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Die älteste und schwierigste Frage der Philosophie – Der naive Mensch und sein Argument – Die Kausalität des Geschehens – Zwei Lager – Anhänger und Gegner in der Geschichte der Philosophie – Die Auffassung Kants: die intelligible Freiheit – Das Denken der Gegenwart – Das Fatum – Buridans Esel und Fullertons Hund – Stellungnahme – Die Lösung: Wahlfreiheit – Das Gefühl der Willensfreiheit und sein Wert
Keine Frage von größerer und folgenschwererer Bedeutung für die Beurteilung alles Menschlichen kann es geben als die Frage: Ist der Mensch willensfrei? Ist er in seinem Tun und Lassen abhängig und bestimmt von den Kräften und Mächten, die die Bewegungen und Erscheinungen der unbelebten und nur passiv tätigen Natur bedingen und regeln, oder aber bestimmt er seine Handlungen aus sich selbst heraus, aus inneren Regungen und Motiven, die, unabhängig von dem Kausalnexus von Ursache und Wirkung im mechanischen Naturgesetz, ein Teil seines Seelenlebens und seines ureigensten Seins und Wesens selbst sind und damit sein Tun und Lassen zu einem freien Handeln seines Willens stempeln, für das er und nur er allein verantwortlich ist? Ist auch er eine wenn auch noch so komplizierte Maschine und als solche nur ein mechanisch funktionierendes und daher willenloses Glied in dem nach Raum und Zeit unendlichen Zusammenhang des mechanischen Naturgeschehens, oder ist er ein frei waltender Geist, für den jener Kausalnexus zum mindesten nicht in zwingender Form besteht, sondern der sich die Motive und Gesetze seines Handelns selbst, nach freier, abwägender Überlegung gibt, so wie sich jenes in seinem Bewußtsein widerspiegelt?
Seit der Mensch überhaupt zum Denken über sich selbst und seine Stellung innerhalb des Naturganzen vorgedrungen ist, hat sich ihm auch diese Frage aufgedrängt. Schon die einfache Tatsache, daß er überhaupt dazu kam, jene Frage aufzuwerfen, ist ein Beweis dafür, daß er hier ein Rätsel, ja mehr: ein Problem vorfand, das ihn in einen ausgesprochenen Gegensatz zu der unbelebten und nur mechanisch bewegten Natur und ebenso zu den Bewegungsmechanismen mehr oder weniger komplizierter Art, die er selber herstellt, brachte. Die Frage nach der Willensfreiheit seiner selbst war das erste und älteste Problem, das sich mit dem Erwachen der philosophischen Überlegung einstellte, sie war die erste, die wichtigste und schwierigste Frage der Philosophie von allem Anbeginn und hat diese Bedeutung bis auf den heutigen Tag beibehalten.
Und wie schon in den philosophischen Schulen des Altertums, so stehen sich auch noch in der heutigen Philosophie in der Beantwortung dieser Frage Ja und Nein schroff gegenüber. Wir sind, um es gleich vorwegzunehmen, in der Auffassung und Entscheidung dieser Frage seit den Tagen der alten indischen oder griechischen Philosophen bis heute kaum einen Schritt vorwärtsgekommen, höchstens daß die neuere Philosophie zwischen jene Gegenpole, das entschiedene Ja und das radikal ablehnende Nein, noch eine dritte, vermittelnde Auffassung und Antwort einzuschalten gesucht hat. Die ungeheure Wichtigkeit des Problems aber wird ersichtlich, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß von der Auffassung und Entscheidung darüber die Frage der sittlichen Verantwortung des Menschen abhängig ist, insbesondere auch die Frage der strafrechtlichen Verantwortung. Die Frage nach der Willensfreiheit ist zugleich auch das Grundproblem der rechtlichen Überlegung. Wenn der Mensch nicht willensfrei handelt, sondern sein Tun und Lassen unter dem Zwange naturgesetzlicher Kräfte steht, so ist er für seine Handlungen, wenn diese auch Vergehen oder Verbrechen darstellen, ebensowenig verantwortlich zu machen wie etwa eine Dampfmaschine, die einen sich ihr unvorsichtig nähernden Menschen ergreift, in ihr Getriebe hineinzieht und zerschmettert. Und wenn man kürzlich in einem Zoologischen Garten einen Elefanten erschossen hat, weil dieser bereits den zweiten Wärter getötet hatte, so geschah das – nebenbei gesagt sehr im Widerspruch mit den tierliebenden Kreisen der Stadt – nur aus Zweckmäßigkeitsgründen und um weiteren Fällen dieser Art vorzubeugen, nicht etwa auf Grund strafwürdiger Verantwortung des Dickhäuters, denn für das Tier gibt es eine sittlich-rechtliche Verantwortung auf Grund freier Willenstätigkeit nicht. Der Elefant ist nicht »bestraft«, sondern aus dem Wege geräumt worden, wenn das auch de facto auf dasselbe hinauskommt. Die Rechtspflege kann ihren Anspruch auf Bestrafung, durch die sie den Täter zur moralischen Verantwortung für seine Handlung zieht, nur aus dem Postulat der Willensfreiheit desselben herleiten, und der Streit darüber, ob und wieweit dieses Postulat zu Recht besteht, beherrscht die Rechtsphilosophie der Gegenwart nicht minder als die zeitgenössische Philosophie überhaupt.
