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Ein uraltes Zahlenproblem – Eine Doktorfrage? – Primzahllücken und Primzahlpaare – Eine Annäherungsformel
Nächst der Frage nach der Endlichkeit oder Unendlichkeit der Anzahl der Primzahlen, die durch den Euklidischen Beweis schon vor über zweitausend Jahren restlos gelöst worden ist, tritt ein anderes Problem an den Zahlenforscher heran, und zwar ein solches von ungleich größerer Tiefe und Schwierigkeit, nämlich die Frage nach dem Gesetz der Primzahlen. Befolgen die Primzahlen, die in die Menge der allgemeinen Zahlen eingestreut sind wie die Rosinen in den Kuchen, in ihrer Aufeinanderfolge innerhalb der Zahlenreihe eine bestimmte Gesetzmäßigkeit und welches ist, wenn das der Fall ist, dieses Gesetz? Diese Frage beschäftigte die Mathematiker, solange sie sich überhaupt mit den Eigenschaften und Gesetzen der Zahlen befassen, und ist im wesentlichen heute noch so unbeantwortet wie im Altertum, ist seit Jahrtausenden ein ungelöstes Rätsel und das schwierigste und tiefste Problem, das uns die Zahlenreihe aufgibt.
Betrachten wir, um dem Rätsel auf die Spur zu kommen, die Aufeinanderfolge der Primzahlen innerhalb der Zahlenreihe. Sie läßt nirgends eine irgendwie ausdrückbare Regelmäßigkeit oder Gesetzmäßigkeit erkennen, obwohl auf die Entdeckung einer solchen Gesetzmäßigkeit seit Jahrhunderten von den Mathematikern aller Länder eine enorme Summe von Arbeit und Scharfsinn verwandt worden ist und vielleicht jeder Mathematiker, zum mindesten jeder Zahlentheoretiker, wohl schon seinen Scharfsinn an dieser Aufgabe erprobt hat. Es handelt sich hierbei auch nicht etwa nur um eine bloße »Doktorfrage«, die mehr aus wissenschaftlicher Neugier geboren als imstande ist, unsere Erkenntnis zu vermehren, sondern die Kenntnis jenes Gesetzes wäre für die mathematische Forschung von größter Wichtigkeit und würde auf eine ganze Reihe anderer Probleme aus dem Gebiet der Zahlenkunde ein aufhellendes Licht werfen. Wir erwähnten bereits, daß die Lücken zwischen den Primzahlen innerhalb der Zahlenreihe, also die nur aus zusammengesetzten Zahlen bestehenden Zahlenfolgen, immer größer werden. Eine Lücke von fünf zusammengesetzten Zahlen kommt zum ersten Male zwischen den Primzahlen 23 und 29 vor; zwischen den Primzahlen 89 und 97 findet sich eine solche von sieben und zwischen 113 und 127 bereits eine Lücke von 14 Zahlen, von denen keine eine Primzahl ist. Auf große Lücken folgen dann auch wieder kleinere, selbst solche, die nur aus einer einzigen Zahl bestehen, aber im allgemeinen befolgen die Lücken die Tendenz, immer größer zu werden. Es kann leicht bewiesen werden, daß diese Lücken sogar einmal jede beliebige Größe annehmen müssen, daß, wenn auch erst in unabsehbar fernen Regionen der Zahlenreihe, einmal Lücken von tausend, Million und Billion Zahlen auftreten müssen, von denen keine einzige eine Primzahl ist. Die größte bekannte Primzahllücke befindet sich unter den Zahlen der fünften Million zwischen 4 652 353 und 4 652 507 und umfaßt 153 zusammengesetzte Zahlen. Die Primzahlen werden also immer seltener in der Zahlenreihe. Zugleich aber wissen wir, daß die Anzahl der Primzahlen unendlich ist, daß wir in der Zahlenreihe niemals zu einer letzten oder größten Primzahl gelangen können, daß sich vielmehr hinter jeder noch so fernen und entlegenen Primzahl immer weitere und immer wieder unendlich viele Primzahlen befinden, wie sich aus dem Euklidischen Beweis der Unendlichkeit der Anzahl der Primzahlen ergibt. Das Zusammenbestehen dieser beiden Tatsachen, also einerseits die immer größer werdende Seltenheit der Primzahlen innerhalb der Zahlenreihe, andererseits die unendliche Anzahl der Primzahlen, das ist eins der großen Wunder, das die Zahlenreihe für den Mathematiker in sich schließt, ein Problem, für das sich bisher noch keine befriedigende Lösung hat finden lassen.
Wie die Primzahlen selbst, so werden auch die Primzahlpaare, also je zwei Primzahlen, die nur durch eine zusammengesetzte Zahl getrennt sind, wie 17 und 19 oder 101 und 103 usw., immer seltener. Aber auch hier hat man immer wieder Primzahlpaare festgestellt, wenn auch hier die Lücken zwischen den einzelnen Paaren immer größer werden. Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß auch die Anzahl der Primzahlpaare unendlich groß ist, aber leider hat sich für diese Annahme ein so schlüssiger und eleganter Beweis wie der für die Unendlichkeit der Primzahlen nicht erbringen lassen; auch dieser Beweis harrt noch seines Entdeckers.
In den letzten Jahren glaubte man allerdings, dem Gesetz der Primzahlen wenigstens annäherungsweise auf die Spur gekommen zu sein. Für den Leser, der die Formelsprache der Mathematik noch nicht ganz vergessen hat, sei die Formel, die diese Annäherung ausdrückt, mitgeteilt; sie lautet
(das heißt
x geteilt durch
logarithmus naturalis x), und dieser Ausdruck bedeutet, daß in jedem Zwischenraum auf der Zahlenreihe von 1 bis
x (wo also
x eine beliebige Zahl ist) die Anzahl der Primzahlen so groß ist, wie durch jene Formel ausgedrückt wird. Aber der Wert, den die Formel angibt, ist nur ein Annäherungswert und entbehrt der absoluten Exaktheit und Genauigkeit, die Kennzeichen und Bedingung aller mathematischen Deduktionen sind. Er wird um so genauer, je größer x angenommen wird, aber ein wirklich genauer Wert ist es, wie gesagt, nicht, und damit ist das Problem der Gesetzmäßigkeit der Primzahlen nach wie vor als ungelöst zu bezeichnen.