Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Das Gemach war klein, die Geräte gehörten einer früheren Zeit an, aber dennoch war alles so freundlich und geschmackvoll geordnet, daß Rantow, nachdem er die Aussicht geprüft, die nächsten Umgebungen gemustert, und alles recht genau angesehen hatte, dieses Zimmer für das schönste im Schloß erklärte. Nur eine breite Kiste, von schlechtem Holz zusammengezimmert, die auf einer Kommode stand, schien ihm nicht mit den übrigen Gerätschaften zu harmonieren. So ungerne er die beiden Liebenden, die, anscheinend in die Aussicht auf das Tal hinab vertieft, eifrig zusammen flüsterten, stören mochte, so war doch seine Neugierde, zu wissen, was der geheimnisvolle Schrank verberge, zu groß, als daß er nicht seine Base darüber befragt hätte.
»Bald hätte ich das Beste vergessen!« rief sie aus; »das Bild für Ihren Vater ist heute angekommen, Robert; ich habe es hieher gestellt, weil mein Vater nie hieher kömmt und weil ich es doch auch betrachten wollte.« Sie rückte unter diesen Worten den Deckel des Schranks, Willi half ihn herabnehmen, und das Bild eines Reiters, der auf einem wilden Pferd eine Anhöhe hinansprengt, wurde sichtbar.
»Buonaparte!« rief Rantow, als ihm die kühnen, geistvollen Züge auf der Leinwand entgegensprangen.
»Erkennst du ihn?« fragte Anna lächelnd. »Das war der Sieger von Italien!«
»Ich hätte nicht geglaubt, daß die Kopie so gut gelingen könnte«, bemerkte Willi; »aber wahrlich, David war ein großer Maler. Wie edel ist diese Gestalt gehalten, wie glücklich der Einfall, diesen hochstrebenden Mann nicht in der gebietenden Stellung eines Obergenerals, sondern in einer Kraftäußerung aufzufassen, die einen mächtigen Willen, und doch eine so erhabene Ruhe in sich schließt.«
»Ich kenne das Original«, sagte Rantow, »es ist in der Galerie zu Berlin aufgestellt, und ich finde diese Kopie trefflich; für Liebhaber des Gegenstandes, worunter ich nicht gehöre, gewinnt dieses Gemälde um so höheres Interesse, als die Idee dazu von Napoleon selbst ausging. Man sagt, David habe ihn malen wollen als Helden, den Degen in der Hand, auf dem Schlachtfelde; Buonaparte aber erwiderte die merkwürdigen Worte: ›Nein! mit dem Degen gewinnt man keine Schlachten; ich will ruhig gemalt sein – auf einem wilden Pferde.‹«
»Dank dir für diese Anekdote«, erwiderte Anna, »sie macht mir das Bild um so lieber, und nicht wahr, Robert«, setzte sie hinzu – »auch dein Vater soll durch seine Originalität nur noch mehr erfreut werden.«
»Anna!« unterbrach die Beschauenden eine dumpfe, wohlbekannte Stimme. Sie sahen sich um, der alte Thierberg, auf seinen Diener gestützt, stand mit hochrotem, zürnendem Gesicht und zitternd vor ihnen; der General, welcher seitwärts stand, schien verlegen und ängstlich. Aber so schnell war dieser Schreck, so groß die Furcht Annas vor ihrem Vater, und so furchtbar sein Anblick, daß sie zu schwanken anfing, und hätte der General sie nicht unterstützt, sie wäre in die Kniee gesunken.
»Sind das die gerühmten Sitten Ihres Herrn Sohnes«, wandte sich der Alte bitter lachend zu dem General, indem er bald den Sohn, bald den Vater ansah; »heißt das, wie Sie mir vorzumalen suchten, sich in den zartesten Grenzen des Anstandes halten? Herr! wie kommen Sie dazu, mit meiner Tochter allein auf ihrem Zimmer zu sein.«
»Oncle –« rief Rantow, um ihn zu belehren.
»Schweig, Bursche!« antwortete ihm der zürnende Alte, indem er immer den jungen Willi mit glühenden Blicken ansah.