Der naiv denkende Mensch freilich, der nicht von der Gedankenblässe philosophischer Problematik angekränkelt ist, ist zunächst sehr erstaunt, daß die Frage nach seiner Willensfreiheit überhaupt aufgeworfen wird. Denn für ihn gibt es da überhaupt kein Problem; für ihn ist es absolut selbstverständlich, daß er willensfrei ist und handelt. Denn – und das ist sein natürliches Argument – ich habe doch bei jeder meiner Handlungen das klare Bewußtsein meines freien Willens als Motiv meines Handelns, das deutliche Gefühl, daß sie aus freiem persönlichen Willen heraus geschieht. Ich habe so gehandelt, weil ich so gewollt habe, und hätte anders und genau entgegengesetzt handeln können, wenn ich es gewollt hätte. Wie kann da die Freiheit meines Wollens und Handelns also überhaupt noch in Zweifel gezogen werden? Tatsächlich ist auf diesem Standpunkte des Denkens das Bewußtsein oder das Gefühl der Willensfreiheit das alleinige und überzeugende Argument für die Wirklichkeit der Freiheit und Unabhängigkeit des Willens.
Aber gegen diese Auffassung erhebt sich, und zwar schon auf früher Stufe der philosophischen Reflexion, ein Gegenargument, und das lautet: Jedes Geschehen hat eine Ursache und ist ohne solche überhaupt nicht denkbar. Das Fallen eines Steines, der Lauf der Gestirne, das Wachsen der Organismen, Tod und Leben, überhaupt alles Geschehen in der Natur erfolgt als Wirkung auf vorangegangene Ursachen, und nie beobachten wir einen Vorgang, der von diesem unverbrüchlichen Gesetz eine Ausnahme macht oder auch nur machen könnte. Die Handlungen des Menschen sind aber auch nur Erscheinungen des Naturgeschehens, und für diese gilt daher jenes Gesetz in demselben Maße wie für jeden Vorgang, den wir an der unbelebten Materie wahrnehmen können. Das menschliche Denken erfordert jenen Zusammenhang von Grund und Folge, von Ursache und Wirkung für ausnahmslos alles Geschehen und kann sich ein ursachloses Geschehen oder ein Handeln »aus sich selbst«, d. h. aus dem Nichts, ebensowenig vorstellen wie die Entstehung von körperlichen Dingen aus dem Nichts. Beobachtung, Experiment und Forschung haben noch immer jene Forderung des Denkens, das alles Handeln und Geschehen in den Zusammenhang von Grund und Folge, von Ursache und Wirkung setzt, bestätigt. Das gilt auch für alle menschlichen Handlungen, und daher muß das Gefühl der Willensfreiheit, das sich an diese knüpft, als Irrtum oder Täuschung bezeichnet werden, als eine Gefühlstäuschung, ähnlich den Sinnestäuschungen oder Halluzinationen, denen wir ja vielfach ausgesetzt sind und die uns zu falschen Folgerungen verführen.
Freilich liegen beim menschlichen Handeln die bestimmenden Ursachen nicht so frei zutage wie bei den Vorgängen der unbelebten Natur, sondern sie liegen versteckt, und zwar einerseits in der physischen Konstitution des Menschen, andererseits in den physischen Bedingungen der Umwelt, in die er gestellt ist, des »Milieus«, und müssen aus diesen Komplexen heraus gesucht und gefunden werden. Ein Beispiel: Der Mensch, der Nahrung zu sich nimmt, tut das nicht aus absolut freiem Willen heraus, sondern weil er Hunger hat; der Hunger aber ist eine Folge des augenblicklichen physiologischen, also physikalisch-chemischen Zustandes seines Körpers, also eine Folge physischer Faktoren, und somit sind diese die Ursachen des Hungers und damit zugleich auch der Nahrungsaufnahme. Allerdings kann der Mensch trotz des Hungers auf das Essen verzichten mit der einfachen Begründung »Nun gerade nicht!« Aber auch in diesem Falle, so wird eingewendet, handelt er keinesfalls willensfrei, sondern die Ursache seines Handels ist dann eben sein Trotz, also eine Charaktereigenschaft, die wiederum aus der physischen Veranlagung seines Organismus zu erklären ist. Und wenn ein Märtyrer in den Hungertod gegangen ist oder ein Hungerkünstler sich trotz wütenden Hungers wochenlang der Nahrung enthält, so sind auch in solchen Fällen die Ursachen des Handelns immer im Charakter und in den Verhältnissen der Daseinsweise zu suchen. Immer lassen sich physische Faktoren als Beweggründe ausfindig machen, die auch in solchen Fällen besonderer Willensenergie das Tun und Lassen bestimmen oder »determinieren«, wie es gelehrt heißt. Immer ist der unverbrüchliche Kausalnexus, der Zusammenhang von Ursache und Wirkung in allen menschlichen Handlungen festzustellen, der die Willensfreiheit als Täuschung und Illusion kennzeichnet.
