Wilhelm Hauff
Novellen
Wilhelm Hauff

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3. Ein prosaisches Herz

Bei dem Stallmeister hatte diese Szene, nachdem das Komische, was sie enthielt, bald verflogen war, einen störenden, unangenehmen Eindruck hinterlassen. Er hatte sich mit der schönen Literatur von jeher gerade nur so viel befaßt, als ihm nötig schien, um nicht für ungebildet zu gelten; und auch hier war er mehr seiner Neigung, als dem herrschenden Geschmacke gefolgt. Er wußte wohl, daß man ihn bemitleiden würde, wollte er öffentlich gestehn, daß er Smolletts »Peregrine Pickle« für den besten Roman und einige sangbare Lieder von Kleist für die angenehmsten Gedichte halte; er behielt dieses Geheimnis für sich, brummte, wenn er morgens ausritt, sein Liedchen, ohne zu wissen, welcher Klasse der Lyrik es angehöre, und las, wenn er sich einmal ein literarisches Fest bereiten wollte, ausgesuchte Szenen im »Peregrine Pickle«. Ein paar Almanachs, ein paar schöngeistige Zeitschriften durchflog er, um, wenn er darüber befragt wurde, nicht erröten zu müssen. So kam es, daß er vor Schriftstellern oder Leuten, »die etwas drucken ließen«, große Ehrfurcht hatte, denn seine Seele war zu ehrlich, um ohne Gründe von Menschen schlecht zu denken, deren Beschäftigung ihm so fremd war, als der Hippogryph seinen Ställen. Um so verletzender wirkte auf ihn der Anblick dieser erbosten Literaturen. »Man tadelt es an Schauspielern«, sprach er zu sich, »daß sie außerhalb des Theaters oft roh und ungebildet sich zeigen; daß sie Tadel, auch den gerechten, nicht ertragen wollen, und öffentlich darüber schimpfen und schelten. Aber zeigten sich denn diese Leute besser? Ist es nicht an sich schon fatal, seinen Unmut über eine Beschimpfung zu äußern? muß man das Wirtshaus zum Schauplatz seiner Wut machen und sich so weit vergessen, daß man wie ein Betrunkener sich gebärdet? Und wie schön ließen diese Leute sich in die Karten sehen! Also weil sie beleidigt sind (vielleicht mit Recht), wollen sie wieder beleidigen, wollen ihre Privatsache zu einer öffentlichen machen? Das also sind die Leiter der Bildung, das die feinfühlenden Dichter, die, wie Freund Zundler sagt, Instrumente sind, die nie einen Mißton von sich geben?«

Nicht ohne Kummer dachte er dabei an ein Wesen, das ihm vor allen teuer war. Der Buchhändler hatte nicht mit Unrecht geäußert, daß Elise Wilkow ein sehr belesenes Frauenzimmer sei. Nach Kempens Ansichten über die Stellung und den Wert der Frauen schien sie ihm beinahe zu gelehrt, in Stunden des Unmuts nannte er es wohl gar überbildet. Er hatte es niemand, kaum sich selbst gestanden, daß sie seine stillen Huldigungen nicht unbemerkt ließ, daß sie ihm manchen gütigen Blick schenkte aus dem er vieles deuten konnte. Er war zu bescheiden um zu glauben, daß dieses liebenswürdige Geschöpf ihn lieben könnte, und dennoch verletzte ihn ihr ungleiches, zweifelhaftes Betragen. Es war eine gewisse Koketterie des Geistes, die das liebenswürdige Mädchen in seinen Augen entstellte. Wenn er zuweilen in freundlichem Geplauder mit ihr war, wenn sie so traulich, so natürlich ihm von ihrem Hauswesen, ihren Blumen, ihren Vergnügungen erzählte, wenn er sich ganz selig fühlte, daß sie so lange, so gerne zu ihm spreche, so führte gewiß ein feindlicher Dämon einen jener Literatoren oder Dichter herbei, deren diese gute Stadt zwei Dutzende zählte, und Elise war wie ausgetauscht. Ihre schönen Augen schimmerten dann vor Vergnügen, ihr schlanker Hals bog sich vor, und ohne auf eine Frage des guten Stallmeisters zu achten, ohne seine Antwort abzuwarten, befand man sich mit Blitzesschnelle in einem kritischen oder literarischen Geplänkel, wo Rempen zwar die ungemeine Belesenheit, das schnelle Urteil, den glänzenden Witz seiner Dame bewundern, sie selbst aber bedauern mußte, daß sie dieser Art von Gespräch, diesem gesuchten Vergnügen sichtbarer entgegenkam, als es sich für ein Mädchen von achtzehn Jahren schickte.

