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Die mandschurischen Ponys waren in einem Verschlage neben Südburg untergebracht. Sie vertrugen die Kälte sehr gut; dagegen machte ihre geriebene Schlauheit unseren Freunden viel zu schaffen.
Zunächst durchnagten die pfiffigen Tiere immer wieder das Führerseil und machten sich an die hinter ihnen verstauten Futtersäcke. Man kettete sie daher über Nacht an. Das verschmitzteste unter den dreien, Gulliver benannt, leistete sich nun den Spaß, mit der Kette heftig gegen die Wand zu schlagen, und so die Nachtruhe zu stören; denn die metallenen Schläge hallten trotz der mehrfachen Zwischenwände in ganz Südburg wider. Holm spannte hierauf ein Drahtseil durch den Stall, an das er die Pferde band. Was tat nun Gulliver? Er packte das Drahtseil mit den Zähnen, zog es zurück, so weit er nur konnte, und ließ es dann losschnappen. Mit großer Gewalt schnellte das Seil an die Rückwand und erzeugte einen Knall, gleich einem Donnerschlag, der durch alle Räume scholl. Das machte dem spaßhaften Pony ungeheures Vergnügen, nicht aber den jäh aus dem Schlummer erweckten Schläfern.
Kam dann einer ärgerlich in den Stall gerannt, um den Missetäter zu strafen, so machte dieser ein so unendlich spitzbübisches Gesicht, daß man lachen mußte, und ihm nicht länger böse sein konnte. Er wurde jedoch an den Füßen gefesselt, und der Halfter an die Kette gebunden. So war ihm das Handwerk gelegt, und nun endlich konnten sich unsere Freunde einer ungestörten Nachtruhe erfreuen.
Täglich wurden die Ponys an Schlitten gespannt, und zur Übung ein bis zwei Stunden hinausgeführt. Das gleiche geschah mit den Grönlandshunden. Im übrigen ließ man die Tiere sich reichlich im Freien tummeln. Dies war zu ihrer Gesunderhaltung und zu ihrer Erziehung für spätere Schlittenreisen unumgänglich.
Auch den Menschen tat es gut, tägliche Spaziergänge ins Freie zu unternehmen. Namentlich während der Polarnacht führte man solche Übungen regelmäßig aus.
Solange die Sonne noch am Himmel stand, litten auch die Hunde häufig an Schneeblindheit. Dann gruben sie jedesmal ein Loch in den Schnee und steckten den Kopf tief hinein, worauf sie sich rasch von den Anfällen erholten.
Maibold war von seiner stolzen Wissenschaft zu sehr geblendet, um von den Hunden zu lernen. Erst als Münkhuysen von dem schmerzhaften Leiden befallen wurde und als scharfer Beobachter und großer Verehrer der Natur dem Beispiel der Hunde folgte und sofortige gründliche Heilung fand, ließ sich der Arzt herbei, dies einfache Mittel den Menschen anzuempfehlen, denen es gerade so gut half, wie den Hunden.
Bei den Ausflügen mußte man sich erst daran gewöhnen, die Entfernungen richtig einzuschätzen, denn in der klaren Lust erschien alles ungleich näher, als es in Wirklichkeit war.
Ein unbeschreibliches und wundervolles Schauspiel bot die Sonne, als sie Anfangs April unterging: flammende Bögen in allen Farben, purpurne und goldglühende Wolken standen fast den ganzen Tag am Himmel, und das übrige Gewölk erschien als ein wirkliches Meer von Regenbogenfarben.
Nach Sonnenuntergang zog sich das Tauwasser zu Eis zusammen mit einem Geknatter gleich einem Pistolenschnellfeuer. Mitunter brachen die dünnen Eisscheiben, und die Stücke flogen wie klirrendes Glas nach allen Richtungen.
Während der Nacht verirrte sich einmal ein regelrechter Blizzard, ein Schneesturm, in dieses geschützte Tal.
Kapitän Münchhausen hatte seine fünf Pfund schweren russischen Filzschuhe draußen im Freien stehen lassen und der Orkan hatte sie entführt. Er suchte lange vergeblich nach ihnen in der Richtung, nach der sie der Sturm geweht haben mußte. Endlich entdeckte er sie in einer Entfernung von anderthalb Kilometern. Schulze, der ihn begleitet hatte, untersuchte die Schuhe genau und rief dann aus: »Da hört sich doch alle Wissenschaft auf! Diese gewichtige Bekleidung Ihrer Elefantenfüße hat die ganze lange Strecke in der Luft zurückgelegt, denn sie weist keinerlei Schrammen, keine Spur von Reibung auf. Wäre sie nur eine kleine Weile am Boden hingetrieben, so müßten wir die Spuren solcher Schlittenfahrt ihr ansehen. Hieraus können Sie auf die Gewalt schließen, die der Orkan entwickelte.«
In Südburg hatte, wie gesagt, jeder Bewohner sein eigenes, wenn auch sehr bescheidenes und enges Schlafkämmerlein, darin sich jeder eine Bettstelle nach seinem eigenen Geschmack und Belieben errichten konnte, aus Brettern, Kisten, Hängematten oder was ihm am geeignetsten erschien.
