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Der Baron hatte mit den Vorbereitungen zu seiner Reise noch alle Hände voll zu tun. Als daher das Wesentliche zwischen Münchhausen und Schulze einerseits, Mäusle und Neeltje anderseits ausgetauscht war, entschuldigte er sich, daß er seine werten Gäste einige Zeit sich selbst überlassen müsse.
Ernst bat um die Erlaubnis, die herrlichen Parkanlagen näher in Augenschein nehmen zu dürfen.
»Bitte!« sagte Münkhuysen: »Mein Besitztum steht selbstverständlich meinen lieben Gästen zur freien Verfügung; machen Sie nur Entdeckungsreisen nach Ihrem Belieben, und ich hoffe, daß Sie an meinen bescheidenen Anlagen einiges Vergnügen finden.«
Die »bescheidenen Anlagen« waren eine Redensart. War das Wohngebäude bei aller Einfachheit doch ein Palast, so war der ausgedehnte Park einfach fürstlich. Er dehnte sich eine halbe Stunde weit mit seinen gewundenen Fahrstraßen und lauschigen Fußwegen. Künstliche Hügel, enge Felsschluchten mit schäumenden Bächen, ebenfalls künstlich angelegt, machten den Eindruck einer natürlichen Gebirgslandschaft im Kleinen. Prächtige Baumgruppen, schattige Wäldchen wechselten ab mit reichblühenden Blumenbeeten, in denen frische Springbrunnen plätscherten. Geheimnisvolle Tropfsteingrotten führten tief in das Innere der Hügel und ließen sich mittels buntfarbiger elektrischer Glühbirnen nach Belieben feenhaft erleuchten.
Bald hatte der Jüngling einen reizenden See entdeckt, an dessen stillen Ufern sich's im weichen Rasen unter himmelhohen Bäumen herrlich ruhen und träumen ließ. Hier lagerte sich Ernst und genoß den duftigen Frieden der schweigenden Natur. Zuweilen unterbrach ein leises Säuseln der Wipfel die Stille, auch wohl eine liebliche Vogelstimme. Weit draußen im See lockte eine üppig bewachsene Insel, aus deren Gebüsch ein altersgrauer Turm ragte, zu einer Entdeckungsfahrt, und da der Jüngling einen halb im Schilfe versteckten Kahn am Ufer gewahrte, gedachte er schon, ihn zu lösen und auf den klaren Spiegel hinauszurudern, als er einen leichten Elfenschritt über die Kieswege nahen hörte.
»So, so! Da steckst du?« rief Evas helle Stimme: »Ich habe alles nach dir ausgesucht. Papa schickt mich, um dir in deiner Verlassenheit Gesellschaft zu leisten, falls dir das nicht lästig ist. Aber paß nur einmal auf! Ich habe etwas ganz Besonderes im Sinn. Ich will dich nämlich in ein Geheimnis einweihen, das ich allein weiß. Nicht einmal der Papa ahnt etwas davon, denn ich bin ganz von selber darauf gekommen. Ja, ja, so dumm bin ich nicht, wie ich aussehe!«
»Und ich soll in dieses tiefe Geheimnis eingeweiht werden?«
»Jawohl, du, – du ganz allein!«
»Das ist ja eine ungeheure Ehre! So viel Vertrauen flöße ich dir also ein?«
»Halt! Zuerst mußt du mir feierlich versprechen, daß du keiner Seele ein Sterbenswörtchen davon verrätst. Wenn die Zeit gekommen ist, will ich selber mit meiner Weisheit glänzen können. Und wenn du ein Tagebuch führst, darfst du ja nichts davon hineinschreiben, sonst könnte es jemand zu lesen bekommen, wenn du es einmal herumliegen läßt. Ich habe mich auch gehütet, das Geheimnis meinem Tagebuch anzuvertrauen, denn ich vergesse manchmal, es einzuschließen.«
»Also! Ich gelobe dir heiligstes Schweigen!«
»Gut! So komm nur gleich mit mir.«
Dabei faßte sie ihn bei der Hand und führte ihn dem Hause zu. Unterwegs plauderte sie weiter: »Weißt du, mein Papa geht an den Südpol.«
»Jawohl, und ich gehe mit!«
»Ach! Das ist nett,« sagte sie und klatschte in die Hände: »Ich gehe auch mit.«
»Was?! Du, Kind, willst in die schrecklichen Eiswüsten, und dein Vater gestattet es?«
»Ach, was! schrecklich? Wo Papa ist, ist's nirgends schrecklich; und meinst du, ich wolle hier sitzen bleiben, wenn andere viele Abenteuer erleben und merkwürdige Dinge sehen? – Und dann bin ich dem Papa sein einziges Kind und sein Liebling, jawohl! Da wird er mich doch nicht allein zu Hause lassen, wenn er so weit fortreist! Nein! da ist ja überhaupt keine Rede davon!
