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Unsere Freunde befanden sich übrigens immer noch in einer recht bedenklichen Lage. Der Polarwinter drohte hereinzubrechen, und im besten Falle waren sie zu einer unfruchtbaren Überwinterung verdammt, wenn es ihnen nicht gelang, eine Verbindung mit dem »Südkreuz« herzustellen.
Die »Kameraden an der Küste hätten zwar die Verbindung mit ihnen zustande bringen können, wenn sie alle noch vorhandenen Seile zusammenbanden. Aber ob sie auf diesen Gedanken kamen, war die Frage.
Kapitän Münchhausen schlug vor, große Brenngläser aus Eis herzustellen, und mit ihrer Hilfe die Gletscher aufzutauen, das heißt, ein Loch durch sie zu brennen. Daß sie nicht durch und durch aus Eis bestanden, sondern in der Hauptsache aus Erde und Felsen, kümmerte ihn wenig.
Zum Bohren eines Tunnels durch die Münkhuysenberge fehlte es an Bohrmaschinen und Sprengmitteln, abgesehen davon, daß dies eine Arbeit von Monaten oder gar Jahren bedeutet hätte. Das einfachste wäre immerhin gewesen, Stufen in die obere, unzugängliche Felswand zu hauen. Allein vor Einbruch der Polarnacht wäre man keinesfalls damit fertig geworden.
Während die anderen beratschlagten, was zu tun sei, saß Michael Mäusle abseits, in tiefes Nachsinnen versunken.
Plötzlich rief er aus: »Heureka! Ich hab's! Heda, Baron, ist viel Schnur vorrätig?«
»Gibt's nicht!« erwiderte Münkhuysen: »Drüben über dem Gebirge genug, bei uns hier aber kein Endchen, abgesehen natürlich von unserem Seil.«
»Das hilft uns nichts, denn das können und dürfen wir nicht aufdrehen. Und doch brauche ich notwendig einige hundert Meter Bindfaden. Ist keiner da, so muß Ersatz geschafft werden.«
»Nun,« sagte der Baron, »aus der Haut und den Sehnen des Mammut lassen sich schmale und doch zähe Streifen genug schneiden.«
»Das gibt zu gewichtige Ware,« meinte Mäusle: »Dagegen sind die Gedärme wohl geeignet. Also, alle Mann ans Werk, und die Därme in möglichst schmale und lange Streifen geschnitten!«
»Was haben Sie vor?« fragte Ernst neugierig.
»Einen Drachen will ich bauen, den wir mit vernünftigen Anweisungen über das Gebirge zu unseren Kameraden fliegen lassen.«
»Das läßt sich hören!« meinte Holm: »Ich will unterdessen ein großartiges Gestell zimmern, als Ingenieur, der ich bin. Aber wo nehme ich das Material her?«
Doch auch da wurde bald Rat geschafft: Der Stiel eines Eispickels wurde gespalten und in dünne Leisten zerlegt.
Mit Hilfe einiger Lederstreifen aus Mammuthaut wurde nun das Gerippe des Drachen hergestellt. Zur Überkleidung desselben dienten die Därme des Urwelttieres, die, aufgeschlitzt, breite und äußerst leichte Bänder gaben; diese wurden der Länge nach aneinander genäht mit Fäden, die aus ganz feinen Darmstreifen gefertigt wurden. Dann wurde das Gestell mit diesem für den Zweck vorzüglichen Material überspannt.
Als nun auch eine genügend lange Schnur bereit lag, schrieb Mäusle auf mehrere Blätter seines Notizbuches die gleichlautende Weisung: »Bindet Taue zusammen und schießt sie herüber; befestigt aber zuvor das andere Ende.« Dieses Rettungsmittel war so einfach, daß die Kameraden drüben eigentlich hätten von selber darauf kommen sollen.
Die gleiche Weisung wurde nun noch mit großer Schrift auf den Drachen gemalt. Als Tinte mußte Blut dienen, das sich in gefrorenem und geronnenem Zustand reichlich im Leibe des Mammut befand.
»So!« sagte der Schwabe: »Gelangt der Drache hinüber, dann ist es gut. Wenn nicht, so müssen wir hoffen, daß der Wind den einen oder anderen Zettel unseren Freunden zuweht.«
Um dies zu ermöglichen wurden die Zettel mehr oder weniger angerissen und an den teilweise abgerissenen Streifen am Drachen festgebunden. So konnte der Wind nach und nach das völlige Losreißen der Blätter bewirken, die dann auf gut Glück hinabfliegen sollten.
Bei günstigem Wind stieg der mit einem Schwanze versehene Drache vorzüglich. Immerhin dauerte es lange, bis er den Gipfel der Münkhuysenberge erreichte. Zwei Zettel hatten sich schon zuvor gelöst und wurden in das diesseitige Tal herabgewirbelt. Drei andere aber, flogen zur rechten Zeit über das Gebirge, und auch der Drache nahm schließlich die Richtung nach Norden.
Als der günstige Augenblick gekommen schien, wurde die Schnur losgelassen. Noch eine Weile schwankte das Ungetüm in den Lüsten, dann stürzte es rasch und verschwand jenseits des Berges.
Nun kam alles darauf an, ob die Botschaft ihr Ziel erreichte. Nach dreistündigem, langem Warten wurde unseren Freunden endlich die gewünschte Gewißheit: eine Kugel kam über den Paß geflogen und brachte ein Seil, das nun zu beiden Seiten des Gebirges herabhing.
Cavini, als der gewandteste Kletterer, wurde hinaufbeordert. Mit Hilfe des Taues erklomm er mit einiger Schwierigkeit die Gletscherwand. Auf dem Grade angekommen, zog er das große verknotete Seil aus dem Talgrund zu sich herauf, nachdem dieses an den neuerdings herübergeschossenen Strick befestigt worden war. Dann ließ der Steuermann das Ende des Riesenseiles, mit einem angebundenen Felsstück beschwert, auf die Seeseite hinab. Hüben und drüben wurden die Enden fest verankert.
So war die Verbindung von Holmheim mit dem »Südkreuz« gesichert, und weitere ähnliche Zwischenfälle, wie der glücklich überwundene, schienen fortan ausgeschlossen.