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Pythagoras und die Zahl – Die Zahlenreihe – Primzahlen – Teilbarkeitsregeln – Das Sieb des Eratosthenes – Die größte Primzahl – Die Konstruktion von Primzahlen – Ein Irrtum Fermats – Der Beweis der unendlichen Anzahl der Primzahlen
Die Zahl ist das Wesen der Dinge!« – so lautet ein Ausspruch des großen griechischen Philosophen und Mathematikers Pythagoras, desselben, der einstmals hundert Ochsen opferte aus Freude über die Auffindung des Beweises des nach ihm benannten Lehrsatzes, was wiederum zur Folge gehabt haben soll, daß seitdem alle Ochsen vor der Entdeckung neuer Wahrheiten eine heillose Angst haben. Der griechische Weise wollte mit jenem Satz wohl ausdrücken, daß die Erscheinungen und Gesetze der Natur wie überhaupt alles Seins und Geschehens zahlenmäßig bestimmt seien. Er hat auf diese Weise viele Dinge und Tatsachen in höchst scharfsinniger Weise zu deuten gesucht und beispielsweise den Rhythmus der Töne sehr richtig aus den Zahlenverhältnissen der schwingenden Saiten abgeleitet. Vieles allerdings haben Pythagoras und seine Schüler aus den Zahlen herauszulesen oder in sie hineinzuinterpretieren gesucht, das mehr Phantasie und Mystik als wissenschaftliche Erkenntnis war. Aber die Geheimnisse und Probleme der einfachen Zahlen sind ihnen schon in vollem Umfange aufgegangen, und vielleicht hat gerade das Rätselvolle der Zahlenreihe dem Begründer der Schule zu seinem Ausspruch Veranlassung gegeben. Und wie schon zu Pythagoras' Zeiten, so gehören die Eigenschaften und Rätsel der Zahlen noch heute mit zu den schwierigsten und eigenartigsten, zugleich aber auch reizvollsten Problemen des menschlichen Denkens überhaupt, Probleme, die nicht nur den Fachmann, den Mathematiker bzw. Zahlentheoretiker in ihrem Bann halten, sondern auch auf den denkenden Laien eine große Anziehungskraft ausüben, zumal die naive Beschäftigung mit den Zahlen und selbst mit zahlentheoretischen Begriffen und Problemen auch ohne tiefere mathematische Fachkenntnis geschehen kann und jedem leidlich Gebildeten geläufig ist. Viele Probleme der Zahlen sind seit der Zeit der Pythagoreer entdeckt, viele auch gelöst worden, aber dafür sind neue von ungeahnter Tiefe und Schwierigkeit entstanden.
Die Rätsel der Zahlen stecken in der »Zahlenreihe«, also in der Folge, in der wir, wenn wir zählen, die Zahlen aneinanderreihen nach dem Prinzip, daß jede Zahl immer um eine Einheit größer ist als die vorhergehende. Dabei unterscheiden wir bekanntlich die Primzahlen von den zusammengesetzten Zahlen. Als Primzahl bezeichnen wir eine Zahl, die durch keine andere Zahl teilbar ist, oder die, wie der Zahlentheoretiker, der alle Begriffe haarspalterisch genau auseinanderhält, zu sagen pflegt, nur durch die Zahl 1 und sich selbst teilbar ist, was natürlich auf dasselbe hinauskommt. Die Zahlen 1, 2, 3, 5, 7, 11 usw. oder, um auch einige größere zu nennen, 113, 1093, 3 628 811 usw. sind sämtlich Primzahlen, die also nicht weiter in andere Faktoren geteilt oder zerlegt werden können. Die Zahlen 4, 6, 8, 15, 63, 9287, 14 443 usw. sind zusammengesetzte Zahlen. Die Primzahlen nun sind es in erster Linie, die dem Zahlentheoretiker noch heute eine Reihe ungelöster Rätsel aufgeben; sie sind seine liebsten, aber zugleich auch seine Schmerzenskinder, an die sich eine ganze Reihe der tiefsten und schwierigsten Probleme knüpft. Schon die Feststellung, ob eine Zahl Primzahl ist oder nicht, macht bei großen Zahlen Schwierigkeiten, die im allgemeinen um so größer sind, je größer die fragliche Zahl ist, und die bei ganz großen Zahlen, abgesehen von ganz wenigen Ausnahmefällen, überhaupt nicht zu entscheiden ist, da es leider keine allgemeine Regel gibt, die hier Aufschluß geben könnte. Für einfache Fälle gibt es ja allerdings eine Reihe von Faustregeln. So ist jede Zahl, deren Endziffer eine gerade Zahl oder 0 ist, ebenfalls eine gerade Zahl, d. h. durch 2 teilbar, und ebenso ist jede auf 5 oder 0 endigende Zahl selbst durch 5 teilbar. Ferner ist jede Zahl, deren Quersumme (d. h. die Summe ihrer einzelnen Ziffern) durch 3 teilbar ist, ebenfalls durch 3 teilbar, und Entsprechendes gilt auch für die 9. Es gibt noch eine ganze Reihe solcher Regeln, die sich jedoch alle nur auf die Teilbarkeit mit den niedrigsten Primzahlen beschränken oder doch nur in solchen Fällen von Wert sind. Für die größeren Primteiler gibt es leider so einfache Regeln nicht, und um beispielsweise festzustellen, ob eine vorliegende große ungerade Zahl etwa durch 97 teilbar ist, bleibt nichts anderes übrig, als die Division der gegebenen Zahl mit 97 auszuführen. Bei den ganz großen Zahlen gehört die Feststellung ihrer Teilbarkeit mit zu den umständlichsten und schwierigsten Aufgaben der Zahlentheorie, die auch nur in wenigen Fällen zu einer Lösung führt. Gelänge es, eine Regel zu finden, vermittels deren man jeder und selbst der größten vorgelegten Zahl ansehen könnte, ob sie eine Primzahl ist oder nicht, so wäre damit der Wissenschaft von den Zahlen ein ungeheuer großer Dienst erwiesen.
