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Als die Gesellschaft nach dem großartigen Vortrag sich noch im Parke erging, wurde ihr dort ein ganz eigenartiges reizvolles Schauspiel zuteil: den Tag über hatte es geregnet, und nun hüpften in den regenfeuchten Beeten und Wegen des Gartens Frösche und Kröten umher, die am ganzen Körper leuchteten, und zwar drang der phosphoreszierende Schein aus dem Innern ihres Leibes durch die Haut hervor.
»Nein, so etwas!« rief Raimund aus: »Leuchtkäfer, leuchtende Fische und Krebse, ja leuchtende Schnecken habe ich schon gesehen; aber Amphibien, die zu Beleuchtungszwecken in einem Parke verwendet werden, das ist mir neu. Wie haben Sie das wieder zustande gebracht, Baron?«
»Ganz einfach!« schmunzelte Münkhuysen: »Ich spritze den Tieren Leuchtbakterien unter die Haut ein, und so erscheinen sie durchsichtig illuminiert. Dieser Zustand wird drei Tage andauern, dann ist es mit dem Leben und der Leuchtkraft der Bakterien zu Ende.«
Am nächsten Tage wurde nach dem Mittagsmahle das übliche Plauderstündchen im Speisesaal gehalten. Unter allen Gesprächsstoffen stand natürlich stets in vorderster Linie das großartige Unternehmen, welches die verschiedenen Gäste bei Münkhuysen Versammelt hatte, die Expedition nach dem Südpol.
Selbstverständlich wurde viel über die Erfahrungen und Entdeckungen geredet, welche bei früheren Reisen in die Polargegenden gemacht wurden.
Man kam auch auf Andrées tollkühnen Versuch zu sprechen, den Nordpol im Luftballon zu erreichen. Als alle Vermutungen über sein trauriges Schicksal erschöpft waren, nahm Doktor Maibold noch das Wort und sagte: »Es ist schrecklich, denken zu müssen, daß solche mutige, kraftvolle Männer, von aller menschlichen Hilfe entfernt, vielleicht einen langsamen Tod erleiden mußten und alle Stadien der Verzweiflung durchgemacht haben. Und was ist ihr Lohn? Die Welt war voll von Andrées Unternehmen, solange der Erfolg noch möglich schien; heute schon nennt man ihn ›den Idealisten unter den Nordpolfahrern‹. Aber sei es noch um ein bis zwei Jahre, wenn die letzte Hoffnung auf seine Wiederkehr erloschen ist, so wird er bald in Vergessenheit geraten und kein Mensch wird mehr von ihm sprechen, oder wenn sein Name noch einmal zufällig erwähnt würde, so wäre es nur, um ihn einen Phantasten, einen tollkühnen Abenteurer zu heißen.«
»Ja,« sagte Professor Raimund, »und wenn seine Ballonfahrt glücklich abgelaufen wäre, so hätte er der gefeiertste und berühmteste Mann des neuen Jahrhunderts werden können; so hängt der menschliche Ruhm oft von dem ab, was man einen ›Zufall‹ heißen kann.«
»Ist denn die Erreichung des Pols mittels eines Luftballons überhaupt denkbar?« frug Ernst Frank.
»Nein!« sagte Münkhuysen. »Mit dem Luftballon nicht, wohl aber mit dem lenkbaren Luftschiff. Wer einen bestimmten Punkt erreichen will, vollends in solch öden Gegenden, und dann noch die Rückkehr in bewohnte Länder zu bewerkstelligen gedenkt, der muß ein lenkbares Beförderungsmittel benutzen; ein Ballon aber ist, als eine große Masse ohne Festigkeit, stets von den wechselnden Luftströmungen abhängig, und es kann niemals gelingen, eine solche unbeholfene Masse zu lenken; das erste Erfordernis für ein lenkbares Luftschiff ist, daß es aus einer festen Masse besteht, wie das Schwarzsche Luftschiff.«
»So würden Sie dem Schwarzschen Luftschiff eine Zukunft versprechen?« fragte Professor Schulze.
