Wilhelm Hauff
Novellen
Wilhelm Hauff

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6

Es gab Stunden, worin der Major sich durchaus nicht in den Grafen seinen alten Waffenbruder finden konnte. War er sonst fröhlich, lebhaft, von Witz und Laune strahlend, konnte er sonst die Gesellschaft durch treffende Anekdoten, durch Erzählungen aus seinem Leben unterhalten, wußte er sonst jeden, mochte er noch so gering sein, auf eine sinnige feine Weise zu verbinden, so daß er der Liebling aller, von vielen angebetet wurde; so war er in andern Momenten gerade das Gegenteil. Er fing an trocken und stumm zu werden, seine Augen senkten sich, sein Mund preßte sich ein. Nach und nach ward er finster, spielte mit seinen Fingern, antwortete mürrisch und ungestüm. Der Major hatte ihm schon abgemerkt, daß dies die Zeit war, wo er aus der Gesellschaft entfernt werden müsse, denn jetzt fehlten noch wenige Minuten so zog er mit leicht aufgeregter Empfindlichkeit jedes unschuldige Wort auf sich, und fing an zu wüten und zu rasen.

Der Major war viel um ihn, er hatte aus früherer Zeit eine gewisse Gewalt und Herrschaft über ihn, die er jetzt geltend machte, um ihn vor diesen Ausbrüchen der Leidenschaft in Gesellschaft zu bewahren, desto greulicher brachen sie in seinen Zimmern aus; er tobte, er fluchte in allen Sprachen, er klagte sich an, er weinte. »Bin ich nicht ein elender, verworfener Mensch?« sprach er einst in einem solchen Anfall; »meine Pflichten mit Füßen zu treten, die treueste Liebe von mir zu stoßen, ein Herz zu martern, das mir so innig anhängt! Leichtsinnig schweife ich in der Welt umher, habe mein Glück verscherzt, weil ich in meinem Unsinn glaubte ein Kościuszko zu sein, und bin nichts als ein Schwachkopf, den man wegwarf! Und so viele Liebe, diese Aufopferung, diese Treue so zu vergelten!«

Der Major nahm zu allerlei Trostmitteln seine Zuflucht. »Sie sagen ja selbst, daß die Prinzessin Sie zuerst geliebt hat; konnte sie je eine andere Liebe, eine andere Treue von Ihnen erwarten, als die, welche die Verhältnisse erlauben?«

»Ha, woran mahnen Sie mich!« rief der Unglückliche, »wie klagen mich Ihre Entschuldigungen selbst an! Auch sie, auch sie betört! Wie kindlich, wie unschuldig war sie, als ich Verruchter kam, als ich sie sah mit dem lieblichen Schmelz der Unschuld in den Augen! Da fing mein Leichtsinn wieder an; ich vergaß alle guten Vorsätze, ich vergaß, wem ich allein gehören dürfte; ich stürzte mich in einen Strudel von Lust, ich begrub mein Gewissen in Vergessenheit!« Er fing an zu weinen, die Erinnerung schien seine Wut zu besänftigen. »Und konnte ich«, flüsterte er, »konnte ich so von ihr gehen? Ich fühlte, ich sah es an jeder ihrer Bewegungen, ich las es in ihrem Auge, sie liebte mich; sollte ich fliehen, als ich sah, wie diese Morgenröte der Liebe in ihren Wangen aufging, wie der erste, leuchtende Strahl des Verständnisses aus ihrem Auge brach, auf mich niederfiel, mich aufzufordern schien, ihn zu erwidern?«

»Ich beklage Sie«, sprach der Freund, und drückte seine Hand; »wo lebt ein Mann, der so süßer Versuchung widerstanden wäre?«

»Und als ich ihr sagen durfte, wie ich sie verehre, als sie mir mit stolzer Freude gestand, wie sie mich liebe, als jenes traute, entzückende Spiel der Liebe begann, wo ein Blick, ein flüchtiger Druck der Hand mehr sagt, als Worte auszudrücken vermögen, wo man tagelang nur in der freudigen Erwartung eines Abends, einer Stunde, einer einsamen Minute lebte, wo man in der Erinnerung dieses seligen Augenblickes schwelgte, bis der Abend wieder erschien, bis ich aus dem Taumelkelch ihrer süßen Augen aufs neue Vergessenheit trank! Wie reich wußte sie zu geben, wieviel Liebe wußte sie in ein Wort, in einen Blick zu legen, und ich sollte fliehen?«

»Und wer verlangt dies«, sagte der Freund gerührt. »Es wäre grausam gewesen, eine so schöne Liebe, die alle Verhältnisse zum Opfer brachte, zurückzustoßen. Nur Vorsicht hätte ich gewünscht, ich denke, noch ist nicht alles verloren!«

Er schien nicht darauf zu hören; seine Tränen strömten heftiger, sein glänzendes Auge schien tiefer m die Vergangenheit zu tauchen. »Und als sie mir mit holdem Erröten sagte, wie ich zu ihr gelangen könne, als sie erlaubte, ihre fürstliche Stirne zu küssen, als der süße Mund, dessen Wünsche einem Volk Befehle waren, mein gehörte, und die Hoheit einer Fürstin unterging im traulichen Flüstern der Liebe – da, da sollte ich sie lassen?«