Mit dieser Gegenüberstellung der Argumente sind die beiden großen Richtungen gekennzeichnet, die, seit überhaupt das Problem der Willensfreiheit in den Gedankenkreis der Menschheit eingetreten ist, die Stellungnahme zu diesem bestimmen: einerseits der Determinismus, eben jene Auffassung, die wie alles Geschehen so auch alle menschlichen Handlungen als durch äußere Faktoren bestimmt und bedingt bezeichnet und damit dem Menschen die Willensfreiheit abspricht; andererseits der Indeterminismus, der den Menschen aus der Kette des physischen Geschehens und dem natürlichen Zusammenhang von Ursache und Wirkung herausnimmt und ihn als willensfrei handelndes Wesen allen übrigen Erscheinungen und Vorgängen der Natur gegenüberstellt. Die Begründungen beider Standpunkte scheinen gleich richtig und evident, und so scheint es, als ob das Problem der Willensfreiheit einer eindeutigen Entscheidung in dem einen oder anderen Sinne überhaupt nicht fähig wäre.
Und dieser Zwiespalt der Auffassungen des Problems zieht sich durch die ganze Geschichte des menschlichen Denkens. Aristoteles war Indeterminist; für ihn war der Mensch die »Quelle seiner Taten« und das freie Handeln der Ausdruck seiner bewußten Selbstbestimmung; die Willensfreiheit ist für ihn etwas Selbstverständliches, das Bewußtsein davon der genügende und überzeugende Beweis ihres Vorhandenseins und ihrer Wirklichkeit. Aber schon unmittelbar nach dem Tode des Aristoteles vertrat die Schule der Stoiker den entgegengesetzten Standpunkt. Sie waren es, die vor allem auf den allumfassenden, unauflöslichen und lückenlosen Zusammenhang allen Geschehens nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung hinwiesen, einen Zusammenhang, der keine Ausnahme duldet und auch das menschliche Handeln einbegreift. Denn der Mensch ist ein Sinneswesen, dessen Handeln in jedem Falle durch Reize ausgelöst wird, die wiederum durch die Verhältnisse und Faktoren der physischen Außenwelt bewirkt werden; also kann es auch für den Menschen keine Willensfreiheit geben, denn eine solche würde den Kausalzusammenhang der Natur stören und das Chaos in den kausal geordneten Kosmos tragen. Und nicht nur das augenblickliche oder gegenwärtige, sondern auch das zukünftige Handeln des Menschen ist durch diesen Kausalnexus determiniert. Die Stoiker waren von der Vorherbestimmung allen Geschehens, auch des menschlichen Tuns, überzeugt; daher kann es nach ihrer Auffassung gegen das Walten der Naturgesetze, in denen das unerbittliche Schicksal selbst zum Ausdruck kommt, keine Willensfreiheit und keine Auflehnung geben, sondern nur weise Ergebung, eine Auffassung, deren Konsequenz die stoische Lebensauffassung ist, die sich populär am besten mit den Worten ausdrücken läßt: »Mir ist alles Wurst!«
Und dieser Zwiespalt der Auffassungen für oder gegen die Willensfreiheit zieht sich weiterhin durch die ganze Geschichte des philosophischen Denkens. In allen seinen Phasen standen Determinismus und Indeterminismus einander gegenüber. Nach der Kirchenlehre des Mittelalters kann der Mensch keine Willensfreiheit haben, denn sonst wäre er in der Lage, gegen den Willen Gottes zu handeln, der allein Selbstbestimmung und absolute Willensfreiheit besitzt, wie es der Begriff der göttlichen Allmacht erfordert. Viele Vertreter der mittelalterlichen Scholastik aber waren Indeterministen, wie etwa der berühmte Duns Scotus, der im 13. Jahrhundert lebte und lehrte und dem menschlichen Willen die Fähigkeit zusprach, auch ohne bestimmende Gründe seine Entscheidungen zu vollziehen. Mit dem Beginn der neueren Philosophie, die durch den Franzosen Descartes eingeleitet wird, scheiden sich die Geister abermals. Descartes selbst nahm unbedingte Willensfreiheit an, die für ihn so gewiß und selbstverständlich wie nur irgendein anderer der uns angeborenen Begriffe ist. Descartes' großer Nachfolger Spinoza aber war ebenso entschiedener Determinist und sah in dem Menschen nichts weiter als ein Glied in der Gott-Natur, deren Walten er untertan ist, und in dieser Auffassung stimmte ihm auch der große und universale Denker Leibniz bei, sonst der erbittertste Gegner Spinozas, der aber auf Grund der Prädestination, der Vorherbestimmung, dem Menschen die Fähigkeit zu eigenem und unabhängigen Handeln absprechen mußte und in dem Willen nicht die Ursache des Handelns, sondern nur die Wirkung der individuellen Qualitäten und Neigungen des Menschen sah.
