der Naturerkenntnis und der Naturforschung anknüpft, eine Tat und eine Entdeckung, die ihre Wirkung in gleicher Weise auf das Gebiet der exakten Naturwissenschaften wie das der Technik ausstrahlen, ebenso aber auch der philosophischen und erkenntnistheoretischen Betrachtung des Universums grundlegende neue Gesichtspunkte erschlossen haben. Ein Pionier der Menschheit auf dem Wege zur Erkenntnis war Robert Mayer, ein Pionier sowohl durch die Bedeutung jener inhalt- und folgeschweren Entdeckung wie auch durch die Jahrzehnte hindurch währenden unendlichen Mühen, die er daransetzen mußte, um die Welt, insbesondere die Wissenschaftler selbst, von der Wahrheit der neuen Auffassungsweise zu überzeugen, die seine Zeitgenossen etwa ebenso fremdartig und grotesk anmutete, wie es in unseren Tagen in ähnlicher Weise bei der Aufstellung der Relativitätstheorie der Fall war.

Es war im Jahre 1840, als sich der junge Schiffsarzt Robert Mayer in Batavia aufhielt und hier eine ihn in höchstem Maße interessierende Beobachtung machte. Er hatte einigen Matrosen einen Aderlaß gemacht und dabei gefunden, daß das Venenblut eine ungewöhnlich helle Färbung aufwies. Andere Ärzte bestätigten ihm dann, daß allgemein im heißen Klima das Venenblut eine hellere Färbung zeige als in der kälteren Zone. Mayer ging der Ursache der Erscheinung nach und fand sie in dem Umstand, daß infolge der ständig hohen Temperatur in jenen Regionen der menschliche Körper dort zu seiner Erhaltung und Arbeitsleistung weniger Wärme durch Verbrennung zu erzeugen braucht, als es in kälterem Klima der Fall ist. Die geringere Verbrennung, insbesondere die geringere Menge der Verbrennungsprodukte, äußert sich in einer helleren Färbung des Venenblutes. Was Mayer hier erkannt hatte, war also zunächst eine rein physiologische Tatsache, die ihn jedoch zu weiteren Studien über das Verhältnis der Wärme zur Arbeitsleistung nicht nur im menschlichen Körper, sondern in der Natur allgemein anregte und so der Ausgangspunkt einer langen Kette von Folgerungen und Forschungen wurde, aus denen schließlich der neue umwälzende Gedanke, seine weltbewegende Entdeckung, geboren werden sollte. Sie gipfelte in der Erkenntnis: Wärme und mechanische Arbeit stehen in engem Zusammenhang und sind einander äquivalent! Das heißt: mit einem bestimmten Quantum Wärme kann immer nur ein ganz bestimmtes und gleichbleibendes Quantum Arbeit geleistet werden, und umgekehrt kann durch mechanische Arbeit Wärme erzeugt werden, und zwar durch ein bestimmtes Quantum mechanischer Arbeit immer nur ein bestimmtes und gleichbleibendes Quantum Wärme. Im menschlichen Körper wird durch die Verbrennung der aufgenommenen Nahrungsstoffe Wärme erzeugt, die die Quelle der Arbeit ist, die der Mensch tagsüber zu leisten hatte; deutlicher noch sehen wir den Vorgang der Verwandlung von Wärme in Arbeit bei einer Dampfmaschine. Hier wird durch die Verbrennung der Kohlen auf dem Rost die Wärme erzeugt, die das Wasser im Dampfkessel in Dampf von hohem Druck verwandelt. Dieser so erzeugte Dampf wird in den Zylinder der Maschine geleitet und setzt hier durch seinen Druck den Kolben und damit die ganze Maschine in arbeitende Bewegung. In diesem wie in jenem Falle hat sich eine Metamorphose der Wärme in mechanische Arbeit vollzogen.

