Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Selbstverständlich war Holmheim, der Eispalast, nur ein Notbehelf als vorläufige Wohnung. Waren die von außen durch Schneewälle geschützten Eiswände auch für die Außentemperatur undurchlässig, so strahlten sie doch selber Kälte aus oder verschluckten große Wärmemengen, was auf dasselbe herauskommt. Heizen konnte man nicht, und beim ersten Tauwetter wäre das Dach über den Köpfen der Bewohner zusammengeschmolzen.
Münkhuysen hatte genug Material mitgenommen, um zwei Winterstationen daraus zu bauen. Sobald daher die Verbindung mit der Küste wieder hergestellt worden war, hatte man als Hauptarbeit die Errichtung eines widerstandsfähigen Wohnbaus in Angriff genommen.
»Man muß immer aus den Erfahrungen und Fehlern seiner Vorgänger lernen,« sagte der Baron: »Das erste Erfordernis für ein angenehmes Wohnen in diesen Breiten ist Schutz vor den furchtbaren Stürmen, die wir allerdings in diesem Tale nicht in ihrer ganzen Heftigkeit zu befürchten haben. Sodann müssen die Mauern so dicht sein, daß kein Schnee hindurchwehen kann, der auch durch die kleinsten Fugen und engsten Ritzen dringt.«
»Ich meine, diese von hohen Gletschern umgebene Schlucht wird den Stürmen überhaupt nicht ausgesetzt sein,« bemerkte Holm.
»Das mag sein,« erwiderte Münkhuysen, »aber eine Gewähr dafür haben wir nicht. Das Tal ist ja auch sehr breit und kaum eine Schlucht zu nennen, und dann steht es nach Westen zu offen. Jedenfalls wollen wir keine Vorsicht außer acht lassen. Nordenskjöld hatte ja eine feste Holzhütte; allein er versäumte es, sie durch Anhäufung von Schnee an den Außenwänden vor Sturm, Kälte und Schneewehen zu schützen, was ihm und seinen Begleitern große Unannehmlichkeiten brachte. Gunnar Andersson, Duse und Grunden errichteten sich ein Steinhaus in der Hoffnungsbucht; aber der Schnee drang durch die meterdicken Wände, und dies wurde erst besser, als die Hütte ganz dicht eingeschneit war. Die englische Expedition in Viktorialand hat gleich von Anfang an ihr Haus mit einem förmlichen Schneeberg umgeben. Die Fenster gingen in einen Korridor hinaus, der sein Licht durch Dachfenster empfing. Das Dach mußte natürlich schneefrei gehalten werden. Dies ist auch sonst notwendig, denn unter dem Schneedruck könnte es einbrechen, und bei Tauwetter würde das Schmelzwasser in die Wohnräume dringen.
»Unser Haus soll aber auch das englische in seiner praktischen Einrichtung noch übertreffen: wir bauen zunächst ein inneres Haus mit doppelten Holzwänden; dieses enthält unser gemeinsames Wohn- und Eßzimmer, das Platz hat für uns alle und den Mittelpunkt des Gebäudes einnimmt. Rings um diesen Hauptraum herum sind unsere verschiedenen Schlafkojen angeordnet, zwölf an der Zahl; denn es ist eine Annehmlichkeit sondergleichen, wenn jeder sein Schlafkämmerlein für sich hat.
»Um dieses ganze innere Haus, durch einen schmalen Gang von ihm getrennt, läuft rings ein zwei Meter breiter Vorraum, der in einzelne mit Türen versehene Abteilungen zerfällt. Hier haben wir die Vorratskammern für alles, was nicht ganz kalt aufbewahrt werden muß, sowie die Küche. Diese befindet sich neben der Eingangstüre, so daß von ihr aus Wasser oder Schnee zum Kochen leicht geholt werden kann. Der Eingang zur inneren Wohnung befindet sich am Ende des Ganges der entgegengesetzten Seite. Durch ihn kann also weder Schnee noch Kälte von der Haustüre her, noch der lästige Qualm und Ruß von der Küche in die Zimmer dringen. Die Fenster der Wohnräume gehen auf den sie umschließenden Flur hinaus, der sein Licht vom Dach her empfängt. Da wir jedoch, so lange wir hier wohnen, fast beständig Nacht haben werden, sind wir meist auf künstliche Beleuchtung angewiesen.
»Die zweite Hauptsache ist der Schutz vor Feuchtigkeit, mit der die früheren Überwinterer in diesen Gegenden die unangenehmsten Erfahrungen gemacht haben. Nordenskjöld zum Beispiel berichtet, daß der Wasserdampf sich an den Wänden und der Decke niederschlug, so daß sie von Eiskristallen glitzerten, die bei Tag unter der Ofenwärme schmolzen und die Dachpappe, mit welcher die Wände bekleidet waren, in eine schlüpfrige Masse verwandelten. Alles schimmelte. Nur Filz und Decken schützten die Wände vor Feuchtigkeit; aber Nordenskjöld besaß nicht genügend von diesem Material, um alles damit zu überkleiden. Auf dem Fußboden bildete sich eine dicke Eismasse, in der alles einfror. So war es an den Füßen kalt, wenn der Kopf beinahe zu heiß hatte, und der Unterschied in der Temperatur des Fußbodens und der Decke betrug meist 10 bis 12 Grad.