Einen neuen und tiefgehenden Gesichtspunkt trug Kant an das Problem heran. Auch er sieht in dem Menschen als physischem Wesen nur ein Glied in der Kette der Erscheinungen, für das alle Gesetze von Ursache und Wirkung gelten. Aber der Mensch ist nach Kant nicht nur ein Wesen der physischen Erscheinungswelt; seiner innersten Natur nach gehört er dem Reiche des rein Geistigen an und als solcher ist er dem Ursachengesetz der physischen Natur entrückt und hat die Fähigkeit, einen Ablauf des Geschehens ursachlos zu beginnen. Als Vorgang der Erscheinungswelt betrachtet, ist dieser Geschehensverlauf durch Naturgesetze bedingt und bewirkt, als Akt des Intelligiblen ist er ein Erzeugnis der Selbständigkeit der praktischen Vernunft und daher ursachlos. Dieses Vermögen der ursachlosen Selbstbestimmung ist die intelligible Freiheit, die sich im Bewußtsein als Willensfreiheit bekennt und dem Menschen zur untrüglichen Gewißheit wird. Man hat Kant diese Dualität, diese Zweiseitigkeit seiner Auffassung in der Frage der Willensfreiheit, oft zum Vorwurf gemacht und darin eine Doppeldeutigkeit und Zwiespältigkeit sehen wollen, die das Problem selbst völlig unentschieden läßt, und Kants Nachfolger, die Fichte, Schelling und Hegel, suchten, entsprechend ihrer völlig idealistischen Denkungsweise, auch in dieser Frage über ihren Meister hinauszugelangen und sprachen daher dem Menschen eine absolute Willensfreiheit zu, die ihm eine Sonderstellung in der einzigen und einheitlichen Natur des physischen und geistigen Geschehens gibt.
Diese Phase des reinen Denkens führte zu einem Zusammenbruch der Philosophie, durch welchen die rein idealistischen Gedankensysteme hohn- und spottbeladen in der Versenkung verschwanden und mit ihnen die extreme Auffassung des absolut freien Willens. Das entgegengesetzte Extrem der Auffassungsweise griff Platz, das rein naturwissenschaftliche Denken bemächtigte sich des Problems der Willensfreiheit. Materialismus und Monismus, in denen diese Denkungsweise ihren radikalsten Ausdruck fanden, sahen im Menschen nur ein Naturerzeugnis, nur einen Mechanismus nach Art einer Maschine und in seinen Funktionen, physischen wie geistigen, nur Bewegungsvorgänge dieser Maschine, die völlig der naturgesetzlichen Kausalität unterliegen. Der Mensch ist eine Maschine –! Mit dieser Parole, die schon vorher der Enzyklopädist de la Mettrie aufgestellt und in extremster Weise ausgebaut hatte, war jeder Gedanke an Willensfreiheit unvereinbar. Diese Denkungsweise bildet den Höhepunkt und die radikalste Ausprägung des Determinismus, der Jahrzehnte hindurch die Auffassung über die Frage der Willensfreiheit in den Kreisen der Gebildeten beherrschte.
