Wilhelm Hauff
Novellen
Wilhelm Hauff

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8

Der Gast aus der Mark, obgleich er in jedem Damenkreis seiner Heimat mit jener Sicherheit aufgetreten war, welche man sich durch Erziehung und gehöriges Selbstvertrauen erwirbt, obgleich er sich in Berlin manches schwierigen Sieges hatte rühmen können, fühlte sich doch nie in seinem Leben so befangen, als an jenem Abend, wo er mit Anna am Neckar hin nach Thierberg zurückkehrte. Tausend Zweifel plagten und quälten ihn, und jetzt erst, als ihm der letzte Blick, den Anna dem jungen Willi zugeworfen hatte, zu feurig für bloße Achtung, zu zögernd für gute Nachbarschaft geschienen hatte, jetzt erst fühlte er, wie mächtig schon in ihm die Neigung zu seiner schönen Base geworden sei. Zwar, wenn er seine eigene Gestalt, sein ausdrucksvolles Gesicht, sein sprechendes Auge, seine gewählte und reiche Sprache, seine eleganten Formen, die Sicherheit und Gewandtheit seines Geistes, kurz, wenn er alle seine Vorzüge mit Robert Willis Eigenschaften maß, so glaubte er sich doch ohne Anmaßung trösten zu können; fehlte doch jenem, wenn er sich auch gut auszudrücken vermochte, jener unnachahmliche Tonfall der Sprache, fehlte ihm, wenn man ihm auch Anstand und Würde nicht streitig machen konnte, jene letzte Vollendung und Feinheit eines modischen Wundervogels (incroyabilis Linn.), jenes unnachahmliche Genie des Geschmackes, das angeboren sein muß; es fehlt ihm, so schloß der Berliner mit heimlichem Lächeln bei sich selbst, jenes je ne sais quoi, das den Geschöpfen Gottes das Siegel der Veredlung und Vollendung aufdrückt, und auch den gewöhnlichsten Menschen zu einem homme comme il faut macht! Aber Anna ist hier auf dem Lande, ist in Schwaben aufgewachsen, fuhr er fort, sie könnte, ehe sie mich sah, mit Robert Willi – »Anna, eine Frage«, sprach er ängstlich zu ihr, nachdem sie eine geraume Weile still fortgewandelt waren, »und nimm doch diese Frage nicht übel auf! Liebst du diesen jungen Willi? Stehst du mit ihm in einem Verhältnis?«

Das Fräulein vom Thierberg errötete leicht über diese Frage, und die Röte konnte ebensogut der Frage, als dem Gegenstand gelten, den sie berührte. »Wie kömmst du auf diesen Einfall, Vetter«, erwiderte sie, »und meinst du denn, wenn ich auch das Unglück haben sollte, diesen Willi zu lieben, was mir übrigens noch nie in den Sinn kam, ich würde etwa dich zum Vertrauten in meinen Herzensangelegenheiten wählen, weil ich dich schon seit zwei Tagen kenne? Mein Gott, Vetter«, setzte sie schalkhaft lächelnd hinzu, »was seid ihr doch für närrische Leute in Preußen!«

»Ich will mich ja durchaus nicht in dein Geheimnis drängen, hochedle und gestrenge Dame«, sagte er, »aber meinst du denn, dein langes und, wie es schien, interessantes Gespräch mit ihm sollte mir nicht aufgefallen sein? Meinst du, ich glaube, ihr habt nur von Versen gesprochen?«

»Wenn ich nun sagte, wir haben nur von Versen gesprochen«, entgegnete sie eifrig, »so müßtest du es doch glauben. Leuten, die gerne Arges denken, fällt alles auf. Diesmal übrigens hat sich dein Scharfsinn nicht betrogen; das übrige Gespräch drehte sich auch noch um etwas anderes als Verse, um ein Geheimnis, ein gar wichtiges Geheimnis.«

»Also doch?« – rief der junge Mann, mit ungläubiger Miene. »Siehst du, also doch?«

»Doch«, antwortete sie lächelnd, »und weil du so artig bist, will ich dich auch mit ins Geheimnis ziehen, vielleicht kannst du behülflich sein; er riet mir selbst, es dir zu entdecken.«

