Wilhelm Hauff
Novellen
Wilhelm Hauff

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Vertrauliches Schreiben an Herrn W. A. Spöttlich

Vizebataillons-Chirurgen a. D. und Mautbeamten in Tempelhof bei Berlin

Sie werden mich verbinden, verehrter Herr! wenn Sie diese Vorrede lesen, welche ich einer kleinen Sammlung von Novellen vordrucken lasse; ich ergreife nämlich diesen Weg einiges mit Ihnen zu besprechen, teils weil mir nach sechs unbeantwortet gebliebenen Briefen das Porto bis Tempelhof zu teuer deuchte, teils aber auch, weil Sie vielleicht nicht begreifen, warum ich diese Novellen gerade so geschrieben habe und nicht anders.

Sie werden nämlich nach Ihrer bekannten Weise, wenn Sie »Novellen« auf dem Titel lesen, die kleinen Augen noch ein wenig zudrücken, auf geheimnisvolle Weise lächeln und, sollte er gerade zugegen sein, Herrn Amtmann Kohlhaupt versichern: »Ich kenne den Mann, es ist alles erlogen was er schreibt«; und doch würden Sie sich gerade bei diesen Novellen sehr irren. Die besten und berühmtesten Novellendichter Lopez de Vega, Boccaz, Goethe, Calderon, Tieck, Scott, Cervantes und auch ein Tempelhofer haben freilich aus einem unerschöpflichen Schatz der Phantasie ihre Dichtungen hervorgebracht, und die unverwelklichen Blumensträuße, die sie gebunden, waren nicht in Nachbars Garten gepflückt, sondern sie stammten aus dem ewig grünen Paradies der Poesie, wozu nach der Sage Feen ihren Lieblingen den unsichtbaren Schlüssel in die Wiege legen. Daher kömmt es auch, daß durch eine geheimnisvolle Kraft alles was sie gelogen haben zur schönsten Wahrheit geworden ist.

Geringere Sterbliche, welchen jene magische Springwurzel, die nicht nur die unsichtbaren Wege der Phantasie erschließt, sondern auch die festen und undurchdringlichen Pforten der menschlichen Brust aufreißt, nicht zuteil wurde, müssen zu allerlei Notbehelf ihre Zuflucht nehmen, wenn sie – Novellen schreiben wollen. Denn das eben ist das Ärgerliche an der Sache, daß oft ihre Wahrheit als schlecht erfundene Lüge erscheint, während die Dichtung jener Feenkinder für treue, unverfälschte Wahrheit gilt.

So bleibt oft uns geringen Burschen nichts übrig, als nach einer Novelle zu spionieren. Kaffeehäuser, Restaurationen, italienische Keller u. dgl. sind für diesen Zweck nicht sehr zu empfehlen. Gewöhnlich trifft man dort nur Männer, und Sie wissen selbst wie schlecht die Restaurationsmenschen erzählen. Da wird nur dies oder jenes Faktum schnell und flüchtig hingeworfen; reine Nebenbemerkungen, nichts Malerisches; ich möchte sagen, sie geben ihren Geschichten kein Fleisch und wie oft habe ich mich geärgert, wenn man von einer Hinrichtung sprach, und dieser oder jener nur hinwarf »geköpft«, »hingerichtet«, statt daß man, wie bei ordentlichen Erzählungen gebräuchlich, den armen Sünder, seinen Beichtvater, den roten Mantel des Scharfrichters, sein »blinkendes Schwert« sieht, ja selbst die Luft pfeifen hört, wenn sein nerviger Arm den Streich führt.

Es gibt gewisse Weinstuben, wo sich ältere Herren versammeln und nicht gerne einen »jungen«, einen »fremden« unter sich sehen. Diese pflegen schon besser zu erzählen; dadurch, daß sie diesen oder jenen Straßenraub, die geheimnisvolle, unerklärliche Flucht eines vornehmen Herren, einen plötzlichen Sterbefall, wobei man »allerlei gemunkelt« habe, schon fünfzigmal erzählten, haben ihre Geschichten einen Schmuck, ein stattliches Kleid bekommen und schreiten ehrbar fürder, während die Geschichten der Restaurationsmenschen wie Schatten hingleiten. Solche Herren haben auch eine Art von historischer Gründlichkeit und es gereicht mir immer zu hoher Freude, wenn einer spricht: »Da bringen Sie mich auf einen sonderbaren Vorfall«, sich noch eine halbe Flasche geben läßt und dann anhebt: »In den siebziger Jahrgängen lebte in meiner Vaterstadt ein Kavalier von geheimnisvollem Wesen.« Solche Herren trifft man allenthalben und Sie werden von mehreren unserer neueren Novellisten stark benützt. Der bekannte ** versicherte mich, daß er einen ganzen Band seiner Novellen solchen alten Nachtfaltern verdanke, und erst aus diesem Geständnis konnte ich mir erklären, warum seine Novellen so steif und trocken waren; sie kamen mir nachher allesamt vor wie alte, verwelkte Junggesellen, die sich ihre Liebesabenteuer erzählen, welche sämtlich anfangen: »Zu meiner Zeit.«