Erst mit dem Wiedererwachen des philosophischen Geistes, der sich darauf besann, daß die Welt mit Kraft und Stoff allein nicht zu erklären sei, trat auch eine neue und entschiedene Betonung zugunsten der indeterministischen Auffassung des Problems wieder mehr in den Vordergrund. Die Philosophie der Gegenwart vertritt im wesentlichen eine vermittelnde Auffassung des Problems, die als relativer oder auch als psychologischer Determinismus bezeichnet wird, aber ebensogut auch als relativistischer Indeterminismus bezeichnet werden könnte. Nach dieser Auffassung wird das menschliche Handeln sowohl durch äußere wie auch durch innere Ursachen bestimmt und bedingt. Soweit äußere Faktoren auf den Menschen einwirken und sein Handeln bestimmen, ist er dem naturgesetzlichen Ursachenzwang unterworfen, soweit er jedoch nach inneren, aus geistiger Veranlagung, das heißt seinem Charakter entspringenden Motiven handelt, ist und handelt er frei, soweit unter Freiheit die Möglichkeit der Willensentscheidung unabhängig von äußerem Zwange, nur auf Grund innerer seelischer und intellektueller Neigungen, zu verstehen ist. Keinesfalls aber ist diese Freiheit gleichbedeutend mit völlig ursachlosem Handeln, wie sie etwa Kant für die intelligible Welt gelten ließ. Der Mensch ist und handelt frei innerhalb der Grenzen und Möglichkeiten seines Charakters, das ist im wesentlichen die Quintessenz des psychologischen Determinismus, der nach verschiedenen Vorgängern und Variationen in Deutschland besonders von Wilhelm Wundt vertreten und systematisch ausgestaltet worden ist, der für das Handeln des Menschen, soweit es nicht naturgesetzlich bedingt ist, eine Art geistiger Kausalität gelten lassen will, die nicht dem Zusammenhange von Ursache und Wirkung unterliegt. Wie man sieht, hat diese vermittelnde Auffassung des Problems Elemente aus beiden Seiten entnommen, die sie in die Form einer höheren Einheit überzuführen sucht. Ob ihr das gelungen ist und ob insbesondere hierdurch eine befriedigendere Auffassung des Problems oder gar eine Lösung desselben erreicht worden ist, muß freilich sehr dahingestellt bleiben.
Dieses kaleidoskopartige Bild läßt, so skizzenhaft und unvollständig es auch sein mag, doch die Tiefe und die ungeheure Bedeutung des Problems der Willensfreiheit für die Entwicklung der Erkenntnis und Selbsterkenntnis im Verlaufe des menschlichen Denkens erkennen. Aber das Problem hat nicht nur theoretisch-spekulative Bedeutung gehabt. Oft hat gerade die Auffassung über diese Frage das praktische Handeln der Menschheit tiefgehend beeinflußt. Besonders die deterministische Auffassung, die alles menschliche Tun und Lassen wie alles Geschehen innerhalb der Natur in den Zusammenhang von naturgegebenen Ursachen und Wirkungen stellt, hat im geistigen, politischen und kulturellen Leben, in Krieg und Frieden, oft zu bedeutungsvollen Konsequenzen geführt. Als Mohammed seine Scharen gegen Asien und Europa führte, da war der von ihm gelehrte und gepredigte Glaube an das Fatum, die Lehre, daß jedem Menschen sein Schicksal vorherbestimmt ist und er diesem so wenig entgehen kann wie etwa die Gestirne den vorausberechneten Konstellationen, ein treibendes Element von größter Gewalt, mit dem er seine Kämpfer zu Todesverachtung und alles vergessender Kampfbravour hinriß. Denn, so folgerte jene Lehre, begreiflich und verständlich auch für den einfachsten Soldatenverstand, ob der Kämpfer für Allah feige oder tapfer ist, ob er sich mit Todesverachtung in die feindlichen Reihen stürzt oder um sein Leben besorgt die Flucht ergreift und sich hinter den eigenen Reihen verbirgt, sein Schicksal steht unverrückbar fest. Wenn er fallen soll, so wird ihn dieses Schicksal erreichen, selbst wenn er sich in den geheimsten Schlupfwinkel verkriecht; ist ihm aber bestimmt zu leben, so kann ihm auch das furchtbarste Schlachtengetümmel und die todesverachtende Kühnheit nichts anhaben. Also kämpfe wie ein Löwe zu Ehren Allahs! Mit diesem Fatalismus riß Mohammed seine Heerscharen zum Siege fort, und Jahrhunderte war diese Lehre das geistige Bollwerk des Islam, von dem aus der Prophet und seine Nachfolger den Schrecken in alle Lande trugen. Der Fatalismus, diese radikale Konsequenz des Determinismus war ein Faktor von weltgeschichtlicher Bedeutung geworden. Freilich steckte gerade in diesem Determinismus ein gut Stück Demagogie. Mit derselben Logik, mit der jene Lehre die Kämpfer zu todesverachtender Kühnheit anspornte, hätte jeder einzelne Kämpfer auch folgern können, daß den Heeren Allahs, sofern ihnen der Sieg bestimmt sei, dieser auch dann nicht entgehen könne, wenn jeder einzelne der Streiter sich in ein Mauseloch verkröche! Warum also sich Gefahren aussetzen? Diese nicht minder berechtigte Folgerung, die sich aus dem Fatalismus ergibt, hat man allerdings wohlweislich verschwiegen. Die völlige Einseitigkeit und damit zugleich die Unzulänglichkeit des Determinismus aber kommt in jener Gegenüberstellung aufs beste zum Ausdruck. Jene fatalistische Argumentation zur Anfeuerung des soldatischen Mutes hat sich übrigens keinesfalls auf die Mohammedaner beschränkt, sondern ist mehr oder weniger wohl immer herangeholt worden, wo es galt, die Kriegsscharen zu begeistern, und wo sich zwei Heere gegenüberstanden, da wurde noch immer auf dieser wie jener Seite verkündet, daß »Gott mit unserer gerechten Sache« sei, eine durchaus deterministische, ja sogar fatalistische Parole.
