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38.
Auf zum Südpol!

Endlich brach der heißersehnte Tag wieder an. Immer heller war das Dämmerlicht der Tage geworden, und nun stand die ganze Gesellschaft vor Südburg, den ersten Sonnenaufgang erwartend. Wundervolle Farbenspiele am Himmel zeigten ihn an. Schnee und Eis warfen die feinsten und zartesten Farbenabtönungen zurück, mit einem Reiz, den keiner für denkbar halten würde, der noch nie eine Polarlandschaft gesehen hat. Dann stieg das goldene Gestirn langsam über den Horizont empor, begrüßt von allgemeinem Jubel.

Freilich dauerte vorerst die Sonnenherrlichkeit nicht lange; aber auch der Sonnenuntergang entzückte durch ein gleiches prächtiges Farbenspiel.

Ernst machte nun mit Mäusle, Neeltje und Eva beinahe tägliche Ausflüge, bei denen der Schwabe, der, wie wir wissen, sich besonders auch mit Geologie oder Erd- und Gesteinskunde befaßte, höchst interessante Gesteinsbildungen entdeckte.

Am schönsten erschien ein dunkelgrüner Stein voll großer, rosafarbener Kristalle, die mit kleinen schwarzen Kristallen überstreut waren.

Die Tage nahmen zu und es war viel die Rede von einem baldigen Aufbruch, um womöglich den Südpol zu erreichen.

Überraschenderweise zeigte der Baron gar keinen besonderen Eifer und äußerte sogar, es wäre wohl geratener, sich mit den bisherigen außerordentlichen Entdeckungen zufrieden zu geben und den Polarsommer zur Rückreise zu benutzen.

Eva war außer sich, denn sie freute sich so sehr auf die Befreiung der Prinzessin, von der ihr Vater freilich noch nichts wußte. Sie war es, die ihn besonders zur Weiterreise drängte.

»Kind!« sagte er: »Deinetwegen vor allem habe ich Bedenken, weiter vorzudringen ins Unbekannte. Sieh, wir haben hier schon eine Anzahl ganz unheimlicher und gefährlicher Tiere entdeckt, und ich fürchte, daß sie weiter südlich noch in größeren Mengen auftreten. Wer weiß, dort gibt es vielleicht noch furchtbarere Geschöpfe. Soll ich meine Gefährten und namentlich Frau Professor Mäusle und dich solch entsetzlichen Gefahren aussetzen, nur um der Eitelkeit willen, als Entdecker des Südpols gefeiert zu werden?«

»Ach was! Bisher haben wir die gefährlichsten Raubtiere und Drachen besiegt, und überhaupt, Lebensgefahr ist überall, besonders aber bei einer Polarfahrt. Der Sturz in eine Gletscherspalte, in deren Grund man mit gebrochenen Gliedern erfriert oder verhungert, ist wohl noch schlimmer als der rasche Tod durch ein reißendes Tier. Lassen wir uns durch die Gefahren von der Verfolgung unseres Zieles abschrecken, so müssen wir uns ja vor der ganzen Welt schämen.«

»Ich weiß nicht, wie es kommt, aber mich quälen schlimme Vorahnungen, die mir sonst ganz fremd sind.«

»O Papa, schlage dir solche Gedanken aus dem Kopf und nimm dir ein Beispiel an uns: wir alle, außer etwa Doktor Maibold, brennen darauf, den Südpol zu entdecken und scheuen weder die Gefahren, die wir schon kennen, noch diejenigen, die uns möglicherweise noch unbekannt sind. Hast du haltlose Ahnungen, so habe ich vielmehr sichere Kenntnisse: wir werden am Südpol ein schönes, warmes, sonniges Land finden mit herrlichen Auen und Wäldern, und inmitten eines Kranzes von Bergen eine tote Stadt. Auch von denen, die sie kennen, wird sie ›Die Tote Stadt‹ genannt. Aber ich sage dir, diese Stadt des Todes ist von einer Pracht, wie du sie nie geschaut hast. Sie ist bewohnt von steinernen Menschen und mit steinernen Blumen geschmückt.«

Münkhuysen lachte: »Mädel, du entwickelst ja eine großartige Phantasie! Es ist allerdings schon von ernster wissenschaftlicher Seite aus von der Möglichkeit eines warmen, ja tropischen Klimas am Südpol gesprochen worden und man hat starke Gründe dafür beibringen können. Nun, das wird dir einer der Herren vorgeschwatzt haben, aber du nimmst es gleich für erwiesene Tatsache und malst dir ganze Märchenbilder aus.«