»Wie?« entgegnete er bitter, »meinst du, ich sei nur deshalb nach Schwaben gekommen, um Herrn von Willis Liebesboten an meine Base zu machen? Da kennst du mich wahrhaftig schlecht; eher sage ich deinem Vater die ganze Geschichte, und ich glaube nicht, daß er sich einen solchen Tugendbünder, einen solchen Weltverbesserer und Demagogen zum Schwiegersohn wählen wird.«

Anna war verwundert stehengeblieben, als sie diesen heftigen Ausbruch seiner Leidenschaft vernahm. »Habe die Gnade und höre zuvor, um was man dich bitten wird«, sagte sie, und wie es schien, nicht ohne Empfindlichkeit; »so viel weiß ich aber, daß, wäre ich ein junger Herr, und überdies ein Berliner, ich mich gegen Damen ganz anders betragen würde.« Bestürzt wollte Albert etwas zur Entschuldigung erwidern, aber mit freundlicherer Miene und gütigeren Blicken fuhr sie fort: »Du weißt, und hast es heute selbst gehört, wie sehr der General seinen Napoleon liebt und verehrt; nun ist nächstens sein Geburtstag, der zufällig auf einen berühmten Schlachttag des Kaisers fällt, und da will ihn sein Sohn mit etwas Napoleonischem erfreuen. Er hat sich durch einen Bekannten in Berlin eine Kopie jenes berühmten Bildes von David verschafft, das Buonaparte zu Pferd noch als Konsul vorstellt. Es ist kein übler Gedanke, denn so nimmt er sich am besten aus, er ist noch jung, mager, und das interessante, feurige Gesicht unter dem Hut mit der dreifarbigen Feder, ist malerischer, eignet sich mehr für die Darstellung eines Helden, als wie er nachher abgebildet wird. Und dieses Bild des Kaisers ist unser Geheimnis.«

»Aber was soll ich hiebei tun?« fragte Albert, der wieder freier atmete, da kein anderes, gefürchtetes Geständnis ihn bedrohte.

»Höre weiter; dieses Bild wird in diesen Tagen ankommen, und zwar nicht bei Generals, sondern bei uns, in meinem eigenen Zimmer wird es bis am Vorabend des Geburtstages bleiben, und dann müssen wir beide dafür sorgen, daß der General, während das Bild hinübergeschafft wird, nicht zu Hause, oder wenigstens so beschäftigt sei, daß er nichts bemerkt. Während der Nacht wird dann das Bild im Salon aufgehängt und bekränzt, und wenn dann morgens der gute Willi zum Frühstück in den Salon tritt, ist es sein Held, der ihn an diesem feierlichen Tage zuerst begrüßt!«

»Gut ausgedacht«, erwiderte Rantow lächelnd, »und wenn es nur nicht dieser Held wäre, wollte ich noch so gerne meine Hülfe anbieten, doch – auch so werde ich mitspielen; hast ja du mich darum gebeten!« Sein Ton war so zärtlich, als er dies sagte, daß ihn Anna überrascht ansah, er bemerkte es, und fuhr, indem er ihren Arm näher an seine Brust zog, fort: »Du kannst ja ganz über mich gebieten, Anna, ach! daß du immer über mich gebieten möchtest! Wie freut es mich, daß du nicht schon liebst, nicht schon versagt bist! Darf ich bei dem Oncle um dich werben?«

In Anna schien es zu kämpfen, ob sie bei diesen Worten wie über eine Torheit lächeln, oder erzürnt weinen solle, wenigstens wechselte auf sonderbare Weise die Farbe ihres schönen Gesichtes mit Röte und Blässe. Sie zog ihren Arm schnell aus seiner Hand und sagte: »So viel kann ich dir sagen, Vetter, daß uns hier in Schwaben nichts unerträglicher ist, als Empfindsamkeit und Koketterie, und daß wir diejenigen für Toren halten, die nach zwei Tagen schon Bündnisse für die Ewigkeit schließen wollen.«

»Anna!« fiel ihr der junge Mann mit bittender Gebärde ins Wort, »glaubst du nicht an die Allgewalt der Liebe? Wenn auch ihre Dauer unsterblich ist, so ist doch ihr Anfang das Werk eines Augenblicks, und ich –«