Wenn es eine solche wie die genannte Regel nun auch noch nicht gibt, so gibt es doch ein Verfahren, um in der Zahlenreihe diejenigen Zahlen, die Primzahlen sind, ausfindig zu machen, ein Verfahren, das ebenso einfach wie geistreich ist und von dem griechischen Mathematiker Eratosthenes, der um das Jahr 250 v. Chr. in Alexandrien lebte und lehrte, herrührt. Das Verfahren, das auch für den Laien von großem Reiz ist, ist folgendes: Man schreibt zunächst die Zahlen, mit 1 beginnend, in ihrer natürlichen Reihenfolge auf, und zwar ein möglichst langes Stück der Zahlenreihe hinauf. Dann durchstreicht man, von der 2 ausgehend, jede zweite Zahl, läßt die 2 selbst aber ungestrichen stehen. Die nächste ungestrichene Zahl nach der 2 ist dann die 3; von dieser ausgehend durchstreicht man dann jede dritte Zahl, wiederum die 3 selbst ungestrichen lassend, wobei man zugleich auf eine große Anzahl vorher schon durchstrichener Zahlen stoßen wird, die jedoch alle mitgezählt werden. Darauf setzt man das Verfahren fort, indem man von der nächsten hinter der 3 stehenden ungestrichenen Zahl ausgeht, die die 5 sein wird, dann von der abermals nächsten ungestrichenen Zahl, der 7, dann der 11 usw. Immer bleibt die erste Zahl der neuen Reihe selbst ungestrichen stehen, und nur die ausgezählten Vielfachen der Anfangszahl werden durchstrichen. Auf diese Weise bleiben nur die Primzahlen ungestrichen stehen, alle zusammengesetzten Zahlen aber werden durchstrichen. Bei diesem Verfahren werden also die Primzahlen aus der Menge der gesamten Zahlen überhaupt gleichsam ausgesiebt, weswegen man das Verfahren auch als das Sieb des Eratosthenes bezeichnet. Die Ausführung des Verfahrens nach der gegebenen Anleitung ist jedem Leser leicht möglich, und es wird ihm viel Vergnügen bereiten, auf diese Weise eine möglichst große Anzahl Primzahlen auszusieben.
Je weiter man das Verfahren fortsetzt, um so mehr Primzahlen wird man naturgemäß erhalten. Leider wird das Verfahren bei weiterem Fortschreiten rein technisch immer schwieriger und umständlicher, so daß auch der Ausfindigmachung der Primzahlen auf diese Weise eine Grenze gesetzt ist. Immerhin sind auf Grundlage dieses Verfahrens sogenannte Primzahlentafeln hergestellt worden, die weit hinauf bis in die Millionen der Zahlenreihe reichen. Die größte bisher hergestellte Primzahlentafel ist von dem amerikanischen Mathematiker Lehmer hergestellt worden und von dem Carnegie-Institut in Washington herausgegeben; sie enthält die Primzahlen aus den ersten zehn Millionen der Zahlenreihe. Darüber hinaus hat man nur in vereinzelten Fällen und vermittels sehr komplizierter mathematischer Methoden Primzahlen bestimmen können. Die größte bisher bekannte Primzahl ist die Zahl 2 127 – 1. Hierbei sei bemerkt, daß man sehr große Zahlen einfacher als durch ihre Ziffernfolge durch ihre Potenzen, d. h. durch die Multiplikation einer angenommenen Grundzahl mit sich selbst, ausdrückt. Der Ausdruck 2 127 bedeutet die Zahl, die man erhält, wenn man die Zahl 2 hintereinander 127mal mit sich selbst multipliziert bzw., genauer ausgedrückt, 127mal als Faktor setzt. Die Zahl 2 127 – 1 war bis vor kurzem nur in der Potenzform bekannt, jetzt ist sie jedoch auch zahlenmäßig ausgerechnet worden, und für Freunde von Zahlenlesen sei die Ausrechnung hier angeführt; es ist die 39ziffrige Zahl 170 141 183 460 469 231 731 687 303 715 884 105 727 gelesen: 170 Sextillionen 141 183 Quintillionen 460 469 Quartillionen 231 731 Trillionen 687 303 Billionen 715 884 Millionen hundertfünftausendundsiebenhundertsiebenundzwanzig. Selbst Lesern, die noch die Erinnerung an die Inflationszeit unseligen Angedenkens bewahrt haben, dürfte die angeführte Zahl noch immer einigermaßen imponieren, denn gegen diese sind selbst die größten Ziffern der Inflationszeit winzige Zwerge.