»Nichts da, Phantasie!« ereiferte sich Eva: »Was ich dir vorhersage ist nüchterne, wenn auch märchenschöne Wirklichkeit und ich leiste jede Gewähr für das Eintreffen meiner Prophezeiung.«

»Und ich kann es bestätigen, Herr Baron,« erklärte Ernst feierlich: »Sie werden am Südpol alles genau so finden, wie es Fräulein Eva beschrieb.«

»Da hört sich doch aber alle Wissenschaft auf!« rief Schulze kopfschüttelnd; denn allmählich hatten sich alle um den Baron versammelt, um dem lebhaften Gespräch zu lauschen.

Inzwischen wanderten Münkhuysens verdutzte Blicke zwischen seinem Töchterlein und Ernst hin und her. Endlich sagte er: »Ihr sprecht in Rätseln! Denn daß ihr nicht scherzt, sieht man euch an. Ich weiß wahrhaftig nicht, was ich denken soll!«

»Auf zum Südpol!« lachte Eva: »Dort wirst du sehen, daß wir mehr wissen als du, und zwar bin ich die Entdeckerin und Ernst wurde nur durch mich in mein Geheimnis eingeweiht.«

»Heraus mit der Sprache!« begehrte ihr Vater.

»Nein, wir wollen unser Geheimnis wahren, bis ihr mit eigenen Augen sehet, daß ich genau wußte, was keiner von euch ahnte.«

»Habt ihr etwa einen verschollenen Papyrus aufgefunden und entziffert? Wie in so vielem anderen, wußten die Alten vielleicht auch vom Südpol mehr als wir. So behaupteten sie, der Südpolkontinent weise die Umrisse Afrikas auf, was zu meiner Philosophie der Geographie stimmen würde. Immerhin wäre es nicht wahrscheinlich, daß eine Gegend und eine Stadt, wie du sie beschreibst, nach Jahrtausenden noch geradeso zu finden wären, wie die Alten sie vielleicht kannten.«

»Nichts haben wir gelesen,« widersprach Eva: »Gedulde dich nur! Und dann hat auch Ernst sein besonderes Geheimnis, das er mir schon in Amsterdam offenbarte, nachdem ich ihn in das meinige eingeweiht hatte. Herr Mäusle ist in der Lage, seine urkundliche Richtigkeit zu bestätigen, da wir ihn zum Mitwisser machten und er die Beweise in Händen hielt, zum Teil sogar selber entzifferte. Wir sind nämlich einer gefangenen Prinzessin am Südpol in der Toten Stadt Hilfe und Erlösung schuldig, die wir ihr telegraphisch zugesagt haben. Ihre Antwort erhielten wir hier.« Eva hütete sich wohl, zu erwähnen, wie wenig ermutigend diese Antwort lautete.

»Die Sache wird immer fabelhafter!« sagte der Baron: »Da ihr aber so hartnäckig auf dem Wagnis besteht, und auch die anderen auf eurer Seite zu stehen scheinen, füge ich mich der Mehrheit.«

»Hurra! Wir haben gesiegt!« jubelte die junge Dame, und allseitig wurde die Befriedigung über diesen willkommenen Entschluß geäußert. Nur Maibold verhielt sich still.

Nun wurden die Vorbereitungen zur Reise ernstlich getroffen.

Evas Voraussage, daß am Südpol ein warmes Land anzutreffen sei, stimmte nicht nur zu der oft erörterten und besonders von Raimund und Mäusle verfochtenen Theorie, sondern auch mit den Beobachtungen, die unsere Freunde selber bei weiter ausgedehnten Jagdausflügen gemacht hatten. Man war in mildere Landstriche gelangt und hatte in der Ferne sogar eis- und schneefreie Gipfel gesichtet. Man durfte sich also darauf gefaßt machen, bald in sommerlichere Gegenden zu geraten, und mußte daher in Aussicht nehmen, daß man, wenn sich dies bestätigte, mit den Schlitten nicht mehr weit kommen werde.