»Und an dieses Volk, an diesen literarischen Pöbel wirft sie ihre glänzendsten Gedanken, ihre zartesten Empfindungen, wirft sie Blicke und Worte weg, die einen andern als diese gedruckten Seelen überglücklich machen würden. Und fühlen sie es denn? sind sie dadurch geehrt, entzückt? Nur mit ihnen spricht sie über das, was sie gelesen, als ob sonst niemand lesen könnte, nur ihnen zeigt sie, was sie gefühlt, als ob gerade diese Versmacher und Rezensenten die gefühlvollsten Leute wären, und ein so schönes, liebenswürdiges Wesen zu würdigen verständen. Nein, diese Toren sehen es überdies noch als einen schuldigen Tribut, als eine geringe Anerkennung ihrer eminenten Verdienste an, wenn die Krone aller Mädchen mit ihnen schwatzt wie mit ihresgleichen, während andere wackere Leute in der Ferne stehen. Und diese Menschen, die sich heute so niedrig gebärdeten, bilden ihren Hofstaat, dies sind die genialen Männer, mit welchen sie so gerne spricht!«

Diese Gedanken beschäftigten ihn den ganzen Tag. Sein Stallpersonale konnte sich heute gar nicht in ihn finden. Der gutmütige, milde Herr war zu einem rauhen, mürrischen Gebieter geworden. Die Stallknechte klagten es sich beim Füttern; acht Pferde hatte er hinausgejagt durch dick und dünn, und jedes hatte einen andern Fehler gehabt; die Bereiter hatte er zum erstenmal streng getadelt, und als es Abend wurde, war man im Stall darüber einig, dem Stallmeister von Kempen müsse etwas Außerordentliches begegnet sein, vielleicht sei er sogar in Ungnade gefallen. Man bedauerte ihn, denn sein leutseliges Wesen hatte ihn zum Liebling seiner Untergebenen gemacht.

Und wahrlich! der Abend dieses Tages war nicht dazu gemacht, diese düsteren Gedanken zu zerstreuen. Der Geheimrat von Rempen, sein Oheim, gab alle vierzehn Tage einen großen Klub, in welchem er, das Unmögliche möglich zu machen, die getrenntesten Extreme zu vereinigen suchte; dieser Klub hatte sich früher in drei verschiedene Abteilungen getrennt. Es war in jener Stadt eine literarische Sozietät, deren Mitglied der alte Rempen war; sie versammelte sich um zu lesen, zu rezensieren, gelehrt zu sprechen; an einem andern Tage war großer, umwechselnder Singtee, an einem dritten Abend Tanzunterhaltung. »Tria juncta in uno, drei Köpfe unter einem Hut«, sagte der alte Rempen und lud sie alle zusammen ein. Der bunteste Wechsel schien ihm die interessanteste Unterhaltung, und darum preßte er wie ein Seelenverkäufer Literatoren, Soldaten, Justizleute, lese-, gesang- und tanzlustige Damen und packte sie in seinen Salon zusammen, zu Tee und Butterbrot, in der festen Überzeugung, die wahre Springwurzel der Unterhaltung gefunden zu haben. Für seinen Neffen aber vereinigten sich Himmel und Fegfeuer in diesem Klub. Er hörte Elisen singen; seine nahe Verwandtschaft zu dem alten Rempen, der keinen Sohn hatte, machte es ihm möglich, wie ein Kind des Hauses, nicht wie ein Gast aufzutreten, und mit Elisen ungestört zu tanzen und zu plaudern. Aber seine Höllenqualen begannen, wenn er den Oheim, umgeben von einem Kreise älterer und jüngerer Herren, mit wichtiger Miene etwas erklären sah, wenn er endlich ein Buch aus der Tasche zog, durchblätterte, es im Kreise umherzeigte und die Herren vor Freude stöhnten – »Ah – etwas Neues, schon gelesen? göttlich – vorlesen, bitte vorlesen – Professor am besten lesen – in den Saal und lesen.« – »Lesen, vorlesen!« tönte es dann von dem Munde älterer Damen und jener Herren, die nicht tanzen wollten, und Elise – nahm mit einer kurzen Verbeugung Abschied, drängte sich in den literarischen Kreis, wurde als Königin des guten Geschmacks begrüßt, hatte gewöhnlich das Buch schon gelesen, stimmte für die Vorlesung und war für den armen Stallmeister auf den ganzen Abend verloren.