»Doch nicht!« meinte Münkhuysen, »auch ihm haften noch einige wesentliche Mängel an, nämlich die Füllung mit Gas und die Anbringung der Gondel unterhalb des Schiffskörpers. Lange ehe man etwas von Schwarz wußte, war ich mit dem Gedanken meines Luftschiffes fertig und ich bin überzeugt, daß ich den einzigen Weg zur Lösung dieses großen Problems gefunden habe.«
»Neuerdings haben ja Major Parseval und Graf Zeppelin große Erfolge mit lenkbaren Luftschiffen aufzuweisen,« bemerkte Ernst.
»Gewiß!« bestätigte der Baron, »doch bleibe ich dabei: erst dann wird ein vollkommen befriedigendes lenkbares Luftschiff hergestellt sein, wenn man sich vom Gas völlig unabhängig gemacht hat und wenn an Stelle der unteren Gondel eine obere Plattform, wie das Deck eines Schiffes, zum Aufenthalt für die Passagiere dient.
»Solange Gas zur Füllung der Luftschiffe gebraucht wird, ist eine dauernde Brauchbarkeit derselben nicht denkbar; denn die sehr kostspielige Füllung muß immer wieder erneuert werden, und die Ballonhüllen, auch in einem starren Gerippe, wie bei Graf Zeppelin, sind leicht verletzbar. Hierin war das Schwarzsche, ganz starre Luftschiff praktischer. Aber er füllte es ebenfalls mit Gas, statt den luftleeren Raum zu benutzen, der selbstverständlich viel leichter ist als Gas, da er überhaupt kein Gewicht hat. Hievon nun gehe ich aus.
»Stellen wir eine zylinderförmige Röhre her, die vorne in einen Kegel, hinten in eine Halbkugel ausläuft; diese Riesenzigarre muß luftleer sein, also entweder durch das Mannesmannsche Verfahren hergestellt oder nachträglich ausgepumpt werden. Wenn eine solche Röhre ein größeres Gewicht Luft verdrängt, als sie selber wiegt, so wird sie von selber in die Luft steigen. Sie muß daher aus einem sehr leichten Metall hergestellt werden, das zugleich dem Luftdruck genügenden Widerstand bietet. Ob das Aluminium hierzu ausreicht, können nur Versuche ergeben, da alle Berechnungen oft trügen. Sollten die Versuche mit Aluminium mißglücken, so müßte die Entdeckung eines geeigneteren Metalls oder einer neuen Legierung abgewartet werden.
»Vereinigen wir einige solcher fliegenden Röhren und löten wir sie in Form eines Zigarrenbündels zusammen, so daß wir unten und oben zwei, in zweiter Reihe je drei, in dritter Reihe je vier und in der Mitte fünf Röhren haben, wobei die Kernröhren des Bündels länger sein müssen als die äußeren, so haben wir ein Luftschiff, bestehend aus dreiundzwanzig Röhren, das eine große Tragfähigkeit aufweisen wird; da ein solches Luftschiff die Luft zwischen den zusammengeschweißten Röhren durchläßt, wird der Widerstand der Luft, selbst gegen den Wind, leicht überwunden; auf der Oberfläche befindet sich die Plattform für Mannschaft und Passagiere, so daß auch bei einem raschen Sturz höchstens einige der leichten Röhren zerdrückt werden können, die oben befindlichen Menschen aber kaum etwas von dem Aufprall spüren dürften.«
»Wie denken Sie sich aber die Lenkung eines solchen Schiffes?« nahm Doktor Maibold wieder das Wort.
»Ganz ähnlich wie bei den Dampfschiffen: zwei oder drei Luftschrauben, die durch Dampf oder besser Elektrizität getrieben werden, ein leichtes Steuerruder, das wäre alles.«
»Und das Auf- und Absteigen?« ließ sich Ernst vernehmen.