Wie es keine Regel gibt, um allgemein eine jede gegebene Zahl als Prim- oder als zusammengesetzte Zahl zu erkennen, so gibt es auch kein Verfahren oder keine Formel, um beliebig Primzahlen zu konstruieren, etwa in der Art, daß Zahlen von einer bestimmten Bildung oder Zusammensetzung immer Primzahlen sein müßten. Auch nach dieser Hinsicht sind schon viele Versuche unternommen worden, die bisher aber immer fruchtlos geblieben sind. Pierre Fermat, der große französische Mathematiker (1601-1664), der geradezu als der Vater der modernen Zahlentheorie bezeichnet werden kann und besonders auch den Problemen der Primzahlen viel Arbeit gewidmet hat, glaubte in dem Ausdruck 2 (2 n ) + 1, in welchem also der Exponent der Potenz selbst wieder eine Potenz von 2 ist, ein Gesetz für die Bildung von Primzahlen gefunden zu haben, demzufolge jede Zahl von dieser Form also eine Primzahl sein sollte. Einen Beweis allerdings konnte er für diese Mutmaßung nicht erbringen, und diese hat sich in der Folge denn auch als unrichtig erwiesen. Setzen wir für n die aufeinanderfolgenden Werte, so erhalten wir
für
n = 0 2
1 + 1 = 3
für
n = 1 2
2 + 1 = 5
für
n = 2 2
4 + 1 = 17
für
n = 3 2
8 + 1 = 257
für
n = 4 2
16 + 1 = 65 537
Bis dahin sind die auf solche Weise erhaltenen Zahlen tatsächlich sämtlich Primzahlen, aber schon bei dem nächsthöheren Wert für n erleidet die Fermatsche Behauptung Schiffbruch, denn für n = 5, also für 2 32 + 1, erhalten wir die Zahl 4 294 967 297, und diese Zahl ist, wie der noch größere Leonhard Euler (1707-1782) nachwies, keine Primzahl, sondern durch 641 teilbar. Die Auffindung einer allgemeinen Zahlenform, die immer eine Primzahl ergibt und ebenfalls von großer Wichtigkeit für die Wissenschaft von den Zahlen wäre, ist ebenfalls ein noch ungelöstes Problem.
Eine andere Frage, die sich uns bei der Betrachtung der Zahlenreihe und der in diese eingebetteten Primzahlen aufdrängt, ist die, ob die Anzahl der Primzahlen begrenzt oder aber unendlich ist. Dieses Problem hat ebenfalls schon die Mathematiker vor Tausenden von Jahren beschäftigt und hat, wie gleich bemerkt sein mag, im Gegensatz zu vielen anderen Zahlenproblemen schon vor über zwei Jahrtausenden seine restlose Lösung gefunden. Die gewöhnliche Zahlenreihe ist natürlich unendlich, das heißt, wir können auf der Zahlenreihe fortschreitend immer neue Zahlen bilden, ohne jemals zu einer letzten zu kommen; das geht aus der Art unseres Zählsystems, des Dezimalsystems, ohne weiteres hervor und bedarf keines Beweises. Für die Primzahlen aber ist diese Frage keinesfalls so leicht zu entscheiden, denn diese folgen nicht so gesetz- und regelmäßig aufeinander wie die Zahlen überhaupt. Die Zahlenreihe fängt zunächst gleich mit drei hintereinanderliegenden Primzahlen, 1, 2 und 3, an, ein Fall, der in der ganzen unendlichen Zahlenreihe nie wieder auftreten kann; dann folgen als nächste Primzahlen 5 und 7, die, weil sie nur durch eine Zahl getrennt sind, als Primzahlpaar bezeichnet werden. Dann folgt nach einem Zwischenraum von drei zusammengesetzten Zahlen die 11, die mit der 13 wiederum ein Primzahlpaar bildet; als nächste Primzahlen kommen dann 17, 19, 23, dann erst nach einem Zwischenraum von fünf zusammengesetzten Zahlen 29. Wer in dieser Weise die Aufeinanderfolge der Primzahlen weiter untersucht, wird feststellen, daß die Zwischenräume zwischen den Primzahlen im allgemeinen immer größer werden. Im ersten Hundert der Zahlenreihe gibt es 26, im ersten Tausend 168, und in den ersten beiden Tausenden zusammen 303, innerhalb der ersten Million der Zahlenreihe aber 78 499 Primzahlen, und diese Angaben lassen die abnehmende Häufigkeit der Primzahlen bereits deutlich erkennen, denn wenn diese mit derselben Häufigkeit wie im ersten Hundert die ganze Zahlenreihe hindurch sich fortpflanzen würden, so müßte es innerhalb der ersten Million der Zahlenreihe rund 260 000 Primzahlen geben, also über dreimal soviel als es in Wirklichkeit der Fall ist. Daher könnte es durchaus möglich sein, daß die Primzahlen, die in die Zahlenreihe so vereinzelt eingebettet sind wie die Rosinen in den Kuchen, einmal ganz aufhören. Dann müßte es also eine letzte und größte Primzahl geben, und nach dieser würden dann keine weiteren solcher Zahlen in der Zahlenreihe auftreten. So selten nun aber auch die Primzahlen mit dem Fortschreiten der Zahlenreihe werden, so wissen wir doch mit absoluter Bestimmtheit, daß die Primzahlen in der Zahlenreihe niemals aufhören und ihre Anzahl unendlich ist. Der Beweis für diese Behauptung ist schon von Euklid, dem großen Mathematiker der Griechen, um das Jahr 300 v. Chr. erbracht worden und ist in seiner klassischen Schönheit und Einfachheit einer der berühmtesten und schönsten Beweise der ganzen Mathematik überhaupt. Wir wollen daher diesen Beweis, der auch dem, der nicht Mathematiker von Fach ist, durchaus verständlich ist, kurz vorzuführen.