Von grundlegender ethischer Bedeutung ist die Auffassung über das Problem der Willensfreiheit für Rechtspflege und Rechtsphilosophie geworden, und die gegenwärtige Rechtsauffassung sucht sich in stärkster Weise an jenem Problem zu orientieren. Es herrscht hier heute eine stark deterministische Neigung vor, die die Handlungen des Täters vor allem aus den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Umwelt wie auch aus der persönlichen Veranlagung, Vererbung usw. begreifen will und die Frage zu entscheiden sucht, wieweit solche Faktoren bei Begehen der Tat als verursachende Momente im Spiel waren und die freie Willensentscheidung des Täters verminderten.
Man hat sich aber nicht immer mit der theoretischen Erörterung des Problems begnügt, sondern gelegentlich versucht, dieses sozusagen bei den Hörnern zu ergreifen und durch praktische Veranschaulichung oder gar durch Experimente zu lösen. Solche Veranstaltungen haben meist einen gewissen humoristischen Beigeschmack. Das berühmteste Beispiel dieser Art hat wohl der französische Philosoph Jean Buridan gegeben, der im 14. Jahrhundert lebte und mehr als durch seine zahlreichen philosophischen und theologischen Schriften durch das von ihm ersonnene Beweisbeispiel für den Determinismus, nämlich den berühmten Esel Buridans, bekannt geworden ist. Ein hungriger Esel sei zwischen zwei Bündel Heu gestellt, die auf ihn die gleiche Anziehungskraft ausüben; weil er also nicht weiß und sich nicht entscheiden kann, welchem der beiden Bündel er sich zuerst zuwenden soll, muß er elend verhungern. Damit wollte Buridan veranschaulichen, daß es keine ursachlose Willensentscheidung bei Tier oder Mensch gäbe und das Bewußtsein der Willensfreiheit nur eine Täuschung sei. Tiefen Eindruck hat das Argument bei Gegnern und Anhängern der Willensfreiheit gerade nicht gemacht, aber viel gelacht ist darüber worden, und Buridans Esel hat damit sich und seinen geistigen Vater auf die Nachwelt gebracht. Aber was Buridan immerhin nur als Gedankenexperiment angestellt hat, das hat späterhin einmal ein amerikanischer Gelehrter, der Psychologe Fullerton, in praxi auszuführen versucht, um auf diese Weise die ewig umstrittene Frage nach der Willensfreiheit zur Entscheidung zu bringen. Zu diesem Zweck stellte er einen Hund, der darauf dressiert war, seine Nahrung nur auf Zuruf zu nehmen, zwischen zwei Würste. Die Würste waren nach Größe, Form und Füllung und allen sonstigen Eigenschaften, durch die sie auf ein Hundegemüt wirken konnten, von genau gleicher Beschaffenheit, auch waren sie in genau gleichem Abstande von dem Hunde hingelegt und auch alle übrigen Bedingungen, soweit es nur möglich war, auf völlige Symmetrie eingestellt. Und dann gab der Experimentator dem Hunde das Zeichen. Nun, der Hund tat das Gescheitste, was er tun konnte, er fraß erst die eine Wurst und dann die andere, und hat mit diesem bündigen Verfahren vielleicht einen Mangel an philosophischer Reflexion, aber zugleich auch einen überzeugenden Beweis dafür gegeben, daß eine Hundeseele sich durch solche wie die geschilderten Umweltfaktoren jedenfalls nicht in ihrer Willensentscheidung beirren läßt.