»Die beiden äußersten Seitenrohre sind in zwei Abteilungen getrennt, welche jede mit einer Luftpumpe auf der Plattform in Verbindung stehen. Je nachdem nun Luft eingelassen oder ausgepumpt wird, sinkt oder steigt mein Luftschiff. Eine stärkere Füllung der vorderen Abteilungen bewirkt eine Richtung der Spitze nach unten; eine stärkere Füllung der hinteren Kammern aber gibt dem Schiff eine zum Aufstieg geeignetere Richtung. Überdies ist noch dafür gesorgt, daß der Schwerpunkt dauernd nach unten verlegt bleibt und das Schiff nicht etwa umkippen kann. Außerdem bringe ich auch Höhensteuer an.«
»Das alles leuchtet mir ein,« sagte Raimund nachdenklich; »aber von der Plattform aus muß es schwer fallen, die Erde zu beobachten.«
»Will man dem nicht durch entsprechend angebrachte Spiegel abhelfen,« sagte Münkhuysen hierauf, »so muß freilich unter dem Luftschiff ein Beobachtungskorb angebracht werden, der durch eine den Schiffskörper im Zentrum durchschneidende Röhre mit der Plattform in Verbindung stünde.
»Ich habe übrigens die Idee dieses Luftschiffes schon vor Jahren in einem technischen Blatte veröffentlicht, das sich lebhaft dafür interessierte. Und nun denken Sie sich, geht da ein hochweiser sogenannter Sachverständiger her und veröffentlicht im gleichen Blatte einen Gegenartikel, in dem er behauptet, theoretisch seien meine Ausführungen ganz richtig und einleuchtend, aber in der Praxis sehe es ganz anders aus und würden sich unüberwindliche Schwierigkeiten ergeben. Dieser Mann konnte also nicht einmal Theorie und Praxis unterscheiden; denn es ist klar, daß von praktischen Ergebnissen erst dann die Rede sein kann, wenn der Gedanke ausgeführt und das Luftschiff praktisch ausprobiert wurde. Bis dahin waren jenes Herren Bedenken eben auch nichts anderes als unbewiesene Theorie. Hierauf wollte ich ihn in einer Erwiderung aufmerksam machen und widerlegte schlagend seine schwächliche Kritik. Allein das Blatt hatte einen zu heiligen Respekt vor dem Sachverständigen, als daß es überhaupt gewagt hätte, meine Entgegnung zu veröffentlichen: es durfte doch einen anerkannten Fachmann nicht so schrecklich bloßstellen!«
»Ähnliches habe auch ich schon erfahren,« brummte Raimund. »Aber ich tröste mich damit, daß es Größeren nicht besser ging: Männer wie Robert Mayer, Graf Zeppelin und tausend andere haben die gleichen traurigen Erfahrungen mit Sachverständigen machen müssen, die im Grunde nichts verstehen, weil sie außer dem, was sie gelernt haben, nichts für möglich halten.«
»Ich wollte mich übrigens auch anheischig machen, den Nordpol im Fluge zu erreichen,« fuhr der Baron fort.
