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Krieg und Okkultismus – Das Horoskop des »Gebildeten« – Allgemeinwirkung und Einzelschicksal – Kepler und Newton – Die Mathematik des Astrologen – Die Kunst der Deutung – Eine unbeantwortete Frage – Ein »wissenschaftlicher« Astrolog – Des Schicksals Sterne
Der Okkultismus aller Richtungen und Schattierungen hat gegenwärtig Hochkonjunktur! Das ist eine Folge des Weltkrieges, die in allen Ländern, die überhaupt an diesem größten und erschütterndsten Völkerringen beteiligt waren, zu verzeichnen ist und wohl noch lange anhalten wird. Die seelische Aufwühlung und Verwirrtheit, die das schwere Erlebnis des Krieges bei ungezählten Hunderttausenden bewirkt hat, ist noch lange nicht verwunden. Und diese Erschütterung des Seelenlebens ist es, die, ohne geradezu pathologisch gewertet werden zu müssen, doch geeignet ist, den Blick selbst des gebildeten und intelligenten Menschen für die Wirklichkeit und Natürlichkeit der Dinge und des Geschehens zu trüben, ihn für die mancherlei Irrgänge des Denkens und Glaubens empfänglich zu machen und seine Neigung und Sehnsucht zum Transzendenten, zum Überirdischen und übernatürlichen zu verstärken. Sie ist es auch, die allen jenen dunklen und verworrenen Denkweisen, in denen sich der Okkultismus bewegt, dem Mystizismus jeglicher Art, dem Geister- und Gespensterglauben und ebenso auch der Wahrsagerei in ihren vielen alten und auch noch in einigen neuen Formen, einen fruchtbaren Nährboden geschaffen hat, auf dem das intellektuelle Unkraut üppig gedeiht und die sonderbarsten Blüten treibt.
Das gilt in besonderem Maße auch für die Astrologie, die Kunst, die angeblich aus den Gestirnen und deren Konstellationen das Schicksal des Menschen zu prophezeien vermag. In ungeahntem Maße hat gerade dieser Zweig des Mystizismus seit der Zeit des Krieges von der Depression und Verwirrtheit der Gemüter profitiert, und in einem Maße, wie es vielleicht seit einem Jahrhundert nicht mehr zu konstatieren war, sich Jünger, Freunde und begeisterte Anhänger selbst in jenen Kreisen zu schaffen gewußt, die sich zu den »Gebildeten« rechnen und den übrigen Erscheinungsarten des Okkultismus und Aberglaubens mehr oder weniger kritisch und ablehnend gegenüberstehen. Viele von diesen, die für die Künste der Kartenlegerinnen, der Chiromanten, Traumdeuter und Geisterbeschwörer nur ein mitleidiges Lächeln übrig haben, bringen doch der nicht minder wie jene zweifelhaften Kunst, das Horoskop zu stellen, ein erhebliches Maß von Zutrauen entgegen, wie auch das Anschwellen der astrologischen Literatur beweist.
Der Grund für diese immerhin bemerkenswerte Tatsache darf wohl darin gesehen werden, daß es die Astrologie mehr als die anderen Gebiete der okkulten Betätigung versteht, sich ein Mäntelchen von Wissenschaftlichkeit umzuhängen, das auch dem »Gebildeten« imponiert, dessen Bildung und Kenntnisse ja zumeist auf einem ganz anderen Gebiete als dem der exakten Naturforschung und der kritischen Naturbetrachtung liegen, auf dem einzig und allein der Geltungsanspruch der Astrologie auf Wissenschaftlichkeit zu prüfen wäre. Eine solche Prüfung zerzaust dann allerdings die angebliche wissenschaftliche Gewandung, mit der sich die Astrologen von heute mit Vorliebe zu umhüllen pflegen, mit aller nur wünschenswerten Gründlichkeit.
Daß die Gestirne für alles Leben auf Erden von maßgebendem Einfluß sind, ist eine banale Weisheit. Der Sonne verdanken wir Licht und Wärme und damit die Möglichkeit allen Lebens überhaupt; der Mond übt seinen mächtigen Einfluß in der Regelung von Ebbe und Flut, und auch die Planeten, gewissermaßen die »Hauptpersonen« in dem System astrologischer Prophezeiungen, wirken, wenn auch viel weniger stark und bemerkbar, auf das Dasein unserer Mutter Erde ein. Aber alles das sind lediglich allgemeine Einwirkungen der Gestirne auf Erde und Menschen. Für die Annahme einer Einwirkung der Gestirne auf das individuelle Einzelschicksal, das sich im Rahmen jener allgemeinen Wirkung der Himmelskörper vollziehen soll, insbesondere für die Annahme eines vorbestimmten Einflusses der Gestirne auf den Lebensgang des einzelnen Erdenmenschen, und ganz besonders für das Dogma der Astrologie, daß sich in der Geburtsstunde des Menschen dessen Lebensschicksal vom ersten Lebenstage bis zum Todestage aus der Konstellation der Gestirne in jener Stunde vorherbestimmen lasse, fehlt dem wissenschaftlichen Denken jede Möglichkeit eines Zusammenhangs.
