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16.
Auf hoher See

Es war ein herrlicher Sommertag, als Münkhuysens Jacht den Hafen von Amsterdam verließ.

Die ganze Reisegesellschaft befand sich in gehobenster Stimmung, ja eine gewisse Heiterkeit hatte sich ihrer bemächtigt, als man im letzten Augenblick vor der Abfahrt noch den biederen Michael Mäusle angekeucht kommen sah, der eine ziemlich schwere Kiste herbeischleppte. Neeltje befand sich schon an Bord und hatte sein baldiges Erscheinen in Aussicht gestellt, als er allein noch vermißt worden war.

»Hätte ich in meiner Zerstreutheit beinahe vergessen!« rief er atemlos, die Kiste an Bord werfend.

»Sie hätten nicht so eilen sollen,« sagte der Baron: »Ohne Sie wären wir keinesfalls abgefahren.«

»Ich wäre aber trostlos gewesen, hätte ich mir sagen müssen, daß durch meine Schuld die Entdeckung des Südpols um eine einzige Minute verzögert worden wäre.«

Die Äußerung dieser Befürchtung verstärkte die Heiterkeit. Und nun wurden allerlei Vermutungen angestellt über den Inhalt der Kiste, der dem schwäbischen Professor so wertvoll erschien, daß er darüber beinahe die Abfahrtszeit versäumt hätte.

»Thomasuhr!« sagte Schulze düster. Damit erinnerte er an den gewissenlosen Massenmörder Thomas, der mit Sprengstoffen gefüllte Kisten, die er mit hohen Summen versicherte, an Bord der Schiffe bringen ließ. Ein in der Kiste in Gang befindliches Uhrwerk verursachte dann eine furchtbare Explosion, während das Schiff sich auf hoher See befand, und es ging mit Mann und Maus unter. Der kaltherzige Schurke strich dann die Versicherungssumme ein, unbekümmert um die Tausende von Menschenleben, die seine Geldgier einem gräßlichen Tode preisgegeben hatte. So waren schon zahlreiche Schiffe in unerklärlicher Weise spurlos verschwunden, bis einmal eine solche Kiste infolge Stolperns der Träger schon in Bremerhaven explodierte, wobei ebenfalls viele Menschenleben zugrunde gingen. Die hierauf angestellte Untersuchung enthüllte die Verbrechen des Absenders, und man nannte fortan derartige verborgene Zeitzünder nach ihrem unmenschlichen Erfinder »Thomasuhren«.

Diese unheimliche Erinnerung war dem Berliner Professor beim Anblick der geheimnisvollen Kiste aufgestiegen, und er fügte seinem Ausruf hinzu: »Hat sich der gutmütige Schwabe aufschwatzen lassen, dieses verderbliche Gepäckstück zu besorgen, mit dem uns eine eifersüchtige Gelehrtenbande unterwegs in die Luft befördern will, um unsere berühmten Entdeckungen zu verhindern.«

»Unglücksrabe!« rief der allezeit zu Widerspruch und Spott aufgelegte Doktor Maibold: »So schwarze Ahnungen kann doch nur eines weltfremden Professors Seele ausbrüten. Die Sache ist sicher ganz harmlos, und ich vermute, daß Professor Mäusle in dieser Kiste etliche Blindschleichen, Frösche, Eidechsen, Spinnen und anderes Ungeziefer verstaut hat, um mit diesen einheimischen Haustieren Akklimatisationsversuche am Südpol zu unternehmen.«

Ernst glaubte nun seinerseits, auch eine außerordentliche Vermutung aussprechen zu müssen, doch Eva legte ihm ihre kleine Hand auf den Mund und flüsterte ihm zu: »Sei still und blamiere dich nicht wie die anderen: Herr Mäusle ist doch gescheiter als sie alle und wird sie zuletzt beschämen.«

Eva hatte recht, das mußte sich der junge Frank im stillen eingestehen: der gute Mäusle mußte sich als Schwabe mancherlei Hänseleien gefallen lassen, obgleich er sowohl an Schärfe des Verstandes als auch an umfassenden und gründlichen wissenschaftlichen Kenntnissen alle anderen bei weitem überragte, ausgenommen etwa Münkhuysen, und als außerordentlicher Held sattsam bekannt war. Sein Landsmann, Professor Raimund, wußte mehr aus sich zu machen und wurde daher weniger die Zielscheibe überlegener Witzeleien. Mäusle jedoch war langsam und bedächtig im Reden und dazu von echt süddeutscher Herzensgüte; das forderte den geflügelten Witz der Nordländer heraus: bis er allemal eine treffende Antwort gesucht hatte, die ja nichts Verletzendes haben sollte, war er schon vom allgemeinen Gelächter besiegt, und es blieb ihm nichts übrig, als in seiner Gutmütigkeit selber herzlich mitzulachen.