Die ergiebigste Quelle aber für Novellisten unserer Art sind Frauen, die das fünfundsechzigste hinter sich haben. Die Welt nennt Medisance, was eigentlich nur eine treffliche Weise zu erzählen ist: junge Mädchen von sechzehn, achtzehn pflegen mit solchen Frauen gut zu stehen und sich wohl in acht zu nehmen, daß sie ihnen keine Blöße geben, die sie in den Mund der alten Novellistinnen bringen könnte; Frauen von dreißig und ihre Hausfreunde gehen lieber eine Ecke weiter, um nicht ihren Gesichtskreis zu passieren, oder wenn sie der Zufall mit der Jugendfreundin ihrer seligen Großmutter zusammenführt, pflegen sie das gute Aussehen der Alten zu preisen und hören geduldig ein beißendes Lob der alten Zeiten an, das regelmäßig ein sanftes Exordium, drei Teile über Hauswesen, Kleidung und Kinderzucht, eine Nutzanwendung, nebst einem frommen Amen enthält. Solche ältere Frauen pflegen gegen jüngere Männer, die ihnen einige Aufmerksamkeit schenken, einen gewissen geheimnisvoll-zutraulichen Ton anzunehmen. Sie haben für junge Mädchen und schöne Frauen, die jetzt dieselbe Stufe in der Gesellschaft bekleiden, welche sie einst selbst behauptet hatten, feine und bezeichnende Spitznamen, und erzählen den Herren, die ihnen ein Ohr leihen, allerlei »kuriose Sachen« von dem »Eichhörnlein und seiner Mutter«, auch, »wie es in diesem oder jenem Haus zugeht«, »galante Abenteuer von jenem ältlichen, gesetzten Herrn, der nicht immer so gewesen«, und sind sie nur erst in dem abenteuerlichen Gebiet geheimer Hofgeschichten und schlechter Ehen, so spinnen sie mit zitternder Stimme, feinem Lächeln und den teuersten Versicherungen Geschichten aus, die man (natürlich mit veränderten Namen) sogleich in jeden Almanach könnte drucken lassen.

Niemand weiß so trefflich wie sie das Kostüm, das Gespräch, die Sitten »vor fünfzig Jahren« wiederzugeben; ich glaubte einst bei einer solchen Unterhaltung die Reifröcke rauschen, die hohen Stelzschuhe klappern, die französischen Brocken schnurren zu hören, die ganze Erzählung roch nach Ambra und Puder, wie die alten Damen selbst. Und so frisch und lebhaft ist ihr Gedächtnis und Mienenspiel, daß ich einmal, als mir eine dieser Damen von einer längst verstorbenen Frau Ministerin erzählte und ihren Gang und ihren schnarrenden Ton nachahmte, unwillkürlich mich erinnerte, daß ich diese Frau als Kind gekannt, daß sie mir mit derselben schnarrenden Stimme ein Zuckerbrot geschenkt habe. Mehrere Novellen, die ich aufgeschrieben, beziehen sich auf geheime Familiengeschichten oder sonderbare, abenteuerliche Vorfälle, deren wahre Ursachen wenig ins Publikum kamen, und ich kann versichern, daß ich sie alle teils in Berlin, teils in Hannover, Kassel, Karlsruhe, selbst in Dresden eben von solchen alten Frauen, den Chroniken ihrer Umgebung, gehört und oft wörtlich wiedererzählt habe.

Nur so ist es möglich, daß wir, auch ohne jenen Schlüssel zum Feenreich, gegenwärtig in Deutschland eine so bedeutende Menge Novellen zutage fördern. Die »wundervolle Märchenwelt« findet kein empfängliches Publikum mehr, die lyrische Poesie scheint nur noch von wenigen geheiligten Lippen tönen zu wollen und vom alten Drama sind uns, sagt man, nur die Dramaturgen geblieben. In einer solchen miserablen Zeit, Verehrter! ist die Novelle ein ganz bequemes Ding. Den Titel haben wir, wie eine Maske, von den großen Novellisten entlehnt, und Gott und seine lieben Kritiker mögen wissen, ob die nachstehenden Geschichten wirkliche und gerechte Novellen sind.