»Wie glücklich sind Sie! gerade in dem Geheimnis dieses Verhältnisses muß ein eigener Reiz liegen; und warum wollen Sie diese Liebe so tief verdammen? Fassen Sie sich. Das Urteil der Welt kann Ihnen gleichgültig sein, wenn Sie glücklich sind. Denn im ganzen trägt ja wahrhaftig dies Verhältnis nichts so Schwarzes, Schuldiges an sich, wie Sie es selbst sich vorstellen!«

Der Graf hatte ihm zugehört; seine Augen rollten, seine Wangen färbten sich dunkler, er knirschte mit den Zähnen; »Nicht so mild müssen Sie mich beurteilen«, sagte er mit dumpfer Stimme, »ich verdiene es nicht. Ich bin ein Frevler, vor dem Sie zurückschaudern sollten. Oh – daß ich Vergessenheit erkaufen könnte, daß ich Jahre auslöschen könnte aus meinem Gedächtnis. – Ich will vergessen, ich muß vergessen, ich werde wahnsinnig, wenn ich nicht vergesse; schaffen Sie Wein, Kamerad! ich will trinken, mich dürstet, es wütet eine Flamme in mir, ich will mein Gedächtnis, meine Schuld ersäufen.«

Der Major war ein besonnener Mann; er dachte ziemlich ruhig über diese verzweiflungsvollen Ausbrüche der Reue und Selbstanklage; »Er ist leichtsinnig, so habe ich ihn von jeher gekannt«, sagte er zu sich; »solche Menschen kommen leicht von einem Extrem ins andere. Er sieht jetzt große Schuld in seiner Liebe, weil sie der Geliebten in ihren Verhältnissen schaden kann, und im nächsten Augenblick berauscht ihn wieder die Wonne der Erinnerung.« Der Wein kam, der Major goß ein; der Graf stürzte schnell einige Gläser hinunter; er ging mit schnellen Schritten schweigend im Zimmer auf und nieder, blieb vor dem Freunde stehen, trank und ging wieder. Dieser mochte seine stillen Empfindungen nicht unterbrechen, er trank und beobachtete über das Glas hin aufmerksam die Mienen, die Bewegungen seines Freundes.

»Major!« rief dieser endlich, und warf sich auf den Stuhl nieder; »welches Gefühl halten Sie für das schrecklichste?«

Dieser schlürfte bedächtig den Wein in kleinen Zügen, er schien nachzusinnen, und sagte dann: »Ohne Zweifel, das, was das freudigste Gefühl gibt, muß auch das traurigste werden. – Ehre, gekränkte Ehre.«

Der Graf lachte grimmig. »Lassen Sie sich die Taler wiedergeben, Kamerad, die Sie einem schlechten Psychologen für seinen Unterricht gaben. Gekränkte Ehre?! Also tiefer steigt Ihre Kunst nicht hinab in die Seele? Die gekränkte Ehre fühlt sich doch selbst noch; es lebt doch ein Gefühl in des Gekränkten Brust, das ihn hoch erhebt über die Kränkung, er kann die Scharte auswetzen am Beleidiger; er hat noch die Möglichkeit seine Ehre wieder fleckenlos und rein zu waschen, aber – tiefer, Herr Bruder«, rief er, indem er die Hand des Majors krampfhaft faßte, »tiefer hinab in die Seele; welches Gefühl ist noch schrecklicher?«

»Von einem habe ich gehört«, erwiderte jener, »das aber Männer, wie wir nicht kennen – es heißt Selbstverachtung.«

Der Graf erbleichte und zitterte, er stand schweigend auf, und sah den Freund lange an. »Getroffen, Kamerad«, sagte er, »das sitzt noch tiefer. Männer, wie wir, pflegen es nicht zu kennen, es heißt Selbstverachtung. Aber der Teufel legt auch gar feine Schlingen auf die Erde, ehe man sich versieht ist man gefangen. Kennen Sie die Qual des Wankelmutes, Major?«

»Gottlob, ich habe sie nie erfahren; mein Weg ging immer geradeaus aufs Ziel!«

»Geradeaus aufs Ziel? wer auch so glücklich wäre! Erinnern Sie sich noch des Morgens, als wir aus den Toren von Warschau ritten? Unsere Gefühle, unsere Sinne gehörten jenem großen Geiste, der sie gefangen hielt, aber wem gehörten die Herzen der polnischen Lanciers? Unsere Trompeten ließen jene Arien aus den ›Krakauern‹ ertönen, jene Gesänge, die uns als Knaben bis zur Wut für das Vaterland begeistert hatten; diese wohlbekannten Klänge pochten wieder an die Pforte unserer Brust, Kamerad, wem gehörten unsere Herzen?«

»Dem Vaterland!« sagte der Major gerührt; »ja, damals, damals war ich freilich wankelmütig!«

»Wohl Ihnen, daß Sie es sonst nie waren; der Teufel weiß das recht hübsch zu machen; er läßt uns hier empfinden, glücklich werden, und dort spiegelt er noch höhere Wonne, noch größeres Glück uns vor!«

»Möglich; aber der Mann hat Kraft dem treu zu bleiben, was er gewählt hat.«

»Das ist es«, rief der Graf wie niedergedonnert durch dies eine Wort; »das ist es, und daraus – die Selbstverachtung; und warum besser scheinen als ich bin. Kamerad, Sie sind ein Mann von Ehre, fliehen Sie mich wie die Pest, ich bin ein Ehrloser, ein Ehrvergessener, Sie sind ein Mann von Kraft, verachten Sie mich, ich muß mich selbst verachten, wissen Sie, ich bin –«

»Halt, ruhig!« unterbrach ihn der Freund, »es pochte an der Türe – herein!«


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