Wilhelm Hauff
Novellen
Wilhelm Hauff

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9

Ein drückender, trüber Nebel lag über Stuttgart und gab den Bergen umher und der Stadt ein trauriges, ödes Ansehen; geradeso lag auch ein trüber, ängstlicher Ernst auf den Gesichtern, die man auf den Straßen sah, und es war, als hätte ein Unglück, das man nicht vergessen konnte, oder ein neuer Schlag, den man fürchtete, alle Herzen wie die sonst so lieblichen Berge umflort und in Trauer gehüllt. Am Abend eines solchen Tages schlich der junge Lanbek durch die feuchten Gänge des Gartens. Sein Gesicht war bleich, sein Auge trübe, sein Mund heftig zusammengepreßt, seine hohe Gestalt trug er nicht mehr so leicht und aufgerichtet wie zuvor, und es schien, als sei er in den letzten acht Tagen um ebenso viele Jahre älter geworden. Was er vorausgesehen hatte, war eingetroffen; niemand, der die Lanbeks auch nur dem Rufe nach kannte, konnte die schnelle Erhebung des jungen Mannes begreifen oder rechtfertigen. Die Günstlinge und Kreaturen des mächtigen Juden traten ihm mit jener lästigen Traulichkeit, mit jener rohen Freude entgegen, wie etwa Diebe und falsche Spieler einem neuen Genossen ihre Schlechtigkeit beweisen, und des jungen Lanbeks Gefühl bei solchen neuen, werten Bekanntschaften läßt sich am besten mit den unangenehmen und wehmütigen Empfindungen eines Mannes vergleichen, den das Unglück in einen Kerker mit dem Auswurf der Menschen warf, und der sich von Räubern und gemeinen Weibern als ihresgleichen begrüßen lassen muß. Die gnädigen Blicke, die ihm der Minister hin und wieder öffentlich, beinahe zum Hohn, zuwarf, bezeichneten ihn als einen neuen Günstling. Jetzt erst sah er, wie viele gute Menschen ihm sonst wohlgewollt hatten; denn so manches bekannte Gesicht, das sonst dem Sohne des alten Lanbek einen guten Tag gelächelt hatte, erschien jetzt finster, und selbst wackere Bürgersleute und jene biederen, ehrlichen Weingärtner, die sich bei ihm und dem Alten so oft Rats erholt hatten, wandten jetzt die Augen ab und gingen vorüber, ohne den Hut zu rücken.

Der Gedanke an Lea erhöhte noch sein Unglück. Er wußte genau, wie unglücklich sein alter Vater, er selbst und die Seinigen werden könnten, wenn der verzweifelte Schlag, den sie führen wollten, mißlang; und doch, so groß der Frevel war, den jener fürchterliche Mann auf sich geladen hatte, dennoch graute ihm, wenn er sich die Folgen überlegte, die sein Sturz nach sich ziehen würde. Was sollte aus der armen Lea werden, wenn der Bruder vielleicht monatelang gefangen saß? Konnte der Herzog, ein so strenger Herr, Vergehungen und Pläne wie die des Juden vergeben, selbst wenn er ihm durch jenes Edikt Straflosigkeit zugesichert hatte?

Und dann durchzuckte ihn wieder die Erinnerung an jene schreckliche Drohung, die Süß gegen ihn ausgestoßen, als er das Verhältnis des jungen Mannes zu seiner Schwester berührte. Alle Angst vor seinem alten Vater, vor der Schande, die eine solche Verbindung, wenn sie auch nur besprochen würde, brächte, kam über ihn. Es gab Augenblicke, wo er seine Torheit, mit der schönen Jüdin auch nur ein Wort gewechselt zu haben, verwünschte, wo er entschlossen war, den Garten zu verlassen, sie nie wieder zu sehen, seinem Vater alles zu sagen, ehe es zu spät wäre; aber wenn er sich dann das schöne Oval ihres Hauptes, die reinen, unschuldigen und doch so interessanten Züge und jenes Auge dachte, das so gerne und mit so unnennbarem Ausdruck auf seinen eigenen Zügen ruhte, da war es, ich weiß nicht ob Eitelkeit, Torheit, Liebe oder gar der Einfluß jenes wunderbaren Zaubers, der sich aus Rahels Tagen unter den Töchtern Israels erhalten haben soll – es zog ihn ein unwiderstehliches Etwas nach jener Seite hin, wo ihn, seit die Dämmerung des ersten Märzabends finsterer geworden war, die schöne Lea erwartete.