So hatte er auch dem Spötter Maibold noch nichts erwidern können, und alle lachten noch über die heiteren Anpassungsversuche, als sich auch schon ein Dritter vernehmen ließ, der junge schwedische Ingenieur Holm: »Geben Sie acht, meine Herren,« sagte dieser, »ich hab's erraten! Herr Mäusle hat jedenfalls einen herrlichen Gedanken, uns freie Durchfahrt bis an die antarktische Küste zu verschaffen: ich wette, daß die Kiste Kochsalz oder Viehsalz enthält, bestimmt, das schwere Packeis aufzulösen.«

»Halt, Halt!« ereiferte sich Kapitän Münchhausen in komischer Entrüstung: »Das wäre Raub meines geistigen Eigentums: die Enteisung der Pole habe ich erfunden!«

Aber seine Verwahrung wurde durch die schrille Stimme Doktor Maibolds übertönt, der rasch auf die neue Vermutung einging und dazwischenschrie: »Köstlicher Gedanke das! Den Südpol mit Kochsalz bestreuen! Hurra! Die Eisdecke muß schmilzen, und wir machen einen Sommerausflug auf durchweichtem Lehmboden statt auf Gletschereis! He, Baron! Werfen Sie schleunigst allen Ballast über Bord und nehmen Sie Steinsalz ein: das ist das sicherste Mittel, den Südpol gefahrlos zu erreichen.«

Währenddessen hatte Mäusle schweigend die Kiste erbrochen und die Verblüffung aller war groß, als ihnen daraus die feinsten Toiletteseifen in allen Regenbogenfarben entgegenschimmerten. Natürlich folgte dem ersten Erstaunen ein umso schallenderes Gelächter.

»Aha!« rief Raimund, der nun auch mit einer Bemerkung nicht zurückhalten konnte: »Herr Mäusle ist sehr für Reinlichkeit und fürchtet, wir könnten am Südpol Eskimogewohnheiten annehmen.«

Der Schwabe aber entnahm der Kiste eine Seife um die andere und bot sie den Fahrgästen der Reihe nach an. Mit der ernstesten Miene der Welt ersuchte er sie, je ein Stück in die Westentasche zu stecken: »Für den Fall eines Schiffbruchs,« fügte er hinzu.

»Sehr verbunden!« äußerte Professor Schulze: »Ihre freundliche Fürsorge ist ja recht liebenswürdig. Aber denken Sie, ich werde als Schiffbrüchiger Seife knabbern? Wenn es wenigstens noch Schokolade wäre!«

Der Schwabe blieb unerschütterlich in seiner Ruhe und redete jedem so freundlich und bestimmt zu, die Seife einzustecken, als bewährtes Hilfsmittel bei Schiffbrüchen, daß ihm alle, wenn auch kopfschüttelnd, den Gefallen taten.

Münkhuysen beschämte die Spötter, indem er bemerkte: »Ich hoffe zwar, Professor, daß wir nicht Schiffbruch leiden werden, kann mir auch nicht denken, was mir in solchem Falle die Seife nützen sollte; allein ich setze so unbedingtes Vertrauen in Ihre Einsicht, Erfahrung und wissenschaftliche Tüchtigkeit, daß ich die Seife als ein wertvolles Hilfsmittel mit Dank annehme und sie stets bei mir tragen werde.«

Mäusle verweigerte übrigens in vornehmem Stolze jede weitere Erklärung, und so sollte die allgemeine Neugier erst später befriedigt werden.

Glücklich durchsteuerte die Jacht den Kanal und kreuzte bald auf hoher See, während Albions Kreidefelsen den Blicken entschwanden.

Die Fahrt ging rasch vonstatten, und obgleich man sich erst bei Gibraltar der Küste wieder näherte, mangelte es doch nie an Unterhaltung auf dem fürstlich eingerichteten Fahrzeug. Auch wäre es undenkbar gewesen, in solch auserlesener Gesellschaft, wie sie sich an Bord befand, daß jemals Langeweile hätte aufkommen können.

Der schroffe Fels von Gibraltar zeigte drohend seine Altweiberzähne, wie man die englischen Geschütze in den Felslöchern der mächtigen Wand nennt. Nachdem er den Blicken entschwunden war, entfernte sich das Schiff vom Strande, den man erst in der Nähe von Antibes wieder zu Gesicht bekam.

»Die Riviera sollen Sie bewundern,« sagte Münkhuysen, »denn auf meinen weiten Weltfahrten habe ich nirgends einen Anblick genossen, der an Mannigfaltigkeit landschaftlicher Reize mit der Küste von Nizza bis Genua wetteifern könnte.«


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