Wilhelm Hauff
Novellen
Wilhelm Hauff

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3

»So habe ich doch recht gesehen?« rief der Graf, »mein Major, mein tapferer Major! wie lebt alles wieder in mir auf! ich werfe diese unglücklichen dreizehn Jahre von mir; ich bin der frohe Lancier wie sonst! vive Poniatowsky, vive l'emp –«

»Um Gottes willen, Graf!« fiel ihm der Fremde in das Wort; »bedenken Sie, wo Sie sind. Und warum diese Schatten heraufbeschwören? sie sind hinab mit ihrer Zeit, lasset die Toten ruhen.«

»Ruhen?« entgegnete jener; »das ist ja gerade, was ich nicht kann; o daß ich unter jenen Toten wäre, wie sanft, wie geduldig wollte ich ruhen. Sie schlafen, meine tapfern Polen, und keine Stimme, wie mächtig sie auch rufe, schreckt sie auf. Warum darf ich allein nicht rasten?«

Ein düsteres, unstetes Feuer brannte in den Augen des schönen Mannes; seine Lippen schlossen sich schmerzlich; sein Freund betrachtete ihn mit besorgter Teilnahme, er sah hier nicht mehr den fröhlichen, heldenmütigen Jüngling, wie er ihn an der Spitze des Regimentes in den Tages des Glückes gesehen; das zutrauliche, gewinnende Lächeln, das ihn sonst so angezogen, war einem grämlichen, bittern Zuge gewichen, das Auge, das sonst voll stolzer Zuversicht, voll freudigen Mutes, frei und offen um sich blickte, schien mißtrauisch jeden Gegenstand prüfen, durchbohren zu wollen, das matte Rot, das seine Wangen bedeckte, war nur der Abglanz jener Jugendblüte, die ihm in den Salons von Paris den Namen des schönen Polen erworben hatte, und dennoch, auch nach dieser großen Veränderung, welche Zeit und Unglück hervorgebracht hatten, mußte man gestehen, daß Prinzessin Sophie sehr zu entschuldigen sei.

»Sie sehen mich an, Major?« sagte jener nach einigem Stillschweigen, »Sie betrachten mich, als wollten Sie die alten Zeiten aus meinen Zügen herausfinden? Geben Sie sich nicht vergebliche Mühe; es ist so manches anders geworden, sollte nicht der Mensch mit dem Geschick sich ändern?«

»Ich finde Sie nicht sehr verändert«, erwiderte der Fremde, »ich erkannte Sie bei dem ersten Anblick wieder. Aber eines finde ich nicht mehr wie früher, aus diesen Augen ist ein gewisses Zutrauen verschwunden, das mich sonst so oft beglückte. Alexander Zronievsky scheint mir nicht mehr zu trauen. Und doch«, setzte er lächelnd hinzu, »und dennoch war mein Geist immer bei ihm, ich weiß sogar die tiefsten Gedanken seines Herzens.«

»Meines armen Herzens!« entgegnete der Graf wehmütig; »ich wüßte kaum, ob ich noch ein Herz habe, wenn es nicht manchmal vor Unmut pochte! Welche Gedanken wollen Sie aufgespürt haben, als die unwandelbare Freundschaft für Sie, Major? Schelten Sie nicht mein Auge, weil es nicht mehr fröhlich ist; ich habe mich in mich selbst zurückgezogen, ich habe mein Vertrauen in meine Rechte gelegt, ihr Druck wird Ihnen sagen, daß ich noch immer der alte bin.«

»Ich danke; aber wie, ich sollte mich nicht auf die Gedanken Ihres Herzens verstehen? Sie sagen, es pocht nur vor Unmut; was hat denn ein gewisses Fürstenkind getan, daß Ihr Herz so gar unmutig pocht?«

Der Graf erblaßte; er preßte des Fremden Hand fest in der seinigen: »Um Gottes willen, schweigen Sie; nie mehr eine Silbe über diesen Punkt! Ich weiß, ich verstehe, was Sie meinen, ich will sogar zugeben, daß Sie recht gesehen haben; der Teufel hat Ihre Augen gemacht, Major! Doch warum bitte ich einen Ehrenmann, wie Sie, zu schweigen? Es hat noch keiner vom achten Regiment seinen Kameraden verraten.«