»Endlich, endlich«, sagte Lea mit Tränen, indem sie ihre weiße Hand durch die Staketen bot, welche die beiden Gärten trennten. »Wenn nicht der Frühling indes hätte kommen müssen, wahrhaftig ich hätte gedacht, es sei schon ein Vierteljahr vorüber. Ich bin recht ungehalten; wozu denn auch in den Garten gehen bei dieser schlimmen Jahrszeit, wenn Ihr frei und offen durch die Haustüre kommen dürft? wisset nur, Herr Nachbar, ich bin sehr unzufrieden.«

»Lea«, erwiderte er, indem er die schöne Hand an seine Lippen zog, »verkenne mich nicht, Mädchen! ich konnte wahrhaftig nicht kommen, Kind! Zu dir durfte ich nicht kommen, und in die Zirkel deines Bruders gehe ich nicht; und wenn ich wüßte, daß du ein einziges Mal da warst, würde ich dich nicht mehr sprechen.« Trotz der Dunkelheit glaubte der junge Mann dennoch eine hohe Röte auf Leas Wangen aufsteigen zu sehen. Er sah sie zweifelhaft an; sie schlug die Augen nieder und antwortete: »Du hast recht, ich darf nicht in die Zirkel meines Bruders gehen.«

»So bist du da gewesen? ja, du bist dort gewesen!« rief Lanbek unmutig; »gestehe nur, ich kann jetzt doch schon alles in deinen Augen lesen.«

»Höre mich an«, erwiderte sie, indem sie bewegt seine Hand drückte, »die Amme hat dir gesagt, was nach dem Karneval vorging, und wie ich ihn bat und flehte, dich freizulassen. Seit jener Zeit hat sich sein Betragen ganz geändert; er ist freundlicher, behandelt mich, wie wenn ich auf einmal um fünf Jahre älter geworden wäre, und läßt mich zuweilen sogar mit sich ausfahren. Vor einigen Tagen befahl er mir, mich so schön als möglich anzukleiden, legte mir ein schönes Halsband in die Hand, und abends führte er mich die Treppe herab in seine eigenen Zimmer. Da waren nur wenige, die ich kannte, die meisten Herrn und Damen waren mir fremd. Man spielte und tanzte, und von Anfang gefiel es mir sehr wohl, nachher freilich nicht, denn –«

»Denn?« fragte Lanbek gespannt.

»Kurz, es gefiel mir nicht und ich werde nicht mehr hingehen.«

»Ich wollte, du wärest nie dort gewesen«, sagte der junge Mann.

»Ach, konnte ich denn wissen, daß die Gesellschaft nicht für mich passen würde?« erwiderte Lea traurig; »und überdies sagte mein Bruder ausdrücklich, es werde meinen Herrn Bräutigam freuen, wenn ich auch unter die Leute komme.«

»Wen hat er gesagt, wen werde es freuen?« rief Lanbek.

»Nun dich«, antwortete Lea; »überhaupt, Lanbek, ich weiß gar nicht, wie ich dich verstehen soll; du bist so kalt, so gespannt; gerade jetzt, da wir offen und ohne Hindernis reden können, bist du so ängstlich, beinahe stumm; statt ins Haus zu uns zu kommen, bestellst du mich heimlich in den Garten, ich weiß doch nicht, vor wem man sich so sehr zu fürchten hat, wenn man einmal in einem solchen Verhältnis steht?«

»In welchem Verhältnis?« fragte Lanbek.

