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Als die Engelsbucht sich vor den Blicken unserer Freunde öffnete und sie den leuchtenden Anblick der Großstadt Nizza genossen, die sich in ihrem Doppeltale bis gegen die mächtigen Ausläufer der Seealpen erstreckt, war nicht einer unter ihnen, den nicht dieses Bild bezaubert hätte. Die Stadt mit ihren weißen Häusern und säulenreichen Palästen schmiegt sich überall an das blaue Meer; der Felskoloß des Schloßbergs mit seinen Parkanlagen, Festungsruinen, Friedhofdenkmälern und dem gewaltigen Rundturm Bellanda trennt sie vom Hafen und den neueren Teilen der Altstadt, während die hohen grauen Häuser der ältesten Ansiedlung mit ihren engen Gassen am westlichen Abhang des Schloßberges emporklettern. Auf den grünen Hügeln ringsumher und inmitten der Stadt lachen bunte Landhäuser aus üppigen Gärten. Aus dem Häusermeer der Neustadt ragen überall die grünen Wipfel von Baumriesen empor.
Schlanke Palmen wiegen ihre zierlichen Kronen im Winde, alte Ruinen aus der Römerzeit schauen von den Höhen herab und im Hintergrund des unvergleichlichen Landschaftsbildes erhebt sich hoch ins Blaue der Felskegel eines erloschenen Vulkans. Rechts grüßt die weißleuchtende Sternwarte herunter, die ein Fernrohr besitzt, welches das Lickfernrohr in Kalifornien in mancher Beziehung an Größe übertrifft, und daher mit das größte Teleskop der Welt ist.
Man näherte sich dem Strande so sehr, daß man überall den reichen Blumenflor herüberschimmern sah, und der Landwind wehte einen betäubenden Duft von Rosen, Orangeblüten, Oleander, Nelken und zahllosen anderen Wohlgerüchen aus den Gärten herüber.
Dieses herrliche Klima hat nicht bloß einen Winter ohne Schnee und Eis, sondern auch einen viel milderen und angenehmeren Sommer als der Norden, und da sich die Reisenden die Fülle köstlicher Früchte, welche diese Jahreszeit hier zeitigt, munden lassen wollten, sandten sie ein Boot an den Strand, das sie reichlich damit versorgte. Dann aber fuhren sie weiter um den Mont Boron herum, und bald entschwand vor ihren Blicken die Geburtsstadt Massénas, Garibaldis und Gambettas, und vor ihnen öffnete sich der weite natürliche Hafen von Villafranka, berühmt in der Weltgeschichte und noch heute ein Sammelplatz von Kriegsschiffen aller Nationen.
An dem Kap Ferrat und Sankt Hospice vorbeifahrend, bewunderte man die Halbinsel von Sankt Jean, die, selber von einer Halbinsel ausgehend, einen unvergleichlich lieblichen Anblick gewährt; besonders fällt der runde Sarazenenturm auf dem äußersten Hügel malerisch ins Auge.
Im Hintergrund liegt die Villenkolonie Beaulieu, in Olivenwälder gebettet und von leisen Meereswellen umspült, träumerisch in der Mittagsonne da, und hoch oben auf einem schroffen Felskegel schaut drohend das sarazenische Seeräubernest Eza herab, in seiner Bauart an den Orient gemahnend.
Nun fuhr die Jacht an den ungeheuren Felswänden vorbei, welche so schroff in das Meer abfallen, daß selbst die Straße durch einen Tunnel geführt werden mußte, während die Bahnlinie auf einer Strecke von zweihundert Kilometern von Nizza bis Genua etwa fünfundneunzigmal durch Hügel und Berge hindurchgeht. Ungefähr dreihundert Meter hoch über der Meeresküste führt die alte Römerstraße hin, die wohl auf Erden an prächtiger und lieblicher Aussicht nicht ihresgleichen haben mag; unsere Freunde sahen dort oben den von Kaiser Augustus erbauten Turm der Turbia; dann kam wieder ein Kap, und vor ihnen lag der Fels von Monako, weit ins Meer vorspringend, und dahinter Monte-Carlo mit seinem monumentalen Kasino, der Spielhölle.