Bei der Beweisführung für die Richtigkeit dieses Dogmas ist freilich von Wissenschaft nicht viel zu spüren. In merkwürdiger Übereinstimmung berufen sich die astrologischen Größen in ihren Schriften und Vorträgen zunächst immer auf die hohe Schätzung, deren sich die Astrologie bei den Kulturvölkern des Altertums, besonders bei Ägyptern und Babyloniern, zu erfreuen hatte. Als ob ehrwürdiges Alter allein einer Denkweise Wahrheit und Beweiskraft schaffen und Grund dafür sein könnte, Irrtümer vergangener Jahrtausende auch heute noch aufrechtzuerhalten! Dann folgt der Hinweis auf die Astronomen des Mittelalters, die alle zugleich auch Astrologen waren, und als Kronzeuge gar wird regelmäßig der große Kepler angeführt, der Astrolog Wallensteins und des Kaisers Rudolf, dem Schiller die Gestalt des Astrologen Seni im »Wallenstein« gegeben hat. Und gewiß, Kepler, der geniale Mathematiker und Astronom, hat, wie viele andere Himmels- und Naturforscher seiner Zeit, lange die Kunst des Horoskops mit Hingebung gepflegt. Dennoch aber fehlt den heutigen Astrologen jede Berechtigung, sich auf diesen Großen zu berufen. Kepler hatte die drei nach ihm benannten Gesetze des Umlaufs der Planeten um die Sonne gefunden und konnte trotz dieser wissenschaftlichen Großtat die Anschauungen der Astrologie mit seinem Denken vereinbaren. Er hatte jene Gesetze auf dem Erfahrungswege gefunden; den inneren Grund für diese Gesetze kannte er noch nicht, und so sah er in ihnen zunächst nur die Schönheitsgesetze, die nach seiner Auffassung dem Kosmos von dem Schöpfer zugrunde gelegt worden waren. Diese Auffassung brauchte für den Glauben an die Astrologie kein Hindernis sein. Als aber Newton das Gesetz der Gravitation gefunden hatte, das die mathematische Grundlage für die Mechanik und die Bahnen der Himmelskörper wurde, und als er damit auch den inneren Grund für die Keplerschen Gesetze lieferte, da war zugleich auch die Unvereinbarkeit zwischen mathematisch-astronomischem und astrologischem Denken ein für allemal festgestellt. Die Planetenkonstellationen werden von Höherem bestimmt und die Himmelskörper haben Wichtigeres und Größeres zu tun, als auf die Geburt eines Erdenmenschleins aufzupassen und für dieses Orakel zu spielen –, das war die Folgerung, die sich aus dem Gravitationsgesetz Newtons ergab und mit der die Astronomie die reinliche Scheidung zwischen sich und der Astrologie vollzog. So war Kepler der letzte Astrolog unter den Astronomen. Vielleicht lesen die Astrologen von heute einmal, was Wilhelm Foerster, der ehemalige Direktor der Berliner Sternwarte, in seiner heute noch mehr als je lesenswerten kleinen Schrift »Himmelskunde und Wahrsagung« über Kepler als Astrologen geschrieben hat. Sie werden dann erfahren, daß ihnen alle Ursache fehlt, sich auf Kepler zu berufen, der letzten Endes seinen Irrtum erkannt und schließlich sehr herbe Worte über die »astrologischen Pfuscher, die mit der Leichtgläubigkeit der Menschen spielen«, gefunden hat.
Nach Kant kann jede wissenschaftliche Disziplin nur so weit als exakte Wissenschaft gelten, als Mathematik in ihr steckt, und die heutige Wissenschaft hat diese Begriffsbestimmung des großen Königsbergers vollkommen übernommen. Mit Nachdruck berufen sich die heutigen Astrologen auf diese Definition, denn – so behaupten sie – das Verfahren, das Horoskop zu stellen, beruhe auf exakt mathematischer Grundlage. Es verlohnt sich, das Verfahren der Astrologie daraufhin nachzuprüfen, inwieweit jene kühne Behauptung zutrifft.