»Aber jetzt merke einmal auf, Vetter Ernst: Papa ist furchtbar gescheit und auch wohlüberlegt und er denkt beinahe an alles, wo sonst andere nicht dran denken.«
»Das habe ich gemerkt, und ich habe allen Respekt vor ihm.«
»Und siehst du,« triumphierte sie: »An das Allernächstliegende, was ganz selbstverständlich wäre, hat er eben doch nicht gedacht; da habe ich ganz allein dran gedacht und sonst gar niemand!«
»Das wäre!« sagte Ernst halb neugierig, halb belustigt durch ihren Eifer. Im Grunde dachte er, das hochwichtige Geheimnis werde sich als etwas sehr Unwichtiges entpuppen: was erscheint nicht solch kleinem Mädchen wertvoll und bedeutsam!
Inzwischen waren die beiden in den Keller gelangt, wo das Paläoskop noch auf seinem Stativ festgeschraubt war.
Eva begann es zu richten und einzustellen: »Ich weiß damit umzugehen,« sagte sie: »Ich darf durchsehen, wann ich will. – Schau, jetzt sollst du das Geheimnis sehen.«
Der Jüngling blickte durch das Instrument und es wurde ihm ein höchst merkwürdiger, hochinteressanter Anblick. Eva erklärte ihm eifrig, was er da erschaute, und er bekam nun ordentlich Respekt vor der Klugheit des lieben kleinen Mädchens, das offenbar weit über seine Jahre hinaus entwickelt war, zumal in geistiger Beziehung. Er war jetzt ganz stolz darauf, ihr wichtiges und wirklich bedeutsames Geheimnis teilen zu dürfen und freute sich mit ihr im voraus auf Münkhuysens und der anderen gelehrten Herren Verblüffung, wenn der Tag erschienen sein würde, an dem Eva ihnen eine Mitteilung machen würde, die sie alle höchlichst überraschen mußte. Um diesen Triumph zur gegebenen Zeit voll genießen zu können, mußte die Entdeckung, die dem Scharfsinn des Mädchens zu verdanken war, tiefstes Geheimnis bleiben.
»Und nun will auch ich dir ein Geheimnis verraten,« sagte Ernst zu seiner kleinen Freundin, »von dem ich weder deinem Vater noch irgend einem der anderen Herren etwas gesagt habe: ein Vertrauen ist des andern wert.«
»Oho!« rief Eva begierig: »Du weißt auch ein Geheimnis? Schnell, sage mir's: ich werde verschwiegen sein wie das Grab!«
Nun teilte ihr der Jüngling mit, welch rätselhafte Botschaft vom Südpol auf so merkwürdige Weise in seines Vaters Hände gelangt war. Er zog seine Brieftasche und zeigte ihr die Photographie des Schriftstücks und las ihr die Übersetzung vor. Dann fragte er: »Glaubst du nicht auch, daß wir die Ärmste finden und erlösen werden?«
»O gewiß glaube und hoffe ich das!« erwiderte Eva eifrig: »Ach! Wie dauert mich das verlassene Wesen!«
Und nun malten sie sich miteinander aus, wie sie die geheimnisvolle Prinzessin suchen und auffinden wollten; denn daß es eine Prinzessin sei, stand auch für Eva fest.