Wieso kommt nun aber dieser Auffassungsweise eine so gewaltige Bedeutung zu, daß sie ihren Entdecker, der ja von Studium und Beruf nicht Physiker, sondern Mediziner war, dennoch in die Zahl der größten Physiker einreiht? Nun, sie erschloß der Naturerkenntnis einen vollkommen neuen Gesichtspunkt, indem sie einen engen naturgegebenen Zusammenhang zwischen Wärme und jeder Art mechanischer Arbeit, gleichviel auf welche Weise diese erzeugt oder vollzogen wird, erkennen ließ und die Verwandtschaft und Umwandelbarkeit der beiden äußerlich so vollkommen heterogenen Erscheinungen Wärme und Arbeit lehrte. Bis dahin hatte man eigentlich noch niemals Veranlassung genommen, sich um das Verhältnis zwischen Wärme und Arbeitsleistung theoretisch des näheren zu kümmern. Man nahm die Entstehung von Wärme, wie sie beispielsweise bei dem Kreisprozeß der Dampfmaschine stattfindet, als eine Tatsache hin, sah es weiter als Tatsache an, daß die Wärme verschwand und zugleich an einer anderen Stelle des Mechanismus Arbeit geleistet wurde, und ließ sich an diesen Tatsachen genügen. Die Wärme verschwindet, nachdem sie erzeugt worden ist, und es bleibt von ihr nichts übrig –, das war die wissenschaftliche Auffassung jener Vorgänge. Mayer hingegen lehrte, daß bei allen diesen Vorgängen die Wärme nicht verschwindet, sondern sich nur in eine andere Form, nämlich in mechanische Arbeit, verwandelt, im übrigen aber in vollem Umfange erhalten bleibt. Wärme und Arbeit sind nur verschiedene Formen eines und desselben Etwas, das Mayer mit der Ausdrucksweise seiner Zeit ›Kraft‹ nannte, während wir es heute als Energie bezeichnen. Und indem in diese Auffassung auch alle anderen Energien, auch die Energie bewegter Massen, ebenso aber auch die der Elektrizität und des Lichtes, auch die chemische Energie, die zwischen den Atomen der Körper wirkt, überhaupt alle Kraftäußerungen einbezogen wurden, indem auch für alle diese Energiearten ihre Verwandtschaft mit der Wärme und untereinander und ihre Umwandelbarkeit ineinander postuliert wurde, wurde mit einem Schlage alle Bewegung und überhaupt alles Geschehen in der Welt, gleichviel ob dieses im Kreislauf des Blutes der Organismen, ob in den Energiewirkungen einer Maschine oder eines Erdbebens, ob in den Eruptionsvorgängen oder der Licht- und Wärmesendung unserer Sonne oder in irgendwelchen anderen kosmischen Vorgängen in den fernsten Regionen des Weltalls besteht, in einen engen und großartigen Zusammenhang gebracht, der das ganze Universum umfaßt, einen Zusammenhang, dessen Erkenntnis die Naturforschung auf einen vollständig neuen Boden stellte. Energie kann ebensowenig vernichtet werden oder aus dem Nichts entstehen, wie Materie weder vernichtet noch aus dem Nichts erzeugt werden kann. Die Erhaltung der Energie (Mayer nannte es noch die Erhaltung der Kraft) – das war die große Idee, die dem jungen Schiffsarzt in einer genialen Stunde aufgeblitzt war und mit der er dem Streben der Menschheit nach Wissen und Erkennen, nach Erkennen dessen, ›was die Welt im Innersten zusammenhält‹, eine neue Grundlage schuf. Denn die Umwandelbarkeit der Energien im Qualitativen und die Erhaltung der Energie im Quantitativen sind Grundgesetze aus dem tiefsten Innern der Natur.

