Wilhelm Hauff
Novellen
Wilhelm Hauff

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

32

Sie nahte auf den Zehenspitzen. Er sah, wie auf ihrem Gesicht ein höheres Rot aufstieg, als sie näher trat. Sie betrachtete den Schläfer lange; sie seufzte tief und schien Tränen abzutrocknen. Dann trat sie nahe heran; sie beugte sich über ihn herab, ihr Atem berührte ihn wie ein Himmelsbote, der die Nähe ihrer süßen Lippen ansagte, sie senkte sich tiefer und ihr Mund legte sich auf den seinigen so sanft wie das Morgenrot sich auf den Hügel senkt.

Da hielt er sich nicht länger; schnell schlang er seinen Arm um ihren Leib und mit einem kurzen Angstschrei sank sie in die Knie. Er sprang erschrocken auf, er glaubte sie ohnmächtig, aber sie war nur sprachlos und zitterte heftig; er hob sie auf, er zog sie, erfüllt von der Wonne des Wiedersehens, an seine Seite auf die Bank nieder, er bedeckte ihren Mund mit glühenden Küssen, er drückte sie fest an sich: »Oh, so habe ich dich wieder, endlich, endlich wieder, du geliebtes Wesen!« rief er; »du bist kein Trugbild, du lebst, ich halte dich in meinen Armen wie damals und liebe dich wie damals und bin glücklich, selig, denn du liebst ja auch mich!« Eine hohe Glut bedeckte ihre Wangen, sie sprach nicht, sie suchte vergebens sich aus seinen Armen zu winden. »Nein, jetzt lasse ich dich nicht mehr«, sprach er, und Tränen, Tränen des Glücks hingen in seinen Wimpern; »jetzt halte ich dich fest und keine Welt darf dich von mir reißen. Und komm, hinweg mit dieser neidischen Maske, ganz will ich dein schönes Antlitz schauen, ach, es lebte ja immer in meinen Träumen!« Sie schien mit der letzten Kraft seine Hand von der Halbmaske abhalten zu wollen, sie atmete schwer, sie rang mit ihm, aber die trunkene Lust des jungen Mannes, nach so langer Entbehrung sich so unaussprechlich glücklich zu wissen, gewährte ihm einen leichten Sieg. Er hielt ihre Arme mit der einen Hand, zitternd stieß er mit der andern den Hut zurück, band die Maske los und erblickte – die Gattin seines Freundes.

»Josephe!« rief er, wie in einen Abgrund niedergeschmettert, und seine Gedanken drehten sich im Ringe, »Josephe?«

Bleich, erstarrt, tränenlos saß sie neben ihm und sagte wehmütig lächelnd: »Ja, Josephe.«

»Sie haben mich also getäuscht?« sagte er bitter, indem alle Hoffnung, alle Seligkeit des vorigen Augenblicks an ihm vorüberflog; »o dieses Possenspiel konnten Sie uns ersparen. Doch«, fuhr er fort, indem ein Gedanke ihn durchblitzte; »um Gottes willen, wo haben Sie den Ring her, woher das Tuch?«

Sie errötete von neuem, sie brach in Tränen aus, sie verbarg ihr Haupt an seiner Brust. »Nein«, rief er, »Antwort muß ich haben; es ist mein Ring, das Tuch – ich beschwöre Sie, wie kam beides in Ihre Hände, woher haben Sie den Ring?«

»Von dir!« flüsterte sie, indem sie sich beschämt fester an ihn drückte.

Da fiel ein Lichtstrahl in Fröbens Seele; noch blendete ihn dies zu helle Licht, aber er hob sanft ihr Haupt in die Höhe und sah sie an mit Blicken voll Verwunderung und Liebe. »Du bist es? träume ich denn wieder?« sprach er, nachdem er sie lange angeblickt; »sagtest du nicht, du seiest mein süßes Mädchen? O Gott, welcher Schleier lag denn auf meinen Augen? ja, das sind ja deine holden Wangen, das ist ja dein reizender Mund, der mich heute nicht zum erstenmal küßte!«