Angenommen, es stellte jemand die Behauptung auf, die Anzahl der Primzahlen wäre begrenzt und es gäbe eine letzte und größte Primzahl, die wir, weil wir nicht wissen, welche Zahl es ist, mit einem Buchstaben, sagen wir als die Zahl z, bezeichnen wollen, wie es die Mathematiker in solchen Fällen zu tun pflegen. Dann machen wir, um jene Behauptung zu widerlegen, folgendes: Wir bilden das Produkt aller Primzahlen von 1 bis z, also 1 × 2 × 3 × 5 × 7 × 11 × 13 × … und so weiter bis … × Z. Dieses Produkt ist dann eine neue, und zwar zusammengesetzte Zahl, die natürlich ungeheuer viel größer als z ist, und diese neue Zahl wollen wir mit P bezeichnen. Zu dieser Zahl P fügen wir dann noch die Zahl 1 hinzu und erhalten somit die Zahl P + 1. Für diese neue Zahl kommen nun zwei Möglichkeiten in Betracht: entweder sie ist eine Primzahl oder sie ist keine. Betrachten wir jeden dieser beiden Fälle einzeln. Erster Fall: Ist P + 1 eine Primzahl, dann ist sie natürlich ungeheuer viel größer als die Zahl z, von der wir ausgegangen sind, und die aufgestellte Behauptung, daß z die größte Primzahl sei, wäre damit widerlegt. Zweiter Fall: Ist P + 1 keine Primzahl, sondern eine zusammengesetzte Zahl, so muß sie bestimmte Primzahlen als Teiler enthalten. Von diesen kann dann aber kein einziger unter den Primzahlen von 1 bis z vorkommen, denn jede dieser Zahlen würde bei der Division in P + 1 den Rest 1 lassen, wie ohne weiteres ersichtlich ist, kann also kein Teiler von P + 1 sein. Dann müssen also die Primteiler, aus denen P + 1 besteht, andere sein als die Zahlen von 1 bis z und müssen größer sein als jede dieser Zahlen und auch größer als z selbst. Damit ist dann auch für den zweiten Fall bewiesen, daß es größere Primzahlen als z geben muß. In diesem wie in jenem Falle ist also die Behauptung, daß z die größte Primzahl sei, widerlegt, und da wir hierbei z so groß annehmen können wie wir wollen, so ist damit zugleich gesagt, daß es Primzahlen über jede noch so groß angenommene Zahl geben muß, daß es also überhaupt keine größte und letzte Primzahl geben kann und mithin die Anzahl der Primzahlen unendlich ist.
Das ist der berühmte Beweis der Unendlichkeit der Primzahlen. Der in mathematischen Dingen wenig geübte Leser wird vielleicht immer noch einige Mühe haben, sich vollständig in den Beweis hineinzulesen und zum völligen Verständnis desselben zu gelangen; hat er das aber erreicht – und er kann das auf alle Fälle erreichen –, so empfindet er dann auch in vollem Maße den unvergleichlichen Genuß, der immer mit der Aneignung gerade der mathematischen Erkenntnisse verknüpft ist. Bemerkt sei noch, daß es noch einige andere Beweise für die Unendlichkeit der Primzahlen gibt, aber keiner reicht an die Klarheit, Einfachheit und Schönheit des Beweises Euklids heran.
Die Primzahl 1 – Teilbarkeitsregeln – Ein fehlerhafter Beweis.
Man kann die Frage aufwerfen, ob die Zahl Eins zu den Primzahlen zu rechnen ist oder nicht. Nach der hier gegebenen Definition, die wohl noch immer von den meisten Zahlentheoretikern beibehalten wird, ist eins als Primzahl aufzufassen. Manche Zahlentheoretiker definieren die Primzahl jedoch anders, etwa als Zahl, die nicht mehr aber auch nicht weniger als zwei voneinander verschiedene Teiler (nämlich sich selbst und die Einheit) hat. Das geschieht, um die Eins aus der Reihe der Primzahlen zu streichen, wodurch sich manche zahlentheoretischen Sätze einfacher ausdrücken lassen und in manchen Teilen der Zahlentheorie eine größere Verallgemeinerung erreicht wird. Für andere Sätze oder Teile der Zahlentheorie aber ist es einfacher, die Eins als Primzahl gelten zu lasten. Ob man sich so oder so entscheidet, ist also eine Frage der Willkür oder der Zweckmäßigkeit, ohne daß man die eine Auffassung als falsch oder richtig gegenüber der anderen bezeichnen könnte. Das Natürlichere aber ist es zweifellos, die Eins als Primzahl gelten zu lassen.
(Zu Seite 110)
An und für sich kann für jede Primzahl eine Teilbarkeitsregel gebildet werden, aber das Rechnen mit diesen Regeln ist bei den größeren Zahlen so umständlich, daß es keinerlei Vorteil gegenüber der Ausführung der Division in der gewöhnlichen Weise bietet. Eine sehr hübsche und leicht zu handhabende Regel für die Division durch 11 sei noch erwähnt. Bezeichnen wir in irgendeiner Zahl die erste, die dritte, die fünfte usw. Ziffer als ungeradstellig, die zweite, vierte, sechste usw. als geradstellig, so gilt die Regel, daß, sofern die Quersumme der geradstelligen Ziffern, vermindert um die Quersumme der ungeradstelligen, gleich 0 oder durch 11 teilbar ist, dann die ganze Zahl durch 11 teilbar ist. Beispielsweise ist in der Zahl 78 364 die Quersumme der geradstelligen Ziffern (8 und 6) = 14, ebenso groß ist auch die Quersumme der ungeradstelligen Ziffern (7, 3 und 4); die Differenz beider Quersummen ist also 0 und daher die Zahl durch 11 teilbar. In der Zahl 82 947 051 ist die Quersumme der geradstelligen Ziffern – 7, die der ungeradstelligen – 29, die Differenz beider – 22, also durch 11 teilbar und daher die ganze Zahl ebenfalls durch 11 teilbar. Die hübsche Regel ist leicht anwendbar und erleichtert bei Divisionen durch 11 das Rechnen sehr erheblich.
