Wilhelm Hauff
Novellen
Wilhelm Hauff

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28

Fröben überdachte am andern Morgen die Vorfälle des gestrigen Tages, und war mit sich uneinig, ob er nicht lieber jetzt gleich ein Haus verlassen sollte, wo ihn ein längerer Aufenthalt vielleicht noch öfter solchen Unannehmlichkeiten aussetzte, als die Türe aufging und der Baron niedergeschlagen und beschämt hereintrat. »Du bist gestern abend nicht zu Tisch gekommen, du hast dich heute noch nicht sehen lassen«, hub er an, indem er näher kam, »du zürnst mir; aber sei vernünftig und vergib mir; siehe es ging mir wunderlich; ich hatte den Tag über zuviel Wein getrunken, war erhitzt und du kennst meine schwache Seite, da kann ich das Necken nicht lassen. Ich bin gestraft genug, daß der schöne Tag so elend endete und daß mein Haus jetzt vier Wochen lang das Gespräch der Umgegend sein wird. Verbittere mir nicht vollends das Leben und sei mir wieder freundlich wie zuvor.«

»Lasse lieber die ganze Geschichte ruhen«, entgegnete Fröben finster, indem er ihm die Hand bot; »ich liebe es nicht, über dergleichen mich noch weiter auszusprechen; aber morgen will ich fort, weiter; hier bleibe ich nicht länger.«

»Sei doch kein Narr!« rief Faldner, der dies nicht erwartet hatte und ernstlich erschrak; »wegen einer solchen Szene gleich aufbrechen zu wollen! ich sagte es ja immer, daß du ein solcher Hitzkopf bist. Nein, daraus wird nichts; und hast du mir nicht versprochen zu warten, bis Briefe da sind vom Don in W.? Nein, du darfst mir nicht schon wieder weggehen, und wegen der Gesellschaft hast du dich nicht zu schämen, sie alle, besonders die Frauen, schalten mich tüchtig aus, sie gaben dir völlig recht und sagten, ich sei an allem schuld.«

»Wie geht es deiner Frau?« fragte Fröben, um diesen Erinnerungen auszuweichen.

»Ganz hergestellt, es war nur so ein kleiner Schrecken, weil sie fürchtete, wir werden ernstlich aneinandergeraten; sie wartet mit dem Frühstück auf dich; komm jetzt mit herunter und sei vernünftig und nimm Raison an. Ich muß ausreiten, nimm es mir nicht übel, die Mühle kömmt heute in Gang. Du bist also wieder ganz, wie zuvor?«

»Nun ja doch!« sagte der junge Mann ärgerlich; »laß doch einmal die ganze Geschichte ruhen.« Er folgte mit sonderbaren Gefühlen, die er selbst nicht recht zu deuten wußte, dem Baron, der vergnügt über die schnelle Versöhnung seines Freundes ihm voraneilte, seiner Frau schnell berichtete, was er ausgerichtet habe und dann das Schloß verließ, um seine Mühle in Gang zu bringen.

Hatte sich denn heute auf einmal alles so ganz anders gestaltet, oder war nur er selbst anders geworden; Josephens Züge, ihr ganzes Wesen schien Fröben verändert, als er bei ihr eintrat. Eine stille Wehmut, eine weiche Trauer schien über ihr Antlitz ausgegossen und doch war ihr Lächeln so hold, so traulich, als sie ihn willkommen hieß. Sie schrieb ihr gesteriges Übel allzu großer Anstrengung zu und schien überhaupt von dem ganzen Vorfall nicht gerne zu sprechen. Aber Fröben, dem an der guten Meinung seiner Freundin so viel lag, konnte es nicht ertragen, daß sie beinahe geflissentlich seine Erzählung gar nicht berührte: »Nein«, rief er, »ich lasse Sie nicht so entschlüpfen, gnädige Frau! An dem Urteil der andern über mich lag mir wenig; was kümmert es mich, ob solche Alltagsmenschen mich nach ihrem gemeinen Maßstab messen! Aber wahrhaftig, es würde mich unendlich schmerzen, wenn auch Sie mich falsch beurteilten, wenn auch Sie Gedanken Raum gäben, die mich in Ihren Augen so tief herabsetzen müssen, wenn auch Sie die Wahrheit jener Erzählung bezweifelten, die ich freilich solchen Ohren nie hätte preisgeben sollen. O ich beschwöre Sie, sagen Sie recht aufrichtig, was Sie von mir und jener Geschichte denken?«

Sie sah ihn lange an; ihr schönes großes Auge füllte sich mit Tränen, sie drückte seine Hand: »O Fröben; was ich davon denke?« sagte sie, »und wenn die ganze Welt an der Wahrheit zweifeln würde, ich wüßte dennoch gewiß, daß Sie wahr gesprochen! Sie wissen ja nicht, wie gut ich Sie kenne!«

