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37.
Ein Rezept für Schriftsteller

Herr Mäusle,« sagte Ernst eines Tages zum schwäbischen Dichter: »Wenn ich nur ein wenig von Ihrer Dichter- und Schriftstellergabe hätte!«

»Gabe?« seufzte Mäusle: »O Sie junger Idealist und Schwärmer, wünschen Sie sich doch das nicht! Was fangen Sie mit dichterischer Begabung an? Wünschen Sie Erfolg, zumal klingenden, so kann sie Ihnen nur hinderlich sein statt förderlich. Genie, Talent, Begabung, echte Poesie, das alles ist unmodern, weil unsere heutigen Dichter nichts davon besitzen und es daher in Acht und Bann getan haben. Unmodernes aber kann keinen Erfolg bringen. Heutzutage schriftstellert jeder ordentliche Staatsbürger; besondere Begabung ist dazu nicht mehr erforderlich, im Gegenteil, sie hindert bloß den Erfolg: Die Mache muß man verstehen, weiter nichts, und die läßt sich lernen. Man braucht nur das richtige Moderezept für irgend eine Literaturgattung, und mit etwas Gewandtheit bringt man Werke zustande, die ihre Verleger finden und Geld eintragen. Wäre ich nicht so töricht, aus dem Herzen und der Seele heraus zu dichten, statt nach bewährten Rezepten, so hätte ich mir längst meinen Platz in der modernen Literatur erobert.«

»Ein Kochrezept, nach dem eine literarische Suppe gekocht wird, das ist famos!« rief Ernst: »Können Sie mir kein solches Rezept geben?«

»Mit Leichtigkeit und mit Vergnügen! Sagen Sie nur, was Sie schreiben wollen.«

»Für die Jugend schriebe ich am liebsten: so recht abenteuerliche Geschichten, wie die Knaben sie gerne lesen.«

»Da rate ich zu Indianergeschichten, die ziehen am meisten und haben den Vorzug, daß man nicht unnötig seine Phantasie anzustrengen braucht, um recht haarsträubende Abenteuer zu erfinden; denn es gibt so viele Tausende von Indianergeschichten, daß man sich alles nötige daraus zusammenlesen kann.«

»Aber Abschreiben will ich doch nicht.«

»Gewiß nicht: Sie suchen sich nur die zusagendsten Abenteuer aus, verändern sie ein wenig nach Ihrem Geschmack und kochen sie dann nach folgendem Rezept zusammen: Der Schauplatz ist der ›wilde Westen‹ mit ›Prärien‹ und ›Urwald‹. Die Prärien geben Gelegenheit zu einem stets beliebten Präriebrand, auch jagt man dort den Bison und fängt wilde Pferde. Im Urwald erlebt man Abenteuer mit Schlangen und Raubtieren, auch mit verfaulten Stämmen, die den Weg versperren. Die Felsenberge oder Rocky mountains kann man ebenfalls benutzen, wo der Grislybär haust, desgleichen Flüsse, in denen man Biber fängt.

»Man braucht einige Blockhäuser, in denen Weiße hausen, Trapper oder Fallensteller, Ansiedler, die den Wald ausroden, oder auch Jäger. Vorteilhaft ist es, die Ansiedlung mit Pallisaden zu umgeben, die für eine heldenmütige Verteidigung geeignet sind, und die der Feind mit dem Lasso niederreißt.

»Dann braucht man einige Indianerstämme, und zwar solche, die den Weißen befreundet sind, und solche, die sich ihnen feindlich gesinnt zeigen. Letztere sind die ›teuflischen Sioux‹, die ›blutdürstigen Mingos‹, die ›Creeks‹ und andere. Die freundlichen Stämme sind die Delawaren, Pawnees, Tschippewäs, Cherokesen: Stämmenamen findet man mit Leichtigkeit in der vorhandenen Literatur.