Heute ist das Problem der Willensfreiheit noch genau so umstritten wie nur je. Determinismus und Indeterminismus haben ihre Anhänger, und zwischen beiden sucht der psychologische Determinismus zu vermitteln, ohne daß es ihm aber gelungen wäre, einen herrschenden oder entscheidenden Einfluß auf die Auffassung zu dem Problem zu gewinnen. Als eine »Aporie«, eine Denkschwierigkeit, zu deren Beseitigung sich kein Weg finden zu lassen scheint, stellt sich das Problem dem grübelnden Menschengeiste dar und spottet aller Bemühungen seitens Gelehrter und Ungelehrter, zu einer eindeutigen Auffassung zu gelangen. Jedem einzelnen bleibt es überlassen, sich im Streite der Meinungen auf die eine oder die andere Seite zu stellen und darin einen persönlichen Standpunkt zu gewinnen und zu begründen.
Suchen auch wir zu einer bestimmten Auffassung zu dem Problem zu gelangen, so glauben wir jedenfalls die rein deterministische Auffassung mit guten Gründen ablehnen zu können. Zweifellos das stärkste Argument, das der Determinismus für die Verneinung des willensfreien Handelns vorbringt, besteht in dem Hinweis auf das Kausalitätsgesetz, den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung, den wir überall in der Natur waltend vorhanden sehen und den unser Denken für alles physische Geschehen unzweifelhaft fordert. Aber auch nur für dieses, nur für das physische Geschehen der unbelebten Materie wird diese Forderung erhoben und nur für dieses kann sie erhoben werden. Keine Berechtigung aber haben wir zu der Annahme, daß auch das geistige Geschehen, wie es sich im seelischen und intellektuellen Leben, im Fühlen und Empfinden, Denken und Wollen des Menschen abspielt, demselben Gesetz von Ursache und Wirkung unterworfen sei. Das Geistige ist anderer Art als das Physische, und die völlige Heterogenität dieser beiden Wesenheiten schließt es aus, daß die eine auf die andere zwangsläufig wirken könnte wie etwa die Erde vermöge ihrer Anziehungskraft auf den Stein, der zu ihr herabfällt. Damit ist aber auch zugleich gesagt, daß die Willensentscheidung, die immer ein Akt rein geistiger Natur ist, nicht physisch kausiert sein kann, und damit ist zugleich dem Determinismus sein Hauptargument entzogen.
Aber auch der psychologische Determinismus bedeutet keine Möglichkeit befriedigender Auffassung des Problems. Im Gegenteil, sein Vermittelungsversuch zwischen den beiden Hauptlagern ist doch nur ein Schwanken zwischen den Argumenten beider, bei dem ein fester Standpunkt nicht erreicht wird. Er ist letzten Endes doch nur ein verbrämter Determinismus, und seine Art, teils innere geistige, teils äußere physische Ursachen als Triebfedern des Willens und Handelns gelten zu lassen, dieses teils für frei, teils für unfrei zu erklären, bietet mit dieser völlig unbestimmten Haltung am ehesten das Bild jener berühmten deterministischen Figur, des Buridanschen Esels selbst, der nicht weiß, für welche der beiden Seiten er sich entschließen soll und – zur Spottfigur wird. Gerade in der Frage der Willensfreiheit kann es nur ein Ja oder Nein geben, und ein Drittes ist nach allen logischen Gesetzen gerade in diesem Problem der Erkenntnis ausgeschlossen.
Damit rücken wir in unserer Stellungnahme von selbst auf die Seite des Indeterminismus, und wir glauben mit diesem, daß der menschliche Wille als geistige Wesenheit in den von ihm inaugurierten Handlungen unabhängig ist von den Gesetzen der physischen Natur, daß er insbesondere dem Kausalgesetz des zwangsläufigen physischen Geschehens nicht unterliegt und in diesem Sinne frei ist. Aber freilich, völlig grundlos, völlig aus sich selbst heraus, wie Kant die intelligible Freiheit des Willens interpretierte, kann der Wille den Ablauf des Geschehens nicht inaugurieren. Aber die Gründe seiner Entscheidungen und seines Handelns sind nicht physischer Natur, sondern Motive geistiger Art, die der freien Beurteilung des denkenden und wollenden Subjektes für seine Willenshandlungen unterliegen. Gewiß, ich esse, weil ich Hunger habe, oder ich unterlasse das Essen trotz des Hungers, wenn mich andere Motive zu dieser Art des Handelns veranlassen; ob ich dies oder jenes tue und welchem von den vielen dabei waltenden Motiven ich mich schließlich zuwende, das ist ein Akt freien Wählens zwischen den Motiven auf Grund der freien und vernünftigen Überlegung. Ein Wollen und Handeln völlig ohne Motive gibt es nicht und kann es nicht geben, aber die Motive sind mit dem Sein und Dasein des Willens immer zugleich gegeben. Der Wille ist nicht nur triebhafter Urinstinkt im Sinne Schopenhauers, sondern wo er zum Handeln gelangt, ist er ein bewußt denkendes Handeln nach Motiven. Die Vielheit der Motive ist zugleich mit allem Wollen und Denken gegeben. In der Wahl der Motive ist der Wille, ist der handelnde Mensch frei und autonom, entscheidet und handelt er lediglich nach den Gründen seiner Überlegung. Die Freiheit des Willens ist also Wahlfreiheit.