»Wie?« rief Ernst aus. »Bisher schien es doch nur möglich, mit künstlichen Flügeln von einer Anhöhe abwärts zu fliegen, und hierbei sogar fand der berühmte Flugtechniker Lilienthal ein so klägliches Ende.«
Münkhuysen erwiderte: »Ich habe nur eine ganz einfache und so selbstverständliche Verbesserung an dem Flugapparate Lilienthals angebracht, daß ich mich stets gewundert habe, daß sonst niemand darauf kam. Ich war im Begriff, meine Idee dem Erfinder mitzuteilen, als ihn der traurige Unfall der Welt entriß. Sie sollen meinen Flugapparat selbst sehen – jetzt ist er bereits verpackt –, ich gedenke ihn aber zu einem Fluge nach dem Südpol zu benutzen; daher erspare ich mir jetzt weitere Auseinandersetzungen hierüber. Zurzeit sind auch schon andere auf brauchbare Gedanken in dieser Richtung gekommen, und einige kühne Männer beginnen, mit sogenannten Aeroplanen, einer Art Drachen mit Motoren, Flugversuche anzustellen, und auch das dürfte ohne Zweifel Erfolg haben.«
»Ich lobe mir den guten alten Luftballon!« sagte Kapitän Münchhausen. »Ich selber habe mit ihm so manche Fahrt gewagt, die stets glücklich ablief und mich immer dahin brachte, wo ich wollte.«
»Oho!« rief Ingenieur Holm: »Sollten Sie das Problem der Lenkbarkeit gelöst haben?«
»Ach was!« entgegnete der Schalk: »Für mich ist das nie ein Problem gewesen: nur die Sachverständigen, die nie an das Nächstliegende denken, stoßen immer auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Ich, als erfahrener Kapitän, versah meine Luftgondel einfach mit einem Steuer aus Adlerfedern und mit Segeln, die ich ja zu handhaben verstehe, um auch gegen den Wind zu kreuzen, und bei Windstille benutzte ich leichte Luftruder mit breiten Ruderflächen, die aus einem mit Seidenstoff überspannten Rahmen bestanden. Es ist haarsträubend, wie beschränkt die Luftschiffer sind, die nie auf den einfachen Gedanken kamen, die Luft wie das Wasser zu befahren, zumal die Luft ja Wasserstoff genug enthält!
»Bei diesen Luftfahrten verlegte ich mich auch aufs Wettermachen, das eine ganz einfache Sache ist. Mit einem großen Ventilator oder Blasebalg trieb ich die Wolken vor mir her, entfernte sie aus den Gegenden, die unter allzu großer Nässe litten, und lotste sie dorthin, wo die Dürre verderblich zu werden drohte.
»Einmal freilich wäre ich auf einer solchen Fahrt fast verunglückt. Ich jagte gerade ein heftiges Gewitter vor mir her, als ein rachsüchtiger Blitz zurückfuhr und mir das Steuer zerschmetterte. Dummerweise hatte ich schon allen Ballast ausgeworfen, von dem ich eine ungenügende Menge mitgeführt hatte. Mit dem zersplitterten Steuerruder konnte ich natürlich nicht aufwärts steuern und befand mich daher in einer sehr gefährlichen Lage. Mir wurde das Herz so schwer, daß der Ballon immer schneller zu sinken begann. Zum erstenmal im Leben geriet ich in eine mir sonst fremde Geistesverwirrung und zog die Reißleine. Jetzt stürzte ich mit rasender Geschwindigkeit. Das brachte mich wieder zur klaren Besinnung, und mit genialem Scharfblick erkannte ich, daß ich eine Dummheit begangen hatte. Nun klammerte ich mich am Netzwerk an und schnitt die Gondel los. Die erleichterte Hülle senkte sich nun mit mäßiger Geschwindigkeit. Da fiel mir ein Stein vom Herzen und sauste in die Tiefe. Das erst war meine Rettung, denn jetzt wurde der Sturz so milde, daß ich nicht mehr befürchten mußte, unten zu zerschmettern. Rasch kletterte ich im Netzwerk empor und setzte mich auf die beinahe entleerte Hülle, die in eben dem Augenblick den Erdboden erreichte. Sie knickte unter meinem Gewicht vollends zusammen, doch milderte sie meinen Fall so sehr, daß er mir keinen Schaden brachte. Sie sehen, Geistesgegenwart ist alles: sie hilft aus den verzweifeltsten Lagen.«
Die lachenden Zuhörer kargten denn auch nicht mit ihren Lobsprüchen über des Kapitäns fabelhafte Geistesgegenwart.