Wilhelm Hauff
Novellen
Wilhelm Hauff

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35

Josephe war zu der Gräfin abgefahren; der Freund hatte ihr geraten, bei ihrer Ankunft nur einen Besuch von einigen Tagen vorzugeben, indessen wolle er ihr über die Stimmung seines Freundes Nachricht geben, und wenn es möglich wäre, ihn bereden sich mit ihr zu versöhnen. »Nein«, rief sie leidenschaftlich, indem sie von der Terrasse an den Wagen hinabstieg, »in diese Tür kehre ich nie mehr zurück, auf ewig wende ich diesen Mauern den Rücken. Glauben Sie, eine Frau vermag viel zu ertragen, ich habe lange dulden müssen, und das Herz wollte mir oft zerspringen, aber heute hat er mich zu tief beleidigt, als daß ich ihm vergeben könnte. Und sollte ich wieder zurückkehren müssen auf den Pont des Arts, die Menschen um ein paar Sous anzuflehen, ich will es lieber tun, als noch länger solche niedrige Behandlung von diesem rohen Menschen mir gefallen lassen. Mein Vater war ein tapferer Soldat und ein geachteter Offizier Frankreichs, seine Tochter darf sich nicht bis zur Magd eines Faldners entwürdigen.«

Der junge Mann hatte nach ihrer Abreise einige Briefe geschrieben, und war gerade mit Ordnen seines kleinen Gepäcks beschäftigt, als Faldner in das Zimmer trat. Fröben sah ihn verwundert an und erwartete neue Angriffe und Ausbrüche seines Zorns. Jener aber sagte: »Ich glaube, je mehr ich diese unglücklichen Zeilen lese, die ich heute mittag auf deinem Zimmer fand, immer mehr, daß du eigentlich doch unschuldig an der miserablen Historie bist, nämlich daß du vorher nichts wußtest und die Person nicht kanntest; daß ich mein Weib in deinen Armen traf, verzeihe ich dir, denn jene Person hatte aufgehört mein zu sein, als sie den törichten Brief an dich schrieb.«

»Es ist mir wegen unseres alten Verhältnisses erwünscht«, antwortete Fröben, »wenn du die Sache so ansiehst. Hauptsächlich auch, weil ich dadurch Gelegenheit bekomme, vernünftig und ruhig mit dir über Josephe zu sprechen. Fürs erste mein heiliges Wort, daß zwischen ihr und mir bis heute mittag nie, auch früher nicht, etwas vorging, was im geringsten ihrer Ehre nachteilig wäre; daß sie arm war, daß sie einmal genötigt war die Hülfe der Menschen anzurufen –«

»Nein, sag lieber daß sie bettelte«, rief Faldner hitzig, »und nachts auf den Straßen und Brücken der liederlichen Hauptstadt umherzog um Geld zu verdienen; ich hätte ja schon damals das Vergnügen ihrer nähern Bekanntschaft haben können, ich war ja bei der rührenden Szene auf Pont des Arts. Nein, wenn ich dir auch alles glaubte, ich bin dennoch beschimpft; die Familie Faldner und eine Bettlerin.«

»Ihr Vater und ihre Mutter waren von gutem Hause –«

»Fabeln, Dichtung! daß ich mich so fangen ließ; ebensogut hätte ich die Kellnerin aus der Schenke heiraten können, wenn sie ein Bierglas im Wappen führte und ein falsches Zeugnis ihrer Geburt brachte!«

»Das ist in meinen Augen das Geringste bei der Sache, die Hauptsache ist, daß du sie gleich von Anfang wie eine Magd behandeltest und nicht wie deine Frau; sie konnte dich nie lieben; ihr paßt nicht füreinander.«

»Das ist das rechte Wort«, entgegnete der Baron, »wir passen nicht zusammen; der Freiherr von Faldner und eine Bettlerin können nie zusammenpassen. Und jetzt freut es mich erst recht, daß ich meinem Kopf folgte und sie so behandelte, die Dirne hat es nicht besser verdient. Ich hab es ja gleich gesagt, sie hat so etwas Gemeines an sich.«

Diese Roheit empörte den jungen Mann, er wollte ihm etwas Bitteres entgegnen, aber er bezwang sich, um Josephen nützlich zu sein. Er redete mit dem Baron ab, was hierin zu tun sei, und sie kamen darin überein, daß sie die ganze Sache vor die bürgerlichen Gerichte bringen und gegenseitige Abneigung als Grund zur Trennung angeben sollten. Freilich konnte bei ihren Glaubensverhältnissen keiner der beiden Teile hoffen, in einer neuen Verbindung Trost zu finden, aber Josephen, wenn sie auch mit Schrecken in eine hülflose Zukunft blickte, schien kein Los so schwer, daß es nicht gegen die unwürdige Behandlung, die sie in Faldners Hause erduldete, erträglich geschienen hätte, und der Baron, wenn ihn auch in manchen einsamen Stunden Reue anwandelte, suchte Zerstreuung in seinen Geschäften und Trost in den Gedanken, daß ja niemand seine Schande erfahren habe, eine Bettlerin von zweideutigem Charakter zur Frau von Faldner gemacht zu haben.


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