Münkhuysen hatte denn auch andere Mittel ersonnen, mit denen man rasch vorankam. Der notwendigste Proviant, Zelte, Schlafsäcke und Ausrüstungsgegenstände, wurden zwar zunächst auf die Schlitten geladen, doch führte man ebensoviele kleine Wagen auf Rädern mit, vor welche die Hunde gespannt werden konnten, wenn die Schlittenbahn aufhörte.

Die Wärme der südlichen Luftströmungen war ganz auffallend, und Mäusle wetteiferte mit Raimund in der Aufstellung von Vermutungen, die schließlich auf folgendes Ergebnis hinauskamen: »In der Nähe des Südpols befindet sich ein warmes Land, das vielleicht sogar im Winter eisfrei sein dürfte. Wahrscheinlich ist es rings von einem Binnenmeer umgeben. Dieses weist eine sehr hohe Temperatur auf, da infolge der Abplattung des Poles der Meeresgrund dem inneren Glutkern der Erde sehr nahe steht. Das erwärmte Wasser steigt fortwährend an die Oberfläche und strahlt eine solche Wärme aus, daß ein tropisches Klima der Küsten nicht unwahrscheinlich ist. Im Norden dieses warmen Polarmeeres befindet sich ein hoher Gebirgsgürtel, der durch einen Kreis von Gletschern seinerseits eingeschlossen ist, so daß die nördlichen Küsten der Antarktis von den warmen Luftströmungen des Zentralkontinentes nicht berührt werden. Südburg befindet sich an einer Stelle, wo der Gletscherring sich verdoppelt, zwischen zwei Gletscherketten mit einem Talausgang gegen Südwesten. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der Gletschergürtel keinen vollkommenen Kreis bildet; in diesem Falle müßte es einen eisfreien Landweg zum Südpol geben; dieser Zugang würde sich dann vermutlich im Süden des Weddellmeeres befinden.«

Wie unsere Freunde vorausgesehen hatten, konnten sie bald ihre Schlitten nicht mehr gebrauchen und mußten geeignetere Beförderungsmittel anwenden. Mit solchen versah sie Münkhuysens erfinderisches Genie. Der Baron selber benutzte seinen Flugapparat. Es war dies eine mit zwei Flügeln versehene Maschine. In Erwägung, daß die Vögel sich in die Luft erheben können, dadurch, daß die Federn ihrer Flügel sich dachziegelartig eng aneinander legen, sobald ein Flügelschlag nach unten erfolgt, hingegen sich voneinander trennen und die Luft durchlassen, wenn sie nach oben bewegt werden, hatte Münkhuysen seine Flügel mit einer Unzahl kleiner Ventile versehen, die sich nur nach unten öffneten. Sie gestatteten so ein fast müheloses Emporheben der Fittiche, während der Flügelschlag nach unten die Schließung sämtlicher Klappen bewirkte und damit, infolge des Luftwiderstandes, den Aufschwung ermöglichte. Die Bewegung der Flügel erfolgte durch Treten mit den Füßen, wie beim Fahrrad. Die Hände des Fliegers, der auf bequemem Sitze saß, blieben frei zur Regierung des Steuers und des Fallschirms, der gleich einem Mast über die Maschine emporragte, und sich mit Leichtigkeit öffnen und schließen ließ. Ein mit starken Federn versehener Unterbau sorgte dafür, daß ein Absturz auch dann ungefährlich blieb, wenn je der Fallschirm versagen sollte. Mit diesem motorlosen Flugzeug konnte man sich einem Vogel gleich in die Lüfte erheben und sich durch geeignete Flügelschläge längere Zeit an ein und derselben Stelle in der Schwebe halten.

Die Italiener leiteten die Hunde- und Ponykarawane, teils zu Fuß neben den Wagen hergehend, teils auch aufsitzend, wenn die Bodenverhältnisse dies gestatteten. Die übrigen Mitglieder der Gesellschaft wurden vom Baron mit Ballonstelzen versehen, die er ebenfalls selber erfunden hatte.