Mit diesen trüben Erinnerungen gelangte er an das Haus seines Oheims. Er war eben im Begriff einzutreten, als das Gespräch zweier Männer, die sich diesem Hause näherten, seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Soviel der matte Schein einer fernen Laterne erraten ließ, war der eine ein ältlicher, dürftig gekleideter Mann, der andere jünger, höher und festlich gekleidet.

»Brüderchen!« sprach der Ältere mit einem Akzent, der nicht dieser Gegend angehörte; »Brüderchen, bleib mir aus dem fatalen Haus! Sooft Ihr wieder herauskommt, seid Ihr zwei, drei Tage ein geschlagener Mann. Laßt die Bursche dort oben in Gotts Namen auf Stelzen gehen und Unsinn schwatzen, bleibet aber nur Ihr hinweg, 's ist noch Euer Tod!«

»Ich muß sie sehen, Alter!« sprach der Jüngere, »ich muß sie hören. Es gehört zu meinem Glück, sie gesehen zu haben.«

»Ihr seid ein Narr!« erwiderte der andere, »sie mag Euch nicht, sie will Euch nicht. Ihr seid ein armer Teufel und gehört nicht in diese Sozietät. Aber fassen kann ich Euch nicht! 's gehört ein Wort dazu, nur ein Wörtchen, ein bißchen von einem Geständnis und Ihr könnt vielleicht glücklich sein. Geh fort, geh fort; scherwenze in der nobeln Welt, werde ein Schuft wie alle, und vergiß den alten, armen Bunker, lebe wohl, will nichts mehr von dir.«

Er wollte unmutig weggehen, aber der junge Mann hielt ihn auf. »Sei vernünftig«, bat er; »willst auch du mich noch elend machen? tu es immer, laß mich liegen wie einen Hund, wenn du es über dein Herz vermagst. Ich bin ja ohnedies unglücklich genug.«

»Jammere nur nicht so!« sprach der Alte gerührt, »geh hinauf wenn du es nicht lassen kannst; aber bleibe nicht da, wenn sie vorlesen, du ärgerst dich! Komm zu mir!«

»Ich komme«, erwiderte der Jüngere nach einigem Nachsinnen. »Um 10 Uhr will ich kommen. Wohin?«

»Heute in den ›Entenzapfen‹, im ›Rosmarin‹ ist heilloses Volk, Schneider und Schuster und die Affen und Bären aus den Druckereien, es ist heute Montag. Aber Brüderchen, im ›Entenzapfen‹ ist Cerevis, man trinkt es in Augsburg nicht besser.«

Ein Wagen mit hellglänzenden Laternen rollte in diesem Augenblick auf das Haus zu, der junge Mann sagte eilig zu, und der Alte schlich langsam die Straße hin. Der Stallmeister konnte sich kaum von seinem Erstaunen erholen. Wer konnte aus so sonderbarer Gesellschaft in den Tanzsaal seines Oheims kommen? noch sonderbarer schien es ihm, daß man diesen glänzenden Klub, der alle geistreiche und noble Welt der Stadt vereinigte, verlassen wollte, um in dem ›Entenzapfen‹ Bier zu trinken, in einer Winkelkneipe, die er kaum dreimal von seinen Stallknechten hatte rühmen gehört. Er setzte dem sonderbaren Gast, der flüchtig die Treppe hinaneilte, nach, er holte ihn im hellerleuchteten Korridor ein, er ging an ihm vorüber, sah sich um, und erblickte das düstere Auge und die markierten Züge des Referendärs Palvi.

Verworrene Gedanken flogen vor seiner Seele vorüber, als er ihn erkannte; seine Worte »Ich muß sie sehen«, der Wink des Buchhändlers, Palvi sei früher in einem Verhältnis zu Elisen gestanden, Staunen über die sonderbaren Reden mit dem Alten, wunderliche Sagen, die er früher über diesen Palvi vernommen, alle diese Gedanken wollten auf einmal zur Klarheit dringen, und machten, daß er sich vornahm, über eines wenigstens sich diesen Abend Gewißheit zu verschaffen, über sein Verhältnis zu Elisen.


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