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7.
Die Wunder des Lichts

Von ihren so hochwichtigen Geheimnissen plaudernd, stiegen die beiden wieder ans Licht empor, und das Mädchen schlug dem Freunde vor, ihm jetzt auch das ganze Haus zu zeigen, nachdem er den Park einigermaßen erforscht hatte. Gerne war er damit einverstanden, und Eva führte ihn überall herum, ihm jedes Bild und jeden Gegenstand in Zimmern und Fluren sachkundig erklärend.

»Dies hier ist mein Stübchen,« sagte sie zuletzt, die Türe zu einem reizenden kleinen Zimmerchen öffnend, das ganz in rosigem Licht erstrahlte.

»Du, da ist es einmal lustig!« bemerkte Ernst: »Diese feenhafte Beleuchtung stimmt einen ja doppelt fröhlich, wenn man auch vorher schon ganz vergnügt war.«

»Ja, siehst du, das hat auch mein lieber Papa entdeckt,« lachte sie schelmisch und schob die Vorfenster mit den rosa Scheiben in die Mauer zurück, so daß das gewöhnliche weiße Tageslicht den Raum erhellte. Hierauf zog sie ein zweites Vorfenster aus der dicken Einfassungsmauer, die eine ganze Reihe von Spalten aufwies, in denen die verschiedenen Rahmen verborgen steckten. Dasselbe tat sie beim zweiten Fenster der Stube, und nun war alles in leuchtendes Grün getaucht.

»Das benutze ich, wenn ich einmal ganz niedergeschlagen und hoffnungslos bin, was aber selten vorkommt,« erklärte Eva, »und hier das dunkelbraune, wenn ich mich zu ausgelassen und übermütig fühle. Siehst du, das braune Licht stimmt einen ganz demütig, nicht?«

Ernst war überrascht, in der Tat die Wirkung der verschiedenartigen Beleuchtung alsbald an seinen langsam wechselnden Stimmungen zu bemerken.

In diesem Augenblicke öffnete sich die Türe, und der Baron erschien.

»Aha! hier finde ich euch,« sagte er lächelnd: »Seid ihr so gar aus Rand und Band gekommen, daß ihr in vernünftiger Selbsterziehung euren Übermut durch braunes Licht dämpfen müßt?

»Sehen Sie,« fuhr er, zu Ernst gewendet, fort: »Ich habe meine kleine Eva gelehrt, das Fehlerhafte in ihren Stimmungen selbst zu prüfen und zu erkennen, und durch Selbstzucht unter Mitwirkung geeigneter Beleuchtung zu beseitigen.«

Der Jüngling aber fragte: »Sollte verschiedenfarbiges Licht wirklich auf die Dauer einen so ausgesprochenen Einfluß ausüben können?«

»Gewiß!« war die Antwort: »Ich habe das gründlich ausstudiert und ausprobiert: es läßt sich sogar hoffen, durch geeignete Ausbildung und Anwendung dieser Entdeckung ein tüchtiges, zufriedenes und glückliches Geschlecht heranzubilden.

»Es ist schon Tatsache, daß Kinder, die in düsteren, lichtlosen Wohnungen aufwachsen, zu allen Lastern und Verbrechen hinneigen, während die Erziehung in Licht und Sonne heitere und tugendhafte Charakterentwicklung begünstigt. Da jedoch das Sonnenlicht sowohl günstig als auch ungünstig wirkende Farben in sich vereinigt, so ist es je nach den Charakteranlagen eines Menschen von Wert, die seine besondere Veranlagung nachteilig beeinflussenden Strahlen auszuscheiden und zu bestimmten Besserungszwecken auch zuweilen die Einwirkung einer besonderen Lichtfärbung anzuwenden.

»Rosiges Licht zum Beispiel stimmt heiter und zufrieden; Grün erweckt hoffnungsvollen Mut und Unternehmungslust; Hellblau macht gutmütig und befördert eine ehrenhafte Gesinnung. Diese Beleuchtungsarten wären in zweckmäßiger Abwechslung für Gefängnisse, Rettungsanstalten und dergleichen Institute von größtem Wert. In Irrenhäusern sollte das zugleich beruhigende blaue und grüne Licht vorherrschen, Schwermut ist mit Rosa zu behandeln.

»Rot reißt zu Begeisterung und lebhaftem Streben fort; bei zu starker und häufiger Anwendung aber auch zur Leidenschaftlichkeit, namentlich zu Haß, Grausamkeit und Blutgier. Phlegmatische und arbeitsscheue Leute wären mit roter Beleuchtung wirksam zu behandeln, immerhin mit aller Vorsicht.

»Gelb wirkt in allen Schattierungen schädlich: es begünstigt besonders den Neid, den Geiz und die Unzufriedenheit. Aber eben deshalb kann ein allzu gutmütiger Mensch, der sich zuviel gefallen läßt, ebenso der zur Verschwendung und zum Leichtsinn geneigte, durch die Einwirkung gelber Strahlen vorteilhaft beeinflußt werden.

»Dunkelblau gilt mit Unrecht als Farbe der Treue; es begünstigt vielmehr ein flatterhaftes, treuloses Wesen und wäre ein Heilmittel, für den, der sich in blinder Anhänglichkeit zu sehr dem schlechten Einfluß eines schwärmerisch geliebten Menschen hingibt.

»Grau ist die wahre Farbe der Treue und Beständigkeit: deshalb gedeiht auch die Treue viel mehr unter dem grauen Himmel des Nordens, als unter dem dunkeln Blau des südlichen Himmels.

»Violett ist an und für sich eine ganz böse Farbe: sie erzeugt Eitelkeit, Hochmut und spöttisches Wesen. Für einen Menschen ohne Ehrgefühl und Selbstbewußtsein ist aber eben auch wieder die violette Beleuchtung ganz vorzüglich.

»Orange stimmt zu heiterem Lebensgenuß, in der Folge aber auch zu Leichtfertigkeit, Verschwendung und Sinnlichkeit: der Geizhals, der Pedant und Aszet kann durch diese Farbe geheilt werden.

»Braun wiederum ist die Farbe der Schlichtheit, Einfachheit, Bescheidenheit und Demut und ist bei hochmütigen, eiteln und übermütigen Charakteren oder Stimmungen angebracht.

»Natürlich wirken alle diese Farben in verschiedenen Schattierungen und Mischungen wieder verschieden, und so lassen sich alle nur denkbaren Wirkungen erzielen. Ich bin daran, auch die verschiedenen Düfte und ebenso die Speisen nach ihrem Geschmack und ihrer Schärfe in ihren Wirkungen auf die Stimmung und die Charaktereigenschaften zu studieren, und ich bin überzeugt, daß die richtige Beleuchtung, unterstützt durch entsprechende Parfüms und Ernährung, ganz großartige Erziehungserfolge verspricht, wenn man auch gewiß nicht alles von solch äußerlichen Mitteln erwarten darf: eine gute sittliche Einwirkung durch weise Belehrung und namentlich durch lebendiges Vorbild wird immer die Hauptsache bleiben, aber ihr Erfolg kann wesentlich unterstützt, ja oft erst überhaupt ermöglicht werden durch diese wertvollen Hilfsmittel.«

»Jetzt begreife ich,« sagte Ernst lächelnd, »warum Base Eva einen so tadellosen Charakter besitzt.«

»Oho! Du kennst mich noch lange nicht,« rief sie, und der Schalk blitzte aus ihren blauen Augen.


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