»Wir fahren über Leichen hinweg!« sagte Münkhuysen, »während wir uns am herrlichen Anblick dieses Paradieses berauschen.«
»Arme Narren!« seufzte Professor Raimund, »die der Spielbank ihr Vermögen zubringen. Wenn ein Mensch mit gesundem Menschenverstand erwägt, daß diese Spielbank mit einem Aufwand von Millionen und aber Millionen dieses ganze Fürstentum unterhält mit seinen großartigen Bauten und märchenhaften Anlagen, so daß die Einwohner steuerfrei sind; wenn man weiter bedenkt, daß diese unwürdige Anstalt, trotz solcher ungeheurer Ausgaben, noch an die vierzig Millionen Reingewinn jährlich unter ihre Aktionäre verteilt, so sollte man meinen, jedermann müsse einsehen, hier sei wenig zu gewinnen und sehr, sehr viel zu verlieren.«
»Neunzig Eisenbahnzüge verkehren täglich zwischen Cannes und Mentone,« bemerkte Kapitän Münchhausen: »Das ist die Anziehungskraft der Spielhölle. Auch die vielen Luxuszüge, die von Paris nach der Riviera eilen, dienen meist den Spielern; dazu kommen noch die elektrischen Straßenbahnen von Nizza nach Monte-Carlo, die regelmäßigen Schiffsverbindungen und die zahlreichen Automobile: ja, die unseligste Leidenschaft erzeugt einen größeren Verkehr, als ihn Handel und Industrie zuwege brächten.«
Die grauen Felsen trotzten und zu ihren Füßen lachten die Palmengärten im goldenen Sonnenlicht, und das blaue Meer umkoste das Ufer: nirgends vereinigt sich reizvollere Schönheit mit wüsterem Treiben!
Es ist unmöglich, alle die unvergeßlichen Eindrücke näher zu schildern, welche den Südpolfahrern an dieser Küste ohnegleichen zuteil wurden: Rokkabruna auf halber Höhe der starrenden Felswand, Mentone mit seiner reizvollen Lage, die italienische Grenzstadt Ventimiglia mit ihren alten Burgen, Bordighera in seinen üppigen Palmengärten, die Scheffelspalmen und Ospedaletti, das großartige San Remo – sie alle wären eingehenderer Beschreibung wert. Als eine Perle der Riviera ist noch Porto Maurizio zu bezeichnen, das einen auf drei Seiten vom Meer umgebenen Hügel bedeckt – ein prächtiger Anblick!
Aber wo sollte man aufhören? Oneglia, Diano Marina, Cervo, Andora, Alassio, Albenga, das turmreiche; Loano, Pietra Ligure, Finale Marina und Final-Borgo, Noli, Savona und dann die blumenreichen Kurorte, die sich bis nach Genua in ununterbrochener Reihe fortziehen, gleichsam eine Kette genuesischer Vorstädte – jede dieser Perlen hat ihren besonderen Reiz.
Stellenweise treten die himmelhohen, wilden Felswände bis ans Ufer vor, so daß sich, wie gesagt, sogar die Landstraße in einem Tunnel hindurchbohren muß; dann wieder öffnen sich tiefe Buchten und weiteingeschnittene Täler, von grünen Hügeln umrahmt, im Hintergrunde aber ragen überall die Hochgipfel der Seealpen, teilweise mit ewigem Schnee bedeckt ins Blau.
Außer dem öden und doch großartig schönen Küstenvorsprung von San Stefano und San Lorenzo al mare sah man nichts als eine Kette blühender Städte und Winterkurorte in Gärten gebettet und durch Olivenwälder, Hügel und Felsmassen voneinander getrennt. Eine einzige Bucht lag noch still und weltabgeschieden dazwischen.
»Hier möchte ich mein Landhaus bauen!« sagte Mäusle zu Ernst. »Das ist mein schönster Erdentraum, der freilich keine Aussicht auf Verwirklichung hat, denn ich bin im Grunde doch eben nur ein armer Dichter, dem kaum Lorbeeren, gewiß aber keine Reichtümer winken. Ja, wollte ich mit den öden Modedichtern wetteifern! Aber ich bringe es nie übers Herz, um klingenden Lohnes willen Pegasus ins Joch zu zwängen.