Die Methode besteht darin, die sogenannte »Nativität« aufzustellen, das heißt die »Himmelsfigur«, oder das Horoskop, anzufertigen. Das geschieht auf Grundlage des Geburtsdatums, das bis auf fünf Minuten Genauigkeit angegeben werden soll, sowie der geographischen Länge und Breite des Geburtsortes des in die Sprechstunde des Astrologen kommenden Klienten. Dann wird der Kulminationspunkt des Äquators für die Stunde der Geburt und des weiteren das gerade aufsteigende Tierkreiszeichen sowie der Stand von Sonne, Mond und Planeten vermittels trigonometrischer Rechnung berechnet, wie sie auch von den Astronomen angewandt wird, um den Stand der Gestirne zu einem Zeitpunkt der Vergangenheit zu ermitteln. Bis hierhin ist das Verfahren also tatsächlich exakt mathematisch und einwandfrei –, es kann wenigstens so sein, denn ob alle Astrologen sich auf die wirklich exakte Ausführung solcher ziemlich schwierigen mathematischen Berechnungen verstehen, darf bezweifelt werden. Dann aber fängt das Unsinnige des Verfahrens an. Der Horizont um die Erde herum wird in zwölf sphärische Zweiecke geteilt, welche die Astrologen »Häuser« nennen; der Stellung der Tierkreisbilder zu diesen »Häusern« wird eine bestimmte, aber natürlich völlig unbegründete und willkürliche Bedeutung (gut oder schlecht, günstig oder ungünstig) beigelegt, und daraus werden entsprechende Schlüsse für den Lebensgang des Auskunft Heischenden in Gegenwart und Zukunft gezogen. Ebensolche willkürliche Bedeutungen werden den Konstellationen der Planeten zugesprochen, die überdies noch einzeln in völlig willkürlicher anthropomorphischer Weise mit bestimmten guten und schlechten Eigenschaften ausgestattet sind, die glückliches oder unglückliches Schicksal künden. Venus und Jupiter gelten als Glückspender, als »Wohltäter« des geborenen Menschleins; Merkur nimmt eine sehr zweifelhafte Stellung ein; Saturn, Mars und Uranus gelten in bezug auf das menschliche Schicksal als feindlich Gesinnte und »Übeltäter«; Neptun ist bald freundlich, bald übel gelaunt. Der gute Mond aber bedeutet für das männliche Horoskop die zukünftige Ehegattin, für das Horoskop feminini generis aber den dereinstigen Herrlichsten von allen. In ähnlicher Weise werden aus Konstellation und Eigenschaften der Gestirne auch die Tage besonderen Glücks oder Unglücks, großer Unternehmungen oder Ereignisse, der Tag der Verheiratung und schließlich sogar der Todestag prophezeit.
Und was ist nun der Unterschied zwischen diesem angeblich exakt wissenschaftlichen System und der sonstigen Wahrsagerei, etwa Kartenlesen oder Chiromantie? Keiner! In diesem wie in jenem Falle handelt es sich um dasselbe; nur die Ausführung ist jeweils äußerlich verschieden. Gegeben ist immer eine bestimmte Anzahl von Elementen, die eine große Zahl von Kombinationen ermöglichen; diese Elemente und deren Kombinationen werden in völlig willkürlicher Weise für Charakter oder Schicksal des Suchenden gedeutet. Beim Kartenlesen sind die gegebenen Elemente die 32 Spielkarten, die Kombinationen ergeben sich aus der Reihenfolge, in der die Karten hingelegt werden. Die Anzahl der möglichen Reihenfolgen ist ungeheuer groß und beträgt 32!, lies: zweiunddreißig Fakultät, d. h. das Multiplikationsergebnis sämtlicher Zahlen von 1 bis 32, was eine unvorstellbar große Zahl von ungezählten Billionen und Trillionen ergibt. Die sich in solcher ungeheuren Mannigfaltigkeit ergebenden Kombinationsmöglichkeiten der Karten aber werden nach alten Regeln, für die noch kein Kartenleger den Grund hat glaubhaft machen können, als gut oder schlecht, als Lotteriegewinn, Beinbruch, glückliche Reise, Erfolg, Pleite, Verlobung, Heirat oder Tod usw. gedeutet, und – das Orakel ist fertig und wird anstandslos bezahlt. In der Chiromantie wird in entsprechender Weise die ungeheure Mannigfaltigkeit, die der Verlauf der Handlinien aufweist, willkürlich ausgelegt, und beim Bleigießen zu Silvester werden die zahllosen verschiedenen Formen, in denen ein wenig geschmolzenes und dann in kaltes Wasser gegossenes Blei erscheinen kann, halb humoristisch, halb gläubig zur Deutung für das kommende Jahr benutzt.
