Wilhelm Hauff
Novellen
Wilhelm Hauff

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2

In dem Speisesaal, welchen sie wählten, waren nur wenige Menschen, denn man verkaufte hier nur ausgesuchte Weine, feine Früchte und warme Getränke, während die größeren Trinkstuben, wo Landwein, Bier und derbere Speisen zu haben waren, die größere Menge an sich zogen. In einer Ecke des Zimmers war ein Tischchen leer, wo der Sarazene, wenn er dem übrigen Teil des Saales den Rücken kehrte, ohne Gefahr erkannt zu werden die Maske abnehmen konnte. Sie wählten diesen Platz, und als die vollen Römer vor ihnen standen, legten die zwei jungen Krieger die Masken ab und der Kapitän begann: »Herr Bruder, ich habe die Ehre, dir hier den unvergleichlichen Kavalier Pinassa vorzustellen, den berühmtesten Fechter seiner Zeit; denn es gelang ihm, durch eine unbesiegliche Terz-Quart-Terz, mich, bedenke mich, den Senior des Amizistenordens, in Leipzigs unvergeßlichem Rosenthal hors de combat zu machen. Er hat gleich mir die Musen verlassen, hat gesungen: ›Will mir Minerva nicht, so mag Bellona raten‹, und hat den alten Hieber und sein ungeheures Stichblatt, worauf er sein Frühstück zu verzehren pflegte, mit dem Paradedegen eines herzoglich württembergischen Lieutenants vertauscht.«

»Der Tausch ist nicht übel, Herr von Pinassa, und mein Vaterland kann sich dazu Glück wünschen«, sagte der Sarazene, indem er sich vor dem neuen Lieutenant verbeugte. »Wollet Ihr einmal in unsern Dienst treten, so war diese Laufbahn die angenehmste. Der Zivilist hat zu dieser Zeit wenig Aussicht, wenn er nicht ein Amt für fünftausend Gulden, oder für sein Gewissen und ehrlichen Namen beim Juden kaufen will. Doch diese dünnen Bretterwände haben Ohren – stille davon, es ist doch nicht zu ändern. Wie anders sind Eure Verhältnisse! Der Herzog ist ein tapferer Herr, dem ich einen Staat von zweimal hunderttausend Kriegern gönnen möchte; für uns – ist er zu groß. Der Krieg ist sein Vergnügen, ein Regiment im Waffenglanz seine Freude; leider fällt für uns andere selten eine müßige Stunde ab, und daher kommt es, daß diese Juden und Judenchristen das Szepter führen. Er gilt für einen großen General, er hat mit Prinz Eugen schöne Waffentaten verrichtet, und ein schlanker junger Mann, mit einer Narbe auf der Stirne, Mut in den Blicken, wie Ihr, Herr von Pinassa, ist ihm jederzeit in seinem Heere willkommen.«

»Was der Sarazene altklug sprechen kann über Juden und Christen!« sprach der Kapitän. »Doch öffne dein Visier und zeige deine Farben, mein Kamerad soll nun auch wissen, mit wem er spricht; das ist der umsichtige, rechtskundige, fürtreffliche Herr juris utriusque Doctor Lanbek, leiblicher Sohn des berühmten Landschaftskonsulenten Lanbek, welchem er als Aktuarius substituiert ist; ein trefflicher Junge, parole d'honneur! wenn er sich nicht neuerer Zeit hin und wieder durch sonderbare Melancholie prostituierte, noch trefflicher, wenn ihm der Herr auch einen Sinn für das schöne Geschlecht eingepflanzt hätte.«

Lanbek nahm bei diesen Worten die Maske ab und zeigte dem neuen Bekannten ein errötendes Gesicht von hoher Schönheit. Unter dem Turban stahlen sich gelbe Locken hervor und umwallten kunstlos und ungepudert die Stirne. Eine kühn gebogene Nase und dunkle, tiefblaue Augen gaben seinem Gesicht einen Ausdruck von unternehmender Kraft und einen tiefen Ernst, der mit den weichen Haaren und ihrer sanften Farbe in überraschendem Widerspruche war. Doch das Strenge dieser Züge und dieser Augen milderte ein angenehmer Zug um den Mund, als er antwortete: »Ich öffne mein Visier und zeige Euch ein Gesicht, das Euch recht herzlich bei uns willkommen heißt. Ich trinke auf Euer Wohl dieses Glas, dann aber werdet Ihr entschuldigen, wenn ich aufbreche.«