»Sie haben recht, und kein Wort mehr darüber; doch nur dies eine noch; vom achten verratet keiner den Kameraden, ob aber der gute Kamerad sich selber nicht verrät?«

»Kommen Sie hier in diese Treppe«, flüsterte der Graf, denn es nahten sich mehrere Personen; »Jesus Maria, sollte außer Ihnen jemand etwas ahnen?«

»Wenn Sie Vertrauen um Vertrauen geben werden, wohlan so will ich beichten.«

»O foltern Sie mich nicht, Major! Ich will nachher sagen, was Sie haben wollen, nur geschwind, ob jemand außer Ihnen –«

Der Major von Larun erzählte, er sei heute in dieser Stadt angekommen, seine Depeschen seien bei dem Gesandten bald in Richtigkeit gewesen, man habe ihn in die Oper mitgenommen, und dort, wie er entzückt die Prinzessin aus der Ferne betrachtet, habe ihm die Gesandtin gesagt, daß Sophie in ein Verhältnis unter ihrem Stande verwickelt sei. »Sie traten ein in die fürstliche Loge, ein Blick überzeugte mich, daß niemand als Sie der Geliebte sein können.«

»Und die Gesandtin?« rief der Graf mit zitternder Stimme.

»Sie hat es bestätigt. Wenn ich nicht irre, sprach sie auch von einer Oberhofmarschallin, von welcher sie die Nachricht habe.«

Der Graf schwieg, einige Minuten vor sich hin starrend; er schien mit sich zu ringen, er blickte einige Male den Fremden scheu von der Seite an – »Major!« sprach er endlich mit klangloser, matter Stimme; »können Sie mir hundert Napoleon leihen?«

Der Major war überrascht von dieser Frage; er hatte erwartet, sein Freund werde etwas weniges über sein Unglück jammern, wie bei dergleichen Szenen gebräuchlich, er konnte sich daher nicht gleich in diese Frage finden, und sah den Grafen staunend an.

»Ich bin ein Flüchtling«, fuhr dieser fort; »ich glaubte endlich eine stille Stätte gefunden zu haben, wo ich ein klein wenig rasten könnte, da muß ich lieben – muß geliebt werden, Major, wie geliebt werden!« Er hatte Tränen in den Augen, doch er bezwang sich und fuhr mit fester Stimme fort: »Es ist eine sonderbare Bitte, die ich hier nach so langem Wiedersehen an Sie tue, doch ich erröte nicht zu bitten. Kamerad, gedenken Sie des letzten ruhmvollen Tages im Norden, gedenken Sie des Tages von Mosjaisk?«

»Ich gedenke!« sagte der Fremde, indem sein Auge glänzte, und seine Wangen sich höher färbten.

»Und gedenken Sie, wie die russische Batterie an der Redoute auffuhr, wie ihre Kartätschen in unsere Reihen sausten und der Verräter Piolzky zum Rückzug blasen ließ?«

»Ha!« fiel der Fremde mit dröhnender Stimme ein, »und wie Sie ihn herabschossen, Oberst, daß er keine Ader mehr zuckte, wie die Husaren rechts abschwenkten, wie Sie ›Vorwärts!‹ riefen, ›vorwärts Lanciers vom achten‹, und die Kanonen in fünf Minuten unser waren!« –

»Gedenken Sie?« flüsterte der Graf mit Wehmut; »wohlan! ich kommandiere wieder vor der Front. Es gilt einen Kameraden herauszuhauen, werdet Ihr ihn retten? En avant, Major! vorwärts tapfrer Lancier, wirst du ihn retten, Kamerad?«

»Ich will ihn retten«, rief der Freund, und der Graf Zronievsky schlug seinen Arm um ihn, preßte ihn heftig an seine Brust und eilte dann von ihm weg, den Korridor entlang.


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