Ich habe, mein werter Herr! dies alles gesagt, um Ihnen darzutun, wie ich eigentlich dazu kam, Novellen zu schreiben, wie man beim Novellenschreiben zu Werk gehe, und – daß alles getreue Wahrheit sei, wenn auch keine poetische, was ich niedergeschrieben. Sie werden sich noch der guten Frau von Welkerlohn erinnern, die immer ein Kleid von verblichenem gelbem Sammet trug, das nur eine weiche Fortsetzung ihrer harten, gelben Züge schien? Von ihr habe ich die Geschichte: »Othello« betitelt. Sie war viel zu diskret, um Namen und die Residenz zu nennen, wo diese sonderbaren Szenen vorfielen, aber wenn ich bedenke, daß sie zur selben Zeit Hofdame in Scheerau war, als Jean Paul dort lebte, so kann ich nicht anders glauben, als die Geschichte sei an jenem Hofe vorgefallen. Die zweite Novelle habe ich aus dem Mund der alten Gräfin Nelkenroth; man hält sie allgemein für eine böse Frau, aber ich kann versichern, daß ich sie über Josephens Schicksal Tränen vergießen sah; man will zwar behaupten, daß sie oft in Gesellschaft weinerliche Geschichten erzähle, weil ihr vor 20 Jahren ein Maler versicherte, sie habe etwas von einer »mater dolorosa«; aber soviel ist gewiß, daß sie mehrere Personen des Stücks gekannt haben will, und die Frau, bei welcher Herr v. Proben in S. gewohnt hat, erzählte mir manche Sonderbarkeiten von ihm. Ich und viele Leute in S., welchen ich die Geschichte wiedererzählte, gaben sich vergebliche Mühe über Herrn v. Proben und die Personen, mit welchen er in Berührung kam, etwas Näheres zu erfragen. Wir erfuhren nur, daß das »Bild der Dame« nach dem Gemälde in der Boisseréeschen Galerie von Strixner lithographiert worden sei. In Ostende, wo ich durch mehrere Briefe nachforschte, konnte ich nichts erfahren, als daß allerdings ein englisches Schiff, die »Luna«, Kapitän Wardwood, im August Passagiere nach Portugal an Bord genommen habe, und daß sich im Register des Hafendirektors ein »Don Pedro de Montanjo«, nebst Nichte und Dienerschaft befinde. Am Rhein, wo ich mich nach Herrn von Faltner und seiner Familie erkundigte, und erzählte, warum ich nachfrage, erklärte man mir alles für Erfindung, denn es gebe am ganzen Rhein hinab nur gesittete Landwirte, die mit ihren Frauen wie die Engel im Himmel leben.

Sie sehen, ich habe keine Mühe gescheut, die Geschichten, die ich erzähle, so glaubwürdig als möglich zu machen. Es gibt freilich Leute, die mir, dieser historischen Wahrheit wegen, gram sind, und behaupten, der echte Dichter müsse keine Straße, keine Stadt, keine bekannten Namen und Gegenstände nennen, alles und jedes müsse rein erdichtet sein, nicht durch äußern Schmuck, sondern von innen Wahrheit gewinnen, und wie Mahomeds Sarg, müsse es in der schönen, lieben, blauen Luft zwischen Himmel und Erde schweben. Andere halten es vielleicht auch für »eine rechtswidrige Täuschung des Publikums«, und können mich darüber belangen wollen, daß ich behaupte, dies und jenes habe sich da und dort zugetragen, und ich könne doch keine stadtgerichtlichen Zeugnisse beibringen. Aber ist denn hier von echter Poesie, von echten Dichtern die Rede? Man lege doch nicht an die Erzählungen einiger alten Damen diesen erhabenen Maßstab! Goethe erzählt in »Dichtung und Wahrheit«, er habe in der Frankfurter Stadtmauer eine Türe und einen wunderschönen Garten gesehen. Noch heute laufen alle Fremde hin (ich selbst war dort) und beschauen die Mauer und wundern sich, daß man nicht wenigstens die Reparatur schauen könne, wenngleich das Loch nur geträumt und nie in der Mauer war. Solchen poetischen Frevel gegen ein gesetztes Publikum mag man einem Goethe vorrücken, armen Menschen ohne den Kammerherrenschlüssel der Poesie, der die Mauern aufschließt, wenn sie auch keine Türen haben, muß man solche Freiheiten zugut halten.

Darum lesen Sie, verehrter Herr! diese Geschichten, so abenteuerlich sie sein mögen, als reine, treue Wahrheit; es wird Sie weniger ärgern, als wenn Sie Dichtungen vor sich zu haben meinten, und Ihr scharfes Auge ein wirres Gewebe unwahrscheinlicher Lügen fände.

W. H.


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