Uns mutet die durch Robert Mayer angeregte und heute unser gesamtes naturphilosophisches, naturwissenschaftliches und technologisches Denken beherrschende Auffassung, die sich an den Begriff der Erhaltung der Energie knüpft, als selbstverständlich, als schon beinahe banal geworden, an. Für die Zeitgenossen Mayers, gelehrte wie ungelehrte, aber war diese Auffassungsweise etwas absolut Fremdartiges und Abstruses, und Mayer stieß mit seinen Ideen zunächst auf völlige Verständnislosigkeit, ja geradezu Feindseligkeit bei den Wissenschaftlern. Seine erste Abhandlung über jene neuen Ideen, die er den »Annalen für Physik und Chemie«, dem von Poggendorff herausgegebenen führenden Organ der physikalischen Forschung, übersandt hatte, wurde von Poggendorff glatt abgelehnt, um so mehr als der Verfasser ja nicht einmal Physiker von Fach, sondern nur Arzt war. In veränderter Form schickte Mayer seine Arbeit dann unter dem Titel »Bemerkungen über die Kräfte der unbelebten Natur« an den großen Justus von Liebig, den berühmten Chemiker und Herausgeber der »Annalen für Chemie und Pharmazie«, der sich einsichtiger als Poggendorff erwies und Mayers Arbeit – einen Meilenstein von ewiger Bedeutung für die Geschichte der wissenschaftlichen Literatur – in seinem Organ zum Abdruck brachte. Der Gedanke, daß Wärme, mechanische Arbeit, Elektrizität, Licht, chemische Energie usw. im Grunde ihres Wesens eigentlich ein und dasselbe sind und jede dieser untereinander so heterogenen Energiearten in die andere umgewandelt werden kann, mußte freilich damals, weil noch jede geistige Vorbereitung für diesen Gedanken fehlte, geradeso seltsam anmuten wie ursprünglich in unseren Tagen die Grundgedanken der Relativitätstheorie. Erst als es gelang, die neue Betrachtungsweise mit dem Experiment und der Zahl zu verknüpfen, wich allmählich das Fremdartige der Auffassung. Mayer hatte die Theorie aufgestellt, daß in allen Fällen, wo durch Wärme Arbeit geleistet wird, mit einem bestimmten Quantum Wärme immer nur ein ganz bestimmtes Quantum Arbeit geleistet werden könne. Es galt, dieses Äquivalenzverhältnis zwischen Wärme und Arbeit zahlenmäßig zu bestimmen, also festzustellen, welches Quantum Wärme notwendig ist, um eine bestimmte Arbeitsleistung zu erzielen und umgekehrt. Diese Feststellung war eine der wichtigsten, zugleich aber auch eine der schwierigsten Untersuchungen, die die Physiker jener Zeit vorzunehmen hatten. Wir messen mechanische Arbeit bekanntlich in Meterkilogrammen. 1 Meterkilogramm ist die Arbeitsmenge, die geleistet wird, wenn 1 Kilogramm um 1 Meter gehoben wird; das Maß der Wärme hingegen ist die Kalorie, das heißt die Wärmemenge, die nötig ist, um die Temperatur von 1 Kilogramm Wasser um 1 Grad zu erhöhen. Es galt also festzustellen, welche Arbeitsmenge, ausgedrückt in Meterkilogrammen, durch 1 Kalorie erzielt bzw. geleistet werden kann. Mayer selbst suchte diese Größe durch das Experiment festzustellen, gelangte jedoch nur zu einem sehr ungenauen Resultat. Erst mehrere Jahre später konnte der englische Forscher Joule, der in ähnlicher Weise wie Mayer, jedoch unabhängig von diesem, die Beziehungen zwischen Wärme und Arbeit studiert hatte, durch geeignetere Versuche feststellen, daß 1 Kalorie einer Arbeitsmenge von 424 Meterkilogramm (Mayer hatte 365 Meterkilogramm gefunden) entspricht. Man sagt, daß 424 Meterkilogramm das mechanische Äquivalent der Wärme sind, weil eine Arbeit von 424 Meterkilogramm und 1 Kalorie als Energiemengen einander gleichwertig sind. Erst mit dieser rechnerisch ausdrückbaren Bezeichnung war der neue Gedanke Mayers dem allgemeineren Verständnis erschlossen.