»Bei Tauwetter tropfte es beständig von der Decke herab und am Fußboden bildete sich ein dicker schmutziger Brei. Dazu kam, daß auf dem Bodenraum allerlei Flüssigkeiten aufbewahrt wurden, von denen viele gefroren und ihre Flaschen sprengten, so daß bei warmem Wetter auch Wein, Schnaps, Tinte und ätzende photographische Entwickler durch die Decke sickerten.
»Alles Metall rostete, das Bettzeug und die Papiere vermoderten. In Nordenskjölds Bett trieb eine Erbse kräftige Wurzeln und einen langen Stengel; die Matratze wurde zu einer modrigen Masse.
»Noch schlimmer stand es bei den Verschollenen in der Hoffnungsbucht und den Schiffbrüchigen auf der Pauletinsel, die zu allem hin kein wasserdichtes Dach besaßen.«
»Da bin ich nur begierig, wie Sie all diese Übelstände vermeiden wollen,« fragte Raimund.
»Auf ziemlich einfache Weise,« erwiderte Münkhuysen. »Schon die englische Expedition hat die Vorsicht gebraucht, unter dem Fußboden ihres Hauses einen leeren Raum zu lassen. Dadurch hielt sich der Boden wärmer und das Schmelzwasser konnte nach unten abfließen. So bauen wir auch unser Haus: Der Fußboden des ganzen Baus, auch der Küche und Vorratskammern befindet sich einen Meter über dem Erdboden.
»Noch viel wichtiger aber ist eine Neuerung, die meine eigenste Idee ist: ich führe sozusagen Zentralheizung ein. Während Küche, Vorratskammern und Korridore auf dem unteren erhöhten Fußboden sich befinden, liegt der Fußboden der Wohnräume noch anderthalb Meter höher; unter ihnen befindet sich der Heizraum, in dem meine beiden Dauerbrandöfen aufgestellt werden. Aus diesem Heizraum gehen Seitenöffnungen in die Vorräume, während zweckmäßig verteilte Löcher in der Decke die Wärme allen Wohn- und Schlafräumen zuströmen lassen.
»Auf diese Weise sind die Wände der inneren Wohnung, und, da die Wärme bis zum Bühnenraum dringt, auch deren Plafonds von außen wie von innen gewärmt, nehmen also keine Niederschläge an, während Eisbildung ganz ausgeschlossen ist; überdies sind die Fußböden warm und die Temperatur gleichmäßig verteilt. Etwaige Feuchtigkeit fließt nach unten ab, und ein Gefrieren der Vorräte des Dachraums ist ausgeschlossen. Zu aller Vorsicht, und um die Wärme besser zu halten, werden Decken und Wände mit Wollteppichen ausgeschlagen. Die Fenster gehen alle nach den Außenräumen, die wiederum ihr Licht durch Dachfenster erhalten. Solche Vorräte, die unter der Wärme leiden würden, werden außerhalb des Hauses aufbewahrt. Für die meteorologischen und magnetischen Instrumente errichten wir auch besondere Hütten.«
An dem Bau des Hauses beteiligten sich alle, und nach drei Wochen war es vollendet und rings mit dichten Schneewällen umgeben, die schräg zum Dach aufstiegen, so daß letzteres nach jedem Schneefall bequem von seiner Schneelast befreit werden konnte.
Der Umzug war ein Fest: es wurde ein üppiges Festmahl eingenommen mit Champagner und Reden.
Den ganzen Winter über befanden sich unsere Freunde in ihrer »Südburg« behaglich und vor allem vollkommen gesund. Unter Kälte und Feuchtigkeit hatten sie nie zu leiden; selbst in der Küche herrschte die angenehmste Wärme. Hier freilich war der wollene Überzug der Wände bald mit schmierigem Ruß bedeckt; doch war der Raum so gut abgeschlossen und gelüftet, daß der Qualm nie bis in die Wohnräume drang.
Als das Haus vollendet war, mußte das »Südkreuz« noch eine ordentliche Ladung Kohlen von den Kohlenschiffen holen, damit das Heizmaterial nicht ausgehe und man nicht mit qualmenden Seehundsfellen heizen müßte. Hierauf ernannte Münkhuysen den tüchtigen ersten Steuermann zum Kapitän seines Polarschiffs und gab ihm Geloso als Steuermann und die drei Matrosen Pietro, Antonio und Enrico mit, während die beiden anderen, Carlo und Luigi auf der Winterstation blieben.
Cavini erhielt den Auftrag, gegen Ende des nächsten Sommers durch das Weddellmeer bis zur südlichen Festlandsküste vorzudringen, falls die Eisverhältnisse es gestatteten, andernfalls an der Nordspitze von Louis-Philippe-Land zu warten. Falls die Überwinternden bis Ende Januar dort nicht einträfen, sollte er an der Küste von König Eduard VII.-Land nachsehen, ob sie nicht nach einem mißlungenen Vorstoß an ihren Ausgangspunkt zurückgekehrt seien. Die Kohlenschiffe und der Reservedampfer würden ihn bis zur Packeisgrenze begleiten.