Und wie ist's mit der Astrologie? Hier sind die Elemente Tierkreisbilder, Planeten, Sonne und Mond, die ungezählt viele Kombinationen sowohl untereinander wie auch zu den zwölf »Häusern« bilden können. Diese Konstellationen werden tatsächlich mathematisch berechnet, aber ihre Deutung geschieht nach ebenso überlieferungsgemäß willkürlichen Regeln und also in ebenso sinnloser Weise wie beim Kartenlegen oder bei der Tätigkeit jener alten Damen, die aus Kaffeesatz oder Eidotter die Zukunft herausorakeln. Solche Kombinations- und Wahrsagesysteme kann man im Handumdrehen fabrizieren, und wer an den bestehenden noch nicht genug haben sollte, dem sei gleich ein weiteres mitgeteilt. Man nehme ein Schachspiel und lasse eine Person bei verbundenen Augen die Figuren auf das Schachbrett stellen. Aus der sich so ergebenden Stellung von König, Dame, Türmen, Springern, Läufern und Bauern, der feindlichen und freundlichen Figuren, aus dem Vorhandensein von Angriff und Verteidigung usw. lassen sich alle nur möglichen Bedeutungen und Ereignisse für das Schicksal des Spielers herauslesen, und bei der ausgesprochen aufs Menschliche übertragenen Bedeutung aller Figuren und Stellungen im Schachspiel und bei der unerschöpflichen Mannigfaltigkeit der Stellungen und Zusammenhänge erschließt sich hier ein neues System der Prophetie, dem unzweifelhaft ebensoviel oder ebensowenig Wahrheit und Wahrscheinlichkeit zukommt wie der Astrologie.
Also die mathematische Begründung der Astrologie versagt, solange die Astrologen nicht auch mathematisch begründen können, warum Venus eine »Wohltäterin«, Mars ein »Übeltäter« im Schicksal des Geborenen ist, mit welcher Berechtigung sie dem guten Mond die Rolle des Ehekupplers zuweisen und sich überhaupt die ganze übrige anthropomorphische Willkür an den Gestirnen und deren Konstellationen erlauben. An einer anderen kleinen Berechnung aber gehen die Astrologen merkwürdigerweise still vorüber. Sie bestimmen das Menschenschicksal nach der Konstellation der Gestirne zur Geburtsstunde. Aber in ein und derselben Stunde werden unter ein und demselben Längen- und Breitengrad nicht nur einer, sondern immer eine ganze Anzahl von Menschen geboren, die also nach astrologischer Logik alle dasselbe Lebensschicksal haben müßten. In Deutschland werden zu jeder Stunde etwa 250 Menschen geboren, in Berlin oder im Bereich des Längen- und Breitengrades von Berlin 15 bis 20 Menschen, für die alle also das gleiche Horoskop gültig ist, gleichviel, ob der einzelne von ihnen im Palast oder in der Hütte geboren ist, ob er als Kretin oder mit der Anlage zum Genie auf die Welt gekommen ist. Warum hat es dann nur einen Goethe gegeben, obwohl doch in der Stunde seiner Geburt sicher noch einige andere Frankfurter zum Lebenslicht erwacht sind, warum hat es nur einen Bismarck, nur einen Kant, nur einen Raffael gegeben und warum stand uns im Weltkrieg nur ein Hindenburg zur Verfügung? Die Antwort dürfte auch ohne die Fähigkeit, sphärische Zwei- und Dreiecke zu berechnen, nicht schwerfallen.