»Kein Wort mehr, Albert«, rief sie unmutig, »wenn ich nicht alles dem Vater sagen, und ihn um Schutz gegen deine Torheit anrufen soll! Das wäre dir wohl bequem«, fuhr sie gefaßter und lächelnd fort, »um deine Langeweile in Thierberg zu vertreiben, einen kleinen Roman zu spielen? Spiele ihn in Gottes Namen, wenn du nichts Besseres zu tun weißt, mich wirst du vielleicht trefflich damit unterhalten, nur verlange nicht, daß ich die zweite Rolle darin übernehme.«

»O Anna!« sprach er seufzend, »verdiene ich diesen Spott? Ich meine es so redlich, so treu! Das Los, das ich dir bieten kann, ist nicht glänzend, aber es ist doch so, daß du vielleicht zufrieden, glücklich sein könntest.«

»Werde nur nicht tragisch«, erwiderte sie; »alles höre ich lieber, als solches Pathos. Spott verdienst du auf jeden Fall, und zum mindesten kann er dich heilen. Komm, sei vernünftig; begleite mich recht artig und wie es sich ziemt nach Hause. Aber sei überzeugt, wenn noch ein einziges Wort dieser Art über deine Lippen kömmt, so beschäme ich dich vor dem nächsten besten Bauer und rufe ihn heran, und wenn du im Schloß oben diese Torheiten fortsetzt, so werde ich nie mehr mit dir allein sein.« Der Ton, womit sie dies aussprach, klang zwar bestimmt, mutig und befehlend, doch schien ihr schalkhaftes Auge und ihr lächelnder Mund dem strengen Befehl zu widersprechen, und Rantow, den diese widersprechenden Zeichen verwirrten, begnügte sich zu schweigen, zu seufzen, mit Blicken zu sprechen, und einen erneuerten Kampf auf einen glücklicheren Moment zu verschieben. Mit großer Besonnenheit und Ruhe knüpfte sie ein Gespräch über den General an, und so gelangten sie, weniger verstimmt, als man hätte denken sollen, nach Thierberg. Der Alte ließ sich ihre Ausflüge erzählen, und schien nicht unzufrieden, daß Albert diese neue Bekanntschaft gemacht habe. »Es sind wackere Leute, diese Willis, und das ganze Tal hat ihnen Wohltaten zu danken. Es soll wenige hohe Offiziere von der Bildung und den ausgezeichneten Kenntnissen des Generals geben, und den jungen habe ich selbst schon auf dem Korn gehabt und gefunden, daß er tiefe, gründliche Kenntnisse hat, und mit Eifer Studien treibt, die man heutzutage unter der jüngern Generation selten findet. Ein kluges, gewandtes, feuriges Bürschchen; aber, aber – diese verschrobenen, überspannten Ansichten. Ich glaube, er würde mich in meinem eigenen Hause anfallen, wollte ich sagen, daß das Bauernpack immer Bauernpack bleibe, und wenn man sie auch noch so frei von Lasten, noch so gelahrt machte, daß die Bürgerlichen bei ihrem Leist bleiben, und nicht an der erhabenen Figur des Staates künsteln und pinseln und meiseln sollen. Aber das kommt nur daher, weil der alte Tor unter seinem Stand geheiratet hat; da will nun der Junge den Fehler gutmachen, indem er die Vettern und Basen und das ganze Verwandtschaftsgesindel seiner hochseligen Frau Mutter, spießbürgerlichen Angedenkens, recht hoch stellt!«

»Aber, Vater«, bemerkte Anna, »daß er es aus diesem Grund tut, kannst du doch nicht behaupten. Ich gebe zu, er stellt uns alle insgesamt etwas tief und die andern an unsere Seite, aber er ist ein Enthusiast, und hat von Freiheit und Volksleben Begriffe, die sich nie ausführen lassen.«

»Lehre mich die Menschen nicht kennen, Kind!« sagte der Alte lächelnd. »Eitelkeit ist der Grundtext in jedem, die Variationen mögen heißen, wie sie wollen; aber was sagst du zu dem Vater, Neffe?«