Münchhausen hatte einen Schlafraum angewiesen bekommen, der besonders in Rücksicht auf seine Körperverhältnisse gebaut worden war, doppelt so breit, wie die anderen, in die er sich nicht hätte hineinzwängen können. Er tat sich viel zugut auf eine herrliche Erfindung: um recht bequem in einer weichen, nachgiebigen Bettstatt zu liegen, hatte er sich eine solche aus starken Bambusstäben geflochten, die Rohre mit dicken Schnüren kunstvoll und dauerhaft zusammenschnürend. Das Gestell vermochte, seine Last zu tragen, da diese sich auf mehrere der äußerst widerstandsfähigen Rohre verteilte.
Die Enden dieser prächtigen Matte lagen auf zwei Kisten auf, die er in seiner Kammer verstaut hatte.
Stolz und profitlich, lud er jedermann ein, sein Prunkbett zu besichtigen: »Dank meiner nie versagenden Erfindungsgabe, werde ich am bequemsten ruhen von euch allen!« behauptete er, von Selbstzufriedenheit strahlend.
Holm sah die Vorrichtung kopfschüttelnd an und warnte dann: »Kapitän, das gibt ein Unglück!«
»I woher!« widersprach der geniale Erfinder: »Der gelbe Neid trübt Ihren Ingenieurblick, oller Schwede! Die Bambusstäbe sind haltbar und ertragen meine Last. Das habe ich vorsichtigerweise zuvor erprobt.«
»Denken Sie an mich, Kapitän!« beharrte Holm hartnäckig, doch ohne Eindruck auf den Dicken zu machen.
Als man sich zur Nachtruhe begeben hatte, vernahm man plötzlich ein großes Gepolter und hierauf klägliche Hilferufe.
Alles rannte in den Gang, und der Ingenieur sagte: »Das ist des Kapitäns Stimme; das Unglück ist keinesfalls groß: ich sah es kommen und habe es ihm vorausgesagt, allein in seiner Verblendung ließ er sich nicht warnen.«
Als man die Türe zu Münchhausens Kabine öffnete, sah man beim Scheine der mitgebrachten Kerzen zwischen den beiden Kisten ein Gewirr von Kissen, Decken und zappelnden Gliedern.
»Zu Hilfe, zu Hilfe! Ich ertrinke, ich ersticke!« scholl es dumpf unter den wogenden Bettstücken hervor. Münchhausen hatte sich in die Laken verwirrt und vermochte sich bei seiner Schwerfälligkeit nicht aus seiner beengten Lage herauszuhelfen.
Ein paar kräftige Arme griffen in die verworrenen Massen, packten den darunter sich wälzenden Riesenkörper und stellten ihn auf die Beine, worauf sie ihn von den deckenden Tüchern befreiten. Die Zuschauer waren voller lachender Heiterkeit über den in seinen Betten ertrinkenden Seebären.
»Sehen Sie, Kapitän,« sagte Holm, als der Verunglückte im Nachtgewande, von den erstickenden Hüllen befreit, vor ihm stand: »Genau so dachte ich mir's, und habe Sie daher gewarnt; aber Sie wollten in Ihrer Siegesgewißheit nichts hören. Daß die Bambusstäbe Ihr beträchtliches Gewicht aushielten, hatten Sie ja festgestellt, und ich bezweifelte es nicht, so wunderbar es erscheint. Allein ich sagte mir, daß die biegsame und nachgiebige Masse, wenn sie mit Ihrem ungeheuren Gewicht beschwert werde, das den Hauptdruck auf ihre Mitte ausüben mußte, sich senken und stark nach unten wölben werde. Die hierdurch stark verkürzten Stäbe mußten mit ihren auf den Kisten lose aufruhenden Enden den Halt verlieren, hinunterschnappen und Sie mit dem ganzen Bett in der Versenkung verschwinden lassen. Abgesehen von diesem einen Mangel, ist übrigens Ihre Erfindung wirklich tadellos, und aus Anerkennung will ich sie Ihnen auch praktisch verwendbar gestalten.«
Der Schwede holte alsbald Hammer und Nägel herbei und nagelte an den Enden des Geflechts jeden einzelnen Stab mit mehreren Nägeln fest auf die tragenden Kisten, so daß sie nicht wieder weichen und den Halt verlieren konnten.
