Wilhelm Hauff
Novellen
Wilhelm Hauff

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Es würde unsere Leser ermüden, wollten wir sie von dem Prozeß des Juden Süß noch länger unterhalten. Es ging damals wie ein Lauffeuer durch alle Länder und wird da und dort noch heute erwähnt, daß am 4. Februar 1738 die Württemberger ihren Finanzminister wegen allzu gewagter Finanzoperationen aufgehenkt haben. Sie hingen ihn an einen ungeheuren Galgen von Eisen in einem eisernen Käficht auf. Im Dekret des Herzog Administrator heißt es: »Ihme zu wohlverdienter Straff, jedermänniglich aber zum abscheulichen Exempel.« Beides, die Art, wie dieser unglückliche Mann mit Württemberg verfahren konnte, und seine Strafe, sind gleich auffallend und unbegreiflich zu einer Zeit, wo man schon längst die Anfänge der Zivilisation und Aufklärung hinter sich gelassen, wo die Blüte der französischen Literatur mit unwiderstehlicher Gewalt den gebildeteren Teil Europas aufwärtsriß.

Man wäre versucht, das damalige Württemberg der schmählichsten Barbarei anzuklagen, wenn nicht ein Umstand einträte, den Männer, die zu jener Zeit gelebt haben, oft wiederholen, und der, wenn er auch nicht die Tat entschuldigt, doch ihre Notwendigkeit darzutun scheint. »Er mußte«, sagen sie, »nicht sowohl für seine eigenen schweren Verbrechen als für die Schandtaten und Pläne mächtiger Männer am Galgen sterben.« Verwandtschaften, Ansehen, heimliche Versprechungen retteten die andern, den Juden – konnte und mochte niemand retten, und so schrieb man, wie sich der alte Landschaftskonsulent Lanbek ausdrückte, »was die übrigen verzehrt hatten, auf seine Zeche«. Es sind seitdem neunzig Jahre verflossen, und wir wissen nicht, ob damals der schmähliche Tod dieses Mannes die Gemüter über alles Frühere beruhigte und befriedigte. Ein Edikt des Administrators wenigstens scheint es nicht ganz zu beweisen, denn er sah sich genötigt zu verordnen: »daß die Untertanen alle widrigen Nachreden und ungleichen Urteile über den hochseligen Herrn, bei Strafe und Ahndung, vermeiden, und denselben im schuldigst-respektueusesten Andenken halten sollten«.

Der alte Lanbek tat das letztere auch ohne dies Edikt, denn sooft der Name Karl Alexanders genannt wurde, lüftete er mit besorgter Miene sein Mützchen und sagte: »Gott habe ihn selig!« Er folgte auch dem hochseligen Herrn noch unter der Vormundschaft Rudolphs von Neustadt. Man sagt, sein Sohn habe nie wieder gelächelt und selbst Schwager Reelzingen konnte ihm mit den herrlichsten Späßen keine heitere Miene abgewinnen. Noch Anno 93 sah man ihn als einen hohen, magern Greis an einem Stock über die Straße schreiten; seine Miene war ernst und düster, aber sein Auge konnte zuweilen weich und teilnehmend sein. Er hat nie geheiratet, und die Sage ging damals, daß er nur einmal und ein unglückliches Mädchen geliebt habe, das ihren Tod im Neckar freiwillig fand. Männer, die ihn gekannt haben, versichern, daß er gewöhnlich kalt und verschlossen, dennoch sehr interessant in der Unterhaltung gewesen sei, wenn man ihn auf gewisse metaphysische Untersuchungen brachte, mit welchen er sich in seinem hohen Alter hauptsächlich beschäftigte. Er starb, betrauert von vielen, die ihn und sein Schicksal kannten, und beweint von den Armen und Unglücklichen. Mein Großvater pflegte von ihm zu sagen: »Es war einer von jenen Menschen, die, wenn sie einmal recht unglücklich gewesen sind, sich nicht mehr an das Glück gewöhnen mögen.«


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