Energie kann nicht vernichtet werden, kann aber auch niemals aus dem Nichts entstehen. Mit dieser Folgerung, die sich aus dem Gesetz von der Erhaltung der Energie ergibt, war zugleich einem alten Zauberspuk ein Ende gemacht, der nur auf dem Boden der früheren, unvollkommenen Auffassung vom Wesen der Arbeit entstehen und sich Jahrhunderte hindurch erhalten konnte, nämlich dem Perpetuum mobile. Ein solches soll bekanntlich eine Maschine sein, die, einmal in Bewegung gesetzt, diese ewig beibehält und so ewig mechanische Arbeit leisten kann, ohne einer neuen Zufuhr von Kraft bzw. Energie zu bedürfen. Auf Grund der neuen Betrachtungsweise fiel diese kuriose Idee, die Jahrhunderte hindurch ungezählte Köpfe – und nicht die schlechtesten – vergeblich beschäftigt hatte, endlich wie ein Luftschloß zusammen. Nach dem Gesetz von der Erhaltung der Energie kann mehr Arbeit, als in eine Maschine hineingesteckt worden ist, niemals aus dieser herausgeholt werden, ebensowenig wie es möglich ist, aus einem Portemonnaie mehr Geld herauszuholen, als man vordem hineingetan hat. Eine Maschine kann sogar niemals so viel Arbeit zurückgeben, als sie zuvor ausgenommen hat, denn ein erheblicher Teil der ihr zugeführten Energie setzt sich durch Reibung in Wärme um, die für den praktischen Zweck verlorengeht. Erst durch die neue Lehre von der Erhaltung der Energie war die Überwindung der Idee des Perpetuum mobile wissenschaftlich möglich geworden; der Grundgedanke der Lehre von der Erhaltung der Energie, der zugleich auch als erster Hauptsatz der Wärmetheorie bezeichnet wird, fällt geradezu zusammen mit der Folgerung von der Unmöglichkeit eines Perpetuum mobile.

Heute beherrscht das Gesetz von der Erhaltung der Energie unser gesamtes naturwissenschaftliches und technologisches Denken als eine ihrer gesichertsten und fruchtbarsten Grundlagen, und ebenso ist dieses Gesetz zu einem Grundgedanken und gesicherten Erkenntnisprinzip der naturphilosophischen Betrachtung geworden. Auch die Relativitätstheorie, die so viele Begriffe des naturwissenschaftlichen und insbesondere unseres physikalischen Denkens der Revision unterwerfen will, hat das Gesetz von der Erhaltung der Energie in vollem Umfange unangetastet stehengelassen. Im Gegenteil hat dieses Gesetz im Rahmen der Relativitätstheorie sogar noch erhöhte Bedeutung erlangt, denn es umfaßt jetzt auch das Gesetz von der Erhaltung der Masse. Die Masse ist nach der Relativitätstheorie nicht mehr als konstant zu betrachten, denn sie geht je nach ihrem Bewegungszustande in Energie über. Die Erhaltung der Energie aber ist auch für die Relativitätstheorie ein Grundpfeiler jeder exakten physikalischen Betrachtung und muß das sein.

Tatsächlich liegt die Relativitätstheorie vollkommen in der Denkrichtung, die durch die Entdeckung des Gesetzes von der Erhaltung der Energie eröffnet wurde. Mayers These von der Umwandlung der Energiearten, die bis dahin für völlig heterogen erachtet worden waren, war der stärkste relativistische Gedanke, der überhaupt möglich war; seine andere These von der Erhaltung der Energiemenge aber postuliert die Invarianz des Naturgesetzes bei allem Wechsel der Erscheinungen, geradeso wie die Relativitätstheorie bei aller Relativität des Geschehens nach Raum und Zeit die Invarianz der Naturgesetze begründet und zur Forderung erhebt. Zweifellos wäre es viel richtiger, statt die Relativitätstheorie mit der kopernikanischen Umgestaltung unseres Weltbildes in Parallele zu setzen, diese Theorie durch den Vergleich mit der Tat und der Theorie Robert Mayers zu werten. Dadurch würde die Bedeutung der Relativitätstheorie nicht gemindert, sondern sie wäre auf das richtige Maß zurückgeführt, was vielleicht auch zu einer objektiveren Würdigung dieser heute noch immer starkumstrittenen Theorie führen würde, deren Wurzeln jedenfalls viel mehr bei Robert Mayer als bei Kopernikus zu suchen sind.


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