»Sehen Sie, hier in dieser einsamen Bucht gehen die Gärten bis hart ans Meeresufer: da sollte mein Heim stehen, unter Palmen und Eukalypten, Feigen und Orangen, Ölbäumen und zierlichen Pfefferbäumen, duftenden Karuben, Zitronen und Nespeln, wie sie hierzulande die köstliche, zuckersüße goldgelbe japanische Mispel nennen; eine Blumenpracht sondergleichen, alle Mauern von bunten Kletterrosen überrankt, kurz, was der Süden an Herrlichkeiten besitzt, das wäre mein Park! Und die Wellen des blauen Meeres rauschten mich nachts in Schlaf.«
»Da sollten Sie doch Ihr Glück in Monte-Carlo versuchen!« meinte Ernst: »Einige Hunderttausend könnten Sie, wenn der Zufall Ihnen günstig wäre, in einem Tage schon gewinnen, und das dürfte bei Ihren bescheidenen Ansprüchen wohl genügen, um Ihren Traum zu verwirklichen und Sie unabhängig zu stellen, so daß Sie ganz Ihrer Muse leben könnten.«
»Und wüßte ich gewiß, daß ich eine Million gewönne,« erwiderte Mäusle, von Ekel geschüttelt, »ich wollte doch nicht spielen; es würde mich der Gedanke mit Grausen erfüllen, daß ich durch ein Vermögen reich werden sollte, das andere verloren haben, die sich vielleicht aus Verzweiflung darüber das Leben nahmen. Gewiß! ein Paradies auf Erden mag man jenes Monako mit Recht heißen, wenn man seine Natur bewundert. Im Innern aber ist es eine Hölle. Seine Paläste sind mit Blutgeld aufgebaut, die Anlagen sind mit Blut gedüngt: nur der Abschaum der Menschheit, und stolziert er auch in Samt und Seide, mit Titeln und Orden, kann es über sich bringen, an solch menschenunwürdigem Treiben auch nur versuchsweise teilzunehmen.«
Der schwäbische Dichter stieg noch bedeutend in unseres jungen Freundes Achtung bei diesen, von ehrlichstem Abscheu eingegebenen Worten.
In Genua lief Münkhuysen zum erstenmal in einen Hafen ein, und zwar weil er für seine Südfahrt italienische Matrosen anwerben wollte.
Ernst wunderte sich hierüber nicht wenig und konnte die Bemerkung nicht unterdrücken: »Denen wird es im Eise sonderbar zumute werden, da sie ein so warmes Klima gewöhnt sind!«
»Da täuschen Sie sich, junger Freund!« entgegnete der Baron: »Die Italiener zeigen sich am unempfindlichsten gegen hohe Kältegrade; daher äußerte sich schon Nansen, er nehme am liebsten italienische Matrosen auf seine Nordpolfahrten mit, und aus eben diesem Grunde wähle ich auch solche.«
»Das klingt fast unglaublich,« mischte sich der zweifelsüchtige Doktor Maibold in diese Erörterung. Münkhuysen jedoch erwiderte ihm: »Und doch ist es so: Sehen Sie, diese Oberitaliener gehen sommers und winters leicht gekleidet umher; die Temperatur mag auf den Nullpunkt und darunter sinken, so setzen sie doch ihren kaum bedeckten Leib der Luft aus. Dadurch wird die Haut sehr abgehärtet und unempfindlich gegen Temperaturwechsel. Zudem wohnen die Leute in Steinhäusern mit Ziegelböden, und ihre Zimmer besitzen keine Öfen, höchstens Kamine, die nur auf kurze Entfernung etwas Wärme abgeben.
»Wir Nordländer dagegen hüllen uns im Winter derart ein, daß keine kalte Luft an die Haut dringt; unsere Stuben sind gemütlich durchwärmt und unsere Haut ist daher sehr verweichlicht und empfindlich. In noch höherem Maße findet eine solche Verweichlichung im hohen Norden statt, und niemand klagt so sehr über die Winterkälte in den südlichen Kurorten als die Sankt Petersburger, die ihre mächtigen Pelze zu Hause gelassen haben, in der Meinung, sie könnten im Lande des ewigen Frühlings keine Kälte empfinden.«
Ernst fand späterhin Münkhuysens Beobachtungen vollauf bestätigt: die italienischen Matrosen hatten unter der Polarkälte am wenigsten zu leiden.
Nur schweren Herzens fuhr unser junger Freund am Gestade Ägyptens vorbei, denn gar zu gerne hätte er die Wunder der Pharaonenwelt geschaut.