»Pro poena trinkst du zwei«, rief der Kapitän mit komischem Pathos, indem er einen ungeheuern Hausschlüssel aus der Tasche nahm und ihn als Szepter gegen den Sarazenen senkte; »hast du so wenig Ehrfurcht vor deinem Senior, daß du dich erfrechst, in loco Gläser zu trinken, ohne daß sie dir ordentlich vom Präses diktiert sind? O tempora, o mores! Wo ist Zucht und Sitte dieser Füchse hin? Pinassa! zu unserer Zeit war es doch anders!«

Die jungen Männer lachten über diese klägliche Reminiszenz des ehemaligen Amizistenseniors; der Kapitän aber faßte Lanbek schärfer ins Auge und sagte: »Herr Bruder! nimm mir's nicht übel, aber in dir steckte schon lang etwas, wie ein Fieber, und heute abend ist die Krisis; ich setze meine verlorene Flasche, davon geht nichts ab, aber ich wette zehn neue; sei ehrlich Gustav – du warst heute abend schon als Bauer hier, und dein Alter weiß nichts vom Sarazenen.«

Gustav errötete, reichte dem Freunde die Hand und winkte ihm ein Ja zu.

»Alle Tausend!« rief der Kapitän, »Junge, was treibst du? Wer hätte das hinter dem stillen Aktuarius gesucht? auf dem Karneval das Kostüm zu ändern! Und so ängstlich, so geheimnisvoll, so abgebrochen; willst du etwa dem Juden zu Leibe gehen?«

Der Gefragte errötete noch tiefer und nahm schnell die Maske vor; ehe er noch antworten konnte, sagte Reelzingen: »Herr Bruder, du bringst mich auf die rechte Fährte. Wo habt ihr beide, du und die Orientalin, die der Finanzdirektor führte, das Zeug zu euren Turbanen gekauft? Gustav, Gustav! –« setzte er, mit einem Finger drohend, hinzu – »du wohnst dem Juden gegenüber, ich wette, du weißt, wer die stolze Donna ist, die er führt.«

»Was weiß ich!« murmelte Lanbek unter seiner Larve.

»Nicht von der Stelle, bis du es sagst«, rief der Kapitän; »und wenn du auf deinem Trotz beharrst, so schleiche ich mich an die Orientalin und flüstere ihr ins Ohr, der Sarazene habe mich in sein Geheimnis eingeweiht.«

»Das wirst du nicht tun, wenn ich dich ernstlich bitte, es zu unterlassen«, erwiderte der junge Mann, wie es schien, sehr ernst; »wenn ich übrigens Vermutungen trauen darf, so ist es Lea Oppenheimer, des Ministers Schwester. Und nun adieu! wenn ihr mir im Saal begegnen solltet, kennt ihr mich nicht, und Reelzingen, wenn mein Vater fragt –«

»So weiß ich nichts von dir, versteht sich«, erwiderte dieser. Der Sarazene erhob sich und ging. Die Freunde aber sahen einander an, und keiner schien zu wissen, ob er recht gehört habe oder wie er dies alles deuten solle? »Hat denn der Jude eine Schwester?« fragte Pinassa.

»Man sprach vor einiger Zeit davon, daß er eine Schwester zu sich genommen habe, doch hielt man sie für noch ganz jung, weil sie sich nirgends sehen läßt«, erwiderte Reelzingen nachdenklich; »und wie er errötete!« setzte er hinzu. »Herr Bruder, du wirst sehen, da läßt auch einmal wieder der Satan einen vernünftigen Jungen einen dummen Streich machen!«


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