»Der Indianer wird ›Rothaut‹ genannt; zuweilen raucht er die ›Friedenspfeife‹ am ›Lagerfeuer‹, wenn er das ›Kriegsbeil‹ begraben hat. Meist aber befindet er sich auf dem ›Kriegspfad‹ in schrecklicher, greller Bemalung. Zuvor ordnet er stets seine Skalplocke, damit er im Falle des Unterliegens dem Feinde das Skalpieren erleichtere.

»Seine Waffen sind der ›Tomahawk‹ und das ›Skalpiermesser‹; auch mit Pfeilen und ›Feuerrohren‹ schießt er aus dem Hinterhalt.

»Der Häuptling trägt ›Adlerfedern‹ auf dem Haupt, und an seinem Gürtel hängen zahlreiche ›Skalpe‹ seiner Feinde, die oft noch blutig sind und rauchen. Er heißt ›Falkenauge‹ oder ›Der graue Bär‹, der ›Weiße Wolf‹ oder so ähnlich. Der Name ist leicht zu erfinden.

»Das Weib des Indianers ist die ›Squaw‹ und haust in den ›Wigwams‹. Ein schönes Indianermädchen heißt durchschnittlich ›Prärieblume‹.

»Der Indianer redet stets in seiner ›bilderreichen‹ Sprache, und gebraucht immer die dritte Person, etwa. ›Hat mein Bruder Hunger?‹ Mein Vater hat sich weit von den Wigwams seiner Brüder entfernt‹. Einige Übung macht einen bald zum Meister in dieser Sprechweise.

»Die Weißen heißen ›Bleichgesichter‹, auch ›Blaßgesichter‹. Sie verdrängen den ›roten Sohn der Wildnis‹ aus seinen ›Jagdgründen‹ und betören ihn durch ihr ›Feuerwasser‹, weil der ›Große Geist‹ seinen ›roten Kindern‹ zürnt.

»Der Indianer ist schweigsam, verschlagen und lacht nie: oder hat man je von einem lachenden Indianer gelesen? Dagegen läßt er zuweilen ein verwundertes ›Hugh!‹ ertönen.

»Auf dem Kriegspfade geht einer hinter dem anderen in der sogenannten Indianerreihe und jeder tritt in die Fußtapfen des Vordermanns, die der letzte sorgfältig verwischt. Oft gehen sie weite Strecken in einem Bach, um keine Fährte zu hinterlassen oder ziehen die ›Mokassins‹ verkehrt an, um den Gegner irre zu führen; zu dem gleichen Zwecke werden auch absichtlich falsche Fährten hinterlassen: so schlau ist der Indianer!

»Während er sich lautlos und unhörbar fortbewegt und sich oft gleich einer Schlange durchs Gebüsch windet, verrät ihm das Knacken eines dürren Astes die Annäherung des Feindes. Der Schrei der Nachteule und des Prärievogels täuschen ihn nicht: er erkennt darin sofort ein verabredetes Zeichen. Nur wenn der Schrei schlecht nachgeahmt ist, weiß er, daß es ein wirklicher Vogelschrei war.

»Unmöglich ist es, den Sohn der Wildnis zu überlisten oder zu überrumpeln: er sieht mit seinem scharfen Auge Spuren, die gar nicht da sind, und wittert die Nähe des unsichtbaren Feindes. Das gilt aber bloß von der befreundeten Partei; denn die Gegner lassen sich oft überlisten, sie versäumen die einfachsten Vorsichtsmaßregeln und merken nicht, wenn man ihr Lagerfeuer umschleicht. Oft schlafen die Wachen ein, und man kann Gefangene unbemerkt befreien, bis das wilde Geheul im Lager anzeigt, daß die Flucht entdeckt ist und die Verfolgung beginnt.