Mit diesen Verhaltungsmaßregeln dampfte Cavini ab. Die Kohlenschiffe und der Begleitdampfer hatten auf der Fahrt nach den Falklandsinseln den Rest ihrer Ladung in drei Depots oder Niederlagen an der Küste von Enderby-Land, Coats-Land und in der Hoffnungsbucht niederzulegen, wobei das »Südkreuz« die Ladung durch das Packeis an Land zu schaffen und die Depots zu errichten hatte. Hernach sollten die vier Schiffe im Hafen von Port Stanley auf den Falklandsinseln den Winter zubringen, um alsdann neu verproviantiert ihre instruktionsmäßige Südfahrt auszuführen.
Obgleich in Südburg zwölf Personen waren, brauchten sie eine Hungersnot nicht zu befürchten, auch wenn sie dreimal hier hätten überwintern müssen: so reichlich hatte Münkhuysen für Lebensmittelvorräte gesorgt. Wenn man trotzdem sich mit Seehundsfleisch, Pinguinbrüsten und Geflügel in großen Mengen versah, so geschah dies hauptsächlich, um täglich frisches Fleisch genießen zu können; denn nur von Konserven leben ist weder angenehm noch gesund.
Das Fleisch wurde zum Teil im Freien aufgehängt, wo es allerdings von den räuberischen Skuamöven trotz seines hartgefrorenen Zustandes, stark zerhackt wurde. Die größten Vorräte bargen unsere Freunde unter Steinhaufen in der Nähe von Südburg und hieben allemal mit dem Beil so viele eisige Stücke los, als sie die nächsten Tage brauchten.
Jeder Italiener kann kochen: Carlo und Luigi waren die Köche und machten ihrer Aufgabe alle Ehre. Aber Eva ließ es sich nicht nehmen, ihrerseits in der Küche trotz des Tranqualmes zu walten. Sie erfand immer wieder neue Gerichte von ganz besonderem Reiz, und wußte selbst Seehundsspeck in einer Weise zu braten, die ihn zu einem Leckerbissen machte.
Neben der Küche befand sich ein Backofen. Da frisches Brot am allerbittersten vermißt wird, wenn man auf Schiffszwieback angewiesen ist, hatte Münkhuysen besonders viel Mehl mitgenommen, aus dem Luigi herrliches Brot und Eva vorzügliche Kuchen und Torten zu bereiten verstanden.
Auch eine Schmiede fehlte nicht. Hier waltete namentlich Ingenieur Holm.
Da gute Schuhe in den Polargegenden besonders not tun und Schuhwerk und Kleidung sich rasch abnützen, besaß jedermann drei Paare pelzgefütterter Stiefel und zwei Paar Galoschen zur Schonung der Sohlen, außerdem zwei Reserveanzüge, viel Unterkleidung und Leibwäsche. Alle vierzehn Tage wurde die mitgebrachte Waschmaschine in Tätigkeit gesetzt und wöchentlich durfte sich jeder ein warmes Vollbad gestatten.
So kamen unsere Freunde nicht in die Lage Gunnar Anderssons, der nach sechs Wochen den ersten Hemdwechsel wagte, sein zweites Hemd aber siebeneinhalb Monate am Leibe behalten mußte, worauf er wieder das erste anzog, das nun im Vergleich zum anderen als rein gelten konnte.
Jeder war noch mit den so nötigen Schneebrillen und einem warmen Schlafsack ausgerüstet, in den leinene Einsätze geschoben wurden, die öfters gewechselt und zur Wäsche gegeben werden konnten. Auf diese Weise erhielten sich die Schlafsäcke in bestem Zustand.
Schon zu Beginn des Winters wurde Südburg vollständig eingeschneit, während man von den Stürmen in dem geschützten Tal wenig zu leiden hatte.
Trotz des tiefen Schnees arbeiteten sich die pflichtgetreuen Gelehrten Schulze und Raimund, abwechselnd mit Mäusle, alle zwei Stunden zu den Instrumenten durch, um die magnetischen und meteorologischen Beobachtungen ununterbrochen durchzuführen. In besonders anstrengenden Zeiten lösten Münkhuysen und Ernst sie zuweilen ab; auch Münchhausen und Maibold beteiligten sich an den Observationen, die nachts mit der Laterne gemacht wurden, so daß keiner mehr als höchstens zweimal in der Woche seine Nachtruhe opfern mußte.
Die Haustüre öffnete sich nach innen, sonst hätte man sie nicht aufgebracht, wenn sich der Schnee vor ihr anhäufte. Der Koch war morgens der erste, der den Neuschnee wegschaffte, da er zum Kochen ganze Schneemassen brauchte, weil bekanntlich auch große Schneemengen nur wenig Wasser geben.
Die Grönlandhunde, die oft selbständig auf die Jagd gingen, sonst mit Abfällen und Hundepemmikan gefüttert wurden, lebten Tag und Nacht im Freien und wühlten sich meist in den Schnee ein.