(Zu Seite 114)
Es muß ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß der vorgeführte Beweis erst dann vollständig und wirklich richtig und überzeugend ist, wenn jene beiden Fälle, die es für P + 1 gibt, also sowohl für den Fall P + 1 ist eine Primzahl, wie auch für den Fall P + 1 ist keine Primzahl, behandelt werden. Darauf hinzuweisen ist deswegen notwendig, weil der zweite dieser beiden Fälle selbst von mathematisch Gebildeten, wenn sie sich mit jenem Beweis befassen oder ihn anderen vorführen, übersehen oder ausgelassen wird, womit dann ein böser Fehler in das Beweisverfahren gelangt. So ist kürzlich ein Buch erschienen, das Mathematik in populärer Form darstellt, aber leider die notwendige Genauigkeit vermissen läßt, die von jedem mathematischen Werk, auch dem populär gehaltenen, unbedingt verlangt werden muß. Hinsichtlich des Beweises für die Unendlichkeit der Anzahl der Primzahlen verfährt der Verfasser jenes Werkes einfach folgendermaßen: Angenommen z wäre die größte Primzahl, so ist das Produkt aller Primzahlen von 1 bis z, vermehrt um 1, also 1 × 2 × 3 × 5 × 7 × … [+] × z + 1, bestimmt wieder eine Primzahl, weil sie durch keine der Primzahlen von 1 bis z ohne Rest teilbar ist. – In dieser Form ist der Beweis falsch, denn die Zahl 1 × 2 × 3 × 5 × 7 × … × z + 1 kann, wenn sie auch durch keine der Primzahlen von 1 bis z teilbar ist, doch andere, größere Primteiler haben und brauchte durchaus keine Primzahl sein. Nach dem Verfasser des erwähnten Werkes müßte beispielsweise die Zahl 1 × 2 × 3 × 5 × 7 × 11 × 13 + 1 eine Primzahl sein; das ist aber durchaus nicht der Fall, denn die so erhaltene Zahl, nämlich 30 031, ist durch 59 und 509 teilbar. Also so einfach und klar der Euklidische Beweis der unendlichen Anzahl der Primzahlen auch ist, so muß er doch mit der nötigen Genauigkeit durchdacht und durchgeführt werden, wenn nicht ein böser Trugschluß herauskommen soll.
Ein Zahlenwettbewerb und seine Folgen – Die Berechnung der größten Primzahl – Keine »Kleinigkeit« – Die Wettbewerber – Rechenkünstler – Zahlenungeheuer – Wie der Mathematiker mit den Zahlen rechnet – Der Dr. hon. causa math. – Ein resoluter Besucher – »Entdeckungen« – Fallstricke der Zahlen
Die Zahl 2 127 – 1, die die bisher bekannte größte Primzahl darstellt, war, wie bereits gesagt, bis vor kurzem noch nicht berechnet worden. Ihre Berechnung erfolgte auf originelle Weise, und zwar auf Anregung des Verfassers. Ich hatte in einer weitverbreiteten Unterhaltungszeitschrift einen Aufsatz veröffentlicht, der sich in allgemeinverständlicher Form mit den Eigenschaften und Geheimnissen der Zahlen, besonders der Primzahlen, beschäftigte und darauf hingewiesen, daß die größte Primzahl durch den Ausdruck 2 127 – 1 dargestellt werde, dieser Ausdruck aber noch nicht ziffernmäßig berechnet worden sei. Daran hatte ich scherzhaft die Bemerkung geknüpft, daß ein Leser, der sich der Aufgabe unterziehen würde, den genannten Zahlenausdruck ziffernmäßig zu berechnen, sich dadurch den Dank der Wissenschaft verdienen und – vielleicht – zum Lohn dafür zum Doctor honoris causa mathem. ernannt werden könnte.
Dieser Scherz, insbesondere der Wink mit dem Dr. h. c., hatte eine unerwartete Folge. Ein gewaltiges Rechnen hub in dem Leserkreise des Blattes an, und die Folge war, daß in den folgenden Wochen sowohl bei der Schriftleitung des Blattes wie auch bei mir selbst eine wahre Flut von Berechnungen der großen Primzahl eingingen, eine wahre Massendemonstration von Zahlen, wie ich sie nie erlebt habe. Aus allen Gegenden des deutschen Vaterlandes, dann aber auch aus dem Auslande und in der weiteren Folge schließlich aus sämtlichen Erdteilen gingen die Zahlenbataillone ein, auf Postkarten, gewöhnlichen und eingeschriebenen Briefen, Eilbriefen und Telegrammen, und bei einem Teilnehmer an diesem kuriosen Zahlenwettbewerb hatte die Ausrechnung mit allem Drum und Dran sogar Umfang und Gewicht eines rechtschaffenen Postpaketes angenommen. Und das Motiv, das aus vielen der Begleitbriefe heraussprach, war: Wie, die Herren Mathematiker, die sich auf ihre Rechenkünste soviel einbilden, haben es bisher noch nicht einmal zuwege gebracht, jene Zahl auszurechnen? Denen wollen wir zeigen, was eine Harke im Zahlengarten ist! Her mit dem Doktorhut, wenn er dafür wirklich zu haben sein sollte!