»Überhaupt lassen sich nur die Feinde durch falsche Vorspiegelungen täuschen, welche von den Freunden alsbald durchschaut werden, die dann sagen: ›Das ist wieder so eine indianische Teufelei!‹

»Die Helden der Geschichte geraten gewöhnlich in Gefangenschaft und werden in das Lager der Sieger geschleppt. Nach längeren Beratungen bindet man sie an den Marterpfahl und umtanzt sie mit schrecklichem Siegesgeheul. Die Squaws versuchen durch allerlei Schmähungen und Drohungen, die Todgeweihten aus der Fassung zu bringen, was ihnen aber zu ihrem großen Ärger nie gelingt, denn die Gefangenen verharren in stolzem Schweigen.

»Dann beginnen die Jünglinge des Lagers ihr grausames Spiel: sie fuchteln mit dem Tomahawk vor den Augen des Gefesselten umher, sie schießen ihre Pfeile dicht an seinen Ohren vorüber in den Pfahl, sie werfen ihre Beile gegen seinen Kopf, daß die scharfe Schneide eine Haarlocke vom Haupte trennt; zuletzt stecken sie ihm Holzsplitter ins Fleisch, die sie zuvor in Schwefel getaucht haben, und zünden sie an, daß der Schwefel weit umherspritzt.

»Dies alles bezweckt, den Ärmsten Zeichen der Angst oder Schmerzensschreie zu entlocken; es ist aber ein ganz müßiges Beginnen, und die grausamen Teufel sollten aus Erfahrung wissen, daß sie damit niemals ihren Zweck erreichen; denn der Gefangene ist bekanntlich kein ›altes Weib‹ und zuckt mit keiner Wimper.

»Dies nötigt den Feinden unwillkürlich Achtung und Bewunderung vor der Standhaftigkeit des Helden ab, steigert jedoch gleichzeitig ihre Wut und ihren Blutdurst aufs äußerste.

»Aus unbekannten Gründen jedoch zögert der Häuptling so lange, das Zeichen zum Beginn der martervollen Abschlachtung zu geben, bis es dem Opfer gelingt, zu entkommen oder seine Freunde es befreien.

»Im Kampfe sucht der Indianer immer Deckung und huscht von Baum zu Baum, wobei sich jedoch die Feinde oft verderbliche Blößen geben. Zuletzt wird der feindliche Stamm in der Regel völlig vernichtet, falls man ihn nicht mehr für spätere Erzählungen braucht.

»Verliert ein befreundeter Indianer seinen Skalp, so singt er sein Totenlied und geht mit Würde in die ›seligen Jagdgefilde‹, wohin die ›Stimme des Großen Geistes‹ ihn ruft.

»Das ist so in Kürze alles, was Sie zu einer landläufigen Indianergeschichte in Dutzendware brauchen. Sie haben nur noch dieses Gerippe mit einigen haarsträubenden Abenteuern und blutrünstigen Grausamkeiten zu umkleiden.«

»Ausgezeichnet!« rief Ernst lachend, denn er hatte die scharfe Satire sofort erfaßt: »Nun getraue ich mich, gleich ein Dutzend echter, glänzender Indianergeschichten zu schreiben!«

»Ja!« seufzte Mäusle: »So einfach ist die jämmerliche Mache, mit der nicht nur die Indianergeschichten, sondern auch Tausende anderer Jugenderzählungen in Massen zu billigen, lockenden Preisen zusammengestoppelt werden, lediglich um Geld zu machen, der einzige Zweck des Verfassers und Verlegers! Es kümmert sie dabei nicht im geringsten, daß sie den Geschmack der Jugend verderben, ihre Phantasie und ihren Charakter vergiften. Wer gelernt hat, sich mit Gier auf dieses ungesunde Lesefutter zu werfen, verliert den Geschmack an jedem gesunden und edlen Lesestoff, sein Gemüt verroht, und er findet nur noch Gefallen an Grausamkeiten und blutigen Abenteuern, das heißt an ungesunder Aufregung.«


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