»Bei uns würde man ihn steinigen, wollte er öffentlich aussprechen, was ich heute habe hören müssen. Ja, in einer Gesellschaft von Preußen sollte er einmal solch ein Wort sagen, ich glaube, man würde weder sein Alter noch seinen Stand berücksichtigen. Sein ganzes Gespräch ist ein Triumphgesang der Vergangenheit und ein Fluch der Gegenwart; ich glaube, er hält es für die größte Sünde, daß wir das schmähliche Joch abgeschüttelt, und die übrigen, vielleicht gegen ihren Willen, mit befreit haben. Eine Schande, daß ein deutscher Mann etwas solches nur denken kann. Aber bei nächster Gelegenheit will ich ihm sagen, wie sehr ich vom Grund des Herzens seinen Kaiser und alle Franzosen hasse.«

»Das hat er von mir schon oft gehört«, erwiderte Herr von Thierberg, »mehr denn zwanzigmal, ich hasse sie alle, allesamt wie die Hölle!«

»Alle, Vater, alle?« fragte Anna mit Bedeutung.

»Nein, du hast recht, Kind! Einen nehme ich aus, den ich täglich loben und preisen möchte. Hätte er nicht so verzweifelt gut französisch gesprochen, ich hätte geglaubt, es sei ein Engel vom Himmel. Leider war und blieb er nur ein Franzose.«

»Und wer ist denn dieser eine, den Sie so feierlich ausnehmen?« fragte Albert.

»Siehe, das ist eine wunderliche Geschichte«, fuhr der Oheim fort; »doch ich will sie dir erzählen, es ist ein schönes Stück. Ich machte im Jahr 1800 eine Reise nach Italien mit meiner seligen Frau. Ehe wir uns dessen versahen, brach der Krieg aus, und da wir vernahmen, daß Moreau gegen Deutschland ziehe, beschloß ich, meine Frau bei einer befreundeten Familie in Rom zurückzulassen und allein, um desto schneller reisen zu können, nach Schwaben heimzukehren. Ich wählte, teils weil ich dort am wenigsten auf Franzosen zu stoßen hoffte, teils weil einer meiner Vettern die Besatzung in der kleinen Festung Bard kommandierte, teils der Neuheit der Gegend wegen die Straße über den Großen Bernhard, der bald nachher durch den Übergang des Konsuls Buonaparte so berühmt wurde. Dort am Fuße des Berges, auf der Schweizer Seite, überfielen mich fünf zerlumpte Kerls von der französischen Armee, die ich hier freilich nicht vermuten konnte. Ich zeigte ihnen meinen Paß, aber es half nichts, sie rissen mich und meinen Reitknecht, den alten Hanns, den du noch hier siehst, vom Pferd, zogen uns Rock und Stiefeln aus, nahmen mir Uhr und Börse, und eben wollten sie auch meinen Mantelsack untersuchen, als eine schreckliche Stimme hinter uns Halt gebot.

Die Räuber sahen sich um und ließen, wie vom Donner gerührt, die Arme sinken, denn es war ein französischer Offizier, der hinter uns zu Pferd hielt, und sie hielten, man muß selbst dem Teufel Gerechtigkeit widerfahren lassen, strenge Mannszucht. ›Wer sind Sie, mein Herr?‹ fragte er, nachdem er abgestiegen war. Ich erzählte ihm kurz meine Verhältnisse und den Zweck meiner Reise; er nahm meinen Paß, sah ihn durch und fragte mich, ob ich solchen den Soldaten gezeigt habe. Als ich es bejahte, wandte er sich an die Bursche, die noch immer kerzengerade und verlegen dastanden: ›Seid ihr Soldaten? seid ihr Franzosen?‹ rief er zürnend und sah, trotz seinem schlechten Oberrock, sehr vornehm aus; ›auf der Stelle kleidet ihr diesen Herrn und seinen Diener an, ordnet sein Gepäck, und geht dann, wohin ihr beordert seid.‹ Noch nie bin ich so schnell bedient worden; ein junger Kerl wollte mir gegen meinen Willen die Stiefeln anziehen, und bat mich mit Tränen im Auge, es zu erlauben. Solchen Gehorsam habe ich nie in der Reichsarmee gesehen. Ich sagte es auch dem Offizier, der sich, nachdem wir fertig waren, zu mir ins Gras setzte und für seine Landsleute Vergebung und Entschuldigung erbat; ich sagte ihm, daß dieser ganze Vorfall durch jenen schönen Anblick von Disziplin aufgewogen werde. Ehe ich mich dessen versah, waren wir in ein tiefes Gespräch über die Zeitereignisse, und namentlich über das Schicksal des Adels verwickelt. Ich stritt lebhaft für unsern alten Reichsadel, aber kurz und bestimmt, und so artig als möglich, wußte er meine besten Gründe zu widerlegen. Ich merkte wohl aus allem, und er gestand es auch offen, daß er ein ci-devant sei. Er gestand auch zu, daß eine Republik in neueren Zeiten etwas Schwieriges, beinahe Unnatürliches sei, daß Institute wie der Adel nützlich, ja gewissermaßen notwendig seien, behauptete aber, daß der Adel überall von neuem geboren werden, und nur aus kriegerischem Verdienst und Ruhm hervorgehen müsse.«