Eine hohe Glut bedeckte ihre Wangen. Sie sah ihn voll Wonne und Entzücken an. »Was wäre aus mir geworden, ohne dich, du edler Mann«, rief sie, indem sich in Tränen der Schimmer ihrer Augen brach; »ich bringe dir den Segen meiner guten Mutter, du hast ihre letzten Tage leicht gemacht und die Decke des Elends gelüftet, die so schwer auf ihrer kranken Brust lag. Oh! wie kann ich dir danken? was wäre ich geworden ohne dich! Doch –« fuhr sie fort, indem sie mit ihren Händen das Gesicht bedeckte, »was bin ich denn geworden? das Weib eines andern, deines Freundes Weib!«

Er sah, wie ein unendlicher Schmerz ihren Busen hob und senkte, wie durch die zarten Finger ihre Tränen gleich Quellen herabrieselten. Er fühlte, wie innig sie ihn liebe, und kein Gedanke an einen Vorwurf, daß sie einem andern als ihm gehören könnte, kam in seine Seele. »Es ist so«, sagte er traurig, indem er sie fester an sich drückte, als könne er sie dennoch nicht verlieren; »es ist so! wir wollen denken, es sollte so sein, es habe so kommen müssen, weil wir vielleicht zu glücklich gewesen wären. Doch in diesem Moment bist du mein, wirf alles von dir, alle Gedanken, alle Pflichten; denke, du kommst herüber über den Platz der Arzneischule und ich erwarte dich; o komm, umarme mich so wie damals, ach, nur noch ein einziges Mal!«

In Erinnerung verloren, hing sie an seinem Hals; hinter ihren düsteren Blicken schien der Gedanke an die Wirklichkeit sich zu verlieren; heller und heller, freundlicher und immer freundlicher schien die Erinnerung aufzutauchen; ein holdes Lächeln zog um ihren Mund und senkte sich auf ihren Wangen in zarte Grübchen. »Und kanntest du mich denn nicht?« fragte sie lächelnd; »Und du kanntest mich nicht?« fragte er, sie voll Zärtlichkeit betrachtend. »Ach!« antwortete sie, »ich hatte mir damals deine Züge recht abgelauscht und tief in mein Herz geschrieben, aber wahrlich, dich hätte ich nimmer erkannt. Es mochte wohl auch daher kommen, daß ich dich nur immer bei Nacht sah, in den Mantel gewickelt, den Hut tief in der Stirne, und wie konnt ich auch denken – Freilich, als du am ersten Abend Faldner zuriefst: ›Auf Wiedersehen‹, da kam mir der Ton so bekannt vor, als hätte ich ihn schon gehört; aber ich lachte mich immer selbst aus über die törichten Vermutungen. Nachher war es mir hie und da, als müßtest du der sein, den ich meinte; doch zweifelte ich immer wieder; aber als du am Sonntag nur erst Pont des Arts genannt hattest, da ging auf einmal eine eigene Sonne auf deinem Gesicht auf; du schienest ganz in Erinnerung zu leben und mit den ersten Worten ward es mir klar, daß du, du es bist! Aber freilich, mich konntest du nicht wiedererkennen, nicht wahr, ich bin recht bleich geworden?«

»Josephe«, erwiderte er; »wo waren meine Sinne? wo mein Auge, mein Ohr, daß ich dich nicht erkannte? Gleich bei deinem ersten Anblick flog ein freudiger Schreck durch meine Seele, du glichst so ganz jenem Bilde, das ich, durch einen wahrhaften Kreislauf der Dinge, als dir ähnlich gefunden und geliebt hatte; aber die Entdeckung über das Geschlecht deiner Mutter führte mich in eine Irrbahn; ich sah in dir nur noch die ähnliche Tochter der schönen Laura, und oft, während ich neben dir saß, streifte mein Geist ferne, weithin nach – dir!«

»O Gott!« rief Josephe, »ist es denn wahr, ist es möglich? kannst du mich denn noch lieben?«

»Ob ich es kann? – aber darf ich denn? Gott im Himmel, du heißt ja Frau von Faldner; sage mir nur um des Himmels willen, wie fügte sich dies alles? Wie hast du auch nicht ein einziges Mal mehr mich erwarten mögen?«


 << zurück weiter >>