Angesichts jener arithmetischen Hochflut hatte ich mich natürlich selbst auch schleunigst an die Berechnung der Zahl gemacht und konnte mein Ergebnis mit den einlaufenden Berechnungen vergleichen. Es ergab sich, daß von den im ganzen eingegangenen etwa 300 Berechnungen über die Hälfte zu dem gleichlautenden Ergebnis gekommen war, das mithin als das richtige zu bezeichnen war, während der große Rest der hiervon abweichenden Berechnungen falsche Lösungen darstellte. So war die bisher bekannte größte Primzahl, die bis dahin nur in der Potenzform existierte, plötzlich ziffernmäßig berechnet und als die 39stellige Zahl 170 141 183 460 469 231 731 687 303 715 884 105 727 festgestellt worden. Versuchen wir zunächst, uns die Größe dieser Riesenzahl an einigen Beispielen zu veranschaulichen, denn die trockene und langatmige Zahlenfolge allein gibt uns hiervon noch keinen Begriff. Nehmen wir an, es hätte jemand so viel Pfennige, wie jene Riesenzahl ausdrückt, so könnte er damit den ganzen Erdball, wenn dieser aus Gold bestände, bar bezahlen und nicht nur einen, sondern sogar rund eine volle Milliarde solcher Goldplaneten kaufen; wäre die Erde aber ein einziger großer Diamant, so würde der millionste Teil seines Barvermögens genügen, um diesen stattlichen Edelstein für seine Krawattennadel zu erstehen. Eine Teilnehmerin an jenem Zahlenwettbewerb gab zugleich folgende hübsche Veranschaulichung der Größe der von ihr richtig berechneten Zahl: Nehmen wir an, daß eine Milliarde Mikroben (Bazillen, Bakterien u. ä.) nur die Länge von zusammen einem Zentimeter hat und daß so viele solcher Kleinlebewesen, wie die berechnete Zahl angibt, sich hintereinander, Stück an Stück gereiht, in einer Linie befinden, dann würde das Licht, das bekanntlich in einer Sekunde 300 000 Kilometer zurücklegt und für den Weg von der Erde bis zum Monde keine anderthalb Sekunden braucht, etwa 200 Milliarden Jahre benötigen, ehe es diese lange Linie durcheilt hätte. Also die größte bekannte Primzahl ist wirklich keine »Kleinigkeit«.
Manche der Einzelheiten aus jenem Zahlenwettbewerb sind von heiterem arithmetisch-psychologischen Interesse. Nahezu alle Altersklassen waren unter den Teilnehmern vertreten; der jüngste war ein zwölfjähriger Schüler, der ein falsches, der älteste ein fast achtzigjähriger Geistlicher im Ruhestand, der das richtige Ergebnis mitgeteilt hatte. Studenten, Akademiker aller vier Fakultäten, viele Techniker und Ingenieure, Staats-, städtische und Bankbeamte, Angehörige der kaufmännischen Berufe und des Handwerks usw. waren darunter vertreten. Auch Damen hatten sich, wenn auch nur mit einer Minderheit, an dem Wettbewerb beteiligt und hatten, was bemerkenswert ist, durchweg richtige Berechnungen gesandt; die Falschlösungen kamen durchweg auf das Konto männlicher Rechner, dafür hatten aber mehrere männliche Teilnehmer an die Berechnung der Zahl noch auf eigene Faust weitergehende Berechnungen geknüpft. Auch ein veritabler Rechenkünstler befand sich unter den Teilnehmern, der nach seinen Mitteilungen mit den Millionen und Milliarden zu jonglieren und Quadrat- und Kubikwurzeln jedes gewünschten Umfanges im Handumdrehen zu ziehen gewohnt war. Seine Kunst in Ehren – aber seine Berechnung der größten Primzahl war falsch. Einzelne Einsender hielten Vorsicht für angebracht, um nicht durch leichtfertige Preisgabe ihres Ergebnisses um ihr geistiges Eigentum gebracht zu werden, und gaben nur die Anfangs- und Endziffern ihrer Resultate bekannt, andere nannten nur die Quersumme der Zahl, die 154 beträgt. Ein Leser hatte sich, bevor er sich zur Bekanntgabe seiner Ergebnisse entschloß, dieses notariell beglaubigen lassen; seine Vorsicht war überflüssig, denn seine Berechnung war falsch, sogar total falsch.
Auch die Schwierigkeit der Berechnung scheint bei den verschiedenen Teilnehmern sehr verschieden empfunden worden zu sein. Einige haben nach ihren Angaben Tag und Nacht gebraucht, ehe sie zum fertigen Endergebnis kamen, andere die Rechnung in wenigen Stunden durchgeführt, und eine gute Stunde dürfte wohl das Minimum an Zeit sein, das die Rechnung verlangt. Einzelne Teilnehmer des Zahlenwettbewerbs hatten für die Ausführung ihrer Rechnungen an Schreibmaterial nur ein bescheidenes Folioblatt benötigt, bei anderen hatte sich dieses zu einem stattlichen Buch von vielen Blättern ausgewachsen (einschließlich der Nachprüfungen). Ein Teilnehmer schickte mir eine Abschlagszahlung; er war nur bis 2 100 gekommen und strich dann die Segel, weil, wie er schrieb, ihm die Zahlen von dem vielen Rechnen schon Charleston vor den Augen tanzten. Ein Teilnehmer hatte sich an 2 127 nicht genügen lassen und nicht nur diese doch immerhin recht stattliche Zahl berechnet, sondern die Berechnung sogar bis zur Potenz 2 260 durchgeführt und mir das Resultat übermittelt. Es ist das eine 79stellige Zahl, die mit 1 Tredezillion und 852 673 Duodezillionen beginnt und gegen die unsere Zahl mit ihren 127 Potenzen und ihren doch immerhin 39 Stellen sich verhält wie ein Atom zum Erdball. Um diese Zahl zu erhalten, muß man unsere Zahl 2 127 zunächst einmal mit sich selbst multiplizieren und das Produkt dann noch mit 2 6 = 64 multiplizieren. Noch übertroffen aber wurde dieser Rechenkünstler von einem anderen Teilnehmer an dem Zahlenwettbewerb, dem 76jährigen Herrn P. aus Breslau, der nicht nur die große Primzahl richtig berechnete, sondern sich dadurch auch veranlaßt sah, die Potenzen 2 398, 3 251, 5 171, 7 141 und 11 115 ziffernmäßig auszurechnen. Die Werte dieser Zahlenungeheuer sind Vigintillionen, d. h. Zahlen mit über 120 Stellen, und dürften vielleicht die größten Zahlenwerte sein, die jemals ziffernmäßig berechnet worden sind. Logarithmisch konnte ich sowohl die Richtigkeit der Stellenzahl wie auch die der sechs Anfangsziffern der mir mitgeteilten berechneten Zahlen nachprüfen und bestätigen und dem greisen Rechenkünstler zu seiner zumal in Anbetracht seines hohen Alters geradezu staunenswerten Rechenfähigkeit meine größte Hochachtung und meinen herzlichsten Glückwunsch aussprechen. Denn wenn es sich hierbei auch an und für sich um keine komplizierte Rechenarbeit handelt, so doch um eine unendlich mühsame und langwierige Rechnerei, die, wenn sie korrekt und fehlerfrei durchgeführt werden soll, ganz gewaltige Anforderungen an Ausdauer und Spannkraft stellt. Sich die Größe der erwähnten Riesenzahlen an ähnlichen Beispielen wie den obenangeführten zu veranschaulichen, überlasse ich der Rechenkunst und Phantasie des Lesers.