»Nun, wie fragst du doch wieder so sonderbar! Du hast bei meinem Bruder um mich angehalten, und er sagte dir zu, im Fall ich wollte und der Herzog durch ein Reskript das Hindernis wegen der Religion zwischen uns aufhöbe. Ich bin nur froh, daß du nicht Katholik bist, da wäre es nicht möglich, aber ihr Protestanten habt ja kein kirchliches Oberhaupt und seid doch eigentlich so gut Ketzer wie wir Juden.«

»Lea! um Gottes willen, frevle nicht!« rief der junge Mann mit Entsetzen. »Wer hat dir diese Dinge gesagt? O Gott, wie soll ich dir diesen furchtbaren Irrtum benehmen?«

»Ach, geh doch!« erwiderte Lea. »Daß ich es wagte, mein verhaßtes Volk neben euch zu stellen, bringt dich auf. Aber sei nicht bange; mein Bruder, sagen die Leute, kann alles, er wird uns gewiß helfen, denn was er sagt, ist dem Herzog recht. Doch eine Bitte habe ich, Gustav; willst du mich nicht bei den Deinigen einführen? Du hast zwei liebenswürdige Schwestern; ich habe sie schon einigemal vom Fenster aus gesehen; wie freut es mich, einst so nahe mit ihnen verbunden zu sein! Bitte, laß mich sie kennenlernen.«

Der unglückliche junge Mann war unfähig auch nur ein Wort zu erwidern; seine Gedanken, sein Herz wollten stille stehn. Er blickte wie einer, der durch einen plötzlichen Schrecken aller Sinne beraubt ist, mit weiten, trockenen Augen nach dem Mädchen hin, das, wenn auch nicht in diesem Augenblick, doch bald vielleicht noch unglücklicher werden mußte als er, und das jetzt lächelnd, träumend, sorglos wie ein Kind an einem furchtbaren Abgrund sich Blumen zu seinem Kranze pflückte.

»Was fehlt dir, Gustav?« sprach sie ängstlich, als er noch immer schwieg. »Deine Hand zittert in der meinigen; bist du krank? du bist so verändert.« Doch – noch ehe er antworten konnte, sprach eine tiefe Stimme neben Lea: »Bon soir, Herr Expeditionsrat; Sie unterhalten sich hier im Dunkeln mit Dero Braut? Es ist ein kühler Abend; warum spazieren Sie nicht lieber herauf ins warme Zimmer? Sie wissen ja, daß mein Haus Ihnen jederzeit offensteht.«

»Mit wem sprichst du hier, Gustav?« sagte der alte Lanbek, der beinahe in demselben Augenblick herantrat; »deine Schwestern behaupten, du unterhaltest dich hier unten mit einem Frauenzimmer.«

»Es ist der Minister«, antwortete Gustav beinahe atemlos.

»Gehorsamer Diener«, sprach der Alte trocken; »ich habe zwar nicht das Vergnügen Ew. Exzellenz zu sehen in dieser Dunkelheit, aber ich nehme Gelegenheit, meinen gehorsamsten Dank von wegen der Erhebung meines Sohnes abzustatten; bin auch sehr charmiert, daß Sie so treue Nachbarschaft mit meinem Gustav halten.«

»Man irrt sich«, erwiderte Süß, heiser lachend, »wenn man glaubt, ich bemühe mich, mit dem Herrn Sohn im Dunkeln über den Zaun herüber zu parlieren, ich kam nur um meine Schwester abzuholen, weil es etwas kühles Wetter ist und die Nachtluft ihr schaden könnte.«

»Mit Ihrer Schwester?« sagte der Alte streng; »Bursche, wie soll ich das verstehen, sprich!«

»Echauffieren sich doch der Herr Landschaftskonsulent nicht so sehr!« erwiderte der Jude; »Jugend hat nicht Tugend, und er macht ja nur meiner Lea in allen Ehren die Cour.«

»Schandbube!« rief der alte Mann, indem er seine Hand um den Arm seines Sohnes schlang und ihn hinwegzog, »geh auf dein Zimmer; ich will ein Wort mit dir sprechen; und Sie, Jungfer Süßin, daß Sie sich nimmer einfallen läßt, mit dem Sohn eines ehrlichen Christen, mit meinem Sohn ein Wort zu sprechen, und wäre Ihr Bruder König von Jerusalem, es würde meinem Hause dennoch keine Ehre sein.« Mit schwankenden, unsichern Schritten führte er seinen Sohn hinweg. Lea weinte laut, aber der Minister lachte höhnisch; »Parole d'honneur!« rief er, »das war eine schöne Szene; vergessen Sie übrigens nicht, Herr Expeditionsrat, daß Sie nur noch vierzehn Tage Frist zu Ihrer Werbung haben; bis dahin und von dort an werde ich mein Wort halten.«


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