»Ich denke«, erwiderte dieser ruhig und mit stolzer Fassung, »die Erziehung Ihrer Tochter und Annas Sitten müßten Ihnen Bürge sein, daß ein Mann, selbst wenn er allein käme, sie besuchen dürfte, vorausgesetzt, sie will ihn empfangen, und über den letzteren Punkt steht nach allen Gesetzen der guten Sitte der jungen Dame selbst, nicht aber Ihnen, Herr von Thierberg, die Entscheidung zu.«
Diese Worte schienen seinen Eifer noch mehr zu entflammen, er atmete tief auf, aber in diesem Augenblick trat sein Neffe mutig dazwischen und redete ihn auf eine Weise an, die, wie ihn sein kurzer Aufenthalt bei den Thierbergs gelehrt hatte, die Wirkung nicht verfehlen konnte. »Herr von Thierberg«, rief er bestimmt und mit ernster Miene, »Sie haben mir vorhin zu schweigen geboten, ich werde aber nicht schweigen, wenn man meiner Ehre zu nahe tritt; ich bin es gewesen, der Herrn von Willi hieher führte, ich bin es gewesen, der ihn hier unterhielt, und er hat mich hieher begleitet, weil ich ihn darum gebeten habe.«
»Du warst zugegen?« fragte der Oheim mit etwas gemilderter Stimme. »Aber, was Teufel geht dich das Zimmer meiner Tochter an? was hattest du hier zu suchen?«
Mit einer theatralischen Wendung und sprechender Miene wandte sich der Neffe gegen die Hinterwand des Zimmers, deutete mit dem ausgestreckten Arm hin und sprach: »Hier steht, was ich suchte.«
Der Alte trat mit schnelleren Schritten, als seine Krankheit erlaubte, näher. Er betrachtete das Bild und blieb mit einem Ausruf des Erstaunens stehen; seine trotzige Miene klärte sich auf, seine Stirn entfaltete sich, sein blitzendes Auge schimmerte nur noch von Rührung und Freude. »Gott im Himmel!« rief er aus, indem er das Mützchen abnahm, das er beständig trug. »Wer hat mir das getan, woher, woher habt ihr ihn? Wer hat ihn meinen Gedanken nachgebildet, wer hat mir diese Züge, diese Augen hier, hier aus meinem Herzen herausgestohlen?«
Die Männer sahen sich staunend an, betreten richtete sich Anna auf und trat näher, denn sie besorgte, ihr alter Vater rede irre. »Wer hat dies Bild hieher gestellt?« fragte er nach einer Pause, indem er sich umwandte, und alle sahen Tränen in seinen Augen glänzen.
»Ich, mein Vater«, sagte Anna zögernd.
»O du gutes Kind!« fuhr er fort, indem er sie in seine Arme schloß, »wie Unrecht habe ich dir vorhin getan! Als ich in dieses Zimmer trat, glaubte ich, du habest mich tief gekränkt und doch hast du mich so unendlich erfreut! – Kennst du ihn, Hanns?« wandte er sich an seinen Diener, »kennst du ihn nicht wieder?«
»Gott straf mich – er ist's!« erwiderte der alte Reitknecht.
»Solche schreckliche Augen machte er gegen die fünf Buschklepper, die uns auszogen, o das war ein braver Herr!«
Die, welche den Herrn und seinen Diener so sprechen hörten, konnten sich von ihrem Staunen kaum erholen, sie sahen sich lächelnd an, als ahnen sie eine sonderbare Fügung des Geschicks, als sei ein schweres Gewitter segnend über ihnen hinweggezogen. Der General aber, der bald Anna, bald das Bild mit blitzenden Augen betrachtet hatte, trat näher heran und fragte den alten Thierberg, wen er denn in diesem Bilde wiedererkenne?