Eine Anzahl von Lesern gab übrigens ihrer Verwunderung darüber Ausdruck, daß die Ausrechnung der Primzahl 2 127 – 1 nicht schon längst von den Mathematikern selber ausgeführt worden sei, und einige vermuteten sogar, daß ich mir mit meiner diesbezüglichen Angabe nur einen unziemlichen Scherz geleistet habe. Dazu ist folgendes zu bemerken: Tatsächlich war die genannte Zahl bis dahin noch nicht berechnet, aber natürlich wäre die Berechnung für die Mathematiker selbst auch nicht schwerer als für die Teilnehmer an jenem Zahlenwettbewerb gewesen. Wenn sie das dennoch bis dahin nicht getan hatten, so aus dem einfachen Grunde nicht, weil für sie keinerlei Bedürfnis dazu vorlag. Denn für den Mathematiker oder Zahlentheoretiker ist eine Zahl in der Form ihrer Potenz, also in unserem Falle der Ausdruck 2 127 – 1, viel wichtiger und interessanter als ihre ziffernmäßige Darstellung, denn dieser Ausdruck besagt ihm viel mehr über Charakter und Eigenschaften der Zahl als die berechnete Ziffernfolge. Das große Kunststück, das nur dem Mathematiker von Fach geläufig war, bestand ja nicht darin, jene Zahl ziffernmäßig auszurechnen, sondern festzustellen und zu beweisen, daß diese Zahl eine Primzahl ist. Diese Feststellung erforderte die kompliziertesten Hilfsmittel und Methoden der mathematischen Forschung und war eine Arbeit von gewaltiger Schwierigkeit, aber der ziffernmäßigen Darstellung der Zahl bedurfte es zu diesem Zweck nicht. Denn mit ganz anderen Mitteln, als der Nichtfachmann kennt und ahnt, geht der Mathematiker solchen Riesenzahlen in der Form der Potenz auf den Grund. Betrachten wir, um ein Beispiel anzuführen, etwa die Zahl 2 256 – 1. Dieser Wert stellt eine ungeheuer viel größere Zahl als 2 127 – 1 dar, denn er ergibt, ziffernmäßig ausgerechnet, eine Zahl von 88 Stellen, an die keine menschliche Vorstellungsfähigkeit auch nur im entferntesten heranreicht, und die Berechnung würde selbst den geübtesten Rechner zum mindesten mehrere Stunden in Anspruch nehmen. Der Mathematiker aber sieht aus der Potenzform dieser Zahl, ohne der ziffernmäßigen Ausrechnung der Zahl zu bedürfen oder auch nur die Anzahl ihrer Ziffern zu kennen, daß diese Zahl niemals eine Primzahl sein kann, sondern daß sie durch 3, durch 5, durch 17 und auch durch 257 teilbar sein muß. Also wenn die Mathematiker sich die ziffernmäßige Ausrechnung solcher Zahlenausdrücke wie 2 127 – 1 schenken oder das gern anderen überlassen, so geschieht das wirklich weniger aus Mangel an rechnerischer Begabung als aus Mangel an Interesse für die Ziffernfolge des Zahlenwertes. Das erklärt, warum auch unsere Primzahl bis dahin von den Mathematikern nicht berechnet worden war. Also ein wissenschaftliches Novum, wenn auch gerade kein solches weltbewegender Art, ist aus dem geschilderten Zahlenwettbewerb, der wohl einzig in seiner Art dastehen dürfte, immerhin hervorgegangen und die berechnete Zahl ist seitdem auch in die mathematische Literatur aufgenommen worden.