»Wie?« fiel ihm Rantow ins Wort, »so allgemein dachte man schon damals in jener Armee an das, was nachher jener sogenannte Kaiser wirklich ausführte? Das ist wunderbar!« – »Auch mir sind nachmals«, erzählte der alte Thierberg, »da Napoleon die Ehrenlegion und Dotationen schöpfte, oft die Worte meines guten Kapitäns eingefallen. Diesen gewann ich in einer Stunde, die wir zusammen sprachen, so lieb, als wäre er kein Franzose, als wären wir langjährige Freunde. Endlich mahnte ihn die Feldmusik eines ferne heranziehenden Regiments zum Aufbruch. Ich schenkte ihm meine silberne Feldflasche, die er erst nach langem Streit und endlich lachend annahm; mir gab er dafür eine kleine Ausgabe des Tacitus und eine von den bunten Federn auf seinem Hut, womit sich damals die republikanischen Offiziere schmückten. Die Bajonette des Regiments blitzten über den nächsten Hügel herab, und die Musiker begannen eben ihr ›Allons enfants‹, als er aufs Pferd stieg; er gab mir noch einige Verhaltungsregeln, drückte mir lächelnd die Hand, und unter dem ›Marchons, ça ira!‹ setzte er den Berg hinan. Noch heute steht dieser liebenswürdige, interessante junge Mann vor meinen Augen, wie er den Fuß der Alpe hinanritt, der Wind in seinem Mantel, in seinen Federn wehte, und er grüßend noch einmal sein geistreiches Gesicht nach mir umwandte. Damals, aber nur einen Augenblick lang, und ich weiß heute noch nicht warum, schlug mein Herz für diese Franzosen, und solange ich die Musik hören konnte, sang ich das Allons enfants und das Marchons ça ira mit. Nachher freilich schämte ich mich meiner Schwäche, haßte dieses Volk, nach wie vorher, und nur mein Retter in der Not, mein Kapitän steht in meinem dankbaren Gedächtnis.«

»Allerdings ein wunderbarer Fall«, sagte Rantow, als der Alte nicht ohne tiefe Rührung geendet hatte; »artige und honette Leute gab es zwar immer unter diesen Truppen, aber die gute Disziplin war ungleich seltener. Ich hätte mögen den Schrecken jener fünf Soldaten sehen.«

»Nun Hanns«, sagte Anna zu dem Diener, der aufmerksam und gespannt zuhorchte, »du hast sie ja gesehen.«

»Ich sag Ihnen, gnädiges Fräulein, wie aus Stein gemeißelt standen sie vor dem Kapitän und schämten sich, und Augen hat er auf sie dargemacht, wie der Lindwurm auf den Ritter Sankt Georg. Als die Franzosen nachher zu uns herauskamen, bin ich oft halbe Tage lang an der Landstraße von Heidelberg gestanden, und habe sie Regiment für Regiment defilieren lassen, aber der Kapitän war nie dabei; der ist wohl schon lange tot.«

»Ehre und Segen mit seinem Andenken, wo er auch sein möge«, sprach der alte Thierberg. »Ist er gestorben, so hat er doch alles, was nachher in der Welt Ungerechtes und Frevelhaftes geschah, nicht mehr mitmachen müssen. Vielleicht hat er sich auch vom Dienst zurückgezogen, als der Diktator sich zum Kaiser machte, denn mein braver Kapitän, der so nobel dachte, kann kein Freund des übermütigen Korsen gewesen sein.«

Anna lächelte, aber sie mochte das Lieblingsthema ihres alten Vaters, die Geschichte »vom besten Franzosen« nicht durch eine Apologie jenes großen Sohnes einer kleinen Insel stören.


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