Den stärksten Beweis für die Wirklichkeit der Willensfreiheit aber sehen wir in dem Gefühl und Bewußtsein der Freiheit, das mit allen unseren Entschlüssen und Handlungen untrennbar verknüpft ist, selbst. Jenes Gefühl, das schon dem naiv denkenden und philosophisch noch völlig unverbildeten Menschen die Freiheit seines Willens zu einer ganz selbstverständlichen Tatsache macht, ist ein Argument, das auf keine Weise hinwegdisputiert oder erschüttert werden kann, so wenig wie die Aussage oder der Gegenstand eines anderen Gefühls oder einer Vorstellung hinwegdisputiert werden kann, etwa die Vorstellung des Himmels. Was der »Himmel« ist, darüber mag unser Denken, mögen Astronomen und Theologen zu sehr verschiedenen Ansichten kommen, aber daß ich die Vorstellung und Wahrnehmung des Himmels habe und daß ein Ding vorhanden ist, das Gegenstand dieser Vorstellung und Wahrnehmung ist, das ist ein Faktum, das für kein Denken aus der Welt geschafft werden kann.
Damit kehren wir zu dem ursprünglichsten Argument für die Willensfreiheit als notwendigen Ausgangspunkt aller Spekulationen über dieses Problem zurück und erkennen es in vollem Umfange als berechtigt an. Ich habe doch bei jeder meiner Handlungen das Bewußtsein, das deutliche Gefühl, daß sie aus freiem persönlichen Willen heraus erfolgt; ich habe so gehandelt, weil ich so gewollt habe und hätte ebensogut anders und genau entgegengesetzt handeln können; wie sollte ich da also an der Freiheit meines Willens zweifeln? Tatsächlich, in dieser ursprünglichen und naiven Argumentation steckt letzten Endes alle Wahrheit und Weisheit über das so unendlich vielerörterte Problem der Willensfreiheit. Der Determinimus glaubt allerdings den Wert und die Beweiskraft dieses Arguments mit der Behauptung abtun zu können, daß jenes Gefühl der Willensfreiheit trügerisch sei. Aber demgegenüber muß betont werden, daß es absolut keinen Sinn hat, ein Gefühl als trügerisch zu bezeichnen. Das Gefühl der Willensfreiheit ist ein Erlebnis von ursprünglicher und unmittelbarer Gewißheit, genau so wie irgendein Gefühl von Lust oder Unlust oder eine Farb- oder Tonempfindung oder sonst irgendein unmittelbares seelisches Erlebnis. Hat es überhaupt einen Sinn, zu sagen, ich sei in einer Täuschung begriffen, wenn mir der Wein angenehm schmeckt, wenn ich froh gestimmt bin, wenn ich das Blatt des Baumes als grün empfinde oder wenn ich den Himmel sehe? Sowenig das der Fall sein kann, sowenig kann es Sinn haben, den Wahrheitswert des Freiheitsgefühls in Zweifel zu ziehen. Über solche unmittelbaren seelischen Erlebnisse ist überhaupt kein Zweifel möglich. Irren kann immer nur das Denken, das sich an solche Erlebnisse knüpft; irren beispielsweise kann man in der Spekulation darüber, was der Himmel ist, oder in der Reflexion, die man an das Gefühl der Willensfreiheit knüpft, wenn man annehmen zu können glaubt, dieses Gefühl könnte trügerisch sein. Das Gefühl der Willensfreiheit hat denselben Erlebniswert wie irgendeine Sinneswahrnehmung und gibt mir für die Freiheit meines Handelns denselben Grad von Gewißheit, wie die Wahrnehmung, daß Achilles die Schildkröte einholt, mir Gewißheit über die Tatsächlichkeit dieses Vorganges verschafft gegenüber der rechnerischen Reflexion, die zu dem Schluß kommt, daß der Schnelläufer die Schildkröte niemals einholen könne. Daß man in diesem wie in jenem Falle dem spekulativen Denken größeren Wahrheitswert beimaß als dem eindeutigen unmittelbaren Erlebnis selbst, stempelt auch das Problem der Willensfreiheit und allen geistigen Aufwand, der an dieses im Laufe der Jahrhunderte vertan wurde, zu einem Wettlauf mit der Schildkröte.