»Ach, Herr Mäusle!« seufzte er, da er gerade mit dem Schwaben an der Brüstung stand: »Hier so vorbeifahren zu müssen! Seit meiner Kindheit weile ich in meinen Träumen an den Ufern des Nils: wie verlangte es mich, die Pyramiden, die Sphinx und die Riesentempel zu bewundern – und die Insel Philä – ich darf gar nicht daran denken. Wie viele besuchen diese Länder ohne inneres Interesse und ohne rechtes Verständnis, und dem, der ihre Wunder recht genießen könnte, fehlt es an den leidigen Mitteln, seine Reiselust zu befriedigen.«
Was half das Bedauern und das Klagen? Das Ziel des Unternehmens duldete keinen längeren Aufenthalt unterwegs, und so ging es weiter durch den Suezkanal und das Rote Meer. Eine kurze Landung in Aden, um Kohlen einzunehmen, und bald tauchten Indiens Gestade im Osten auf.
Jetzt war es Mäusle, der sein Klagelied anstimmte: »Indien, du Land meiner Sehnsucht, du Märchenreich aus Tausendundeiner Nacht, du Wiege der Menschheit und du Heimat aller Wunder, umgeben vom zauberischsten Reiz! Du Land der geheimnisvollen Felsentempel, der schlanken Bajaderen und der nächtlich duftenden Lotosblumen, du Paradies der Welt! Laß mich in deinen undurchdringlichen Dschungeln das Stampfen deiner Elefanten, das Brüllen deiner Tiger und das Rascheln deiner Schlangen vernehmen – und ich will glücklich sein! Laß mich träumen an den Ufern der heiligen Ganga und die schillernden Häupter der Krokodile bewundern, die aus ihren Fluten hervorlugen! Laß mich den Duft deiner Riesenblumen einsaugen in die lechzende Brust, nachts, wenn der silberne Mond deine Märchenhaine in gespenstisches Licht taucht! O welche Wonne, welche Seligkeit! Aber hier fahre ich nach dem frostigen Südpol, vorbei an deinen glühenden Ufern, und darf sie nicht betreten. Arm ist die Poesie, und dem Reichen dient sie zum Ergötzen: ihre Sehnsucht unterhält ihn, aber er versteht sie nicht, und vergißt, sie zu stillen.«
Münkhuysen war hinzugetreten und hatte diesen Ergüssen gelauscht, die nur Neeltjes Ohr hatte vernehmen sollen. »Ich will mir das gesagt sein lassen, Herr Mäusle,« sagte er lächelnd: »Nächstes Jahr sollen Sie in meinem Auftrage eine Forschungsreise durch Indien unternehmen. Allein hüten Sie sich vor den Tigern und den giftigen Schlangen, die alljährlich Tausende von Menschenleben zum Opfer fordern. Doch, was sage ich? Sie sind ja der Held, der solches Gezücht mit dem Donner seiner schwäbischen Rede in die Flucht jagt!«
»Ach!« meinte Mäusle beschämt: »Nehmen Sie doch die Sehnsuchtsklage eines Dichters nicht so blutig ernst: ich weiß zu verzichten und zu entsagen, und eben das dient zur Förderung der Poesie.«
Neeltje aber bemerkte: »Liebster, wenn dein Verlangen nach den anmutigen indischen Bajaderen und den nicht minder reizenden Tigern und Schlangen der Dschungeln so groß war, warum reistest du nicht lieber in dies Wunderland, statt zu uns nach dem nüchternen Südafrika?«
Ihr Gatte belehrte sie alsbald: »Weil ich Diamanten und Gold suchen wollte, wie dir bekannt sein dürfte, und zwar nicht aus schnöder Habsucht und Geldgier, sondern aus edleren Gründen und zu höheren Zwecken. Nun fand ich dort freilich weder Gold noch Edelsteine; dennoch wird mich die Reise nie reuen, denn ich fand viel mehr, ungleich besseres, einen Schatz, den ich selbst im Märchenparadies Indiens niemals gefunden hätte, nämlich die allerköstlichste Perle – und das bist du!«
»Schmeichler!« schmollte die junge Frau, doch mit einem Lächeln, das zur Genüge bewies, wie wenig sie ihm ob dieser Schmeichelei zürnte.