»Das ist derselbe treffliche Kapitän«, antwortete er, »der mich am Fuß des St. Bernhard aus der Gewalt ruchloser Soldaten errettete; wie? er ist derselbe, von welchem ich Ihnen so oft erzählte; das Muster eines braven Mannes, eines gebildeten und klugen Soldaten.«
»Nun, so bitte ich Sie«, fuhr der General mit inniger Rührung fort, indem auch ihm eine Träne im Auge schwamm, »ich bitte Sie im Namen dieses Mannes, den ich auch kannte, Sie mögen ihm vergeben, wenn er nachher anders handelte, als Sie damals dachten!«
»Wie? Sie haben ihn gekannt?« rief der Alte dringend, indem er die Hand des Generals faßte, »wer war er, wie heißt er, lebt er noch?«
»Er ist tot – seinen Namen kannte die Welt – dieser Mann hier ist –«
»Nun?« drängte der Alte den General, dem die Stimme zu brechen schien. – »Wer? doch nicht –«
»Dieser Mann«, rief der General mit einem feurigen Blick auf das Gemälde, »dieser Mann war – Napoleon Buonaparte, der Kaiser der Franzosen.«
Der Alte setzte seine Mütze auf; er drückte die Augen zu und in seinem Gesichte kämpfte Unmut mit Rührung. Doch als er nach einer Weile das Bild wieder ansah, schien er es nicht über sich zu vermögen, dem stolzen Reiter gram zu werden; »Du also?« sprach er zu ihm, »du warst dieser – kühne Mann? Das war also deine Meinung? Du hast mir mein Kleid, meinen Hut und meine Börse zurückgegeben, um mir nachher mein alles zu rauben?«
»Vater«, sagte Anna schmeichelnd, »wie glücklich waren Sie aber dennoch! Der erste Mann des Jahrhunderts hat so traulich zu Ihnen gesprochen.«
»Ja, das haben wir«, erwiderte der Alte lächelnd und nicht ohne Stolz, »recht freundlich haben wir uns unterhalten, ich und er, und er schien Gefallen an mir zu finden. Ich habe nicht gehört, daß der erste Konsul sich je gegen einen so offen ausgesprochen hätte, wie damals gegen mich; ›Frankreich wird nicht mehr lange ohne König sein‹, waren seine eigenen Worte; du hast es erfüllt, kleiner Schelm! – Ha! und geradeso sah er aus, so warf er noch einmal den stolzen Kopf herüber, als er sein Roß den Berg hinantrieb und die Feldmusik des Regimentes herüberklang. General Willi – es war doch ein großer Geist!«
»Gewiß!« sagte der General freudig gerührt, indem er dem Alten die Hand drückte. »Aber, wie kam nur dies Bild hieher zu Ihnen, Anna?«
»Darf ich es verschweigen, Robert?« antwortete sie; »nein, er hat es ja doch schon gesehen. Ihr Sohn wollte Sie an Ihrem Geburtstag damit überraschen, und ich erlaubte, daß das Bild einstweilen hier aufgestellt würde.«
Der alte Thierberg hatte aufmerksam zugehört; er schien überrascht und ging auf den jungen Willi zu, dem er seine Hand bot. »Junger Mann«, sagte er, »ich habe Ihnen vorhin bitter Unrecht getan, ich sehe jetzt, daß Sie ein schönerer Zweck auf dieses Zimmer führte, als ich anfangs dachte; werden Sie mir meine übereilten Worte, meine Hitze vergeben?«
Robert errötete. »Gewiß, Herr von Thierberg«, antwortete er, »und wenn Sie noch zehnmal heftiger gewesen wären, so konnten Sie mich zwar kränken, aber niemals beleidigen; es ist hier nichts zu vergeben.«
»Wirklich?« erwiderte der alte Herr sehr freundlich, »und, wenn ich fragen darf – wo haben Sie das Bild gekauft? Könnte man nicht sich auch ein Exemplar verschaffen? Ich möchte doch den grand capitaine, meinen Kapitän in meinem Zimmer haben.«
»Wie ich meinen Vater kenne«, sagte der junge Mann, »so wird er dieses Bild vielleicht noch lieber in Ihrem Hause, als in dem seinigen sehen. Ich bitte, erlauben Sie, daß ich es dort aufhänge.«