In einem Buch, das sich »Mathematisch-instruktives Lehrbuch der Astrologie« nennt, leistet sich der Verfasser den hübschen Sophismus, es sei natürlich selbstverständlich, daß neben Millionen richtiger astrologischer Prophezeiungen zu allen Zeiten auch Fehlschlüsse vorgekommen seien! Uns scheint die Folgerung logischer: Wenn auf Millionen falscher astrologischer Prophezeiungen auch mal einige Zufallstreffer kamen, so kann das noch lange kein Beweis für die Daseinsberechtigung der Astrologie in unserer Zeit sein. »Manchmal trifft's ein, manchmal ooch nich, ja lieber Gott, dann helf er sich!« wie der Komiker Bendix zu sagen pflegte, goldene Worte, die auch den Wahrheitswert des Horoskopes treffend kennzeichnen dürften. In demselben Standardwerk der Astrologie werden auch die kühnsten Hypothesen über die Physik der Gestirne aufgestellt, und aus den Ergebnissen der Höhenstrahlenforschung der letzten Jahre wird der Schluß gezogen, daß mit den entdeckten Höhenstrahlen, die nach der gegenwärtigen Auffassung ihren Ursprung in der radioaktiven Tätigkeit ferner Weltkörper haben, der Zusammenhang dieser Weltkörper mit der Erde im astrologischen Sinne bewiesen sei. Man ist mit solchen »Beweisen« zugunsten der Astrologie schnell bei der Hand, während es für den Naturforscher selbstverständlich ist, daß jene Strahlen, die uns aus fernen Welten zukommen, für unsere Erde nur eine allgemeinphysikalische Bedeutung, wie irgendeine andere Strahlung, etwa das Licht, das uns jene Weltkörper zusenden, haben können, daß niemals aber ein Zusammenhang solcher Strahlen mit dem individuellen Einzelschicksal der Erdenbürger im Sinne astrologischer Vorausbestimmung zu konstruieren ist. Welche Bewandtnis es mit der Deutung physikalischer Phänomene seitens solcher astrologischer Wissenschaftler und überhaupt mit ihrer Auffassung von den Naturkräften und dem Naturgeschehen hat, dafür mag angeführt werden, daß in dem erwähnten astrologischen Werk als Beweis des Einflusses des Mondes auf die Dinge und Schicksale auf Erden allen Ernstes behauptet wird, daß ein scharfgeschliffenes Messer, das eine Nacht hindurch dem Licht des Vollmondes ausgesetzt gewesen sei, stumpf werde und nie wieder scharf geschliffen werden könne! Das sind ja höchst merkwürdige physikalische Tatsachen, die sich den Physikern selbst allerdings bisher so raffiniert zu entziehen gewußt haben, daß ein solcher bislang ein derartiges Phänomen noch niemals festzustellen vermochte. Auf dieser Höhe der physikalischen Erkenntnis stehen die Argumentation, die Behauptungen und die Beweisführung der »wissenschaftlichen« Astrologie allgemein und durchweg. Kann angesichts eines solchen physikalischen Aberglaubens noch ein Unterschied zwischen dieser Afterlehre und dem Metier, aus den Karten, aus Kaffeegrund oder den Fingernägeln die Zukunft zu prophezeien, gemacht werden?
Das menschliche Lebensschicksal wird in seinem individuellen Verlauf viel mehr als durch die Gestirne am Himmel durch die Verhältnisse und Bedingungen auf Erden und immer noch mit am meisten durch das eigene Tun und Lassen eines jeden einzelnen selbst bestimmt. »In deiner Brust sind deines Schicksals Sterne«, sagt in diesem Sinne der Dichter, und er warnt damit alle die vielen, die sich heute mehr oder weniger gläubig das Horoskop stellen lassen, vor einer Spekulation, die trotz aller wissenschaftlichen Bemäntelung nur als Geistesverwirrung und unwürdiger Aberglaube einzuschätzen ist.
Astrologische Kritiker und astrologische Beweisführung – Astrologie und Politik – Ein Lehrstuhl für Astrologie?