Noch eine weitere Folge jenes Zahlenwettbewerbes wollen wir erwähnen, sie zeigt, wie auch bei der Beschäftigung mit den Zahlen der Humor manchmal auf seine Rechnung kommt. Eine ganze Anzahl der Teilnehmer berief sich auf die erwähnte scherzhafte Versprechung, daß der Berechner jener größten Primzahl sich – vielleicht – Anrecht auf den Dank der Wissenschaft und auf eine entsprechende akademische Ehrung erwerben würde, und begleitete die Übersendung ihrer arithmetischen Forschungsergebnisse mit dem energischen Ruf: her mit dem Doctor honoris causa! Da kam ich nun allerdings in einige Verlegenheit, denn daß der Scherz so ernsthaft aufgenommen würde, hatte ich nicht geahnt. Beschwichtigend mußte ich daher jenen Kandidaten auf den Doktorhut auseinandersetzen, daß die Berechnung der bewußten großen Primzahl, wenn sie sicher auch Schweiß und Mühe gekostet hatte, sich doch immerhin in den Grenzen normaler Rechenbefähigung gehalten hatte, was besonders aus dem Umstande ersichtlich war, daß sich mehrere Hunderte von Freiwilligen zur Berechnung jener Zahl gefunden und die größere Hälfte von diesen die Zahl auch richtig berechnet hatte. Bei einer solchen Massenleistung wird der Wert der Einzelleistung naturgemäß gedrückt, so daß die Universitäten doch wohl Bedenken tragen dürften, für eine solche den Doktorhut zu verleihen. Also bat ich jene Teilnehmer, sich mit dem Lohn, den die Beschäftigung mit den Dingen der Wissenschaft in sich selbst trägt, zufrieden zu geben und nicht mich persönlich für die entgangene akademische Ehrung verantwortlich zu machen. Diesen Argumenten zeigten sich denn auch die meisten der Doktorhut-Aspiranten zugänglich, und nur einige sehr Enttäuschte machten ihrem Herzen nachdrücklich und in ziemlich ungewählten Worten Luft. Übrigens konnte konstatiert werden, daß die weitaus meisten, die so erpicht auf den Doktorhut waren, zu den – Falschlösern gehörten und schon deswegen keinen Anspruch auf das genannte akademische Bekleidungsstück hatten. Das war auch der Fall bei einem besonders energischen Teilnehmer aus Halle an der Saale. Dieser hatte mir telegraphiert: »Größte Primzahl berechnet; komme heute persönlich!«, und schon einige Stunden später, noch ehe ihn meine abratende Rückantwort erreicht haben konnte, stand er in Lebensgröße vor mir, unterbreitete mir seine umfangreiche Berechnung der großen Primzahl und erkundigte sich diskret nach seinen Aussichten für den Dr. h. c. Mir war recht unerfreulich zumute, denn der resolute Hallenser war von gut durchtrainierter Preisboxerfigur und sah aus, als ob er enttäuschten Hoffnungen sehr gesetzwidrigen Ausdruck geben könnte. Doch als ich die Berechnung prüfte, da war sie – gottlob – falsch, und mit bedauerndem Achselzucken konnte ich meinen Besucher darauf hinweisen, daß eine ganze Anzahl falscher Ziffern in seinem Resultat ihn um den erstrebten Erfolg seiner arithmetischen Bemühungen gebracht hatte.
Eine ganze Anzahl von Lesern jenes Aufsatzes endlich, der ungefähr den Inhalt unseres Kapitels über die Primzahlen hatte, versuchte sich an der Ergründung der anderen darin erwähnten mathematischen Probleme. Wohl ein Dutzend Herren teilte mir mit, daß sie den Beweis für die unendliche Anzahl der Primzahlpaare gefunden hätten, und baten um Prüfung ihres Beweises. Mehrere andere glaubten sogar das Gesetz der Primzahlen gefunden zu haben und erboten sich, dafür den Beweis zu erbringen. Die Nachprüfung ergab jedoch in allen Fällen die völlige Unzulänglichkeit der vorgebrachten Beweise, die auch durch wiederholte nachträgliche Verbesserungen und Redaktionen seitens ihrer Urheber nicht zur Bedeutung mathematischer Wahrheiten gedeihen konnten. Ein Leser endlich glaubte, daß er in der Lage sei, den Beweis für die Unrichtigkeit des Euklidischen Beweises der Unendlichkeit der Anzahl der Primzahlen, der ebenfalls in jenem Aufsatz angeführt worden war, zu erbringen, und bot der Redaktion des betreffenden Blattes die Veröffentlichung seines Beweises gegen Honorar an. Die Schriftleitung entschloß sich jedoch, dem gesicherten Ergebnis der mathematischen Forschung zweier Jahrtausende ihr Vertrauen vorderhand nicht zu entziehen und lehnte daher die Veröffentlichung jenes revolutionären Gegenbeweises ab.
So leicht sind die mathematischen Geheimnisse denn doch nicht zu enthüllen, ebensowenig aber auch die mathematischen Wahrheiten zu erschüttern, und wenn sich die Mathematiker von Fach an einer solchen harten Nuß schon seit Jahrhunderten die Zähne ausgebissen haben, dann kann der Laie, der im Handumdrehen zur Lösung dieser Probleme gelangt zu sein glaubt, sicher sein, daß sein Ergebnis oder sein Beweis falsch, die von ihm angefeindete Ansicht der Mathematiker selbst aber richtig ist. Gerade auf dem Gebiete des abstrakten mathematischen Wissens tut der Laie gut, rückhaltlos den Ergebnissen der Wissenschaft Vertrauen entgegenzubringen, denn diese sind in keinem Wissensgebiet gesicherter und unangreifbarer als gerade in diesem. Aber auch nirgends sind so viele und verborgene Fallstricke ausgelegt wie im Reich der Zahlen, Fallstricke, über die oftmals selbst der Fachmann stolpert, die aber den Uneingeweihten mit Sicherheit zu Fall bringen und die Ergebnisse seiner Forschungstätigkeit auf diesem Gebiete, den Wert seiner Entdeckungen und Beweise völlig illusorisch machen.