Wilhelm Hauff
Novellen
Wilhelm Hauff

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5

Aber dennoch war er auch jetzt nicht zum letztenmal dagewesen. Fröben und er sahen sich noch oft vor dem Bilde und der Alte gewann den jungen Mann durch sein bescheidenes aber bestimmtes Urteil, durch seine liebenswürdige Offenheit, durch sein ganzes Wesen, das feine Erziehung, treffliche Kenntnisse, und einen, für diese Jahre seltenen Takt verriet, immer lieber. Der Alte war fremd in dieser Stadt, er fühlte sich einsam, dennoch war er der Welt nicht so sehr abgestorben, daß er nicht hin und wieder einen Menschen hätte sprechen mögen. So kam es, daß er sich unvermerkt näher an den jungen Fröben anschloß; zog ihn ja dieser auch dadurch so unbeschreiblich an, daß er ein teures Gefühl mit ihm teilte, nämlich die Liebe zu jenem Bilde.

So kam es, daß er den jungen Mann auf dem Spaziergang gerne begleitete, daß er ihn oft einlud, ihm abends Gesellschaft zu leisten. Eines Abends, als der Speisesaal im »König von England« ungewöhnlich gefüllt war und rings um die beiden fremde Gäste saßen, so daß sie sich im traulichen Gespräche gehindert fühlten, sprach Don Pedro zu seinem jungen Freund: »Señor, wenn Ihr anders diesen Abend nicht einer Dame versprochen habt, vor ihrem Gitter mit der Laute zu erscheinen, oder wenn Euch nicht sonst ein Versprechen hindert, so möchte ich Euch einladen, eine Flasche echten Pietro Ximenes mit mir auszustechen auf meinem Gemach.«

»Sie ehren mich unendlich«, antwortete Fröben, »mich bindet kein Versprechen, denn ich kenne hier keine Dame, auch ist es hiesigen Orts nicht Sitte, abends die Laute zu schlagen auf der Straße, oder sich mit der Geliebten am Fenster zu unterhalten. Mit Vergnügen werde ich Sie begleiten.«

»Gut; so geduldet Euch hier noch eine Minute, bis ich mit Diego die Zurichtung gemacht; ich werde Euch rufen lassen.«

Der Alte hatte diese Einladung mit einer Art von Feierlichkeit gesprochen, die Fröben sonderbar auffiel. Jetzt erst entsann er sich auch, daß er noch nie auf Don Pedros Zimmer gewesen, denn immer hatten sie sich in dem allgemeinen Speisesaal des Gasthofs getroffen. Doch aus allem zusammen glaubte er schließen zu müssen, daß es eine besondere Höflichkeit sei, die ihm der Portugiese durch diese Einführung bei sich erzeigen wolle. Nach einer Viertelstunde erschien Diego mit zwei silbernen Armleuchtern, neigte sich ehrerbietig vor dem jungen Mann und forderte ihn auf, ihm zu folgen. Fröben folgte ihm und bemerkte, als er durch den Saal ging, daß alle Trinkgäste neugierig ihm nachschauten, und die Köpfe zusammensteckten. Im ersten Stock machte Diego eine Flügeltüre auf und winkte dem Gast einzutreten. Überrascht blieb dieser auf der Schwelle stehen. Sein alter Freund hatte den Frack abgelegt, ein schwarzes geschlitztes Wams mit roten Buffen angezogen, einen langen Degen mit goldenem Griff umgeschnallt und ein dunkelroter Mantillo fiel ihm über die Schultern. Feierlich schritt er seinem Gast entgegen, und streckte seine dürre Hand aus den reichen Manschetten hervor, ihn zu begrüßen: »Seid mir herzlich willkommen Don Fröbenio«, sprach er, »stoßet Euch nicht an diesem prunklosen Gemach; auf Reisen, wie Ihr wißt, fügt sich nicht alles wie zu Hause. Weicher allerdings geht es sich in meinem Saale zu Lissabon und meine Diwans sind echt maurische Arbeit; doch setzet Euch immer zu mir auf dies schmale Ding, Sofa genannt; ist doch der Wein des Herrn Schwaderer echt und gut; setzt Euch.«