Der vorstehende Aufsatz war – in etwas kürzerer Form – seinerzeit in einer weitverbreiteten Berliner Tageszeitung erschienen. Die Folge war, daß mir ein reichliches Hundert von Zuschriften aus dem astrologischen Lager zuging, in denen mir mit mehr oder weniger Liebenswürdigkeit (zumeist mit weniger) der Text über die »empörende Schmähung einer der ältesten, ehrwürdigsten und wahrsten Wissenschaften des Menschengeschlechtes«, wie sich ein Einsender ausdrückte, gelesen wurde. Die merkwürdigsten Geister warfen sich da mit den merkwürdigsten Argumenten zur Verteidigung der Kunst des Horoskopes auf. Beispiel: Einer begründete seine Kompetenz, über solche Dinge ungleich richtiger urteilen zu können, mit dem Hinweis darauf, daß er »anerkannte Autorität in der Fingernagellesekunst« – eine mir damals allerdings noch ganz neue Wissenschaft – sei, und daß die Ergebnisse dieser Kunst regelmäßig mit den astrologischen Aussagen und Prophezeiungen übereinstimmten. Also müssen sie beide richtig sein! Scharfsinniger war ein anderer meiner Korrespondenten, ein Jurist, der meinen Hinweis, warum es nur einen Newton, einen Goethe, einen Bismarck usw. gegeben habe, obwohl doch in der Geburtsstunde jedes dieser Genies noch andere Menschen unter demselben astrologischen Zeichen geboren seien, damit zu widerlegen suchte, daß eben diese Prämisse falsch sei und solche auserwählten Geister nur vereinzelt geboren würden. In der Stunde und unter dem Zeichen, unter dem Goethe geboren worden ist, wurde kein weiterer Mensch geboren. Zu einfach ist dieser hübsche Sophismus, um bewiesen werden zu können. Auch politische Momente spielten in die Debatte hinein. Ein Briefschreiber gab seiner Auffassung dahin Ausdruck, daß Ton und Inhalt meines Aufsatzes keines deutschen Mannes und keines Herrenmenschen würdig sei und nur die proletenhafte Neigung des Verfassers verrate, das Erhabene in den Schmutz zu ziehen. Gerade entgegengesetzt meinte ein anderer, daß mein Aufsatz nur den anmaßenden Hochmut der Leute, »die sich mehr als andere dünken«, erkennen lasse und außerdem das Bestreben, dem Volke die Wissenschaft vorzuenthalten; die Astrologie sei eine echt demokratische Wissenschaft und deswegen nur erfolgten solche gehässigen Angriffe gegen sie! Da bin ich nun an mir selbst irre geworden und weiß nicht, ob ich mich zu den Herrenmenschen oder zu den Proleten zu rechnen habe, will das auch nicht weiter entscheiden. Ein anderer endlich hielt mir in einem langen Sündenregister die vielen »Fehler« und »Irrtümer« meines Aufsatzes vor, berichtigte jeden einzeln und verlangte dann auf Grund des Paragraphen 11 des Preßgesetzes kategorisch von mir Widerruf meines Aufsatzes in der betreffenden Zeitung. Ich war so verstockt, ihm den Gefallen nicht zu tun. Bei alledem war zu konstatieren – und das war das Bedauerliche – daß die Mehrzahl der Schreiber nach Beruf, Titel und Schreibweise unzweifelhaft zur Klasse der »Gebildeten« zu rechnen war, war doch etwa ein Viertel von ihnen Akademiker. Und dennoch diese Kritiklosigkeit einer Afterwissenschaft gegenüber! Ein trauriges und beschämendes Zeichen für die Oberflächlichkeit und Einseitigkeit unserer sogenannten »Bildung«, ein trauriges und beschämendes Zeugnis auch dafür, daß der hochtrabende Begriff »Bildung« in den Augen nur Allzuvieler mit jedem Mangel gesicherter Kenntnisse vereinbar zu sein scheint.
Freilich bekommt man ja über den Wert der modernen Aufklärungs- und Bildungsbestrebungen eigenartige Begriffe angesichts der Tatsache, daß selbst ein so anerkanntes Volksbildungsinstitut wie die Lessing-Hochschule in Berlin ein Semester lang die Astrologie in ihr Vorlesungsprogramm ausgenommen hatte, nicht etwa nur im geschichtlichen oder referierenden Sinne, sondern die waschechte »wissenschaftliche Astrologie« mit Horoskopstellen und allem sonstigen Zauberspuk dieser zweifelhaften Kunst. Wenn dergleichen schon am grünen Holze geschieht, wenn ein Institut, das seiner Tradition und seinem Zwecke nach doch in erster Linie dazu berufen sein sollte, den Kampf gegen den astrologischen Aberglauben zu führen, diesen Kampf geradezu sabotiert, indem es quasi offiziell die Astrologie zum Volksbildungs- und Vorlesungsgegenstand erhebt, dann ist es vielleicht verständlich, wenn der wissenschaftlich bemäntelte astrologische Unfug und Aberglaube auch in den Kreisen unserer mehr oder weniger Intellektuellen solche verheerenden Erfolge erzielen konnte. Nicht unerwähnt mag bleiben, daß man seitens der Astrologen sogar auch Anstrengungen gemacht hat, einen Universitätslehrstuhl zu erlangen, aber gottlob wenigstens von dieser Seite eine ebenso deutliche wie entschiedene Abfuhr erhielt. Bisher wenigstens!