»Sie machen mir ein großes Geschenk, lieber Robert«, sagte Thierberg; »wohin ist es mit unsern Gesinnungen gekommen? Ich glaube, wir denken im Grunde gleich über diesen Buonaparte, und doch sind Sie es, der mir ihn anbietet, und mir macht es Freude, ihn anzunehmen. Ich habe wenige Bilder, aber einige alte, gute; suchen Sie sich etwas aus, nehmen Sie dafür aus meinem Schloß, was Sie wollen.«
»Halt!« rief der General, »bei diesem Handel bin ich auch beteiligt; ich kenne den unglücklichen Geschmack meines Sohnes und weiß, wie wenig er auf alte Bilder hält; wollen Sie ihm nicht ein jüngeres dafür geben? Thierberg, vor diesem Bilde, das nun auch für Sie von Bedeutung ist, wiederhole ich meine Werbung. Ihre Anna um diesen Napoleon.«
Der alte Herr war betreten, er warf verlegene Blicke auf die Umstehenden, endlich haftete sein Auge auf Davids Gemälde. »Du hast viel verschuldet«, sprach er, »Europas alte Ordnung hast du umgeworfen, und nun nach deinem Tode willst du dich in meine Haushaltung mischen?«
»Herr Baron!« sagte der alte Hanns mit gerührter Stimme, »nehmen Sie es einem alten Diener nicht ungnädig auf, aber wissen Sie noch, was Sie zu dem braven Kapitän sagten, und was Sie mir oft erzählt haben? Monsieur, haben Sie gesagt, wenn Sie einst durch Schwaben kommen und in unsere Gegend, so vergessen Sie nicht auf Thierberg einzusprechen, daß Sie mich nicht zu Ihrem ewigen Schuldner machen.«
Herr von Thierberg aber strich sich nachdenklich mit der Hand über die Stirne, warf noch einen zögernden Blick auf das Bild, und führte dann Anna zu Robert Willi. »Nimm sie hin!« sagte er fest und ernst. »Ich habe es nicht tun wollen, aber vielleicht war es gut, daß dies alles so kommen mußte; nimm sie hin!«
Mit großer Rührung umarmte der General den alten Mann, und indem Robert überrascht und selig seine Braut, wir wissen nicht ob zum erstenmal an seine Lippen drückte, schüttelte der Gast aus der Mark, um nicht ganz teilnahmlos zu erscheinen, dem alten Diener herzlich die Hand. Albert hat nachher erzählt, daß er in jenem feierlichen Augenblick, trotz seines inneren Widerstrebens, gut Napoleonisch gesinnt gewesen sei, und zum erstenmal in seinem Leben jene Macht und Überlegenheit gefühlt und anerkannt habe, die jener große Geist auf die Gemüter zu üben pflegte.
Er erzählte auch, daß der alte Thierberg jenen sonderbaren Tausch niemals bereut habe; er fand in seinem Schwiegersohne Eigenschaften, die er ihm nie zugetraut hatte, und als er ihn bei der Verwaltung der Güter seines Vaters mit Rat und Tat unterstützte, lebte er im Glücke seiner Kinder die Tage seiner eigenen Jugend wieder.
Von der Hochzeit des jungen Paares sprach der Gast aus der Mark nicht gerne, man sah ihm an, daß er lieber selbst mit der liebenswürdigen Anna vor den Altar getreten wäre. Einen Zug aber aus diesem glänzenden Tag pflegte er bei Wiederholung dieser Geschichte nie zu vergessen, vielleicht nur um jene schwärmerischen Anhänger Napoleons und seinen neubekehrten Oheim ins Komische zu ziehen. Der alte Gardist des Generals, erzählte er, habe alle Domestiken und einige junge Burschen zum Vivatschreien abgerichtet, und die schöne Braut mit ins Geheimnis gezogen; er habe seine Leute unter die Türen des großen Saales im Schlosse Thierberg gestellt, und als nun mancher Toast ausgebracht war, sei auch Anna mit dem Kelchglas aufgestanden, und habe mit ihrer süßen Stimme »dem Bild des Kaisers« die Ehre eines Toasts gegeben. Da wurde der Jubel rauschend, die Gäste stießen an, Hanns und der Gardist schwangen zum Zeichen ihre Mützen, und wohl aus fünfzig Kehlen schallte ein jauchzendes: »Vive l'Empereur!«