Er führte unter diesen Worten den jungen Mann zu einem Sofa; der Tisch vor diesem war mit Konfitüren und Wein besetzt; Diego schenkte ein und brachte Zündstock und Zigarren,

»Schon lange«, hub dann Don Pedro an, »schon lange hätte ich gerne einmal so recht vertraulich zu Euch gesprochen, Don Fröbenio, wenn Ihr anders mein Vertrauen nicht geringachtet. Sehet, wenn wir uns oft zur Mittagsstunde vor Lauras Bildnis trafen, da habe ich Euch, wenn Ihr so recht versunken waret in Anschauung, aufmerksam betrachtet und, vergebt mir, wenn meine alten Augen einen Diebstahl an Euren Augen begingen, ich bemerkte, daß der Gegenstand dieses Gemäldes noch höheres Interesse für Euch haben müsse, und eine tiefere Bedeutung, als Ihr mir bisher gestanden.«

Fröben errötete; der Alte sah ihn so scharf und durchdringend an, als wollte er im innersten Grund seiner Seele lesen. »Es ist wahr«, antwortete er, »dieses Bild hat eine tiefe Bedeutung für mich, und Sie haben recht gesehen, wenn Sie glauben, es sei nicht das Kunstwerk, was mich interessiere, sondern der Gegenstand des Gemäldes. Ach, es erinnert mich an den sonderbarsten aber glücklichsten Moment meines Lebens! Sie werden lächeln, wenn ich Ihnen sage, daß ich einst ein Mädchen sah, das mit diesem Bild täuschende Ähnlichkeit hatte; ich sah sie nur einmal und nie wieder, und darum gehört es zu meinem Glück, wenigstens ihre holden Züge in diesem Gemälde wieder aufzusuchen.«

»O Gott! das ist ja auch mein Fall!« rief Don Pedro.

»Doch lachen werden Sie«, fuhr Fröben fort, »wenn ich gestehe, daß ich nur von einem Teil des Gesichtes dieser Dame sprechen kann. Ich weiß nicht, ist sie blond oder braun, ist ihre Stirne hoch oder nieder, ist ihr Auge blau oder dunkel, ich weiß es nicht! Aber diese zierliche Nase, dieser liebliche Mund, diese zarten Wangen, dieses weiche Kinn finde ich auf dem geliebten Bilde, wie ich es im Leben geschaut!«

»Sonderbar! – und diese Formen, die sich dem Gedächtnis weniger tief einzudrücken pflegen, als Auge, Stirn und Haar, diese sollten, nachdem Ihr nur einmal sie gesehen, so lebhaft in Eurer Seele stehen?«

»O Don Pedro!« sprach der Jüngling bewegt, »einen Mund, den man einmal geküßt hat, einen solchen Mund vergißt man so leicht nicht wieder. Doch, ich will erzählen, wie es mir damit ergangen.« –

»Halt ein, kein Wort!« unterbrach ihn der Spanier. »Ihr würdet mich für sehr schlecht erzogen halten müssen, wollte ich einem Kavalier sein Geheimnis entlocken, ohne ihm das meine zuvor als Pfand gegeben zu haben. Ich will Euch erzählen von der Dame, die ich in jenem sonderbaren Bild erkannte und wenn Ihr mich dann Eures Vertrauens würdig achtet, so möget Ihr mir mit Eurer Geschichte vergelten. Doch, Ihr trinket ja gar nicht; es ist echter spanischer Wein und ihn müßt Ihr trinken, wenn Ihr mit mir Valencia besuchen wollt.«

Sie tranken von dem begeisternden Pietro Ximenes und der Alte hub an:


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