Fortan hatte Münchhausen in der Tat das bequemste Lager der ganzen Gesellschaft, so daß Neeltje und Eva ihn baten, auch ihnen zwei gleiche anzufertigen, ein Wunsch, dem er mit Vergnügen entsprach, schmeichelte er doch seinem berechtigten Erfinderstolze ausnehmend.
Die größte Mühe bereitete die Beschaffung von genügendem Trinkwasser für die zahlreichen Bewohner von Südburg und für die Ponys. Da die auch hier im Tale vorhandenen Seen zugefroren waren und ohnedies ein Wasser enthielten, das kaum trinkbar zu nennen war, mußte Schnee geschmelzt werden, und auch gewaltige Schneemassen liefern bekanntlich nur wenig Wasser. Man mußte daher am Wasser sparen, obgleich der große Schmelzkessel den ganzen Tag über dem Feuer stand, und jeder bekam nur eine streng abgemessene Menge.
Mäusle kam auf den Gedanken, aus den in genügenden Mengen vorhandenen Seehundsfellen Wasserschläuche anzufertigen, die an Leinen im unteren Heizraum ausgehängt und immer wieder mit Schnee gefüllt wurden. Die Erwärmung der oberen Räume wurde hiedurch nicht merklich beeinträchtigt, und alle waren dem Schwaben dankbar dafür, daß seine Erfindung der Wassernot gründlich und dauernd steuerte.
Der Matrose Luigi hatte entdeckt, daß kleine Stücke Salz, in Kaliko gewickelt, leidlich brennen, und so stellte er eine Menge solcher Salzdochte her, wodurch wesentlich an Feuerungsmaterial gespart wurde.
Carlo seinerseits hatte das »Skuamövenspiel« ausgeheckt, zur Belustigung der Zuschauer und zu seinem eigenen Ergötzen und Vorteil. Er warf Stückchen gebratenen Seehundfleisches in die Luft und fing sie äußerst geschickt und mit unfehlbarer Sicherheit mit dem Munde auf: das konnte ihm keiner nachmachen. Seine gewandten Sprünge und drolligen Kopfverrenkungen bei diesem eigenartigen Ballspiel erregten stets große Heiterkeit, und so gönnte ihm jedermann gerne die Extrabissen, die er sich auf diese Weise verschaffte, um seinen unersättlichen Appetit zu stillen. Das war ja der eigentliche Zweck der Übung für diesen schlauen Kumpan.
Eines Tages gab er wieder eine solche Vorstellung; plötzlich aber brach er sie ab, würgte mit komisch verzerrten Zügen und zeigte sich sehr kleinlaut und niedergeschlagen. Er zog sich zurück, erschien aber nach einer halben Stunde wieder und bat kläglich, man möchte ihm doch noch eine Portion Wasser verwilligen, er sterbe vor Durst und habe seinen Krug schon bis auf den Grund ausgetrunken.
Dies war eine hochbedeutsame Angelegenheit, denn damals hatte Mäusle seine Erfindung noch nicht gemacht, und eine außerordentliche Bewilligung von Wasser ging auf Kosten der Allgemeinheit. Münkhuysen berief daher eine Generalversammlung, zur Beratung des kühnen Ansinnens.
Carlo wurde nun natürlich zunächst nach den Gründen gefragt, die ihn zu seinem ungewöhnlichen Gesuche veranlaßten.
»Ach, meine Herren!« gestand er ganz zerknirscht: »Als ich vorhin Skuamöve spielte, habe ich aus Versehen zuletzt statt eines Fleischstücks einen von Luigis niederträchtigen Salzdochten erwischt. Und wahrhaftig! ich habe ihn hinuntergeschluckt. Das war ein ganz abscheulicher Bissen und er verbrennt mir Schlund und Magen.«
Ein allgemeines Gelächter erhob sich auf diese Beichte hin; Carlo aber jammerte: »Ich habe all mein Wasser ausgetrunken, aber ich verdurste, ich verbrenne! Seien Sie doch so barmherzig und füllen. Sie noch einmal meinen Krug!«
»Nimm Rizinusöl!« verordnete Doktor Maibold.
»So viel Sie befehlen, Herr Doktor; aber bitte auch Wasser!«
Nach vielem Hin- und Herreden wurde auf Neeltjes und Evas warme Fürsprache hin dem Ärmsten noch ein Krug Wasser bewilligt, doch unter ausdrücklicher Hervorhebung, daß dies kein Präzedenzfall sein solle.