Dieses eigenartige Beförderungsmittel bestand aus starken Stelzen von dreißig bis fünfzig Meter Höhe. Sie waren mit beiderseits herausstehenden Querleisten versehen, die ein bequemes Auf- und Absteigen ermöglichten. Diese Stelzen wurden an die Beine geschnallt, und nun konnte man mit denselben nicht nur ungeheure Schritte machen, sondern auch die gefährlichsten Bodenschwierigkeiten sicher überwinden, hohe Berge mit wenigen Schritten übersteigen, und durch nicht allzutiefe Gewässer mühelos hindurchwaten. Zudem genoß man von der Höhe dieser Stelzen aus die herrlichste Fernsicht. Natürlich hätte das Gewicht solcher hoher Stangen das Gehen sehr ermüdend gemacht; daher mußte jeder Stelzenwanderer einen Luftballon unter den Schultern festschnallen, dessen Tragfähigkeit das Gewicht der Stelzen nebst dem Körpergewicht des Inhabers um einiges übertraf. Die Ausgleichung erfolgte durch mitgenommenen Ballast, der verhindern sollte, daß man über den Boden erhoben werde, da ein Schweben das Vorwärtsschreiten unmöglich gemacht hätte. Es ist selbstverständlich, daß man auf diese Weise mit den Stelzen stundenlang wandern konnte, ohne irgendwelche Ermüdung zu fühlen, da man nicht, wie der gewöhnliche Fußgänger, sein volles eigenes Körpergewicht zu tragen hatte.

Um noch sicherer zu marschieren, waren die Ballonstelzenwanderer mit langen Alpenstöcken versehen; dieselben hatten unten einen starken Widerhaken und dienten zugleich als Waffen.

Ernst machte eine Erfindung, welche die Querhölzer zum Auf- und Absteigen entbehrlich machte. Reichlich mit Ballast versehen, schnallte er sitzend die auf dem Boden liegenden Stelzen an und befestigte den Ballon unter seinen Armen; dann hakte er in den Widerhaken seines Alpenstockes ein Ballastsäckchen ein; hierauf warf er allen übrigen Ballast weg: nun hob ihn der Ballon samt den Stelzen langsam empor; sobald er auf den Stelzen aufrecht stand, zog er mit dem Alpenstock sein Balastsäckchen empor, um es umzuhängen. Zum Absteigen genügte es, den Haken irgendwo festzurennen und sich dann am Stocke zu Boden zu ziehen.

Zur Herstellung des Wasserstoffgases hatte Münkhuysen eine Anzahl Behälter mitgenommen, in denen sich Metallabfälle befanden. Mit Schwefelsäure und Wasser übergossen, entwickelte das Metall den Wasserstoff, den er so nach Bedarf erzeugen konnte.

Natürlich wußte Kapitän Münchhausen zu erzählen, welch hervorragende Beförderungsmittel er selber erfunden und seinerzeit auf dem antarktischen Kontinent verwendet habe.

»Wir versahen uns,« sagte er, »mit ›Ballschuhen‹, so nannte ich treffend die Siebenmeilenstiefel, die ich mir ausgedacht hatte, und die sich vorzüglich bewährten. Die ›Ballschuhe‹ waren große, sehr elastische Gummibälle mit einem Durchmesser von fast einem Meter; oben waren sie mit einer Art Schuh versehen, der an den Fuß geschnallt wurde. Der Gang mit diesem Apparat ist äußerst elastisch und leicht und ermöglicht bei gewöhnlichem Gehen mehr als doppelt so große Schritte als sonst. Sobald man jedoch einen kleinen Anlauf zum Springen nimmt, und dabei fester auftritt, macht man mit diesen federnden Bällen Sprünge von so gewaltiger Ausdehnung, daß es ans Unglaubliche grenzt: breite Flüsse und andere Hindernisse werden mit einem Satze genommen und es ist eine Kleinigkeit, in der Stunde ohne Anstrengung fünfzig bis sechzig Kilometer zurückzulegen. Ein besonderer Vorzug dieser Ballschuhe ist ferner, daß sie sich über Wasser halten und daher ein sicheres Gehen auf dem Meere, den Flüssen und Seen ermöglichen, wobei man wie mit Schlittschuhen schleift und dabei die Geschwindigkeit eines kleinen Vergnügungsdampfers erreichen kann.«

Diese so praktischen Ballschuhe wurden von der Mehrzahl der Hörer, Maibold voran, stark in Zweifel gezogen. Andere hielten sie für kein Ding der Unmöglichkeit und hätten gerne Versuche damit angestellt, wenn sie nur vorhanden gewesen wären.

Inzwischen erreichte die Reisegesellschaft das Binnenmeer, das ihr von ihren Jagdausflügen her schon bekannt war.


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