Er errötete freudig und küßte ihre Hand; »Wie gütig sind Sie, daß Sie mich nicht verkennen. Und gewiß, ich habe alles, alles genau nach der Wahrheit erzählt.«

»Und dieses Mädchen«, fuhr sie fort, »ist wohl dieselbe, von welcher Sie mir letzthin sagten? Erinnern Sie sich nicht, als wir von Victor und Klothilde sprachen, daß Sie mir gestanden, Sie lieben hoffnungslos? Ist es dieselbe?«

»Sie ist es«, erwiderte er traurig. »Nein, Sie werden mich wegen dieser Torheit nicht auslachen; Sie fühlen zu tief, als daß Sie dies lächerlich finden könnten. Ich weiß alles, was man dagegen sagen kann, ich schalt mich selbst oft genug einen Toren, einen Phantasten, der einem Schatten nachjage; ich weiß ja nicht einmal ob sie mich liebt –«

»Sie liebt Sie!« rief Josephe unwillkürlich aus; doch über ihre eigenen Worte errötend setzte sie hinzu: »Sie muß Sie lieben; glauben Sie denn, soviel Edelmut müsse nicht tiefen Eindruck auf ein Mädchenherz von siebzehn Jahren machen und in allen ihren Äußerungen, die Sie uns erzählten, liegt, es müßte mich alles trügen, oder es liegt gewiß ein bedeutender Grad von Liebe darin.«

Der junge Mann schien mit Entzücken auf ihre Worte zu lauschen; »Wie oft rief ich mir dies selbst zu«, sprach er, »wenn ich so ganz ohne Trost war und traurig in die Vergangenheit blickte; aber wozu denn? vielleicht nur um mich noch unglücklicher zu machen! Ich habe oft mit mir selbst gekämpft, habe im Gewühl der Menschen Zerstreuung, im Drang der Geschäfte Betäubung gesucht, es wollte mir nie gelingen. Immer schwebte mir jenes holde unglückliche Wesen vor; mein einziger Wunsch war, sie nur noch einmal zu sehen. Es ist noch jetzt mein Wunsch, ich darf es Ihnen gestehen, denn Sie wissen mein Gefühl zu würdigen; auch diese Reise unternahm ich nur, weil meine Sehnsucht mich hinaustrieb, sie zu suchen, sie noch einmal zu sehen. Und wie ich denn so recht über diesen Wunsch nachdenke, so finde ich mich sogar oft auf dem Gedanken, sie auf immer zu besitzen! – Sie blicken weg, Josephe? O ich verstehe; Sie denken, ein Geschöpf, das so tief im Elend war, dessen Verhältnisse so zweideutig sind, dürfe ich nie wählen; Sie denken an das Urteil der Menschen; an alles dies habe auch ich recht oft gedacht, aber so wahr ich lebe, wenn ich sie so wiederfände, wie ich sie verlassen, ich würde niemand als mein Herz fragen. Würden Sie mich denn so strenge beurteilen, Josephe?«

Sie antwortete ihm nicht; noch immer abgewandt, ihre Stirne in die Hand gestützt, bot sie ihm ein Buch hin und bat ihn vorzulesen. Er ergriff es zögernd, er sah sie fragend an; es war das einzige Mal, daß er sich in ihr Betragen nicht recht zu finden wußte; aber sie winkte ihm zu lesen und er folgte, wiewohl er gerne noch länger sein Herz hätte sprechen lassen. Er las von Anfang zerstreut; aber nach und nach zog ihn der Gegenstand an, entführte seine Gedanken mehr und mehr dem vorigen Gespräch, und riß ihn endlich hin, so, daß er im Fluß der Rede nicht bemerkte, wie die schöne Frau ihm ein Angesicht voll Wehmut zuwandte, daß ihre Blicke voll Zärtlichkeit an ihm hingen, daß ihr Auge sich oft mit Tränen füllen wollte, die sie nur mühsam wieder unterdrückte. Spät erst endete er und Josephe hatte sich so weit gefaßt, daß sie mit Ruhe über das Gelesene sprechen konnte, aber dennoch schien es dem jungen Mann, als ob ihre Stimme hie und da zittere, als ob die frühere gütige Vertraulichkeit, die sie dem Freund ihres Gatten bewiesen, gewichen sei; er hätte sich unglücklich gefühlt, wenn nicht jener leuchtende Strahl eines wärmeren Gefühles, der aus ihrem Auge hervorbrach, ihn an seiner Beobachtung irregemacht hätte.


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